11.05.2016

Vergaberecht 2016

Teil 2: Die neue Vergabeverordnung

Vergaberecht 2016

Teil 2: Die neue Vergabeverordnung

Gründlich überarbeitet: Die neue Vergabeverordnung umfasst jetzt 82 statt bisher 24 Paragrafen. | © Gina Sanders - Fotolia
Gründlich überarbeitet: Die neue Vergabeverordnung umfasst jetzt 82 statt bisher 24 Paragrafen. | © Gina Sanders - Fotolia

In PUBLICUS Ausgabe 2016.4haben wir über die Änderungen im GWB durch das Vergabe­rechts­moderni­sierungs­gesetz vom 17. 02. 2016 (BGBl. I S. 203) berichtet. Das als Verordnungs­ermächtigung am 24. 02. 2016, im Übrigen am 18. 04. 2016 in Kraft getretene Gesetz ist Grundlage für die auch am 18. 04. 2016 in Kraft getretene Vergabe­rechts­moderni­sierungs­verordnung vom 12. 4. 2016 (BGBl. I S. 624). Diese Verordnung umfasst als Mantelverordnung in einem Gesetzgebungsakt fünf Verordnungen auf einmal, die durch die Mantelverordnung wesentlich geändert oder neu eingeführt worden sind, nämlich die umgestaltete Vergabeverordnung, die überarbeitete Sektorenverordnung, die geänderte Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit sowie die neue Konzessionsvergabeverordnung und die neue Vergabestatistikverordnung. Im Folgenden geben wir einen kurzen Überblick über die neue Vergabeverordnung. (Zu weiteren Informationen verweisen wir auf die Veröffentlichung im Richard Boorberg-Verlag mit dem Titel: Vergaberecht 2016 – Was ist neu?)

Neuer Aufbau und erweiterter Inhalt der Vergabeverordnung

Die neue Vergabeverordnung regelt detailliert die Einzelheiten der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge durch die traditionellen öffentlichen Auftraggeber. Sie umfasst die bisherige Vergabeverordnung, die Regelungen des 2. Abschnitts der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL/A-EG) sowie die bisherige Vergabeordnung für freiberufliche Leistungen (VOF). Demgegenüber verbleibt die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (der 2. Abschnitt der VOB/A) gemäß § 2 der Vergabeverordnung für die herkömmlichen öffentlichen Auftraggeber als Vergabe- und Vertragsordnung erhalten. In diesem Bereich besteht mithin das dreistufige Kaskadenprinzip fort, dessen dritte, d. h. unterste Stufe durch die Vergaberechtsmodernisierung eigentlich aufgelöst werden sollte und ansonsten aufgelöst wurde. Der Verweis auf den weiterbestehenden 2. Abschnitt der VOB/A bedeutet aber nicht, dass die Vorschriften der Vergabeverordnung keine Anwendung auf Bauaufträge finden würden. Vielmehr finden Abschnitt 1 und Abschnitt 2, Unterabschnitt 2 (Besondere Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren) der Vergabeverordnung ergänzend zu den neuen Regelungen der VOB/A-EU Anwendung. Damit sind insbesondere die Vorschriften zur Schätzung des Auftragswerts, zur Wahrung der Vertraulichkeit, zur Vermeidung von Interessenkonflikten, zur Dokumentation und zur Erstellung des Vergabevermerks uneingeschränkt auch bei der Vergabe von Bauaufträgen anzuwenden. Gleiches gilt für die grundlegenden Vorschriften zur elektronischen Auftragsvergabe und für besondere Methoden und Instrumente in Vergabeverfahren, wie z. B. für Rahmenvereinbarungen und dynamische Beschaffungssysteme.

Dass die bisherige Vergabeverordnung, die 24 Paragrafen umfasste, ein völlig neues Gesicht erhalten hat, macht allein der Umstand deutlich, dass die neue Vergabeverordnung aus 82 Paragrafen besteht. Die neue Verordnung enthält unmittelbar anwendungserhebliche Regelungen, sie ist anders als die bisherige Vergabeverordnung nicht lediglich Scharnier zwischen dem Gesetz und den Vergabe- und Vertragsordnungen. In ihr finden sich allgemeine Bestimmungen und Querschnittsregelungen zur Kommunikation, sie behandelt die Zulassungsvoraussetzungen für die Wahl einer Verfahrensart und deren Inhalte, die Vorbereitung des Vergabeverfahrens, die Eignung der Bieter, ferner die Prüfung und Wertung der Angebote. Ihr Abschnitt 3 widmet sich der Vergabe sozialer und anderer besonderer Dienstleistungen, sie enthält außerdem besondere Vorschriften zur Beschaffung von energieverbrauchsrelevanten Leistungen und Straßenfahrzeugen. Im Abschnitt 5 finden sich grundlegende Vorschriften zur Durchführung von Planungswettbewerben, Abschnitt 6 trägt den Besonderheiten der Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen Rechnung. Abschnitt 7 mit seinen Übergangs- und Schlussbestimmungen schließlich ermöglicht es einigen öffentlichen Auftraggebern, darunter den Kommunen, die Verwendung elektronischer Mittel, abgesehen von der Auftragsbekanntmachung und der Zurverfügungstellung der Vergabeunterlagen, bis zum 18. 10. 2018 aufzuschieben.


Ausgewählte Regelungen der neuen Vergabeverordnung

Für die Schätzung des Auftragswerts geht es bei den in § 3 Abs. 6 genannten Dienstleistungen ausschließlich um solche, die unmittelbar für die Errichtung des Bauwerks erforderlich sind. Die Vorschrift bezweckt nämlich nach der Verordnungsbegründung nicht, eine gemeinsame Vergabe von Bau- und Planungsleistungen vorzusehen. Die Schwellenwerte für die Bauleistungen einerseits und für die daneben erforderlichen Planungsleistungen andererseits sind daher in aller Regel getrennt zu berechnen. Für die Bauleistungen ist der Gesamtwert der für das Objekt vorgesehenen Leistungen ohne Umsatzsteuer anzusetzen, sobald ein funktionell oder wirtschaftlich einheitliches Objekt vorliegt. Die Höhe der voraussichtlichen Planungskosten bestimmt sich nach den Regelungen der HOAI. Dazu ist die Frage zu beantworten, ob pro Baumaßnahme alle Kosten der Planungsleistungen als Gesamtsumme oder ob lediglich die Kosten für gleichartige Leistungen, d. h. für Architekten-, Ingenieur- und verschiedene Fachplanerleistungen je getrennt, anzusetzen sind. Letzteres ist der Fall, wie sich aus § 3 Abs. 7 Satz 2 ergibt. Werden gleichartige Planungsaufträge sukzessive in Auftrag gegeben, z. B. die Architektenleistungen in getrennten, aufeinander folgenden Leistungsphasen oder für mehrere aufeinander folgende Bauabschnitte, so sind die Kosten dieser Planungsleistungen aber zu addieren, § 3 Abs. 7 Satz 1.

Die Vorschriften der §§ 42 bis 51 zu Anforderungen an Unternehmen ergänzen die in § 122 GWB getroffene Regelung zur Eignung und die in den §§ 123 bis 126 GWB getroffenen Regelungen zum Ausschluss von Bewerbern und Bietern. Insbesondere führen die neu strukturierten und mit neuem Inhalt ausgestatteten §§ 44 bis 46 zur Eignung detailliert aus, welche Eignungskriterien der drei neuen Eignungskategorien (Befähigung und Erlaubnis zur Berufsausübung, wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit sowie berufliche und technische Leistungsfähigkeit) vom öffentlichen Auftraggeber zulässigerweise für ein Vergabeverfahren festgelegt werden können. Diese neuen materiellen Regelungen zu den Eignungskriterien sind ergänzt durch die Regelungen zu den zulässigen Nachweisen über die Erfüllung der Eignungskriterien und das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen (§§ 48 bis 50) sowie durch Regelungen über die Rechtsform von Bewerbern oder Bietern (§ 42), über die Eignungsleihe (§ 47) und zur Begrenzung der Anzahl geeigneter Bewerber, die zur Abgabe eines Angebots aufgefordert werden (§ 51).

Zur Nachforderung von Unterlagen, § 56, ist auf Folgendes hinzuweisen: Der bisherige Begriff der Erklärungen und Nachweise ist durch den Begriff „Unterlagen” ersetzt. Grundsätzlich kann der öffentliche Auftraggeber nur Unterlagen nachfordern, die er im Vergabeverfahren zulässigerweise gefordert hat. Eine Nachforderung scheidet generell aus, wenn das Angebot nach § 57 zwingend auszuschließen ist, z. B. weil es nicht fristgerecht eingegangen ist oder weil Änderungen an den Vergabeunterlagen vorgenommen wurden. Die Verordnungsbegründung weist im Übrigen, entsprechend der bisherigen Rechtslage, darauf hin, dass das erstmalige Anfordern von Unterlagen, deren spätere Anforderung sich der öffentliche Auftraggeber in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen vorbehalten hat, keine Nachforderung im Sinne des § 56 ist. Derart vorbehaltene Unterlagen werden später, zumeist unter Fristsetzung, angefordert. Bei den nach § 56 möglichen Nachforderungen ist zwischen Preisangaben, die in Abs. 3 behandelt werden, und den in Abs. 2 und Abs. 3 geregelten anderen Unterlagen zu unterscheiden. Fehlende Preisangaben, die unwesentliche Einzelpositionen betreffen, deren Einzelpreise den Gesamtpreis nicht verändern oder die Wertungsreihenfolge und den Wettbewerb nicht beeinträchtigen, können nachgeholt werden (§ 56 Abs. 3), andere nicht. Nach § 56 Abs. 2 Satz 1 ist bei den anderen Unterlagen zwischen unternehmensbezogenen und leistungsbezogenen Unterlagen zu unterscheiden.

Unternehmensbezogene Unterlagen betreffen die Eignung. Die Vorschrift nennt dazu beispielhaft Eigenerklärungen, Angaben (das kann z. B. die Eintragung in die Präqualifizierungsliste sein), Bescheinigungen (z. B., dass die Firma den großen Schweißnachweis oder sonstige Qualifikationen hat oder finanziell liquide ist) oder sonstige Nachweise. Es ist klargestellt, dass fehlende (körperlich nicht vorhandene) oder unvollständige (vorhandene, aber nicht alle Informationen enthaltende) unternehmensbezogene Unterlagen nachgereicht oder vervollständigt werden dürfen. Außerdem besteht die ausdrückliche Möglichkeit, dass fehlerhafte (körperlich vorhandene, aber insgesamt oder in Teilen unzutreffende) unternehmensbezogene Unterlagen korrigiert werden können. Bei leistungsbezogenen Unterlagen besteht diese zuletzt genannte Möglichkeit nicht.

Leistungsbezogene Unterlagen, die beispielsweise für die Erfüllung der Kriterien der Leistungsbeschreibung vorzulegen sind, dürfen lediglich nachgereicht oder vervollständigt, aber nicht korrigiert werden, denn die Korrektur würde den abgegebenen Angebotsinhalt verändern. Auch das Nachreichen oder Vervollständigen ist nach § 56 Abs. 3 Satz 1 ausdrücklich nicht für solche leistungsbezogenen Unterlagen möglich, die nach den Zuschlagskriterien in die Wirtschaftlichkeitsbewertung eingehen und damit die Wertungsreihenfolge beeinflussen können. Die Möglichkeit, Unterlagen nachzufordern, steht im Ermessen des öffentlichen Auftraggebers. Zulässige Nachforderungen kann der Auftraggeber auf diejenigen Bieter oder Bewerber beschränken, deren Teilnahmeanträge oder Angebote in die engere Wahl kommen; er ist nicht verpflichtet, von allen Bietern oder Bewerbern gleichermaßen Unterlagen nachzufordern. Wenn öffentliche Auftraggeber grundsätzlich keinen Gebrauch von der Nachforderungsmöglichkeit machen wollen, können sie dies in der Auftragsbekanntmachung mitteilen. Daran sind sie dann den Bietern und Bewerbern gegenüber dauerhaft gebunden. Der Nachteil einer derartigen Erklärung liegt auf der Hand: Dem Auftraggeber können günstige Angebote entgehen.

Für die Vergabe von Architekten- und Ingenieurleistungen finden zusätzlich zu den allgemeinen Regelungen der Vergabeverordnung die §§ 73 bis 80 Anwendung. Damit sind alle bisherigen Regelungen der VOF und die für EU-Vergaben geltenden Regelungen des 2. Abschnitts der VOL/A aufgegriffen. § 74 stellt den Grundsatz auf, dass Architekten- und Ingenieurleistungen in der Regel im Verhandlungsverfahren oder im wettbewerblichen Dialog zu vergeben sind. Die frühere Vorgabe der VOF, allein das Verhandlungsverfahren als einzige Vergabeart vorzugeben, ist den EU-Richtlinien entsprechend nicht mehr möglich. Zu den Eignungskriterien betonen die neuen Regelungen, dass es der Grundsatz der Angemessenheit erfordert, diese so zu wählen, dass sich kleinere Büroorganisationen und Berufsanfänger bei geeigneten Projekten am Wettbewerb beteiligen können.

Hinweis der Redaktion: Fortsetzung des Beitrags auf den nachfolgenden S. 11 ff.

 

Michael Stemmer

Direktor a.D. beim Bayerischen Kommunalen Prüfungsverband, München
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