27.09.2016

Vom Winde verweht

BayVerfGH zur 10-H-Regelung für Windenergieanlagen

Vom Winde verweht

BayVerfGH zur 10-H-Regelung für Windenergieanlagen

Vom Winde verweht
Die Windenergie wird es künftig in Bayern schwer haben. | © chungking - Fotolia

Nach § 249 Abs. 3 BauGB konnten die Länder durch bis zum 31. 12. 2015 zu verkündende Landesgesetze bestimmen, dass § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB auf Vorhaben, die der Erforschung, Entwicklung oder Nutzung der Windenergie dienen, nur Anwendung findet, wenn sie einen bestimmten Abstand zu den im Landesgesetz bezeichneten zulässigen baulichen Nutzungen einhalten. Von dieser Länderöffnungsklausel hat nur der Freistaat Bayern Gebrauch gemacht.

Im Ergebnis segnet der BayVerfGH die 10-H-Regelung sehr weitgehend ab. Durch Gesetz vom 17. 11. 2014 (GVBl 2014, 478) wurde mit Art. 82 BayBO eine entsprechende Regelung getroffen. Nach deren Grundregelung sind Windkraftanlagen im Außenbereich nur noch dann privilegiert, wenn sie einen Mindestabstand vom 10-Fachen ihrer Höhe zu Wohngebäuden in bestimmten, abschließend bezeichneten Gebieten einhalten (Abs. 1 und Abs. 2). Nach der Bestandsschutzregelung des Art 82 Abs. 4 BayBO gilt diese die Entprivilegierung bewirkende 10-H-Regelung für Windenergieanlagen nicht, wenn – erstens – die Standortgemeinde vor deren Inkrafttreten Konzentrationszonen nach § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB auf Ebene der Flächennutzungsplanung ausgewiesen hat und ferner – zweitens – weder die planende Gemeinde noch – drittens – eine betroffene Nachbargemeinde dieser Darstellung bis zum 21. 05. 2015 widerspricht.

Schließlich werden die Gemeinden in Art. 82 Abs. 5 BayBO verpflichtet, bei der künftigen Aufstellung von Bauleitplänen, die einen geringeren als den Mindestabstand festsetzen, im Rahmen der Abwägung nach § 1 Abs. 7 BauGB auf eine einvernehmliche Festlegung mit den Nachbargemeinden hinzuwirken. In seiner Entscheidung vom 09. 05. 2016 – Vf. 14-VII-14 u. a. (FStBay Randnummer 168/2016, NVWZ 2016, 999) befasste sich der Bayerische Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH) mit der Frage, ob Art. 82 BayBO gegen die Bayerische Verfassung verstößt.


Drei Hauptfragen

In der Entscheidung ging es neben anderem im Wesentlichen um drei Fragen: Erstens, ob § 249 BauGB es dem Landesgesetzgeber ermöglicht, die Anwendung des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB auf Windenergieanlagen unbegrenzt einzuschränken und, falls nein, ob die maßgebliche Grenze durch die bayerische 10 H-Regelung überschritten wurde. Zweitens, ob Darstellungen von Konzentrationszonen in Flächennutzungsplänen mit den Wirkungen des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB durch einen einfachen Widerspruch der Gemeinde oder sogar nur der Nachbargemeinde außer Kraft gesetzt werden dürfen. Und drittens, ob Art. 82 Abs. 5 BayBO eine unzulässige Modifizierung des bundesrechtlich geregelten Verfahrens zur Aufstellung von Bebauungsplänen enthält.

Prüfungsmaßstab des BayVerfGH

Der BayVerfGH prüft im Rahmen seiner Zuständigkeit nur, ob ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 Bayerische Verfassung (BV) vorliegt – nicht aber die generelle Vereinbarkeit von Landesrecht mit Bundesrecht. Nach seiner ständigen Rechtsprechung ist im Falle eines Verstoßes bayerischen Landesrechts gegen höherrangiges Bundesrecht Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV erst dann verletzt, wenn der Widerspruch des Landesrechts zum Bundesrecht offen zutage tritt und darüber hinaus auch inhaltlich nach seinem Gewicht als schwerwiegender Eingriff in die Rechtsordnung zu werten ist.

Art. 82 Abs. 5 BayBO verfassungswidrig

Nach diesen Maßstäben vermochte der BayVerfGH einen solchen Widerspruch lediglich in der Vorschrift des Art. 82 Abs. 5 BayBO zu erkennen, wonach bei Aufstellung eines Bebauungsplans, der einen geringeren Abstand als 10-H zulassen soll, auf ein Einvernehmen der Nachbargemeinde hinzuwirken ist. Die Vorschrift ordne eine stärkere Einbeziehung der Belange der Nachbargemeinde im Rahmen der planerischen Abwägungsentscheidung an, als vom BauGB vorgesehen. Für solche Vorgaben zu der von § 1 Abs. 7 und § 2 Abs. 3 BauGB verlangten Abwägungsentscheidung eröffnet § 249 Abs. 3 BauGB den Ländern keine Gesetzgebungskompetenz, so der BayVerfGH. Darüber hinaus modifiziert Art. 82 Abs. 5 BayBO der Sache nach das bundesrechtlich in § 2 Abs. 2 BauGB abschließend geregelte Gebot der interkommunalen Abstimmung von Bauleitplanungen. Art. 82 Abs. 5 BayBO ist nach der Entscheidung des BayVerfGH daher nichtig.

Keine Bedenken im Übrigen

Erstaunlicherweise hat der BayVerfGH diese Bedenken bei den übrigen Regelungen des Art. 82 BayBO nicht.

Dass die zur Entprivilegierung führende Abstandsregelung („10 H”) als solche noch nicht verfassungswidrig ist, leitet der BayVerfGH daraus ab, dass der räumliche Anwendungsbereich für den Privilegierungstatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB zwar durch die 10-H-Regelung erheblich eingeschränkt, nicht aber beseitigt werde. Für moderne Windkraftanlagen mit einer Höhe von 200 m verbleibt bei Anwendung der 10-H-Regelung eine Rest-„Bruttofläche” von 1,7 % der Landesfläche. Zwar müssen davon noch diejenigen Bereiche abgezogen werden, in denen Windenergieanlagen trotz ihrer Privilegierung aus anderen – z. B. naturschutzrechtlichen – Gründen als dem fehlenden Abstand nicht zugelassen oder betrieben werden können, sodass für 200 m hohe Anlagen faktisch nurmehr 0,05 % (Berechnung des Bundesverbandes Windenergie) oder 0,01 % der Landesfläche (Berechnung der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr) verbleiben. Das irritiert den BayVerfGH nicht. Denn den Landesgesetzgeber, so das Gericht, treffe aus der bundesrechtlichen Öffnungsklausel nicht die Verpflichtung, die in Betracht kommenden Außenbereichsflächen wie ein Planungsträger im Rahmen von § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB auf ihre Eignung für Windenergienutzung zu bewerten und nach einer Abwägung als Planergebnis den Mindestabstand so festzulegen, dass der Windenergie substanziell Raum verbliebe.

Fragwürdig erscheint dem BayVerfGH auch nicht das der Gemeinde in Art. 82 Abs. 4 Nr. 2 BayBO eingeräumte Widerspruchsrecht gegen die Fortgeltung ihrer eigenen Konzentrationszonenplanung. In der Sache handelt es sich dabei um nichts anderes als eine Änderung des Flächennutzungsplans, bei der die Wirkung des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB aufgehoben wird. Eine solche Änderung richtet sich gemäß § 1 Abs. 8 BauGB nach den Regeln für die Aufstellung von Bauleitplänen (§§ 2 ff. BauGB). Art. 82 Abs. 4 Nr. 2 BayBO lässt nun abweichend davon einen bloßen Gemeinderatsbeschluss über den Widerspruch zur Fortgeltung einer Konzentrationsflächenplanung genügen. In diesem offenkundigen Übergehen zentraler Vorschriften des Bauplanungsrechts durch das Landesrecht soll jedoch nach Ansicht des BayVerfGH – anders als bei Art. 82 Abs. 5 BayBO – noch kein verfassungsrechtlich nicht mehr gedeckter Eingriff in die Rechtsordnung liegen.

Und auch durch das Widerspruchsrecht der Nachbarkommune soll die Grenze eines offenkundigen und schwerwiegenden Widerspruchs zur bundesstaatlichen Kompetenzordnung nicht überschritten sein. Nach Art. 82 Abs. 4 Nr. 3 BayBO bedarf es für den Bestandsschutz von Planungen nämlich kumulativ des Fehlens eines Widerspruchs einer „betroffenen” Nachbargemeinde; als betroffen gilt eine Gemeinde, deren Wohngebäude in einem geringeren Abstand als dem Zehnfachen der Höhe der Windkraftanlagen stehen, „sofern der Flächennutzungsplan jedoch keine Regelung enthält, maximal in einem Abstand von 2.000 m”. Unabhängig davon, dass bereits unklar ist, ob sich die Abstandsangabe von 2.000 m im Gesetz auf die Vorhaben-standorte (was, wenn es noch keine gibt?) oder auf die Entfernung zur Grenze der Konzentrationsfläche bezieht (vgl. dazu VG München, Urteil vom 19. 01. 2016 – M 1 K 15.3313 –, juris), ermöglicht es Art. 82 Abs. 4 Nr. 3 BayBO einer Nachbargemeinde, auf fremdem Gemeindegebiet Planungsentscheidungen zu treffen: Durch einfachen Gemeinderatsbeschluss kann die Wirkung einer Konzentrationszonenplanung im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB außerhalb des eigenen Hoheitsgebietes außer Vollzug gesetzt und damit dort die 10-H-Regelung aktiviert werden. Die Regelung ist zu Recht auf durchgreifende Kritik gestoßen (vgl. Decker, in: Simon/Busse, Bayerische Bauordnung, Art. 82 Rn. 74; Grünewald, DVBI 2015, 1353; Ludwigs, NVwZ 2016, 986). Das Argument des BayVerfGH, berührt werde damit nicht die Bauleitplanung als solche, sondern allein die Auswirkungen der 10-H-Regelung auf vorhandene Flächennutzungspläne, geht sehenden Auges an der Tatsache vorbei, dass damit offenkundig und systemwidrig Vorschriften über die Bauleitplanung und die Planungshoheit ausgehebelt werden.

Fazit

Im Ergebnis segnet der BayVerfGH – auch gemessen an den eigenen Prüfungsmaßstäben nicht widerspruchsfrei – die 10-H-Regelung in Art. 82 BayBO sehr weitgehend ab. Die im übrigen Bundesgebiet unverändert nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegierte Windenergie wird es daher in Bayern künftig schwer haben.

Hinweis der Redaktion: Siehe zur 10-H-Regelung zuletzt auch unsere Veröffentlichung in PUBLICUS 2015.1, S. 16 ff.

Frank Sommer

Frank Sommer

Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Kanzlei Meidert & Kollegen, München
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