15.03.2013

Wissen ist Macht

Informationspflichten nach dem Umweltinformationsgesetz

Wissen ist Macht

Informationspflichten nach dem Umweltinformationsgesetz

Otto Fürst von Bismarck: \"Offenheit verdient immer Anerkennung.\" | © FotoLyriX - Fotolia
Otto Fürst von Bismarck: \"Offenheit verdient immer Anerkennung.\" | © FotoLyriX - Fotolia

Dem Reichskanzler Bismarck wird ein bekanntes Bonmot zugeschrieben, demzufolge es ganz gut sei, dass die Öffentlichkeit nicht wisse, wie die Würste zum einen und die Gesetze zum anderen gemacht werden.

Naturgemäß wird diese Einstellung allerdings eher von (manchen) Metzgern und Gesetzesschöpfern vertreten als von der Öffentlichkeit, die zunehmend gern Bescheid weiß. Bezüglich der Würste scheint die umfassende Information – Stichwort Pferdefleisch – zwar bisweilen schwierig zu sein. Bezüglich solcher Gesetze aber, die mit Umweltinformationen zu tun haben, gewährt das Umweltinformationsgesetz (UIG) den Antragstellern auch ohne Darlegung einer besonderen Betroffenheit das Recht auf Zugriff auf viele in der Vergangenheit unzugängliche Informationen, wie erst im vergangenen Jahr das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) nach einer grundlegenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) bekräftigt hat.

Die Entscheidung „Flachglas Torgau“

In dem Fall, den die Richter zu entscheiden hatten, hatte sich ein Glasfabrikant 2006 an das Bundesumweltministerium (BMU) gewandt. Dieses war nämlich federführend, als zwei Jahre zuvor das Zuteilungsgesetz 2007 erlassen worden war, also das Gesetz, nach dem die Deutsche Emissionshandelsstelle (DEHSt) 2004 für die erste Handelsperiode des Emissionshandels Emissionsberechtigungen an die deutschen Anlagenbetreiber verteilt hatte. Eine der Normen dieses Gesetzes war ganz besonders umstritten, und rund um den Erlass und die anschließende Vollziehung dieser Norm wollte das Unternehmen nun deutlich mehr Informationen als veröffentlicht. Insbesondere verlangte es alle internen Stellungnahmen und Vermerke des BMU, den Schriftverkehr des Ministeriums mit der DEHSt inklusive des E-Mail-Verkehrs in der Sache.


Dass ein Unternehmen mir nichts, dir nichts, sich den gesamten internen Vorgang schicken lassen wollte, missfiel den Berliner Beamten. Das BMU bewegte sich deswegen kein Stück. Es schickte dem Antragsteller nicht einmal eine Absage.

Das wissbegierige Unternehmen aber ließ sich nicht abwimmeln. Es kam zum Prozess. Hier nun endlich wurde das Ministerium aktiv. Es gab zwar keine Unterlagen heraus. Immerhin gab es nun erstmals bekannt, warum es meinte, hierzu auch nicht verpflichtet zu sein.

Zumindest auf den ersten Blick ließ sich die Begründung der ministeriellen Verweigerungshaltung auch hören. Schließlich heißt es in § 2 Abs. 1 Nr. 1a UIG ganz eindeutig:

Die Interna des BMU seien schon nach dieser Norm außen vor, so die Ansicht des BMU. Im Übrigen verwies das Ministerium auf § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 UIG. Diese schützen die Vertraulichkeit von Beratungen und interne Mitteilungen vor nachteiligen Auswirkungen durch die Publikation. Allerdings wird dieser Schutz nicht unbegrenzt gewährt, sondern nur, wenn das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe nicht überwiegt.

Der 2006 begonnene Prozess dauerte Jahre. Hintereinander entschied erst das Verwaltungsgericht (VG) Berlin, dann das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg und schließlich kam die Rechtssache beim BVerwG an. Dieses überwies die Angelegenheit wegen mehrerer offener Fragen hinsichtlich der Vereinbarkeit des UIG mit der Umweltinformationsrichtlinie im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens an den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Inzwischen schrieb man 2012, und nicht nur die vom Auskunftsanspruch betroffene erste, sondern auch die zweite Handelsperiode des Emissionshandels war schon fast Geschichte.

Erst im Frühling 2012 fiel dann eine Entscheidung des EuGH, vier Monate später die des BVerwG. Das Ministerium war danach in allen wesentlichen Punkten unterlegen.

Schon die Ansicht, ein Ministerium sei keine informationspflichtige Stelle, erwies sich als nur schwachbrüstige Abwehr gegen die Wissbegier des Antragstellers. Der EuGH erkannte zwar an, dass die Bundesrepublik Deutschland europarechtskonform handelt, wenn sie mit § 2 Abs. 1 Nr. 1a UIG den ordnungsgemäßen Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens schützt und Ministerien aus der Schlusslinie des UIG nimmt. Dies sei – so die Luxemburger Richter – aber nicht zeitlich unbeschränkt zulässig. Wenn ein Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen sei, sei ja kein Verfahren mehr zu schützen. Nach Abschluss eines Gesetzgebungsvorhabens heißt es also: Feuer frei! Im konkreten Fall wurde das BMU deswegen vom BVerwG als informationspflichtige Stelle angesehen, weil das Gesetzgebungsverfahren ja schon acht Jahre zurücklag.

Auch mit seinen anderen beiden Argumenten hatte das BMU kein Glück. Seine Ansicht, dass seinen hausinternen Beratungen (hier also Vermerke, Stellungnahmen etc.) regelmäßig vertraulich nach § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und deswegen nicht herauszugeben seien, hatte schon das Oberverwaltungsgericht nicht geteilt. So einfach – dies bekräftigten dann auch EuGH und BVerwG – macht es das UIG den Ministerien nicht. Zumindest eine Einzelfallentscheidung muss immer getroffen werden, die hier zudem richtigerweise nicht dem BMU zugutegekommen wäre. Wie der EuGH ausführte, sei zudem der Begriff der „Beratungen“ im UIG zu ungenau ausgefallen.

Zuletzt schrieben die Richter dem BMU auch hinsichtlich der angeblich vertraulichen „internen Mitteilungen“ nach
§ 8 Abs. 2 S. 2 UIG Unangenehmes ins Stammbuch: Zwar sei die DEHSt eine Behörde im Geschäftsbereich des BMU. Doch Korrespondenz zwischen der DEHSt und dem Ministerium ist deswegen noch lange nicht „intern“.

Im Ergebnis musste das BMU umfangreiche Dokumente und Informationen übergeben.

Für Bürger und Behörden bedeutet das …

Klar ist auf den ersten Blick: Wer innerhalb der Ministerialbürokratie oder auch in einer nachgeordneten Behörde mit einem Gesetzgebungsvorhaben betraut ist, muss mit der Offenlegung seiner Unterlagen spätestens nach Abschluss des Verfahrens rechnen. Denn auch wenn es im Gesetzeswortlaut des UIG scheinbar weit und komfortabel formulierte Ausnahmen gibt, so sind diese aus europarechtlichen Gründen eng auszulegen und schützen nur zeitlich eng begrenzt vor den kritischen Augen der Bürger.

Apropos Bürger: Anders als auch in vielen Amtsstuben angenommen wird, schützt das UIG nicht nur die umweltpolitisch motivierte Neugier. Es trifft zwar zu, dass das UIG und die dahinter stehende Umweltinformationsrichtlinie mitsamt ihrem völkerrechtlichen Überbau von der Sorge getragen wurden, dass der Schutz von Umweltgütern an einer schlecht informierten Öffentlichkeit scheitert. Eine Beschränkung auf neugierige Umweltfreunde kennt das UIG aber deswegen noch lange nicht. Auch derjenige, der – wie hier – rein kommerzielle Interessen an mehr Emissionszertifikaten hat, kann sich auf das UIG berufen. Wie die Entscheidungen von OVG und BVerwG zeigen, hat die nicht umweltschutzbezogene Motivation auch keine negativen Auswirkungen bei der Abwägung der divergierenden Interessen: Schon das OVG hat hier „Klimaschutz“ als besonders hohen Belang zugunsten der Informationsveröffentlichung in die Waagschale geworfen, und das BVerwG ist dem nicht entgegengetreten.

Interessant für künftige Verfahren ist auch der Umstand, dass die Kommunikation mit nachgeordneten Behörden von vornherein nicht unter die besonders geschützten Interna fällt. Wenn also DEHSt und BMU, Bundesnetzagentur und Bundeswirtschaftsministerium usw. miteinander über ein Gesetzesvorhaben sprechen, so müssen sie schon mehr als nur den Verweis auf „Interna“ vorbringen, um Informationen zurückhalten zu können.

Generell und über den Einzelfall hinaus zeigt diese Entscheidung aber vor allem eins: Die deutsche Rechtstradition, nach der ein Privater Informationsrechte (v. a. Akteneinsicht) nur dann hat, wenn sie mit einem konkreten ihn betreffenden Verfahren zusammenhängen, gehört der Vergangenheit an. Inzwischen kann der Bürger immer mehr Wissen auch anlasslos verlangen und hat das Recht dabei auf seiner Seite. Für Bürger bedeutet das im Gegenzug unter Umständen eine echte Erleichterung in der Auseinandersetzung mit der öffentlichen Hand. Darauf müssen Verwaltungen sich einstellen. Immerhin – so behaupten die Historiker – hat selbst der alte Bismarck den Spruch mit den Würsten und den Gesetzen nie geäußert. Verbürgt ist vielmehr sein Satz:

„Offenheit verdient immer Anerkennung.“

 

Dr. Miriam Vollmer

Rechtsanwältin und Fachanwältin für Verwaltungsrecht, re|Rechtsanwälte, Berlin
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