15.09.2016

Workplace Violence

Bedrohungsmanagement in Behörden und Unternehmen

Workplace Violence

Bedrohungsmanagement in Behörden und Unternehmen

Kommt es zu Gewalt am Arbeitsplatz, sollte auf keinen Fall darüber geschwiegen werden. | © psdesign1 - Fotolia
Kommt es zu Gewalt am Arbeitsplatz, sollte auf keinen Fall darüber geschwiegen werden. | © psdesign1 - Fotolia

Seit Jahren beklagt der Deutsche Beamtenbund eine stetige Zunahme an körperlichen Angriffen auf Mitarbeiter in diversen Behörden. Der Bundesinnenminister Thomas de Maizière konstatiert ebenfalls eine zunehmende Verrohung im Umgang mit Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst. Doch auch Unternehmen mit direktem Kundenbezug klagen immer häufiger über Drohgebärden und aggressive Umgangsformen. Entsprechend tendieren immer mehr private wie öffentliche Einrichtungen dazu, ein eigenes Bedrohungsmanagement zu etablieren, um Gefährdungssituationen frühzeitig wahrzunehmen und das Sicherheitsempfinden der Beschäftigten zu stärken.

Workplace Violence: Gewalt und Angst am Arbeitsplatz

Die International Labour Organization (ILO) beschreibt Gewalt am Arbeitsplatz als „jede Handlung, Begebenheit oder von angemessenem Benehmen abweichendes Verhalten, wodurch eine Person im Verlauf oder in direkter Folge ihrer Arbeit schwer beleidigt, bedroht, verletzt, verwundet wird.” Dabei können die Anlässe, die Drohungen oder sogar exzessive Gewalt zur Folge haben, völlig trivial und nichtig sein.

Gefährdungen am Arbeitsplatz liegen bereits in verbalen Auseinandersetzungen vor, wenn es zu Beleidigungen, Beschimpfungen und auch Drohungen gegen Mitarbeiter kommt. Diese werden häufig nicht als Gewaltakt wahrgenommen. Doch bereits Beleidigungen und Beschimpfungen können dazu führen, dass Mitarbeiter ihr Arbeitsumfeld zunehmend mit Angstempfindungen oder anderen negativen Gefühlen verbinden, was die Arbeitsleistung auf Dauer schwächt. Insofern müssen sich Behördenleitungen und Unternehmensführungen mit solchen Situationen auseinandersetzen, um die Mitarbeiter und deren subjektives Sicherheitsempfinden zu stärken und sie nach aggressiven Vorfällen zu stabilisieren. Vor allem Drohungen müssen genau differenziert werden, um eine Gefährdungseinschätzung vornehmen zu können. Androhungen sollten daher stets im Kontext zur Person, zur Situation und unter Abwägung ihrer Möglichkeiten und ihres Ziels betrachtet werden. Liegt nach dieser Betrachtung eine tatsächliche Androhung vor, muss diese auch als solche behandelt werden.


Neben solcher verbaler Gewalt kommt es zudem auch zu physischer Gewalt, körperlichen Übergriffen oder auch sexueller Belästigung am Arbeitsplatz. Mittlerweile sind zahlreiche Fälle in öffentlichen Verwaltungen dokumentiert, in denen Mitarbeiter durch Externe tätlich angegriffen wurden. Die Angriffe reichen von Schlägen, dem Werfen von Gegenständen bis hin zu schweren Verletzungen oder gar Tötungsdelikten, wie 2012 im Jobcenter Neuss durch eine mitgeführte Waffe.

Generell ist zwischen externer Gewalt, z. B. verursacht durch Kunden, Antragssteller oder Besucher, und interner Gewalt, die von Kollegen, Vorgesetzten oder Mitarbeitern ausgeht, zu unterscheiden. Sowohl intern als auch extern können die Bereiche häusliche Gewalt und Stalking das Unternehmen bzw. die Verwaltung betreffen, weil sie den Mitarbeiter / die Mitarbeiterin auch am Arbeitsplatz belasten und die Arbeitsfähigkeit einschränken.

Davon abermals abzugrenzen ist das Phänomen Mobbing. Tatsächlich wird der Begriff sehr inflationär im Sprachgebrauch verwendet. Gerade Mobbing am Arbeitsplatz entpuppt sich häufig als Unstimmigkeiten zwischen Personen, die auf beiden Seiten als Mobbing bzw. ständiges Schikanieren verstanden werden, jedoch auf Vorbehalte und bestärkende Kommunikationsmuster zurückzuführen sind. Tatsächliches Mobbing ist indes ein Akt der Gewalt, der meist psychisch ausgetragen wird, jedoch auch eine physische Komponente besitzen kann. Die Folgen sind für Betroffene, die sich nicht zur Wehr setzen bzw. setzen können, schwerwiegend und langwierig.

Um diesen ganz unterschiedlichen Phänomenen von Gewalt am Arbeitsplatz begegnen zu können, richten Behörden, Hochschulen und Unternehmen seit Jahren vermehrt ein eigenes Bedrohungsmanagement / Threatmanagement ein.

Bedrohungsmanagement als systematisches Konzept, Beratungen und Fallmanagement

Die Entscheidung, in einem Unternehmen oder einer Verwaltung ein Bedrohungsmanagement zu installieren, bedeutet neben den konzeptionellen Sicherheitsstandards, ein niedrigschwellig zugängliches Angebot für alle Mitarbeiter und Bediensteten einzurichten. Dabei sind drei Dimensionen für ein wirksames Bedrohungsmanagement relevant:

  1. Konzeptionen und Strukturen schaffen. Solche entstehen individuell auf die Sicherheitsbedürfnisse angepasst und sie können mit Leitfragen skizziert werden. Wie wird mit Gewalt und mit der Androhung von Gewalt umgegangen? Welche Vorgehensweisen und Verfahrensabläufe gibt es für konkrete Gefährdungssituationen (wie beispielsweise einen angekündigten Amoklauf o.Ä.)? Welche Maßnahmen haben präventiven Charakter (z. B. Bürogestaltung) und welche Angebote sollten eingerichtet werden (z. B. Seminare zu bestimmten Gefährdungsphänomenen, Deeskalationstrainings, etc.).
  2. Beratung. Betroffene Mitarbeiter von Gewalt sollen die Möglichkeit bekommen, sich für ihren individuellen Fall beraten lassen zu können. Dafür ist eine Basis des Vertrauens und damit einhergehende Diskretion eine unbedingte Prämisse. Das Bedrohungsmanagement ist eine erste Anlaufstelle, die regelmäßig keine Therapieangebote beinhaltet. Benötigt der oder die Betroffene weitere Unterstützung, kann das Bedrohungsmanagement Hilfesuchende überleiten an die jeweilige Fachstelle oder – je nach Unternehmenskultur – auch beispielsweise die Begleitung zur Polizei vornehmen.
  3. Fallmanagement. Jeder vorgetragene Sachverhalt ist ein Fall, der vom Bedrohungsmanagement aktiv begleitet werden sollte. Dieses impliziert stets eine erste Einschätzung, auf deren Basis zunächst eine Risikoanalyse vorgenommen und bei Bedarf mögliche Interventionsstrategien besprochen und eingeleitet werden. Das Fallmanagement arbeitet mit den Betroffenen zusammen. Dafür gibt es keine Patentrezepte, vielmehr geht es um individuelle Herangehensweisen, die pragmatisch und flexibel angewandt werden können, um risikoentschärfend zu wirken und bestmöglich die Sicherheit der Betroffenen zu gewährleisten. Dies beinhaltet beispielsweise einen Sicherheitsplan, Maßnahmen zur Deeskalation, das Implizieren juristischer Schritte oder Einschalten der Polizei.

Umgang mit Gewalterfahrungen: Keine Tabuisierung

Kommt es zu Gewalt am Arbeitsplatz, sollte auf keinen Fall darüber geschwiegen werden. Stattdessen sollten Vorgesetzte und Kollegen offen über den Vorfall sprechen, denn nur so können Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Zudem entlastet das Gespräch Betroffene. Viele Opfer von Gewalt haben das Gefühl, versagt zu haben und auch dass andere, kompetentere Arbeitnehmer solche Situation besser beherrschen als sie selbst. Entsprechend wichtig ist es, ein „Wir-Gefühl” in der Behörden- oder Unternehmenskultur zu etablieren, in der ein Angriff gegen einen Einzelnen als ein Angriff verstanden wird, der gegen jeden dort hätte stattfinden können.

Generell sollten Beschäftigte in einer Konfliktsituation auf gar keinen Fall Risiken eingehen und den Helden spielen. Darüber hinaus ist es wichtig, in einer eskalierenden Situation Provokationen zu vermeiden. Statt zum Beispiel dem aufgebrachten Kunden zu widersprechen, ist es besser, ihm zunächst zu signalisieren, dass sein Problem verstanden und sein Gegenüber mit ihm nach Lösungsmöglichkeiten suchen wird.

Präventionsansätze gegen Mobbing und betriebsinterne Gewalt sind eine Hauspolitik, die sich auszeichnet durch eine konstruktive Konfliktkultur, die regelmäßige Unterrichtung der Beschäftigten, Aus- und Weiterbildung der Führungskräfte und entsprechende Betriebsvereinbarungen (z. B. für Alarmierungssysteme der Beschäftigten untereinander), die das Sicherheitsempfinden stärken können.

 

Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl

Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein Westfalen
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