Zur Kostenübernahme für schulische Mittagsbetreuung
Nachfrage nach ganztägigen Angeboten vor allem für Kinder im Grundschulalter steigt
Zur Kostenübernahme für schulische Mittagsbetreuung
Nachfrage nach ganztägigen Angeboten vor allem für Kinder im Grundschulalter steigt
Aufgrund des gesellschaftlichen Wandels steigt die Nachfrage nach ganztägigen Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsangeboten, vor allem für Kinder im Grundschulalter. Durch eine stetige bedarfsgerechte Ausweitung sollen alle Schüler und deren Eltern erreicht werden, die eine flexible und individuelle ganztägige Betreuung und Förderung wünschen. Mittlerweile haben sich verschiedenste Betreuungsformen etabliert, auf die auch das SGB VIII mit Rechtsansprüchen auf Kostenübernahme reagiert hat. Mit der Frage, ob nicht nur Kosten für die Betreuung in einer Kindertageseinrichtung erstattungsfähig sind, sondern auch jene für die schulische Mittagsbetreuung, hat sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem lehrreichen Beschluss vom 15.02.2017 – 12 BV 16.1855 auseinandergesetzt.
Sachverhalt
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalts zugrunde: Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten für eine Mittagsbetreuung im Zeitraum vom 01.09.2014 bis 30.04.2015 in Höhe von 827,20 €. Im November 2014 beantragte die Klägerin beim beklagten Landkreis (Träger der öffentlichen Jugendhilfe) die Übernahme der Kosten der Mittagsbetreuung für ihre im November 2005 geborene Tochter. Diese besuchte seit dem 01.09.2014 die von der K GmbH betriebene Mittagsbetreuung an der Grundschule P von Montag bis Freitag, jeweils von 11.00 bis 15.00 Uhr, sowie in den Ferien. Im Dezember 2014 stellte die Klägerin zusätzlich förmlichen Antrag auf Kostenübernahme im Rahmen der Jugendhilfe. Mit Bescheid vom 22.01.2015 lehnte der Beklagte die Übernahme der Gebühren für die K-Mittagsbetreuung mit der Begründung ab, dass es sich nicht um eine Tageseinrichtung für Kinder im Sinne des § 22 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) handele; auch die hiergegen gerichtete Klage vor dem Verwaltungsgericht (VG) blieb erfolglos, ebenso die Berufung vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH).
Tageseinrichtungen, bei denen eine Kostenübernahme in Betracht kommt
Nach § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII soll im Falle der Inanspruchnahme von Angeboten der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen nach §§ 22 bis 24 SGB VIII der Teilnahmebeitrag oder die Gebühr auf Antrag ganz oder teilweise erlassen oder vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden, wenn die Belastung den Eltern (hier der alleinerziehenden, Arbeitslosengeld II beziehenden Klägerin) und dem Kind nicht zuzumuten ist. Die Übernahme von Kostenbeiträgen kann damit nur für eine Betreuung erfolgen, die in einer Tageseinrichtung nach § 22 SGB VIII stattfindet.
Kindertageseinrichtungen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind Einrichtungen, in denen sich Kinder für einen Teil des Tages oder ganztägig aufhalten und in Gruppen gefördert werden. In ihnen sollen die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gefördert, die Erziehung und Bildung in der Familie unterstützt und ergänzt und den Eltern dabei geholfen werden, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander zu vereinbaren (§ 22 Abs. 2 SGB VIII). Der Förderauftrag umfasst hierbei die Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes und bezieht sich auf die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes. Er schließt auch die Vermittlung orientierender Werte und Regeln ein, zudem soll die Förderung sich am Alter und Entwicklungsstand, den sprachlichen und sonstigen Fähigkeiten, der Lebenssituation sowie den Interessen und Bedürfnissen des einzelnen Kindes orientieren und seine ethnische Herkunft berücksichtigen (§ 22 Abs. 3 SGB VIII).
Abgrenzung zu Nichttageseinrichtungen im o.g. Sinne
Eine Tageseinrichtung in diesem Sinne liegt dann nicht vor, wenn den Schülern einer Schule eingebunden in ihre Schulorganisation nach der Beendigung des Unterrichts durch Fachlehrer die bloße Möglichkeit beaufsichtigter Hausaufgabenanfertigung, der Vertiefung des im Unterricht Gelernten, der Behebung von Wissensdefiziten oder des bloßen Aufenthalts geboten wird. Eine derartige Betreuung, die rein an schulischen und schulergänzenden Zwecken orientiert ist, wird dem einer Tageseinrichtung im Sinne des § 22 SGB VIII kennzeichnenden, sehr umfassenden Förderbegriff des § 22 Abs. 2, Abs. 3 SGB VIII regelmäßig nicht gerecht. Einrichtungen, die primär dem Aufenthalt von Kindern und Jugendlichen während der Freizeit oder zur Hausaufgabenbetreuung dienen, zählen grundsätzlich nicht zu den Tageseinrichtungen im Sinne des § 22 SGB VIII. Denn Sinn einer solchen Mittagsbetreuung ist gerade nicht die gezielte Förderung, Bildung und Erziehung eines Kindes, wie es § 22 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB VIII vorschreibt, sondern in erster Linie die Betreuung und Beaufsichtigung der einzelnen Kinder außerhalb der Unterrichtszeiten, d.h. während ihrer Freizeit, gegebenenfalls auch zur Erledigung und Überwachung der Hausaufgaben. Eine solche (Mittags-)Betreuung erhebt keinen – über schulische Zwecke hinausreichenden – pädagogischen Anspruch.
Betreuung muss auch auf Förderziele des § 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII abstellen
Eine andere Bewertung ist hingegen dann gerechtfertigt, wenn die angebotene Betreuung sich nicht lediglich auf rein schulische Zwecke, wie Hausaufgabenbetreuung oder Notenverbesserung beschränkt. Charakteristisch für diese Fälle ist, dass die Betreuung ein umfangreiches Zusatzangebot umfasst, welches mindestens zugleich auch der Erreichung der in § 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII genannten Förderziele dient bzw. deren Erreichung unterstützen soll. Zu denken ist hierbei an die Zielrichtung, durch die Betreuung eine Verbesserung der Organisationsfähigkeit und die Steigerung der sozialen Kompetenz der Schüler zu erreichen und darüber hinaus die Familien beim erzieherischen Prozess und der Lernfähigkeit der betreuten Schüler zu unterstützen. Eine solche Betreuung kann über eine reine Hausaufgaben- und Aufenthaltsbetreuung im Sinne einer bloßen „Mittagsbetreuung“ hinausreichen. Denn Sinn einer solchen Betreuung ist – neben einer Hausaufgabenbetreuung – gerade auch die gezielte Förderung, Bildung und Erziehung des betreuten Kindes, wie es § 22 Abs. 2 Nr. 1 und 2 sowie Abs. 3 SGB VIII vorschreiben. Dies gilt namentlich dann, wenn sie sich nicht nur auf die Mittagspause beschränkt, sondern einen wesentlichen Teil des Tages ausmacht sowie darüber hinaus ein Teil des Programms auch an unterrichtsfreien Tagen und in den Schulferien stattfindet. Eine solche Betreuung umfasst regelmäßig auch die Erziehung und Bildung der zu betreuenden Kinder und schließt deren soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung, namentlich die Vermittlung orientierender Werte und Regeln, wie beispielsweise Teamfähigkeit und Eigenverantwortlichkeit, mit ein.
Zusatzangebot der Einrichtung reichte im konkreten Fall nicht
Damit ist nach Auffassung des BayVGH stets das konkrete Angebot der jeweiligen Einrichtung in den Blick zu nehmen und sodann anhand der in § 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII festgelegten Kriterien zu prüfen und zu entscheiden, ob eine Mittagsbetreuung im Sinne einer reinen Hausaufgaben- und Aufenthaltsbetreuung oder – aufgrund des pädagogischen Anspruchs der Betreuung – bereits eine Tageseinrichtung im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vorliegt. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Mittagsbetreuung nicht von der Schule selbst, sondern durch einen privatrechtlich organisierten Träger oder Kooperationspartner betrieben wird. Allein der Umstand, dass die Gesamtverantwortung für die Konzeption der Betreuung bei der Schulleitung liegt, die Klassenstundenpläne von der Schule mit dem Zeitplan der Betreuung koordiniert werden und die Betreuung selbst in den Räumen der Schule stattfindet, macht die (Mittags-) Betreuung in derartigen Fällen nicht zu einer Einrichtung der Schule. Maßgeblich ist vielmehr allein, ob die Kriterien des § 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII erfüllt sind. Nicht von Bedeutung ist hingegen, ob der privatrechtlich organisierte Träger bereits über die erforderliche Betriebserlaubnis (§ 45 SGB VIII) verfügt oder diese erst noch zu erteilen ist. Andernfalls könnte der zuständige Jugendhilfeträger die Kostenübernahme durch die Versagung der Erlaubnis steuern.
Ein derartiges umfangreiches Zusatzangebot, das die Annahme der strengen Voraussetzungen des § 22 SGB VIII hätte rechtfertigen können, erkannte der BayVGH im konkreten Einzelfall gerade nicht.