05.09.2014

Arbeitnehmer-Kritik in YouTube-Video

BAG: Fristlose Kündigung unwirksam/Social Media Guidelines hilfreich

Arbeitnehmer-Kritik in YouTube-Video

BAG: Fristlose Kündigung unwirksam/Social Media Guidelines hilfreich

Einmal im Netz, immer im Netz: Im Sog des Internets gewinnt die Kritik am Arbeitgeber eine neue Dimension. | © Female photographer - Fotolia
Einmal im Netz, immer im Netz: Im Sog des Internets gewinnt die Kritik am Arbeitgeber eine neue Dimension. | © Female photographer - Fotolia

Am 31. Juli 2014 hat sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) erstmals mit der Wirksamkeit einer Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers befassen müssen, der sich in einem über YouTube und Facebook verbreiteten Video geschäftsschädigend über seinen Arbeitgeber geäußert hat (Az. 2 AZR 505/13).

Grundzüge der Rechtsprechung

Die Entscheidung des BAG könnte an sich nur eines von zahlreichen Verfahren in Zusammenhang mit unternehmensschädigenden Verlautbarungen von Mitarbeitern und damit einhergehenden arbeitsrechtlichen Konsequenzen darstellen, jedoch ist es das erste Urteil, das sich mit entsprechenden Äußerungen über das für den Arbeitgeber aus unternehmerischer Sicht wesentlich „gefährlichere” Web 2.0 befasst.

Nach dem in der Rechtsprechung der Arbeitsgerichte bislang erkennbaren „roten Faden” ist es Beschäftigten grundsätzlich nicht untersagt, Kritik an ihren Arbeitgebern – auch im und über das Web 2.0 – zu äußern (vgl. nur: BAG v. 10. 12. 2009 – 2 AZR 534/08). Allerdings muss der Arbeitnehmer solche Äußerungen unterlassen, die geeignet sind, dem Unternehmen einen Schaden zuzufügen und dessen berechtigte Interessen zu beeinträchtigen. Dies gilt auch für Äußerungen, die im Widerspruch zu den arbeitsvertraglichen Pflichten des Arbeitnehmers stehen.


Hierzu bietet die Rechtsprechung mittlerweile einen mehr oder weniger handhabbaren Maßstab. Danach sind auch im Arbeitsrecht das Unternehmen oder die betrieblichen Gegebenheiten betreffende kritische Äußerungen des Mitarbeiter von den Arbeitsgerichten daran zu messen, ob diese (noch) durch das Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt sind. Grundsätzlich kann sich der Arbeitnehmer auch gegenüber seinem Arbeitgeber auf das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG berufen, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern. Dabei sind jedoch weder eine bloße Schmähkritik noch Formalbeleidigungen grundrechtlich geschützt. Im Übrigen kommt es aber für die Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG nicht darauf an, ob die Äußerung von Dritten als sinnvoll begründet oder als vollkommen wertlos angesehen wird.

Der Grundrechtsschutz des Arbeitnehmers wird allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Für die Abgrenzung einer unzulässigen von einer (gerade noch) zulässigen Äußerung kommt es stets auf die Umstände des Einzelfalls an. Dabei können insbesondere die vertraglichen Rücksichtnahme- und Loyalitätspflichten des Arbeitnehmers gem. § 241 Abs. 2 BGB die Meinungsfreiheit begrenzen. Danach ist der Mitarbeiter nicht befugt, den Ruf des Arbeitgebers in der Öffentlichkeit durch ehrenrührige Äußerungen herabzusetzen.

Verstöße kann der Arbeitgeber entsprechend sanktionieren. Je nach Schwere des Verstoßes kann eine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt sein. Dies gilt u. a., wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber, einen Vorgesetzten, einen Arbeitskollegen oder einen Kunden grob beleidigt (vgl. BAG v. 10. 12. 2009 – 2 AZR 534/08; BAG v. 10. 10. 2002 – 2 AZR 418/01). Einschränkungen können sich ebenfalls aus Art. 12 GG ergeben, der die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers vor Störungen schützt. Daher kann eine fristlose Kündigung u. a. begründet sein, wenn der Arbeitnehmer unrichtige Behauptungen über die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens verbreitet, die geeignet sind, dessen Kreditwürdigkeit zu schädigen, z. B. wenn ein Kunde oder Auftraggeber von diesen Behauptungen Kenntnis erlangt und daraufhin Zahlungen zurückhält oder vom Arbeitgeber Sicherheiten verlangt (vgl. LAG Baden-Württemberg v. 16. 11. 1976 – 4 Sa 107/67).

Ob sich der Mitarbeiter auf seine Meinungsäußerungsfreiheit berufen kann oder diese durch dessen vertragliche Pflichten oder die grundrechtlichen Positionen des Arbeitgebers überlagert wird und folglich zurücktreten muss, ist schlussendlich nach einer Interessenabwägung zu entscheiden. Dabei kommt es insbesondere auf die Schwere der Beeinträchtigung des betroffenen Rechtsgutes an, in welchem (sprachlichen) Kontext die Meinungsäußerung steht und welche weiteren äußeren Umstände, unter denen diese erfolgte, von Relevanz sind.

Bei Äußerungen im Internet und insbesondere in Social Media muss im Rahmen der Abwägung auch berücksichtigt werden, dass die Äußerung verschriftlicht, damit perpetuiert und kopierbar ist und zudem eine nahezu unkontrollierbare Möglichkeit der Verbreitung aufgrund des de facto unbegrenzten Adressatenkreises binnen kürzester Zeit bei einer gleichzeitig jederzeitigen Verfügbarkeit der Meldung besteht. Zudem ist diese quasi unlöschbar („Das Internet vergisst nie”). Das Gefahrenpotential ist folglich für den Arbeitgeber erheblich höher als bei einer Äußerung des Mitarbeiters während der Pause gegenüber einigen Arbeitskollegen.

Worüber musste das BAG konkret entscheiden?

Die Arbeitgeberin, die in ihrem Betrieb zahlreiche Facharbeiter beschäftigt, stellt Wellpappe für Verpackungen und Displays her. Im Februar 2012 fand in dem Betrieb auf Einladung der Gewerkschaft ver.di eine Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstands statt. Der Kläger bewarb sich als Mitglied für den Wahlvorstand. Die Betriebsversammlung nahm einen unübersichtlichen Verlauf, so dass ein Wahlvorstand nicht gewählt wurde. Daraufhin stellte ver.di beim Arbeitsgericht den Antrag, einen Wahlvorstand zu bestellen, und schlug den Kläger als Mitglied vor. Im Ergebnis wurde der Kläger vom Arbeitsgericht nicht bestellt.

Noch vor der Entscheidung des Gerichts trat der Kläger in einem Video auf, das von Streik.TV, einer online TV-Sendung, in der – im Auftrag von ver.di – über gewerkschaftsrelevante Themen berichtet wird, produziert wurde. In diesem äußerte er, dass es im Betrieb „Probleme” gebe und an einzelnen Maschinen Sicherheitsvorkehrungen fehlten. Man könne, so der Kläger, „fast behaupten”, dass keine Maschine „zu 100 Prozent ausgerüstet” sei. Das Problem sei, dass „keine Fachkräfte vorhanden” seien und „das Beherrschen der Maschinen nicht zu 100 Prozent erfüllt” werde. Das Video kursierte im Internet und war auch bei YouTube zu sehen. Zudem verbreitete der Kläger es über Facebook. Bei Google findet sich eine Liste mit 121 Treffern bei kumulativer Suche. Wegen der Äußerungen des Klägers kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos.

Urteil des BAG

Das BAG sah die außerordentliche Kündigung mangels eines wichtigen Grundes als unwirksam an. Dabei stellte der 2. Senat darauf ab, dass der Kläger mit seinen Äußerungen im Video nicht habe behaupten wollen, dass die Beklagte überwiegend ungelernte Kräfte beschäftige. Er habe – so das BAG – lediglich darauf hinweisen und verdeutlichen wollen, weshalb er die Bildung eines Betriebsrats als sinnvoll ansehe.

Mit seinem Urteil stellt das BAG zwar fest, dass – so weit im Einklang mit den bisherigen Entscheidungen zu geschäftsschädigenden Äußerungen – ein Arbeitnehmer nicht wissentlich falsche, geschäftsschädigende Behauptungen über die im Betrieb herrschenden Verhältnisse aufstellen und diese verbreiten (lassen) dürfe – auch nicht über digitale Medien (also z. B. YouTube und Facebook). Erlaubt ist nach dem BAG jedoch eine sachliche Kritik an den betrieblichen Gegebenheiten, wohingegen allerdings die zweite Instanz im vorliegenden Fall von bewusst wahrheitswidrigen Äußerungen ausgegangen war (vgl. LAG Hamm v. 15. 03. 2013 – 13 Sa 6/13). Diese Wertung der Berufungsinstanz, dass „aus alledem deutlich werde, dass der Kläger in gravierender Form gegen das Rücksichtnahmegebot des § 241 Abs. 2 BGB verstoßen und damit für das erfolgreiche unternehmerische Wirken der Beklagten – nicht zuletzt wegen der weiten Verbreitung im Internet – erhebliche Gefahren heraufbeschworen habe,” scheint der 2. Senat in dieser Form nicht zu teilen. Sobald die schriftlichen Urteilsgründe vorliegen, werden die entscheidungstragenden Erwägungen des BAG in einem weiteren Artikel näher beleuchtet.

Fazit: Arbeitgeber sollten bei Social Media Guidelines „nachrüsten”

Doch schon jetzt zeigt das erste „YouTube”-Urteil – man möchte fast sagen: wieder einmal –, dass es in der modernen (Arbeits-)Welt ein Versäumnis darstellt, das Thema Social Media ungeregelt zu lassen (vgl. dazu: Bissels/Lützeler/Wisskirchen, BB 2010, 2433 ff.; Bissels/Domke, AuA 2013, 82 ff.). Arbeitgeber sind daher gut beraten, sich frühzeitig und fortlaufend mit dem Web 2.0 und dessen mögliche Auswirkungen auf die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter zu beschäftigen. In diesem Zusammenhang können entsprechende Guidelines zur Nutzung von Social Media erlassen oder vereinbart werden, durch die die Arbeitnehmer über die ggf. kritischen Auswirkungen des vermeintlich rein privaten Vergnügens für den Bestand des Arbeitsverhältnisses sensibilisiert werden (dazu ausführlich: Lützeler/Bissels, ArbR 2011, 499 ff.). Dem Arbeitgeber stehen nämlich – wie die Entscheidung des BAG zeigt – zumindest aus Arbeitnehmersicht durchaus „unerfreuliche” arbeitsrechtliche Mittel (Abmahnung, Kündigung) zur Verfügung, um auf das ungewünschte und im Zweifel auch rechtswidrige Verhalten von Mitarbeitern im Web 2.0 zu reagieren. Es dürfte im wohlverstandenen Interesse beider Parteien liegen, entsprechende Konfrontationen zu vermeiden. Hierauf kann der Arbeitgeber durch entsprechende Social Media Policies bereits präventiv hinwirken.

 

Kira Falter

Rechtsanwältin, Associate
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