11.05.2016

Vorsicht: EU-Kommission

Wohnraumförderung im Lichte des EU-Beihilferechts

Vorsicht: EU-Kommission

Wohnraumförderung im Lichte des EU-Beihilferechts

Sozialer Wohnungsbau: Das EU-Beihilferecht setzt der staatlichen Förderung von Wohnraum Grenzen.. | © bluedesign - Fotolia
Sozialer Wohnungsbau: Das EU-Beihilferecht setzt der staatlichen Förderung von Wohnraum Grenzen.. | © bluedesign - Fotolia

In den Ballungszentren und Universitätsstädten, aber auch darüber hinaus, werden seit Jahren steigende Mieten konstatiert. Obwohl der Wohnungsbau in Deutschland im Jahr 2015 den höchsten Stand seit 15 Jahren erreicht hat, klafft noch immer eine große Lücke zur vollständigen Deckung des Bedarfs. Die öffentliche Hand fördert den Bau von Wohnraum mit dem Ziel, Verdrängungs­effekte zu verhindern und den Immobilien­markt zu stabilisieren. Auch wenn die Wohnraumförderung aus nationaler Sicht sozial geboten und politisch opportun erscheint, ist auch die europarechtliche Ebene zu beachten. Die Europäische Kommission überprüft u. a. die Vereinbarkeit staatlicher Maßnahmen mit dem EU-Beihilferecht. Um nicht Anlass zu nachträglichen Überprüfungen oder gar Rückforderungen durch die Europäische Kommission zu geben, sind bereits bei der Planung die unionsrechtlichen Vorgaben zu beachten.

Maßnahmen der Wohnraumförderung

Zur Entlastung des Miet- und Wohnungsmarktes werden insbesondere Neubauten durch verschiedene Mittel gefördert. Der Großteil davon findet auf Landes- und kommunaler Ebene statt. Ein Beispiel ist die Bezuschussung von Neubauten durch die Hamburgische Investitions- und Förderbank (IFB Hamburg). Bauherren können zinsgünstige Darlehen und monatliche Zuschüsse für den Neubau von Mietwohnungen erhalten. Voraussetzung ist, dass die Wohnungen mindestens innerhalb der ersten 15 Jahre nur mit einer festgelegten Höchstmiete und nur an einen nach dem Einkommen abgegrenzten Personenkreis vermietet werden. Weitere Zuschüsse können bspw. für energiesparendes oder barrierefreies Bauen erfolgen.

Ein ähnliches Modell wird von der Hamburger Agentur für Baugemeinschaften auch für Baugemeinschaften mit genossenschaftlichem Eigentum angewandt. Dabei werden Darlehen der IFB Hamburg sowie der KfW und einkommensbezogene Zuschüsse für den Wohnungsneubau vergeben. Einzelfallbezogen kann auch die Änderung oder Erweiterung von genossenschaftlich genutzten Gebäuden gefördert werden.


Neben der Förderung privaten Wohnungsbaus durch Zuschüsse und Darlehen übernehmen oftmals auch städtische Unternehmen selbst den Bau und die Vermietung sozialer Wohnungen. Vermietet werden dabei sowohl öffentlich geförderte als auch frei finanzierte Wohnungen. Neben Zuschüssen zu den Mieten von Sozialwohnungen erhalten die städtischen Wohnungsbaugesellschaften teilweise eine Finanzierung aus den jeweiligen städtischen Haushalten.

Auf Bundesebene wurde im März 2016 das 10-Punkte-Programm der Wohnungsbau-Offensive beschlossen. Es sieht unter anderem die verbilligte Bereitstellung von Bauland sowie steuerliche Anreize in Form einer zeitlich befristeten Sonderabschreibung für die Schaffung neuer Mietwohnungen im unteren und mittleren Preissegment vor. Ebenso ist eine Vereinfachung von Bauvorschriften geplant. Daneben enthält die Wohnungsbau-Offensive zahlreiche Empfehlungen an Länder und Kommunen. Nicht in dem Paket enthalten, aber Thema in den Beratungen über den Bundeshaushalt 2017, ist eine Erhöhung der Bundesmittel für den sozialen Wohnungsbau und für Stadtteil-Projekte um 1,3 Mrd. Euro pro Jahr.

Wettbewerbspolitische Bedenken

Gegen staatliche Maßnahmen zur Wohnraumförderung werden jedoch wettbewerbspolitische Bedenken geltend gemacht. Die Gewährung öffentlicher Mittel müsse immer auch dem EU-Beihilferecht genügen. Die staatliche Förderung des Wohnungsbaus fällt nach Auffassung der Europäischen Kommission in den Anwendungsbereich des Beihilferechts, wenn sie alle Merkmal einer Beihilfe gem. Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllt. Die entscheidende Weichenstellung ist, ob der geförderte Wohnungsbau eine „wirtschaftliche Tätigkeit” im Sinne des Beihilferechts darstellt. Wegen des weiten Verständnisses der „wirtschaftlichen Tätigkeit” im EU-Beihilferecht können darunter auch Tätigkeiten fallen, die nach deutschem Verständnis der Daseinsvorsorge zuzurechnen sind (vgl. PUBLICUS 2016.1 S. 21). Da es nicht auf die Rechtsform des Begünstigten ankommt, können grundsätzlich auch natürliche Personen, private und öffentliche Unternehmen sowie öffentliche Einrichtungen wirtschaftlich tätig und daher potenzielle Empfänger von Beihilfen sein.

Der Bau und die Vermietung von Wohnraum – einschließlich Sozialwohnungen – werden im Regelfall als wirtschaftliche Tätigkeiten behandelt. Bereits in einem Beschluss im Jahr 2004 (N89/2004) zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus in Irland hat die Europäische Kommission die Auffassung vertreten, dass die geförderten Einrichtungen wirtschaftlich tätig seien, da sie im Wettbewerb mit anderen Akteuren des Wohnungsmarktes stünden. In einem niederländischen Fall (Beschluss vom 15. 12. 2009, E2/2005 und N642/2009) hat die Europäische Kommission diese Praxis bestätigt und betont, dass es der Einstufung als „wirtschaftliche Tätigkeit” nicht entgegenstehe, wenn die begünstigten Einrichtungen keine Gewinnerzielungsabsicht hätten. In anderen Mitgliedstaaten wurde oder wird die Förderpraxis ebenfalls überprüft.

EU-beihilferechtskonforme Gestaltung

Auch wenn – nach der Auffassung der Kommission – die staatliche Wohnraumförderung potenziell beihilferechtlich relevant ist, kann sie beihilferechtskonform gestaltet werden. Die Programme vom Bund, den Ländern und den Kommunen sehen auch teilweise Gestaltungen vor, die beihilferechtliche Vorbehalte berücksichtigen. Allerdings werden in einigen Fällen die wettbewerbsrechtlichen Probleme nur unzureichend in Angriff genommen, obwohl Lösungsmöglichkeiten bestehen.

Durch eine geeignete Gestaltung kann in Einzelfällen bereits ausgeschlossen werden, dass die Empfänger überhaupt einen beihilferechtlich relevanten Vorteil erlangen. So kann bei der Vergabe von Mitteln und der günstigen Abgabe von Grundstücken durch eine Zweckbindung gesichert werden, dass die Mittel bzw. Grundstücke ausschließlich für nicht-wirtschaftliche Zwecke verwendet werden. Diese Lösung dürfte sich insbesondere dann anbieten, wenn die Schaffung von Wohnraum dem hoheitlichen Bereich zuzurechnen ist, bspw. für die Unterbringung von Asylbewerbern. Allerdings ist diese Zweckbindung nur dann ausreichend, wenn sichergestellt ist, dass wirtschaftlich tätige Bereiche von demselben oder einem verbundenen Unternehmen nicht quersubventioniert werden, d. h. nicht indirekt von den staatlichen Mitteln profitieren.

Eine beihilfefreie Unterstützung ist ebenfalls denkbar, wenn die gesamten staatlichen Leistungen den Bewohnern der Wohnungen zugutekommen. Dies kann auch dann gelten, wenn die staatlichen Leistungen an Wohngenossenschaften fließen und zu 100 % die Genossen (als Bewohner) erreichen.

Für die Praxis am relevantesten dürfte aber die Ausgestaltung als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) sein. Als DAWI werden Dienstleistungen bezeichnet, die unter Marktbedingungen (also ohne staatlichen Eingriff) nicht zufriedenstellend erbracht werden und dem Wohl der Bürger oder dem Interesse der Gesellschaft als Ganzes dienen. Werden die vier vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten sogenannten Altmark-Kriterien erfüllt, stellen staatliche Ausgleichszahlungen zur Finanzierung einer solchen DAWI keine Beihilfe dar. Diese Kriterien sind (1.) die Betrauung mit einer DAWI, (2.) eine objektive und transparente Aufstellung der Kriterien zur Ausgleichsberechnung sowie (3.) eine Beschränkung des finanziellen Ausgleichs auf die Kosten zur Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Aufgabe. Darüber hinaus muss (4.) das Unternehmen entweder im Rahmen eines Vergabeverfahrens ausgewählt worden sein oder der Ausgleich muss auf Grundlage einer Analyse der Kosten eines durchschnittlichen, gut geführten Unternehmens bei Erfüllung der Verpflichtungen erfolgen. In der Praxis scheitern die Mitgliedstaaten jedoch regelmäßig daran, insbesondere die Erfüllung des vierten Kriteriums hinreichend darzulegen.

In Anbetracht der hohen Hürde der Altmark-Kriterien erscheint es vorzugswürdig, sozialen Wohnungsbau nach dem sog. DAWI-Freistellungsbeschluss der Kommission (2012/21/EU) zu strukturieren. Beihilfen, die in seinen Anwendungsbereich fallen, gelten als mit dem Binnenmarkt vereinbar und müssen mithin nicht bei der Europäischen Kommission angemeldet werden. Um Quersubventionierungen von Aktivitäten außerhalb des DAWI-Bereiches zu verhindern, wird dabei eine genaue Trennung in der Buchführung der jeweiligen Unternehmen verlangt.

Diese Möglichkeit erfährt jedoch dadurch eine Einschränkung, dass der DAWI-Freistellungsbeschluss der Kommission sich jedenfalls ausdrücklich nur auf Wohnraum „für benachteiligte Bürger oder sozial schwächere Bevölkerungsgruppen” bezieht. An dieser Voraussetzung scheitern schon viele Fördermodelle, soweit auch Wohnraum gefördert wird, der anderen Bevölkerungsgruppen zugutekommt. Eine Ausweitung der restriktiven Definition des Freistellungsbeschlusses wird daher unter anderem von Mieterverbänden, Verbänden des sozialen Wohnungsbaus sowie europäischen Großstädten gefordert. Diese sehen in der engen Definition einen Verstoß der Kommission gegen das Subsidiaritätsprinzip.

Die restriktive Definition im Freistellungsbeschluss schließt allerdings nicht allgemein aus, dass auch die Förderung des Wohnraums für weitere Bevölkerungsgruppen als DAWI beihilferechtlich privilegiert ist. Der DAWI-Freistellungsbeschluss enthält neben enumerierten Freistellungstatbeständen ohne Obergrenze (z. B. für sozialen Wohnungsbau, Krankenhäuser und Kinderbetreuung) auch einen allgemeinen Freistellungstatbestand für Zuschüsse, die nicht mehr als 15 Mio. Euro pro Jahr und DAWI betragen. Darunter könnte auch „sonstiger” Wohnraum (nicht sozialer Wohnraum im engeren Sinne) fallen, sofern es sich um eine DAWI handelt. Bei der Festlegung, welche Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ist, haben die Mitgliedstaaten ein weites Ermessen. Werden Dienstleistungen bereits von Unternehmen ausreichend erbracht, ist die Qualifizierung dieses Bereiches als DAWI jedoch problematisch. Abseits des sozialen Wohnungsbaus im engeren Sinne ist daher die Qualifizierung als DAWI rechtfertigungsbedürftig.

Liegen die staatlichen Zuschüsse unterhalb des Schwellenwerts von 500.000 Euro innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren, so bietet sich die Anwendung der de minimis-Regelungen für DAWI (Verordnung (EU) Nr. 360/2012) an, da sowohl die notwendigen Voraussetzungen als auch die Rechtsfolgen vorteilhaft sind. Da es bei Neubauten aber teils um beträchtliche Summen geht, kommt diese Lösung oftmals nicht in Betracht.

Folgen für die Praxis

Das EU-Beihilferecht setzt der Förderung des Wohnraums Schranken, die aber Raum lassen, um in diesem relevanten Bereich tätig zu werden. Aufgrund der bisherigen Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission ist klar, dass kein „Freifahrtschein” für den sozialen Wohnungsbau besteht. Um mehr Handlungsspielraum für die Förderung zu erlangen, müssten sich die Kommunen, die Länder und der Bund auf EU-Ebene für weitergehende Freistellungen einsetzen. Denkbar wäre etwa eine Erweiterung des DAWI-Freistellungsbeschlusses. Zurzeit steht dies wohl noch nicht auf der Agenda der Europäischen Kommission. Bis auf Weiteres muss die Förderung des Wohnraums daher im (engen) Rahmen des geltenden Beihilferechts verwirklicht werden.

 

Dr. Christian Wagner

Rechtsanwalt, Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB, Brüssel
n/a