11.05.2016

Zeit des Durchatmens?

Kommunales Flüchtlingsmanagement – Anregungen der KGSt

Zeit des Durchatmens?

Kommunales Flüchtlingsmanagement – Anregungen der KGSt

Die Integration von Flüchtlingen ist eine Aufgabe, die professionell gesteuert werden sollte. | © imaginando - Fotolia
Die Integration von Flüchtlingen ist eine Aufgabe, die professionell gesteuert werden sollte. | © imaginando - Fotolia

Auf kommunaler Ebene wurde spätestens ab Sommer 2015 bei der Bewältigung der Flüchtlingsströme Beispielhaftes geleistet, so die Meinung der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt). Ohne Vorlaufzeit wurden Unterkünfte akquiriert und hergerichtet, Menschen wurden versorgt und betreut. Dabei ging es stets auch darum, ausreichend Ressourcen für erneut kurzfristige Zuweisungen vorzuhalten. Die Kommunen befanden sich in einer Ausnahmesituation, in der vieles nur durch das außerordentliche Engagement haupt- und ehrenamtlicher Kräfte gelang.

In den ersten Monaten dieses Jahres sind die Zahlen der Ankommenden erstmals rückläufig. Die kurzfristigen Zuweisungen erfolgen seltener und vereinzelt werden bereits Notunterkünfte geschlossen. Vielerorts kehrt vorerst Ruhe ein.

Eine Zeit des Durchatmens? Ja. Eine Zeit des Ausruhens? Wohl kaum, denn eine Reihe von Prognosen geht davon aus, dass die Zahlen trotz des EU-Türkei-Abkommens und der geschlossenen Balkanroute wieder steigen werden. Daher sind Kommunen gut beraten, zurückzublicken und sich anhand der Erfahrungen in den letzten Monaten entsprechend aufzustellen. Es gilt, die Stärken und Schwächen des kommunalen Flüchtlingsmanagements zu analysieren, um für die Zukunft zu lernen. Denn unabhängig von den prognostizierten Zahlen für die nächsten Monate ist sicher, dass eine Herausforderung noch bevorsteht: Die Menschen mit hoher Bleibeperspektive müssen integriert werden.


Unterbringung als zentrales Thema

Unabhängig vom rechtlichen Status der Flüchtlinge oder den Auflagen bisher geförderter Projekte beginnt Integration spätestens bei der Anschluss-Unterbringung. Kommunen, die früh auf dezentrale Unterbringung im Wohnungsbestand setzten und die begleitende Betreuung dazu sicherstellten, haben dadurch gute Voraussetzungen für eine gelingende Integration geschaffen. Kommunen, die improvisierte Notlösungen nicht vermeiden konnten, lösen diese vermehrt zugunsten nachhaltiger Unterbringungsalternativen auf. Die Frage, wie es gelingen kann zumindest für die Aufnahme von Flüchtlingen mit Bleibeperspektive den vorhandenen Wohnungsbestand zu nutzen, ist also zentral.

Um das Potenzial einschätzen zu können, braucht es zunächst einen Überblick über die örtliche Wohnungsmarktsituation und die vorhandenen Leerstände. Bei der Akquise ist ein zentraler Erfolgsfaktor, die Interessen der Vermieter zu berücksichtigen – gleich ob es sich bei den Wohnungseigentümern, nun um Privatpersonen oder Wohnungsbauunternehmen handelt. Erwartet wird regelmäßig, dass die Kommune zunächst als Mieter auftritt und Schadensfälle absichert. Wohnung/Vermieter/Nachbarschaft und Flüchtlingsfamilie müssen zusammen passen. Damit ein späterer Übergang des Mietverhältnisses auf die neuen Bewohner gelingt, muss bei der Auswahl zudem auf die Mietgrenzen entsprechend der Vorgaben des SGB II geachtet werden. Insgesamt ist die Unterbringung im Wohnungsbestand nach Einschätzung vieler Experten deutlich kostengünstiger als Bau und Betrieb großer Gemeinschaftsunterkünfte. Teure Wachdienste, Brandwachen der Feuerwehr und Brandmeldeanlagen sind für Einzelwohnungen nicht erforderlich.

Insbesondere bei einer Unterbringung im Wohnungsbestand ist es wichtig, dass die Menschen in der neuen Umgebung Ansprechpartner haben. Die Betreuung der Flüchtlinge durch Fachkräfte mag bei der Unterbringung aufgrund der Wegezeiten der Fachkräfte aufwendiger sein. Allerdings können hier bestehende oder ggf. noch aufzubauende nachbarschaftliche Netzwerke Teile der niederschwelligen Betreuung übernehmen. Sie stellen z. B. Flüchtlinge in der Nachbarschaft vor, begleiten bei Behördengängen und stellen Kontakte zu Sportvereinen her. Damit unterstützen Engagierte die Integration und schonen zugleich die Personalressourcen der professionellen Fachkräfte, die oftmals nicht in ausreichender Zahl vorhanden sind.

Faktoren einer erfolgreichen Integration

Das ehrenamtliche Engagement ist für die erfolgreiche Integration der Flüchtlinge ein entscheidender Faktor. Zu bedenken ist allerdings, dass nicht nur die hauptamtlichen Kräfte in den Kommunen vielfach an ihre Belastungsgrenze kommen. Dies trifft die ehrenamtlichen Kräfte gleichermaßen. Sie benötigen eine angemessene Wertschätzung und müssen informiert, qualifiziert, begleitet werden. Wichtig ist dabei zu erkennen, dass Engagierte den Kernbereich der anspruchsvollen Arbeit von qualifizierten Fachkräften keinesfalls ersetzen können. Die Koordinierung des ehrenamtlichen Engagements ist ein wichtiges Zukunftsthema.

Wer ein Saatkorn in die Erde setzt, pflegt nicht nur die Pflanze selbst, er bereitet auch die Erde und die Pflanzen in der Umgebung darauf vor. Ähnlich ist es bei der Integration. Nicht nur im Kontakt mit den zu Integrierenden und den engagierten Bürgerinnen und Bürgern ist gute Kommunikation entscheidend.

Dem berechtigten Informationsbedürfnis einer deutlich positiv gestimmten Bürgerschaft muss mit klarer Kommunikation und einem hohen Maß an Sensibilität begegnet werden. Hierzu sind entsprechende Kommunikationsstrukturen und -prozesse erforderlich. Den Aktivitäten politischer Brandstifter ist mit gut aufbereiteten Fakten, frühest möglicher Transparenz und einer Präsenz der Verwaltungsspitze zu begegnen, die die Flüchtlingssituation und Integration zu ihrem Thema macht. Dabei sollten unterschiedliche Informationskanäle genutzt werden. Soziale Netzwerke gehören dazu.

Geeignete Organisationsformen schaffen

Auch die Binnensicht auf die Verwaltung sollte eingenommen werden. Wie gehen wir mit der bisherigen Organisationsform um? Koordinieren wir die Aktivitäten im Flüchtlingsmanagement dauerhaft über Task-Forces und Krisenstäbe oder ist die Bündelung der Aufgaben in einem Amt die richtige Lösung? Wie gelingt es uns, die Organisation Kommunalverwaltung insgesamt so aufzustellen, dass sie flexibel und agil auf plötzlich auftretende Veränderungen reagieren kann?

Neben strukturellen Fakten (unter anderem Wahrnehmung von Aufgaben auf der Kreisebene oder auf der Ebene der – kreisangehörigen – Gemeinden) sind Prozesse, die strategische Relevanz des Themas für die Verwaltungsspitze und das Rollenverständnis der beteiligten Akteure Kriterien für Organisationsentscheidungen. Das Landratsamt Lindau (Bodensee) nutzt die Zeit des Durchatmens beispielsweise auch, um organisatorische Strukturen agil auszurichten, die flexiblen Formen der (Zusammen-)Arbeit der letzten Monate zu verstetigen und perspektivisch nutzbar zu machen.

Steuerung von Integration

Mit Blick auf die kommenden Monate sollte auch darüber nachgedacht werden, wie Integration gesteuert werden kann und welche Strukturen und Prozesse diese Steuerung unterstützen. Es sind nahezu alle Handlungsfelder der Kommunalverwaltung unmittelbar oder mittelbar betroffen. Dazu kommen zahlreiche externe Akteure. Die zentrale Herausforderung ist die Steuerung oftmals komplexer Netzwerke. Ein Integrationsamt in der Linie mit einer weitgehenden Bündelung aller wichtigen Verwaltungsleistungen für die besondere Zielgruppe kann ein gangbarer Weg sein. Andere, interdisziplinär zusammengesetzte Organisationsformen, wie z. B. Stabsstellen, sind durchaus Alternativen. Hier muss aber die „Durchschlagskraft” zur Umsetzung von Beschlüssen in der Linie sichergestellt werden. Wie auch immer vor dem Hintergrund der örtlichen Besonderheiten das Flüchtlingsmanagement organisiert wird – gebraucht wird eine Befähigung auf organisatorischer und personeller Ebene sowie Integrationsziele und eine wirkungsorientierte Steuerung. Dazu gehört auch ein Monitoring zur Überprüfung von Erfolgen, das sowohl mit quantitativen, als auch mit qualitativen Daten arbeitet.

In diesem Zusammenhang ist zu klären, welchen Beitrag die IT leisten kann. Derzeit werden Daten allein auf kommunaler Ebene mehrfach erfasst und Schnittstellen zwischen einzelnen Fachverfahren existieren häufig nicht. In der Flüchtlingssituation wird dies besonders deutlich. Die Datenhaltung in Silos wird keine neuen Erkenntnisse bringen. Soweit zulässig, müssen sie verknüpft werden, um Steuerungsentscheidungen auf eine transparente, stabile Basis zu stellen.

Nicht zuletzt benötigen wir vordringlich die Menschen, die all das leisten sollen. Das kommunale Personalmanagement stellt sich den Herausforderungen im knapper werdenden Fachkräftemarkt, der Beschleunigung der interkulturellen Öffnung der Verwaltung und dem Aufbau gesundheitsfördernder Ressourcen seit langem. Durch die Flüchtlingssituation in den Kommunen wird die Dringlichkeit für Lösungen nochmals verschärft.

… durch Risikomanagement-Methode

Um die Zeit des Durchatmens auch im Sinne von „Lessons-Learned” zu nutzen, könnte die Methode des Risikomanagements eine geeignete sein. Die KGSt hat die Methode auf die Flüchtlingssituation angewendet und gemeinsam mit Partnern und einer interdisziplinär zusammengesetzten Expertengruppe Risiken identifiziert und über 160 Steuerungsmaßnahmen erarbeitet. Sie sind in einer Datenbank zusammengefasst und verfügbar. Mehr Informationen unter: www.kgst.de/aktuelles/nachricht/fluechtlingsmanagement-risiken-und-steuerungsmassnahmen.dot

Zudem sammelt die KGSt eine Vielzahl von guten kommunalen Beispielen zum Flüchtlingsmanagement unter:
www.kgst.de/aktuelles/nachricht/fluechtlinge-gute-beispiele-aus-kommunen.dot

 

Matthias Kreutzer

Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement, Köln
 

Andreas Pamp

Kompetenzteam Kommunales Flüchtlingsmanagement, Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement, Köln
 

Matthias Wieliki

Rechtsanwalt, Steuerberater, PwC AG
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