15.03.2013

SWAP-Sumpf trockenlegen

Derivate in der kommunalen Praxis

SWAP-Sumpf trockenlegen

Derivate in der kommunalen Praxis

Der Swap-Sumpf könnte mit einer Umkehr der Beweislast weitgehend trockengelegt werden. | © emer - Fotolia
Der Swap-Sumpf könnte mit einer Umkehr der Beweislast weitgehend trockengelegt werden. | © emer - Fotolia

Der Finanzbedarf der Kommunen wird stärker denn je über (Kassen-)Kredite gedeckt. Nach wie vor können sich Kommunen Geld zu besten Konditionen leihen.

Dies wird sich nicht zuletzt aufgrund der durch Basel III erhöhten Eigenkapitalanforderungen für die Banken ändern. Eine Veränderung, auf die Kommunen reagieren müssen. Die viel diskutierten sog. alternativen Finanzierungsmodelle sind eine Möglichkeit der Kommunen, der zu befürchtenden Kreditklemme zu entkommen. Dabei erfolgt die Kapitalaufnahme nicht mehr über Banken, sondern direkt am Kapitalmarkt. Kommunale Finanzagenturen und Bürgeranleihen sind nur zwei Beispiele, wie Kommunen sich unabhängig von Banken Geld beschaffen können. Vor- und Nachteile dieser Finanzierungsformen sind von den Kommunen abzuwägen.

Eine Verteuerung der bestehenden Bankkredite durch
Zinsanpassungen in den nächsten Jahren ist durchaus möglich. Dies betrifft insbesondere die in letzter Zeit vermehrt von den Kommunen abgeschlossenen Kassenkredite, die grundsätzlich der unterjährigen Liquiditätssicherung dienen und deshalb nicht langfristig in Anspruch genommen werden. Es steht zu befürchten, dass Banken Zinsanpassungen bzw. Zinserhöhungen nutzen werden, um Kommunen Derivate zur Verbesserung ihrer Zinsbelastung anzubieten.


Bei vielen Kommunen herrscht angesichts der enormen finanziellen Schäden bei Abschluss sog. Swaps große Unsicherheit. Welche Derivate sind sinnvoll, welche kann man abschließen? Hinzu kommt die Befürchtung der Kommunen, dass ihnen auch der Abschluss sinnvoller Produkte im Rahmen des kommunalen Schuldenmanagements durch gesetzliche Regelungen verboten wird. Sie befürchten eine Beschneidung ihrer kommunalen Finanzhoheit.

Der folgende Beitrag soll aufzeigen, warum viele Kommunen eine Regulierung fürchten und inwieweit die (geplanten) gesetzlichen Neuregelungen Auswirkungen auf Kommunen haben. Abschließend geht der Beitrag darauf ein, wie sich Kommunen bei dem Abschluss derivativer Finanzinstrumente vor potentiellen Schäden schützen können.

Angst der Kommunen vor Regulierung

Kommunen haben in der Vergangenheit durch den Abschluss hochspekulativer Derivate enorme Verluste erlitten. Als erstes Bundesland hat Sachsen mit klaren Schutzmechanismen auf die hohen Schäden aus dem Abschluss spekulativer Zinsderivate im kommunalen Bereich reagiert. Spekulative Finanzgeschäfte sind nach § 72 Abs. 2 Satz 2 der Sächsischen Gemeindeordnung verboten. Ein Verstoß gegen dieses Verbot wird mit der Folge der Nichtigkeit sanktioniert (§ 120 Abs. 2 SächsGemO).

Durch die Rechtsfolge der Nichtigkeit findet eine Risikoverschiebung auf die Bank statt. Verkauft die Bank spekulative Derivate an kommunale Kunden, trägt sie das Risiko einer Rückabwicklung. Bei einem funktionierenden Risikomanagement einer Bank wird damit bereits bankintern darauf geachtet werden, dass keine spekulativen Produkte im kommunalen Bereich angeboten werden.

In allen Gemeindeordnungen ist ein Spekulationsverbot, wenn auch indirekt, durch das Gebot der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit festgeschrieben. Im Unterschied zur geplanten Regelung in Sachsen zieht dieses Verbot jedoch nicht automatisch die Nichtigkeit des abgeschlossenen Vertrages nach sich. Einigen Bundesländern geht diese Konstellation zu weit. Nach den Verwaltungsvorschriften des Sächsischen Innenministeriums sind nämlich auch solche Derivate als spekulativ zu beurteilen, die zwar nicht der reinen Zinssicherung, aber der Zinsoptimierung dienen. Darunter fallen unter anderem sog. Receiver-Swaps, durch deren Abschluss im Ergebnis eine feste Verzinsung in eine variable Verzinsung getauscht wird. Mit einem variabel verzinsten Darlehen setzen sich die Kommunen der Gefahr einer Zinserhöhung aus. Die Kommunen hingegen argumentieren mit der Möglichkeit solcher Produkte, in Hochzinsphasen abgeschlossene Darlehen anpassen und somit die Zinslast senken zu können.

EU-Regeln: EMIR und MiFID II

Eine Verbesserung der Situation der Kommunen bei Abschluss von Derivaten zeichnet sich auch in den Regelungen der sog. EMIR-Verordnung der EU ab (European Market Infrastructure Regulation, EMIR), die den Derivatehandel transparenter und sicherer machen soll. Nichtbörslich gehandelte Derivate sollen über zentrale Gegenparteien abgewickelt und an Transaktionsregister gemeldet werden müssen. Die zentrale Gegenpartei ist an Börsen bereits üblich. Sie tritt als Vertragspartei zwischen den Verkäufer und den Käufer und fungiert als Käufer für jeden Verkäufer, und als Verkäufer für jeden Käufer. Ein kompliziertes System, das aber den Vorteil einer verbesserten Risikoabsicherung bringt. Die zentralen Gegenparteien verlangen die Hinterlegung von Sicherheiten, die sich an der Volatilität (Standardabweichung oder -schwankung) des gehandelten Wertpapiers orientieren. Sie sind damit dritter Part im Derivategeschäft, der selbst ein hohes Interesse hat, dessen Risiken genau zu ermitteln und zu beherrschen. Mit dem „Clearing“ wird der Prozess der Erstellung von Positionen bezeichnet. Darunter ist auch die Berechnung von Nettoverbindlichkeiten gefasst und die Gewährleistung, dass zur Absicherung des Risikos ausreichend Finanzmittel zur Verfügung stehen. Das Clearing führt die zentrale Gegenpartei durch und ist aus der Sicht der Kunden, also auch der Kommunen sinnvoll, da Nettoverbindlichkeiten und Risiken dargestellt werden und deren Besicherung stattfinden soll.

Diskutiert wird zudem die von der EU-Kommission schon am 20.10.2011 vorgeschlagene MiFID II-Richtlinie (Markets in Financial Instruments Directive – „MiFID“). Diese sieht einen weitergehenden Verbraucherschutz vor. Dem Kunden sollen künftig alle Risiken eines Produkts mitgeteilt werden müssen. Provisionen sollen zwar erlaubt bleiben, aber nur, soweit sichergestellt ist, dass diese transparent sind, an den Kunden weitergegeben werden oder für die Bereitstellung eines Produkts notwendig sind. Im Gesetzgebungsverfahren wird aktuell diskutiert, dass Kommunen keine „geeigneten Gegenparteien“ sein sollen, was ein erstmaliges „europarechtliches kommunales Spekulationsverbot“ wäre. Das würde Folgefragen erzeugen, zum Beispiel, für welche Derivatgeschäfte ein solches Verbot mit welchen Folgen gilt.

Aus Derivatgeschäften geschädigte Kommunen machen oft geltend, dass sie die Komplexität und Risiken toxischer Finanzprodukte nicht übersehen konnten. Die Banken haben oft ungenügend beraten. Hier dürften die EMIR- und MiFID-Regelungen eine Verbesserung bringen. Geschädigte Kommunen bleiben aber mit der Beweislast konfrontiert. Sie müssen die schuldhafte Falschberatung und „Toxizität“ des Finanzproduktes beweisen. Möglich wäre es, eine Umkehr der Beweislast einzuführen. Nicht die Kommunen sollten die Falschberatung und die toxischen Risiken der Geschäfte beweisen müssen, sondern die Banken die korrekte Beratung und nichttoxische Solidität ihrer verkauften Finanzprodukte. Damit könnte der Swap-Sumpf weitgehend trocken-gelegt werden.

Die fünf Gebote

Für Zinssicherungsgeschäfte wird es auch künftig bei kommunalen Kreditaufnahmen ein berechtigtes Interesse geben. Derivate können grundsätzlich sinnvolle Produkte zur Absicherung von Risiken darstellen. Wie jedoch die Vergangenheit gezeigt hat, ist nicht jedes Produkt, das als Absicherungsderivat verkauft wird, auch tatsächlich für diesen Zweck geeignet. Es ist daher eine genaue Prüfung erforderlich, ob das kommunal definierte Ziel mit dem angebotenen Produkt tatsächlich erreicht werden kann.

Derivate sind schwer verständlich und häufig sehr komplex. Deshalb haben die Kommunen in der Vergangenheit vielfach auf die Empfehlung der Banken vertraut und erkannten zu spät, dass das gewählte Finanzprodukt nicht ihnen, sondern ausschließlich dem wirtschaftlichen Ergebnis der Bank diente.

In einem solchen Fall ist die Prüfung möglicher Schadensersatzansprüche angezeigt. Bleibt hier ein Verantwortlicher passiv, muss er sich unter Umständen den Vorwurf der Untreue wegen Unterlassung gefallen lassen.

Um künftig nicht in die »Derivatefalle« zu tappen, sollten beim Abschluss von Derivaten folgende fünf Gebote beachtet werden:

  1. Konnexität prüfen:

    Es bedarf eines nachweisbaren gegenständlichen Bezugs zwischen dem Derivat und dem Grundgeschäft (Kredit). Nur dann kann das Derivat zur Bedingungsgestaltung des konkreten Grundgeschäfts eingesetzt werden und dessen Risiken absichern. Fehlt dieser gegenständliche Bezug, beinhaltet das Derivat eine isolierte Risikoerhöhung.
    Es dient einer isolierten Einnahmeerzielung. Verlustrisiken sind unausweichlich.

  2. Möglichkeit der Bildung von Bewertungseinheiten einschätzen lassen:

    Weist ein Derivat einen gegenständlichen Bezug (Konnexität) zu einem Grundgeschäft auf, können Bewertungseinheiten im bilanziellen Sinn gebildet werden. Vor dem Abschluss von Derivaten sollten Wirtschaftsprüfer zu der möglichen Bildung von Bewertungseinheiten befragt werden.

  3. Kosten des Derivates erfragen:

    Der Abschluss eines Derivats ist mit Kosten verbunden. In den Angeboten der Banken sind diese Kosten regelmäßig nicht ausgewiesen, ebenso wenig die Gewinnmarge der Bank. Eine Prognose über die Wirtschaftlichkeit des Derivateeinsatzes ist nur möglich, wenn man den konkreten Betrag der Kosten und der Gewinnmarge kennt. Diese Beträge müssen entweder durch eine entsprechende Marktentwicklung aufgeholt werden, bevor das Derivat in eine Gewinnzone kommt, oder die Kosten/Marge kommen in einem häufig nicht erkennbaren, einstrukturierten und unausgewogenen Chancen-/Risikoverhältnis zu Lasten des Kunden zum Ausdruck.

  4. Anfänglichen Marktwert erfragen:

    Jedes Derivat hat einen exakt bestimmbaren Marktwert zum Abschlusszeitpunkt. Grundsätzlich wird ein fairer Marktpreis zum Abschlusszeitpunkt null betragen (Fair Value). Durch die Einstrukturierung von Kosten und Margen verändert sich der Marktpreis regelmäßig zu Lasten des Kunden. Ohne eine Kenntnis des Fair Value ist es unmöglich, Chancen und Risiken des Derivats realistisch einzuschätzen. Der Marktwert zum Abschlusszeitpunkt bringt zum Ausdruck, welche Beträge über die Laufzeit verteilt nach objektiv anerkannten Bewertungs-methoden von den Vertragspartnern aller Wahrscheinlichkeit nach zu bezahlen sind. Ein negativer Marktwert zu Lasten des Kunden bedeutet also, dass informierte Marktteilnehmer zum Abschlusszeitpunkt davon ausgehen, dass das Derivat zu einem Verlustgeschäft für den Kunden wird. Schließt ein Kunde ein solches Geschäft dennoch ab, ohne den Marktwert als Ausgleichszahlung zu erhalten, »spekuliert« er gegen den Markt.

  5. Value-at-Risk-Kennzahlen erfragen:

    Banken sind in der Lage, nach Abschluss des Derivats dieses mit Value-at-Risk-Kennzahlen zu bewerten. Diese Kennzahl drückt den Verlust aus, der mit größtmöglicher Wahrscheinlichkeit (95 – 99 %) innerhalb eines bestimmten Zeitraums (z. B. 21 Bankarbeitstage) nicht überschritten wird. Anhand dieser Kennzahlen kann ein Risikomanagement mögliche Ausstiegszeitpunkte vorgeben.

 

Uwe Zimmermann

Stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes Berlin
 

Dr. Jochen Weck

Seniorpartner Rössner Rechtsanwälte, München
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