15.09.2016

Endlagersuche mit Bürgerbeteiligung

Abschlussbericht zur Partizipation nach Standortauswahlgesetz

Endlagersuche mit Bürgerbeteiligung

Abschlussbericht zur Partizipation nach Standortauswahlgesetz

Atommüll-Endlagersuche: Neue Instrumente der Bürgerbeteiligung erweitern Möglichkeiten der Partizipation. | © bierwirm - Fotolia
Atommüll-Endlagersuche: Neue Instrumente der Bürgerbeteiligung erweitern Möglichkeiten der Partizipation. | © bierwirm - Fotolia

Mit dem Standortauswahlgesetz (Gesetz zur Suche und Auswahl eines Standortes für ein Endlager für Wärme entwickelnde radioaktive Abfälle und zur Änderung anderer Gesetze [Standortauswahlgesetz – StandAG] vom 23. 07. 2013) beschlossen Bundestag und Bundesrat 2013 den Neustart eines Verfahrens für die Suche nach einem Standort für ein Endlager für die hochradioaktiven Abfälle. Zur weiteren Präzisierung und Prüfung dieses Verfahrens wurde entsprechend den gesetzlichen Vorgaben die „Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe“ eingesetzt, die am 04.07.2016 nach zweijähriger Arbeit ihren Abschlussbericht (Abschlussbericht der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe, Vorabfassung 04. 07. 2016) vorgelegt hat.

Eine der Aufgaben der Kommission war, Empfehlungen für die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern bei der Standortsuche zu entwickeln. Zu ihren Ergebnissen erhält sie ein geteiltes Echo: „Beteiligung der Öffentlichkeit: Nicht mehr als eine Sandkiste” schreibt beispielsweise die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg (BI Lüchow-Dannenberg, 30. 06. 2016). Es gäbe zwar verschiedene Möglichkeiten der Öffentlichkeitsbeteiligung, aber der Einfluss auf zukünftige Entscheidungen wäre begrenzt, kritisiert die Bürgerinitiative. Jörg Sommer von der Deutschen Umweltstiftung, Vertreter der Umweltverbände in der Kommission, sieht den vereinbarten Standortauswahlprozess positiv,„weil wir im Bereich der Partizipation weit über alles bisher Übliche hinausgehen“ (www.antiatomblog.de/endlagerkommission-beschliesst-abschlussbericht/, 28. 6. 2016). Er betont die starken Rechte der potenziell betroffenen Regionen, Nachprüfungen einzufordern, und die Benennung eines für die Schlichtung von Konflikten zuständigen Partizipationsbeauftragten.

Das Nationale Begleitgremium

In ihrem Abschlussbericht sieht sich die Kommission einer „umfassenden Partizipation“ verpflichtet, die die Begleitung und Mitgestaltung aller Auswahlschritte umfasst. Starke Kontrollrechte sollen die Prozess- und Entscheidungsqualität hinterfragen und verbessern, ohne den Prozess zu blockieren. Die wichtigsten Bestandteile des vorgeschlagenen Beteiligungssystems sind das Nationale Begleitgremium und die in den Standortregionen zu etablierenden Regionalkonferenzen.


Um keine Lücke bis zum Beginn des Standortauswahlverfahrens entstehen zu lassen, soll möglichst schnell das Nationale Begleitgremium etabliert werden. Seine Aufgabe ist die „vermittelnde Begleitung und Überwachung“ (Abschlussbericht a.a.O) des Auswahlprozesses als neutrale unabhängige Instanz. Zusammensetzen soll sich das Gremium aus zwölf anerkannten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens sowie vier Bürger/innen und zwei Jugendvertreter/innen, die im Rahmen einer Workshop-Reihe mit zufällig ausgewählten Bürger/innen bestimmt werden (Prinzip der Planungszelle). Mit zunächst halber Mitgliederzahl soll das Gremium nun unmittelbar ins Leben gerufen werden. Ein entsprechendes Gesetz (Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Standortauswahlgesetzes vom 07. 06. 2016) wurde bereits auf den Weg gebracht. Mit Beginn des Standortauswahlprozesses wird das Gremium dann vervollständigt. Es kann einen wissenschaftlichen Beirat zur eigenen Unterstützung berufen, Gutachten vergeben und verfügt über ein eigenes Finanzbudget. Das Nationale Begleitgremium hat ein Selbstbefassungsrecht. Beratungsergebnisse, Verbesserungsvorschläge und Empfehlungen sollen an die Bundesregierung und den Gesetzgeber übermittelt werden.

Als wichtiges Thema hat die Kommission den Umgang mit Konflikten identifiziert. Leitlinie ist dabei, Konflikte nicht als Störung zu identifizieren, sondern als „Treiber” wahrzunehmen, beispielsweise um wichtige Fragen zu klären und Ergebnisse zu verbessern. Das Nationale Begleitgremium übernimmt die Funktion der Ombudsstelle für die Öffentlichkeit und ist Ansprechpartner für alle Beteiligten des Standortauswahlverfahrens. Ein vom Nationalen Begleitgremium benannter Partizipationsbeauftragter soll für das Konfliktmanagement zur Beilegung und Schlichtung von Konflikten verantwortlich sein.

Die Regionalkonferenzen

Die Phase 1 des Standortauswahlprozesses endet mit der Benennung von Standortregionen, die in der Phase 2 übertägig erkundet werden sollen. Zu Beginn dieser Phase wird in jeder Standortregion vom Bundesamt für kerntechnische Entsorgung (BfE), der Genehmigungs- und Aufsichtsbehörde, eine Regionalkonferenz eingerichtet. Wesentliche Aufgabe wird sein, den Auswahlprozess intensiv zu begleiten und die Entscheidungen auf Nachvollziehbarkeit und Richtigkeit hin zu überprüfen sowie in die Region hinein zu informieren. Die Regionalkonferenzen sollen eigenständig mit großer Unabhängigkeit arbeiten und werden dazu mit finanziellen und organisatorischen Ressourcen ausgestattet. Eine Regionalkonferenz besteht im Kern aus einem Vertretungskreis, der je zu einem Drittel aus kommunalen Vertreter/innen, aus Vertreter/innen gesellschaftlicher Gruppen und aus Einzelbürger/innen bestehen soll. Sie werden von der sogenannten Vollversammlung für jeweils drei Jahre gewählt. Die Vollversammlung besteht aus allen interessierten wahlberechtigten Bürger/innen einer Region, die an den Versammlungen teilnehmen wollen. Information und Austausch sollen darüber hinaus auch mit allen anderen Bürger/innen, als breite Öffentlichkeit bezeichnet, ermöglicht werden. Der Vertreterkreis diskutiert seine Ergebnisse und Vorschläge mit der Vollversammlung, die wiederum Vorschläge in den Vertretungskreis einspeisen kann. Die Beratungsergebnisse werden in Berichten dokumentiert und an das BfE übergeben. Der Vertretungskreis einer Regionalkonferenz entsendet außerdem Vertretungen in den „Rat der Regionen“, ein für den überregionalen Austausch vorgesehenes Gremium, in dem alle Regionalkonferenzen sowie die Zwischenlagerstandorte vertreten sein sollen.

Die Regionalkonferenzen haben das Recht auf Akteneinsicht und können die Teilnahme von Vertreter/innen der BGE und des BfE an ihren Sitzungen einfordern. Ihr wichtigstes Instrument ist das Recht, Nachprüfungen zu verlangen, wenn vor wichtigen Entscheidungen der Standortauswahl Defizite identifiziert werden, die im Dialog mit dem BfE oder dem Vorhabensträger (Bundesgesellschaft für kerntechnische Entsorgung, BGE) nicht ausgeräumt werden können. Die Nachprüfung wird dadurch abgeschlossen, dass das BfE mit den Nachprüfantworten einen überarbeiteten Vorschlag vorlegt. Dieser wird zusammen mit der Stellungnahme der Regionalkonferenz dem Gesetzgeber vorgelegt.

Durchführung von Erörterungsterminen

Als weiteres Instrument der Öffentlichkeitsbeteiligung benennt die Kommission die Durchführung von Erörterungsterminen. Diese sollen am Ende jeder der drei Phasen des Auswahlprozesses über den jeweiligen Vorschlag von Standortregionen in jeder betroffenen Region durchgeführt werden. Hinsichtlich Funktion und Durchführung orientieren sich die Erörterungstermine an entsprechenden Vorgaben für die Umweltverträglichkeitsprüfung bzw. in der atomrechtlichen Verfahrensverordnung (AtVfV). Allerdings wird explizit hervorgehoben, dass die Termine allen interessierten Bürgerinnen und Bürgern offenstehen sollen. Im vorlaufenden Stellungnahmeverfahren können Einwendungen erhoben werden, für die die relevanten Informationen zielgruppengerecht aufbereitet werden müssen.

Mit ihrem Vorschlag zur Beteiligung der Öffentlichkeit hat die Kommission ein System entwickelt, das sowohl die regionale und die nationale Ebene als auch die Öffentlichkeit in ihrer Vielschichtigkeit wie interessierte und breite Öffentlichkeit und Vertreter aus Politik und gesellschaftlichen Gruppen berücksichtigt. Bürgerinnen und Bürger versteht die Kommission als „emanzipierte Mitgestalter des Verfahrens“. Sowohl der Auswahlprozess als auch das Ergebnis würden „hochwertiger, legitimierter und akzeptierbarer gestaltet“ (Abschlussbericht a. a. O).

Beteiligungsmöglichkeiten – mehr als eine „Sandkiste“

Die beschriebenen Beteiligungsmöglichkeiten gehen deutlich über das bisher in Großprojekten übliche Maß an Austausch und unabhängiger Kontrolle durch die Öffentlichkeit hinaus. Es stehen verschiedene kooperative Instrumente zur Verfügung, mit denen Entscheidungsgrundlagen im Vorfeld überprüft und hinterfragt sowie Stellungnahmen und Empfehlungen eingebracht werden können. Ein Defizit mag man darin sehen, dass eine Mitentscheidung im Sinne der Gewährung oder des Entzugs der Beteiligungsbereitschaft, wie sie der Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd) 2002 vorsah, nicht gegeben ist. Die Kommission sah in solchen Abstimmungen das Risiko, dass der zu allererst kriterienbasierte Auswahlprozess durch einzelne Voten an Fairness und Nachvollziehbarkeit einbüßen würde.

Das vorgeschlagene Beteiligungssystem ist trotzdem mehr als ein Spielen in der „Sandkiste“. Starke Mitgestaltungselemente sind verankert. Der Prozess wird alle beteiligten Akteure erheblich fordern, sicherlich auch im Umgang mit Konflikten und Fehlern. Das Beteiligungssystem soll deshalb lernfähig sein, so die Kommission: „Das Beteiligungssystem ist also kein in allen Details vorbestimmtes Korsett, sondern eher ein robuster, lebender, lernfähiger Organismus, in dem jeder Akteur zum Gelingen beitragen kann“ (Abschlussbericht a.a.O). Dabei soll die Öffentlichkeit ausdrücklich ermutigt werden, Vorschläge zur kontinuierlichen Verbesserung des Beteiligungsprozesses einzubringen.

Literatur:

  • Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe: Abschlussbericht der Kommission Lagerung hoch radioaktiver Abfallstoffe, K-Drs. 268, Vorabfassung 04. 07. 2016,
    www.bundestag.de, Zugriff am 06. 07. 2016
  • Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte AkEnd: Auswahlverfahren für Endlagerstandorte, Empfehlungen des AkEnd – Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte, Dezember 2002
  • Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V.: „Alter Geist in neuen Flaschen“ – Kritik am Abschlussbericht der Endlagerkommission, 30. 06. 2016;
    www.bi-luechow-dannenberg.de, Zugriff am 26. 07. 2016
  • Sommer, Endlagerkommission beschließt Abschlussbericht, 28. 06. 2016,
    www.antiatomblog.de/endlagerkommission-beschliesst-abschlussbericht/, Zugriff am 26.07.2016
  • Fraktionen CDU/CSU, SPD, DIE LINKE. und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Standortauswahlgesetzes, Bundestag Drucksache 18/8704, 07. 06. 2016
 

Beate Kallenbach-Herbert

Öko-Institut e.V., NuA-Bereich Darmstadt
 

Julia Mareike Neles

Öko-Institut e.V., NuA-Bereich Darmstadt
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