Eine „grüne Idee” wird Realität
Im oberbayerischen Dollnstein wird ein Pilotprojekt erfolgreich umgesetzt
Eine „grüne Idee” wird Realität
Im oberbayerischen Dollnstein wird ein Pilotprojekt erfolgreich umgesetzt
Das Zukunftsszenario einer verantwortungsvollen, ökologisch sensiblen kommunalen Energieversorgung ist in der beschaulichen oberbayerischen Gemeinde Dollnstein im schönen Altmühltal heute bereits erfolgreich gelebte Realität: eine intelligente Wärmeversorgung durch ein Nahwärmenetz, das bedarfsgerecht, variabel, flexibel und damit modern und zukunftsorientiert nur die Wärme liefert, die auch tatsächlich in den Haushalten und Gemeindegebäuden gebraucht wird. Doch der Weg dahin war für die Gemeinde nicht leicht und geprägt von den typischen Widerständen bei Projekten mit Pioniergeist (siehe hierzu auch PUBLICUS 2015.9, S. 24 ff.). Wie die Anbindung der Gemeinde an ein kaltes Nahwärmenetz letztendlich erfolgreich gestaltet werden konnte, erläutert Wilhelm Radmacher, damaliger zweiter Bürgermeister von Dollnstein und Vorsitzender des Verwaltungsrates des Dollnsteiner Kommunalunternehmens Energie im folgenden Interview:
PUBLICUS: Wie gestalteten sich seinerzeit die ersten Schritte in Dollnstein, um erfolgreich ein neues Energieversorgungskonzept für die Gemeinde zu realisieren? Was waren die großen Zielsetzungen, welche Ausgangsmotivation gab es in Dollnstein?
Radmacher: Wir wollten seitens des Gemeinderats in Dollnstein in einem überschaubaren Zeitrahmen eine autarke, moderne Energieversorgung aufbauen inklusive einer selbstständigen und zukunftsfähigen Energienutzung für alle unsere Bürger. Der erste Schritt in die Eigenverantwortung und damit in die Unabhängigkeit von großen Energiekonzernen war die Gründung des „Kommunalunternehmens Energie” am 1. September 2010. Das Kommunalunternehmen wirtschaftet als Anstalt öffentlichen Rechts und ist 100 %ige Tochter der Gemeinde Dollnstein. Es setzt sich zusammen aus drei Gemeinderatsmitgliedern und zwei externen Mitgliedern. Der große Vorteil dieses Outsourcings: Wir konnten dem Thema der zukunftsfähigen Energie-Versorgung mehr Raum geben und besser in den Fokus unseres Handelns stellen. Der Gemeinderat hat uns zuerst die Aufgabe übertragen, die Energieversorgung des Gemeindegebietes zu überprüfen und schließlich neu zu organisieren und zu strukturieren. Als Energiequellen kamen Wind, Sonne, Biomasse, Erdwärme und Wasser in Betracht.
PUBLICUS: Wie sahen die ersten Maßnahmen des „Kommunalunternehmens Energie” aus?
Radmacher: Der Verwaltungsrat des Kommunalunternehmens hat unter meinem Vorsitz in seiner ersten Aktion von Oktober 2010 bis Mai 2011 umfangreiche Photovoltaikanlagen auf gemeindeeigenen Gebäuden wie Schule, Feuerwehrhaus und Bauhof realisiert, die insgesamt eine Leistung von 210 kW liefern.
Als nächstes Projekt stand 2011 die Sanierung der Wasserleitungen im Gemeindegebiet auf dem Programm des Kommunalunternehmens, das bis heute zu 90 Prozent ehrenamtlich wirtschaftet. Alle unsere Projekte haben wir dabei stets ganzheitlich – zum Wohle aller Bürger und der Natur im Altmühltal – beleuchtet. So haben wir beispielsweise die Sanierung der Wasserleitungen durch die Gemeinde dazu genutzt, um unsere Wärmenetz-Leitungen gleich mitverlegen zu lassen. Allerdings reiften erst im Laufe von zwei Jahren die anfänglichen Planungen zu einem ganzheitlichen Konzept heran. Wobei der Beginn der Planungen zunächst wenig erfolgsversprechend war. So wollten wir mit Hilfe einer Machbarkeitsstudie der FH Amberg überprüfen, welche Möglichkeiten der kommunalen Wärmeversorgung in Dollnstein überhaupt realisierbar waren. Das Ergebnis der Studie ließ uns zunächst resignieren, denn unsere erste Idee einer Energieversorgung auf der Basis von Hackschnitzeln mit einer Spitzenlastabdeckung durch Erdöl zeigte sich aufgrund der Vor-Ort-Situation als nicht rentabel.
PUBLICUS: Wie gingen Sie weiter vor bei Ihrer Suche nach Alternativen zur regenerativen Energieversorgung der Gemeinde Dollnstein?
Radmacher: Wir haben uns auf jeden Fall nicht von dem negativen Ergebnis der Machbarkeitsstudie entmutigen lassen, sondern machten uns auf die Suche nach alternativen, regenerativen Wärmequellen, die unserem ganzheitlichen Ansatz entsprachen. Als großer Vorteil erwies sich dabei das energietechnische Knowhow von Verwaltungsratsmitglied Alfons Kruck, der sich als geschäftsführender Gesellschafter „Entwicklung und Technik” der ratiotherm Heizung + Solartechnik GmbH & Co. die intelligente Wärmenutzung auf die Fahne geschrieben hat. Er kam auf die bahnbrechende Idee, die ganzjährig konstante Grundwassertemperatur im Altmühltal als primäre Energiequelle nutzbar zu machen. Auf dieser Basis stellte er ein sogenanntes „kaltes Wärmenetz” vor, das sich einer genialen Kombination aus mehreren Komponenten zur Energiebereitstellung bedient. Dabei greifen, einem Zahnrad gleich, alle einzelnen Komponenten zur Energieversorgung äußerst effektiv, wirtschaftlich und ressourcenschonend ineinander. Durch die optimale Kombination der Wärmequellen Sonne, Grundwasser, Blockheizkraftwerk und Gas (für die Spitzenlastabdeckung) können wir die Wärmeversorgung in unserer Gemeinde so stets bedarfsgerecht und klimaschonend steuern.
PUBLICUS: Was ist der entscheidende Unterschied zwischen dem „kalten” Nahwärmenetz in Dollnstein und „konventionellen” Nahwärmenetzen?
Dollnstein konnte seine Energiekosten bereits im ersten Betriebsjahr um rund 40 % reduzieren.
Radmacher: Unser „kaltes” Nahwärmenetz in Dollnstein arbeitet nicht wie herkömmliche Netze das ganze Jahr mit einer konstanten Vorlauftemperatur von 80 °C , sondern kann von Mai bis Mitte Oktober auf einem Niveau von nur 25 bis 30 °C fahren. Nur in den Herbst- und Wintermonaten wird die Vorlauftemperatur auf 70 bis 80 °C erhöht, der Rücklauf liegt dann bei 40-50 °C. Dank dieser extrem niedrigen Vorlauftemperaturen in den „warmen Monaten des Jahres” können die oft hohen Energieverluste klassischer Nahwärmenetze vermieden werden. Dafür erwärmen nun rund 100 m² Solarthermie-Kollektoren auf dem Dach der Dollnsteiner Heizzentrale das 10 °C kalte Grundwasser aus dem Uferbereich der Altmühl, bevor es in zwei große Schichtspeicher fließt.
PUBLICUS: Sie sprechen von einer Heizzentrale in Dollnstein. Was habe ich mir darunter genau vorzustellen? Welche Aufgaben hat diese Zentrale genau?
Radmacher: Über die Heiz- und Energiezentrale wird das gesamte Nahwärmenetz für die Gemeinde gesteuert. Dabei sind die beiden Schichtspeicher die Herzstücke dieser Energiezentrale: ein zentraler 27.000 Liter Schichtspeicher mit einer Temperatur von 80 °C sowie ein 15.000 Liter Niedertemperatur-Speicher mit 30 °C. In diesem Temperaturbereich lassen sich selbst im Winter über die Solarthermie noch große Erträge erzielen. Darüber hinaus sorgt eine 440 kW Wärmepumpe für die temperaturtechnische Aufbereitung des Grundwassers auf Heizungsniveau. Komplettiert wird die Heizzentrale durch ein Gas BHKW mit 250kW thermischer und 150 kW elektrischer Leistung für den Strombetrieb der Grundwasserwärmepumpe sowie einen Gas-Spitzenlastkessel mit 300 kW. Hinzu kommen in der Peripherie für jeden angeschlossenen Haushalt noch jeweils eine „kleine” Wärmepumpe als Übergabestation zur bedarfsgerechten Erwärmung des Wassers sowie ein Pufferspeicher mit mindestens 300 Liter Fassungsvolumen. Für die „kleinen” Wärmepumpen stehen die gemeindeeigenen PV-Anlagen zur Verfügung. In dieser technischen Konfiguration erreicht das Dollnsteiner Nahwärmenetz seine höchste Effizienzstufe: Nach Berechnungen der an diesem Projekt involvierten Fachhochschulen wird damit das Netz zwischen dem 01. Mai und dem 15. Oktober mit einer solaren Energieabdeckung von ca. 80 % betrieben.
Reicht in den sonnenärmeren Monaten die über die Solarthermie-Anlage erzeugte Energie nicht aus, kommen die bereits erwähnte Grundwasserwärmepumpe sowie das Gas befeuerte Blockheizkraftwerk zum Einsatz. Neben der Wärme erzeugt das BHKW dabei auch den Strom für die Grundwasserwärmepumpe und – sofern ausreichend – noch für die Wärmepumpen an den Übergabestationen. Um Spitzenlasten zu puffern, ist zusätzlich ein Gaskessel eingebunden. Insgesamt muss bei diesem Konzept nur noch 51 % an Primärenergie eingesetzt werden, um auf eine Wärmeleistung von 100 % zu kommen.
PUBLICUS: Sie sprachen anfangs auch von einer bedarfsgerechten Steuerung der Wärmeversorgung. Eine wichtige Stellschraube, durch die man erhebliche Energiekos- teneinsparungen erreichen kann. Wo und wie haben Sie beim Dollnsteiner Modell diese Stellschrauben angesetzt?
Radmacher: Richtig, seit dem Startschuss für das kalte Nahwärmenetz in Dollnstein im August 2014 wird nur noch die Wärme produziert, die auch tatsächlich nachgefragt wird. Diesen, in der Energiekonzeption bis dato völlig neuen und zukunftsträchtigen Ansatz für die Energieeinsparung haben wir Thomas Kerner zu verdanken, seines Zeichen Geschäftsführer des Software-Unternehmens xNet. Kerner entwickelte eine Steuertechnik, die auf einer automatischen Software basiert. Entsprechend unseres modernen Zeitalters der Vernetzung verbindet diese Software alle Komponenten des Wärmenetzes intelligent miteinander und steuert ihre Abläufe voll automatisch – mit einem Wartungsaufwand von ca. 10 Minuten pro Tag. So können über die Software die Bedarfszahlen der einzelnen angeschlossenen Haushalte und öffentlichen Gebäude stündlich abgefragt, kontrolliert und ausgewertet werden. Mit Hilfe des Smart Grid, der kommunikativen Vernetzung von Wärmeerzeugern und -verbrauchern, können damit auch Spitzen im Wärmebedarf geglättet und die Wärmeproduktion somit effizient und ressourcenschonend – quasi nach dem Minimalprinzip – gestaltet werden: Nur die Wärme, die tatsächlich gebraucht wird, wird auch geliefert. Dass das System funktioniert, beweist das Feedback der bis dato 20 angeschlossenen Haushalte und öffentlichen Gebäude in Dollnstein: Die Heizzentrale hat im ersten Betriebsjahr 2015 stets zuverlässig und stabil alle Anschlüsse mit Wärme versorgt – und das bei erheblich geringeren Energiekosten für die einzelnen Haushalte.
PUBLICUS: Seit gut 1,5 Jahren ist nun aus Theorie und Vorbereitung gelebte Praxis geworden. Können Sie bereits Aussagen treffen, inwieweit sich die innovative Idee eines kalten Nahwärmenetzes für Dollnstein respektive die Gemeinde auch tatsächlich rechnet?
Ein Blick auf die Strangverteilung in der Heizzentrale des Dollnsteiner Nahwärmenetzes.
Radmacher: Der wirtschaftliche Betrieb des Netzes ist bereits jetzt sichergestellt, da der dafür notwendige Mindestverbrauch von jährlich einer Million Kilowattstunden durch die hohe Anschlussquote an Haushalten heute schon übertroffen wird. Die eingebundenen Haushalte profitieren trotz der Kostenumlegung schon jetzt, da Anschaffungs- und Reparaturkosten für eine eigene Heizanlage entfallen. Die angeschlossenen Bürger haben nur eine einmalige Anschluss-Gebühr zu bezahlen, diese ist abhängig von der benötigten Heizleistung für das jeweilige Gebäude. In Dollnstein liegt diese im Schnitt bei 1.500 €. Die jährliche Grundgebühr beträgt 600 € für eine garantierte Wärmeleistung von 4000 kWh. Steigt der Wärmebedarf über 4.000 kWh an, rechnet das Kommunalunternehmen Energie mit 11 Cent pro kWh brutto ab. Auch ökologisch konnte unser Energiekonzept erheblich punkten: So reduzierte sich bereits im ersten Jahr der CO2-Ausstoß der Gemeinde um 70 % – die staatliche Vorgabe bis 2025 liegt gerade einmal bei 30 %.
Insgesamt investierte die Gemeinde Dollnstein 1,8 Millionen Euro in die Anbindung an das kalte Nahwärmnetz. Wobei wir ein Drittel unserer förderfähigen Kosten von der KfW bezuschusst bekamen, nachdem wir unser Konzept eingereicht hatten.
PUBLICUS: Haben Sie bei dieser Erfolgsstory des „Dollnstein-Modells” eigentlich schon Anfragen von anderen Kommunen und Gemeinden erhalten? Nach dem Motto „Das kalte Nahwämenetz als Vorbild für eine moderne und umweltbewusste kommunale Energie- und Umweltpolitik”.
Radmacher: Unser erfolgreicher „Pilot” des „kalten Nahwärmenetzes” in Dollnstein hat tatsächlich bereits einige Kommunen zur „Nachahmung” motiviert. So weiß ich von unserem Konzeptpartner, dass das Gewerbegebiet Bodenmais in Niederbayern sowie die Stadt Haßfurt in Unterfranken sich bereits in der konkreten Umsetzung eines „kalten Nahwärmenetzes” nach dem Modell Dollnstein befinden. Es kommen dort nur andere Energieträger zum Einsatz wie beispielsweise in Bodenmais Hackschnitzel als Primärenergiequelle, wobei auch Biogas noch diskutiert wird. Aber das ist ja das Schöne an dem „Dollnsteiner Modell”, dass es ein offenes System ist, welches zur kreativen Kombination unterschiedlicher Energiequellen inspiriert. Somit können auch fast alle örtlichen Gegebenheiten in das Konzept mit eingebunden werden, um eine klimafreundliche und finanzierbare Wärmeversorgung für die Kommune zu realisieren. Andere Gemeinden sind auf jeden Fall ganz herzlich eingeladen, sich bei uns jederzeit über neue Wege der kommunalen Energieversorgung zu informieren. Ich persönlich stehe hierfür gerne zur Verfügung (wilhelm.radmacher@gmx.de).
Apropos Vorbildfunktion: Unser kommunales Energiekonzept für Dollnstein hat auch das bayerische Umweltnetzwerk KUMAS überzeugt, sodass es unsere Gemeinde zum Leitprojekt 2015 prämiiert hat. Nun haben wir den Vorbildcharakter für die Kommunale Wärmeversorgung in Deutschland sogar auch noch offiziell verliehen bekommen.