11.05.2016

Streit um Milliarden

Der Atomausstieg vor dem Bundesverfassungsgericht

Streit um Milliarden

Der Atomausstieg vor dem Bundesverfassungsgericht

Hochspannung: Wie fällt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Atomausstieg aus? | © visdia - Fotolia
Hochspannung: Wie fällt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Atomausstieg aus? | © visdia - Fotolia

Die durch ein Seebeben und einen nachfolgenden Tsunami an der Ostküste Japans ausgelöste Reaktorkatastrophe von Fukushima vor fünf Jahren war Anlass für den Atomausstieg in Deutschland. Zwischenzeitlich haben die drei Energiekonzerne E.ON, RWE und Vattenfall gegen das Gesetz, mit dem der vorzeitige Ausstieg aus der Kernenergie beschlossen wurde, Verfassungsbeschwerde erhoben. Am 15. 03. 2016 wurde vor dem Bundesverfassungsgericht mündlich verhandelt. Das Ergebnis ist offen. Ein Obsiegen der Beschwerdeführer könnte dem Steuerzahler in jedem Fall teuer zu stehen kommen.

Vorgeschichte der Energiewende

Ein Rückblick: Seit dem Inkrafttreten des AtomG im Jahr 1959 waren die für Kernkraftwerke erteilten Betriebsgenehmigungen weder zeitlich befristet noch auf die Produktion einer bestimmten Elektrizitätsmenge beschränkt. Die Politik hatte an die Nutzung der Kernenergie für friedliche Zwecke zunächst große Erwartungen geknüpft. Das AtomG war deshalb ursprünglich als „Gesetz zur Förderung der Atomenergie” (de Witt, UPR 2012, 281) konzipiert worden.

Gleichwohl stieß die Nutzung der Kernenergie in der Bevölkerung zunehmend auf Widerstand. Mit dem „Atomausstiegsgesetz” vom 22. 04. 2002 (BGBl. I S. 1351) wurde folglich ein radikaler Kurswechsel in der deutschen Energiepolitik vollzogen. Das Ziel des AtomG bestand nunmehr darin, „die Nutzung der Kernenergie zur gewerblichen Erzeugung von Elektrizität geordnet zu beenden” (§ 1 Nr. 1 AtomG). Dazu wurde jedem einzelnen Kernkraftwerk in Anlage 3 des AtomG eine sog. „Reststrommenge” zugewiesen, mit deren Erzeugung die Berechtigung zum Leistungsbetrieb des jeweiligen Kraftwerks endgültig erlöschen sollte. Grundlage der Kalkulation der Reststrommengen war u. a. eine durchschnittliche Laufzeit der Kraftwerke von je 32 Jahren. Mit der Zuteilung „auskömmlicher” Reststrommengen sollte den Energiekonzernen eine Amortisation ihrer getätigten Investitionen und zugleich ein „angemessener” Gewinn garantiert werden (BT-Drucks. 14/6890, S. 16). Die Reststrommengen konnten auch auf ein anderes Kernkraftwerk übertragen werden.


Mit dem 11. Gesetz zur Änderung des AtomG vom 08. 12. 2010 (BGBl. I S. 1814) wurde der Atomausstieg infolge politischer Neubewertungen wieder vertagt. Zwar hielt die damalige Bundesregierung grundsätzlich am Ausstiegsziel fest, wies der Kernenergie jedoch die Funktion einer „Brückentechnologie” auf dem Weg zum „Zeitalter der erneuerbaren Energien” zu. Nach Auffassung der Bundesregierung erforderte dieser Funktionswandel eine Laufzeitverlängerung um durchschnittlich zwölf Jahre. Den Kernkraftwerken wurden deshalb in einer neuen Spalte 4 der Anlage 3 des AtomG zusätzliche Reststrommengen anlagenscharf zugeteilt.

Nur wenige Wochen später verwüstete ein schweres Seebeben mit anschließendem Tsunami das Kernkraftwerk Fukushima in Japan, dessen Notstrom- und Kühlwasserversorgung ausfiel. Es kam zu Explosionen und erheblichen Freisetzungen von Radioaktivität (dazu Sauerland, PUBLICUS 2011.5, S. 8-10). Die mit der 11. AtomG-Novelle erfolgte Laufzeitverlängerung wurde daraufhin im 13. Gesetz zur Änderung des AtomG vom 31. 07. 2015 (BGBl. I S. 1704) wieder rückgängig gemacht: Zum einen wurden die erst wenige Monate zuvor gewährten zusätzlichen Reststrommengen vollständig gestrichen und damit der Besitzstand des Jahres 2002 wiederhergestellt. Zum anderen wurde für jedes Kernkraftwerk eine Frist festgelegt, bei deren Ablauf die Berechtigung zum Leistungsbetrieb – unabhängig von der Ausnutzung der Reststromkontingente – spätestens erlischt. Die Fristen wurden nach dem Alter der Anlagen gestaffelt: Die Genehmigungen der drei jüngsten Anlagen erlöschen spätestens am 31. 12. 2022; die übrigen Anlagen wurden am 06. 08. 2011 und 31. 12. 2015 bzw. müssen Ende 2017, 2019 und 2021 vom Netz genommen werden. Lediglich für das Kraftwerk Krümmel erlosch bereits unmittelbar mit dem Inkrafttreten der 13. AtomG-Novelle die Berechtigung zum Leistungsbetrieb, obwohl dieses Kraftwerk jüngeren Datums ist. Darauf wird noch zurückzukommen sein.

Gegen das 13. Gesetz zur Änderung des AtomG richten sich die rechtshängigen Verfassungsbeschwerden der Energiekonzerne E.ON (Az. 1 BvR 2821/11), RWE (Az. 1 BvR 321/12) und Vattenfall (Az. 1 BvR 1456/12).

Eingriff in Berufsausübungsfreiheit verfassungsrechtlich gerechtfertigt

Die verfassungsrechtliche Prüfung des Atomausstiegs ist durchaus facettenreich. Eines kann jedoch vorab konstatiert werden: Gegen die in Art. 12 Abs. 1 GG gewährleistete Berufsfreiheit verstößt die 13. AtomG-Novelle nicht. Zwar greift das 13. Gesetz zur Änderung des AtomG in die Berufsfreiheit ein. Anders als E.ON und RWE vortragen − Vattenfall beruft sich nicht auf das Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG −, handelt es sich aber nicht um eine Berufswahlregelung, sondern „lediglich” um eine Berufsausübungsregelung mit einer geringeren Beeinträchtigung der Berufsfreiheit.

Die Einstufung der 13. AtomG-Novelle als Berufswahlregelung hängt davon ab, ob ein eigenständiger Beruf des „Kernkraftwerkbetreibers” anzuerkennen ist, dessen Ausübung ausgeschlossen wird (so Di Fabio, Der Ausstieg aus der wirtschaftlichen Nutzung der Kernenergie, 1999, S. 104). Dies ist jedoch abzulehnen. Ob ein eigenständiger Beruf oder nur eine Berufsmodalität betroffen ist, beurteilt sich nach der gesetzlichen Ausgestaltung des Berufsbildes und im Übrigen nach der Verkehrsanschauung (BVerfGE 11, 30). Das AtomG bezweckt zunächst keine Ausgestaltung eines eigenen Berufsbildes, sondern dient dem Schutz vor Gefahren der Kernenergie für Leben, Gesundheit und Eigentum. Nach der Verkehrsanschauung wiederum prägt allgemein die Versorgung mit elektrischer Energie das Berufsbild von Energieversorgungsunternehmen. Ob die Energie aus Kohle, Gas, Öl oder Kernkraft erzeugt wird, ist für die Einstufung der Tätigkeit hingegen nicht maßgebend. Die 13. AtomG-Novelle reglementiert daher lediglich die Modalitäten der Ausübung des Berufs des „Kraftwerksbetreibers” oder „Energieerzeugers” (Kloepfer, DVBl. 2011, 1437 [1443]; a. A. Ossenbühl, Verfassungsrechtliche Fragen eines beschleunigten Ausstiegs aus der Kernenergie, 2012, S. 79 f.), ohne E.ON und RWE zur Beendigung der Energieerzeugung als solcher zu zwingen.

Berufsausübungsregelungen werden bereits durch „vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls” gerechtfertigt. Der Gesetzgeber hat nach den Erfahrungen mit dem Reaktorunglück von Fukushima das Restrisiko, das stets mit der friedlichen Nutzung der Atomenergie verbunden ist, neu bewertet. Aufgrund der Neubewertung hat er entschieden, die Nutzung der Kernenergie zum Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit der Bevölkerung „zum frühestmöglichen Zeitpunkt” zu beenden. Daran gemessen ist das mit der 13. AtomG-Novelle verfolgte Ziel durch hinreichende Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt.

Eigentumsrechtliche Positionen betroffen

Nicht trivial ist die Beantwortung der Frage, ob die 13. AtomG-Novelle eigentumsrechtliche Positionen der Beschwerdeführer aus Art. 14 Abs. 1 GG betrifft. In die Sachsubstanz der Kernkraftwerke wird nicht eingegriffen; das Anlageneigentum bleibt vielmehr unberührt.

Zeitlich begrenzt wird allerdings die Berechtigung zum Betrieb der Kraftwerke – sei es durch die Zuteilung von Reststrommengen, sei es durch die in § 7 Abs. 1a AtomG verbindlich vorgeschriebenen Abschalttermine. Atomrechtliche Betriebsgenehmigungen vermitteln indes keine Eigentumsposition. Denn nach der Rechtsprechung des BVerfG nehmen öffentlich-rechtliche Genehmigungen nur dann am Eigentumsschutz teil, wenn auf sie ein Anspruch besteht und sie überwiegend auf einer eigenen Leistung des Adressaten beruhen (BVerfGE 102, 254 [300 f.]; 53, 336 [348 ff.]). An beidem fehlt es hier.

Verfassungsrechtlich von Art. 14 GG geschützt sind allerdings die mit dem Atomausstiegsgesetz 2002 zugewiesenen Reststrommengen. Sie sollten die Amortisation der von den Energiekonzernen getätigten erheblichen Investitionen sicherstellen und waren somit ein Ausgleich für die Beschränkung der ursprünglich unbefristet erteilten Betriebsgenehmigungen. Kurzum: Die 2002 zugeteilten Reststrommengen stellen Äquivalente eigener Leistungen der Kernkraftwerksbetreiber dar. Das Bundesverwaltungsgericht hat diese rechtliche Einordnung in seinem Mülheim-Kärlich-Urteil vom 26. 05. 2009 (Az. 7 C 8/08) zutreffend bejaht: „Die Reststrommenge des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich ist […] von Art. 14 GG geschützt” (BVerwG, NVwZ 2009, 921 [923]).

Hinsichtlich der Reststrommengen, die den Energiekonzernen im Rahmen der Laufzeitverlängerung durch die 11. AtomG-Novelle 2010 zusätzlich gewährt wurden, lässt sich diese Einschätzung nicht halten. Mit der Verlängerung der Laufzeiten durch die 11. AtomG-Novelle sollte − anders als beim Atomausstiegsgesetz 2002 – nicht die Amortisation von Investitionen der Kraftwerksbetreiber gesichert werden. Vielmehr bezweckte der Gesetzgeber, die Kernenergie als Brückentechnologie zu nutzen, um den Umstiegsprozess auf erneuerbare Energien unter Berücksichtigung von Klimaschutz, Wirtschaftlichkeit und Versorgungssicherheit abzufedern (BT-Drucks. 17/3051, S. 1). Die durch die 11. AtomG-Novelle erteilten zusätzlichen Reststrommengen basieren daher nicht auf Eigenleistungen der Energiekonzerne. Eher sind sie mit Erwerbschancen vergleichbar, die als solche nicht in den Schutzbereich der Eigentumsfreiheit fallen.

Enteignung oder Inhalts- und Schrankenbestimmung?

E.ON, RWE und Vattenfall tragen vor, das 13. Gesetz zur Änderung des AtomG bewirke eine Enteignung, indem es durch die Kürzung der Reststrommengen und die Befristung der Betriebsdauer konkrete Eigentumspositionen entziehe. Die Rechtsprechung des BVerfG war bei der Abgrenzung von Enteignungen nach Art. 14 Abs. 3 GG und Inhalts- und Schrankenbestimmungen nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nicht immer frei von Widersprüchen. Das ist den Beschwerdeführern zuzugestehen. Nach dem heutigen Stand ist das BVerfG indes zum sog. „klassischen Eingriffsbegriff” zurückgekehrt: „Die Enteignung setzt den Entzug konkreter Rechtspositionen voraus, aber nicht jeder Entzug ist eine Enteignung im Sinne von Art. 14 Abs. 3 GG. Diese ist beschränkt auf solche Fälle, in denen Güter hoheitlich beschafft werden, mit denen ein konkretes, der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienendes Vorhaben durchgeführt werden soll” (zitiert nach BVerfGE 104, 1 [9 f.]; bestätigt von BVerfGE 115, 97 [111 f.]; BVerfG, NVwZ 2009, 1158; anders noch BVerfGE 83, 200 [211]). Charakteristikum einer Enteignung ist demnach ein hoheitlicher „Güterbeschaffungsvorgang”, mit dem gezielt eine Eigentumsposition auf den Staat übertragen wird.

Zweck der 13. AtomG-Novelle ist gerade keine „Güterbeschaffung”. Der Staat möchte weder selbst Elektrizität erzeugen noch die Kernkraftwerke anderweitig verwenden. Vielmehr soll die Nutzung der Atomenergie in der Zukunft unterbunden werden. Konkret bewirkt die 13. AtomG-Novelle somit keine „Beschaffung”, sondern eine „Beendigung” der Produktion von Kernenergie. Demnach ist die Gesetzesnovelle nicht als Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG, sondern als Inhalts- und Schrankenbestimmung nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG zu qualifizieren (ebenso Kloepfer, DVBl. 2011, 1437 [1439]).

Verfassungsrechtliche Rechtfertigung

Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums müssen verfassungsrechtlich gerechtfertigt, insbesondere verhältnismäßig sein. Durch die Beendigung der friedlichen Nutzung der Kernenergie zum frühestmöglichen Zeitpunkt soll das mit dem Betrieb eines Atomkraftwerks verbundene Restrisiko für Leben und Gesundheit der Bevölkerung (Art. 2 Abs. 2 GG) sowie für die natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20a GG) eliminiert werden. Dieses Ziel ist (natürlich) legitim. Dass der Gesetzgeber bis zur Katastrophe von Fukushima eine gänzlich andere Bewertung der Kernenergie vorgenommen hat, schadet insoweit nicht. Denn bei der Auswahl seiner Ziele steht dem Gesetzgeber ein umfassender Einschätzungsspielraum zu (BVerfGE 53, 257 [293]).

Die mit der 13. AtomG-Novelle verbundenen Eingriffe müssen ferner nicht nur geeignet und erforderlich sein – das sind sie –, sondern auch angemessen sein. Angemessenheit verlangt, dass die „den Einzelnen treffende(e) Belastung noch in einem vernünftigen Verhältnis zu den der Allgemeinheit erwachsenen Vorteilen steht” (BVerfGE 76, 1 [51]). Dabei kommt dem Vertrauensschutzgrundsatz eine hervorgehobene Bedeutung zu. Mit der Zuteilung „auskömmlicher” Reststrommengen im Atomausstiegsgesetz des Jahres 2002 wollte der Gesetzgeber den Anlagenbetreibern die Amortisation ihrer Investitionen und die Erzielung eines „angemessenen Gewinns” ermöglichen (BT-Drucks. 14/6890, S. 16). Die 13. AtomG-Novelle kann daher nur dann einen mit dem Vertrauensgrundsatz unvereinbaren und unangemessenen Eingriff in den Schutzbereich des Art. 14 GG bewirken, wenn sie durch die Festlegung fixer Abschalttermine eine Amortisation oder Gewinnerzielung vereitelte.

Eine fehlende Amortisation ihrer Kraftwerke haben die Beschwerdeführer bislang vor dem BVerfG nicht hinreichend konkret dargelegt. Im Gegenteil: Unter Berücksichtigung der Endtermine aus § 7 Abs. 1a Satz 1 AtomG erreichen die Kraftwerke im Durchschnitt eine Laufzeit von rund 34 Jahren (s. die Übersicht in der Verfassungsbeschwerde von Vattenfall – Az. 1 BvR 1456/12, S. 51); sie überschreiten die vom Atomausstiegsgesetz 2002 zugrunde gelegte Regellaufzeit von 32 Jahren deutlich. Die vorliegenden Informationen deuten somit an, dass die Festlegung verbindlicher Abschalttermine in der 13. AtomG-Novelle das durch das Atomausstiegsgesetz 2002 geschaffene Vertrauen in eine Amortisation der Investitionen nicht verletzt und deshalb verhältnismäßig ist.

Sondersituation des Kernkraftwerks Krümmel

Anders verhält es sich beim Kernkraftwerk Krümmel, dessen Berechtigung zum Leistungsbetrieb bereits mit dem Inkrafttreten des 13. Gesetzes zur Änderung des AtomG am 06. 08. 2011 erlosch (§ 7 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 AtomG). Denn das Kraftwerk Krümmel verfehlte mit nur 27 Jahren Laufzeit die Regellaufzeit von 32 Jahren signifikant. Die ihm im Atomausstiegsgesetz 2002 zugeteilten Reststrommengen konnte es bis zum 06. 08. 2011 ferner nur zu 44 % (!) ausnutzen. Es darf daher stark bezweifelt werden, dass die getätigten Investitionen sich amortisiert haben oder der Kraftwerksbetreiber einen Gewinn erzielen konnte. Ist dies aber tatsächlich so, was Vattenfall wird belegen müssen, verletzt die 13. AtomG-Novelle hinsichtlich des Kraftwerks Krümmel den Vertrauensschutzgrundsatz und ist insoweit als unverhältnismäßiger Eingriff in die Eigentumsfreiheit zu werten.

Verstoß gegen Gleichbehandlungsgrundsatz?

Der durch das 13. Gesetz zur Änderung des AtomG eingefügte § 7 Abs. 1a AtomG sieht insgesamt sechs verschiedene Abschalttermine für die einzelnen Atomkraftwerke vor. Die mit dieser Staffelung einhergehende Ungleichbehandlung der kerntechnischen Anlagen tangiert das Gleichbehandlungsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG.

Der Gesetzgeber des Atomausstiegsgesetzes 2002 knüpfte die ursprüngliche Zuteilung der Reststrommengen seinerzeit an das Alter der Anlagen. Den Kraftwerksbetreibern sollte eine Amortisation ihrer Investitionen ermöglicht werden. Nach den damaligen Erkenntnissen erforderte dieses Ziel eine durchschnittliche Laufzeit von 32 Jahren ab der Inbetriebnahme. Der Gesetzgeber der 13. AtomG-Novelle strich zwar die zusätzlichen Reststrommengen der 11. AtomG-Novelle wieder. Dennoch wollte er aus den genannten Gründen auch weiterhin an einer Regellaufzeit von 32 Jahren je Kernkraftwerk festhalten (BT-Drucks. 17/6070, S. 6). Die Differenzierung nach dem Alter der Kraftwerke ist demnach sachlich gerechtfertigt.

Ein anderes Ergebnis erscheint für das Kernkraftwerk Krümmel geboten. Der Gesetzgeber hat sich bei der Festlegung der Restlaufzeit des Kraftwerks Krümmel offenbar nicht vom Alter der Anlage leiten lassen. Ansonsten hätte Krümmel nicht gemäß § 7 Abs. 1a Satz 1 Nr. 1 AtomG bereits am 06. 08. 2011 als eines der ersten Atomkraftwerke vom Netz genommen werden dürfen. Über die Motive hierfür kann nur spekuliert werden; aus der amtlichen Gesetzesbegründung lässt sich jedenfalls nichts entnehmen.

Grundrechtsträgerschaft von Vattenfall ungeklärt

Ob sich Vattenfall freilich am Ende mit Erfolg auf eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 14 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG wird berufen können, hängt noch von einem weiteren verfassungsrechtlichen Aspekt ab. Die Inhaberin der Betriebsgenehmigung für das Kernkraftwerk Krümmel ist die Kernkraftwerk Krümmel GmbH & Co. oHG. 50 % der Geschäftsanteile der Kernkraftwerk Krümmel GmbH & Co. oHG werden von der Vattenfall Europe Nuclear Energy GmbH gehalten. Die Vattenfall Europe Nuclear Energy GmbH befindet sich zu 100 % im Eigentum der Vattenfall Europe AG mit Sitz in Berlin, die wiederum zu 100 % zur Vattenfall AB mit Sitz in Stockholm gehört. Alleingesellschafter der Vattenfall AB aber ist der schwedische Staat.

Gewichtige Stimmen im Schrifttum verneinen deshalb die Grundrechtsberechtigung von Vattenfall, das als Tochterunternehmen des schwedischen Staates qualifiziert wird. Es sei mit dem Wesen der Grundrechte unvereinbar, wenn der Staat gleichzeitig Grundrechtsberechtigter und Grundrechtsverpflichteter sei (so Bruch/Greve, DÖV 2011, 794 [796]; Wallrabenstein, HFR 2011, 109 [113]). Zu überzeugen vermag das sog. Konfusionsargument in diesem Kontext nicht. Denn der schwedische Staat wird nicht gemäß Art. 1 Abs. 3 GG an die deutschen Grundrechte gebunden. Grundrechtsverpflichtet wird vielmehr ausschließlich der deutsche Staat, der jedoch keine Beteiligung an Vattenfall hält.

Das BVerfG hat die Grundrechtsberechtigung der Vattenfall Europe AG, die die Muttergesellschaft der Vattenfall Europe Nuclear Energy GmbH ist, bislang ausdrücklich offengelassen (BVerfG, NVwZ 2010, 373 [374]). Die Entscheidung des BVerfG zum Atomausstieg bleibt daher auch unter diesem Aspekt mit Spannung zu erwarten.

 

Prof. Dr. iur. Thomas Sauerland

Dipl.-Kfm. Wissenschaftlicher Leiter der Abteilung Masterstudiengang der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Brühl
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