15.03.2013

Bürgermeisterkandidaten werden knapp!

Tipps und Trends aus 100 Wahlkämpfen – Wege aus der Bewerberflaute

Bürgermeisterkandidaten werden knapp!

Tipps und Trends aus 100 Wahlkämpfen – Wege aus der Bewerberflaute

Mit-Leid, wenn der unterstützte Kandidat unterliegt – \"unvergleichliche Glücksmomente\", wenn er gewinnt. | © M. Schuppich - Fotolia
Mit-Leid, wenn der unterstützte Kandidat unterliegt – \"unvergleichliche Glücksmomente\", wenn er gewinnt. | © M. Schuppich - Fotolia

Bürgermeisterwahlen sind eine großartige Chance – für Städte oder Gemeinden, wenn sie sich ein souveränes, cleveres Oberhaupt angeln, und für Bewerber, so sie tatsächlich auserkoren werden. Umgekehrt stellen Wahlen ein enormes Risiko dar – für Kommunen, die sich verwählen, und erst recht für Kandidaten, die leer ausgehen und erkennen müssen: Eine Bürgermeisterwahl ist nicht Olympia, dabei zu sein ist hier nicht alles, sondern gar nichts. Freilich beziehen Rathauschefs erst aus der gewonnenen Urwahl die Legitimation zu jener außerordentlichen Machtfülle, die ihnen die Süddeutsche Ratsverfassung zugesteht – was sich so sehr bewährte, dass sich inzwischen etliche Bundesländer daran anlehnten.

Amtsperioden nicht verkürzen

Bestimmt hält die Natur befristeter Wahlämter – erst einmal gewählt werden zu müssen und dann eben nur auf Zeit – risikoscheue Aspiranten, obschon hochqualifiziert, davon ab, das Wagnis Wahl überhaupt einzugehen. Eine Verkürzung der Amtsperioden würde gewiss noch mehr potenzielle Bewerber abschrecken. Nordrhein-Westfalen, wo das Duisburg eines Adolf Sauerland liegt, will die Dienstzeiten von Stadtoberhäuptern auf fünf Jahre beschneiden, um über enttäuschende Bürgermeister schneller neu abstimmen zu können.

Dagegen tastet die Stuttgarter Landesregierung die in Baden-Württemberg geltende Acht-Jahres-Frist nicht an. Damit handelt sie auch richtig.


Um zu vermeiden, dass ungeeignete Rathauschefs zu viel Schaden anrichten können, empfiehlt sich ein anderer Weg: Machen wir Bürgermeisterämter denkbar attraktiv! Erleichtern wir potenziellen Bewerbern die Teilnahme an Wahlen! Ermöglichen wir aussagekräftige Wahlkampagnen, auf dass Wähler etwaige Mogelpackungen zu entlarven vermögen und zielsicher zwischen Spreu und Weizen unterscheiden können! Je mehr gute Bewerber um den Chefsessel eines Rathauses konkurrieren, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Stadt das grundfalsche Oberhaupt einfängt.

Wenn man bedenkt, wie viel Gutes gute Bürgermeister bewirken können (und ungute unterlassen oder verhindern), lohnt es allemal, diese Rechnung aufzumachen.

Wie man Bürgermeisterwahlen gewinnt

Wie gewinnt man Bürgermeisterwahlen? Was hält Bewerber fern? Woher rührt die immer offenkundigere Bewerberflaute? Was trübt oder beschwert das Dasein von Rathauschefs? Und was könnte den alles andere als alltäglichen Beruf des Bürgermeisters entlasten, erleichtern, wieder erstrebenswerter machen? Darüber sprach ich mit Wahlsiegern und mit Verlierern, mit Journalisten und mit Wissenschaftlern, mit Neulingen und mit Routiniers im kommunalpolitischen Geschäft. Hinzu kommen eigene Erfahrungen und Erkenntnisse, die ich in mehr als 100 Kampagnen zwischen Heidelberg und Isny seit den 1990er Jahren sammeln und gewinnen durfte, um einige davon nun in Buchform („Bürgermeister – Was tun gegen die Bewerberflaute? Wahlkampftipps – Interviews – Kurioses aus 100 Kampagnen“) weiterzugeben.

Twittern oder Hausbesuche?

Wo trete ich an? Was hat es mit den Siegwählern auf sich? Warum lassen sich erfolgreiche Kampagnen nicht von Stadt zu Stadt übertragen? Weshalb stehen Gemeinderäte bei der Kandidatensuche zunehmend in der Pflicht. Wie früh oder spät sollten Bewerber ihren Hut in den Ring werfen? Soll ich twittern oder mache ich besser Hausbesuche? Inwieweit tragen Online-Medien zum Wahlerfolg bei? Womit mobilisiert man Wähler heute? Wie bastelt man Mehrheiten? Warum sollten politische Kandidaten in gewisser Weise skrupellos sein? Ab wann können sich Vorteile in Nachteile verwandeln? Was müssen BM-Kandidaten im Umgang mit Journalisten beachten?

Authentizität ist extrem wichtig

Kandidat und Kampagne müssen zueinander passen. Ein in sich schlüssiger Auftritt – Authentizität! – ist wirklich extrem wichtig. Das reicht sehr weit, bis hin zur Abwägung, ob man Plakatfotos aufhübscht oder nicht. Ich scheue mich vor solchen Manipulationen, wenn sie über das Retuschieren von vorübergehenden Pickeln, vernachlässigten Bartstoppeln oder Rasierwunden hinausreichen. Wer Ministerpräsident werden möchte oder ins Kanzleramt strebt, darf schon eher im Photoshop kosmetisch nachgebessert werden. Derlei Spitzenkandidaten bekommen die wenigsten Wähler leibhaftig und hautnah zu Gesicht. Wer dagegen in einer Kleinstadt bürgermeistern möchte, mit dem geht das Völkchen auf unmittelbare Tuchfühlung. Prangen dann plötzlich allzu geleckte Konterfeis in den Straßen, kann das irritieren. Die Leute erkennen vielleicht nicht, was da nicht stimmt, wenn plötzlich zwei Leberflecke im Gesicht fehlen, aber sie spüren, dass da was nicht stimmt. So etwas kostet Glaubwürdigkeit.

Unvergleichliche Glücksmomente

Es sind intensive, anstrengende Wochen, die man in Wahlkämpfen miteinander durchlebt. Es kann unsäglich bitter enden – auch nach 100 Kampagnen leide ich jedes Mal mit, wenn „mein“ Kandidat unterliegt. Ist unsere Arbeit dagegen von Erfolg gekrönt, beschert sie unvergleichliche Glücksmomente, nicht nur den Bewerbern und ihren Familien, sondern auch mir.

Bürgermeister haben Steherqualitäten

Mit Thilo Michler, Thomas Sprißler und Matthias Burth erklommen mindestens drei meiner 23 Interviewpartner den legendären Kilimandscharo in Tansania. Da ich nicht jeden danach fragte, können sich unter den anderen noch weitere Gipfelstürmer finden. Dies lässt erahnen, wie verbreitet und ausgeprägt Ehrgeiz, Leistungsbereitschaft, Durchhaltevermögen und ähnliche löbliche Tugenden mehr in der Zunft der Bürgermeister doch sind.

Oh ja, es ist eine ganz besondere Sorte Mensch, die ins Schultesamt strebt und dieser hohen, ihr übertragenen Verantwortung gerecht zu werden sich bemüht! Hochmotivierte und äußerst engagierte Zeitgenossen, die sich nicht selten Woche um Woche 70 Stunden, 80 Stunden und länger ins Zeug legen, um ihren Flecken voranzubringen oder aber vor drohendem Unheil zu bewahren. Überdies sind es meist umsichtige, aufmerksame, anständige und manierliche Damen und Herren von sympathischer Ausstrahlung und gewinnendem Wesen. (Würde man sie sonst auswählen?) Eine ziemlich erlesene Spezies eben. Wer immer in eine Ansammlung von Rathauschefs gerät, darf sich in aller Regel auf eine angenehme, anregende Gesellschaft freuen.

Großartige Persönlichkeiten

Seit 15 Jahren verdiene ich meine belegten Brötchen mit Bürgermeisterwahlen. Ich lebe gut davon. Und gerne. Ganz abgesehen von der vorbildlichen Zahlungsmoral, mit der werden wollende oder bleiben wollende Rathauschefs meine Rechnungen begleichen, schätze ich, ja mag ich meine Kundschaft.

Wer kann das schon von seiner Arbeit behaupten? Wie viele großartige Menschen und beeindruckende Persönlichkeiten durfte ich schon begleiten und hautnah erleben während entscheidender Phasen ihres beruflichen Lebens! Dabei muss man dann einander vertrauen, muss sich öffnen und kommt sich nahe. Wertvolle Freundschaften sind hieraus schon entstanden – sogar dann, wenn wir unsere Wahl verloren.

Mit meinem Buch möchte ich meinen Kunden danken, mich vor ihnen verneigen. Die allermeisten von ihnen treten ja nicht als Bürgermeister an, weil sie nach dem triumphalen Erlebnis einer gewonnenen Wahl gieren. (Obwohl es schon süchtig machen kann – so wie ein Bühnenkünstler den Applaus seines Publikums braucht wie jeder Mensch die Luft zum Atmen.) Wahlen bleiben für sie vornehmlich notwendige Prozedur, um in eines der spannendsten Ämter zu gelangen, das unsere Gesellschaft zu vergeben hat.

Dass es die Richtigen wagen und gewinnen

Der Anteil, den die Bürgermeister beziehungsweise die Bereitschaft der Richtigen, sich zur Wahl zu stellen, für unser aller Wohlfahrt haben, ist gehörig. Weshalb mein Buch mithelfen soll, dass die Richtigen sich zu bewerben wagen. Dass sie damit Erfolg haben. Dass sie im Amt ihre Freude daran nicht verlieren, weil die Umstände einigermaßen günstig bleiben:

  • Die Rahmenbedingungen für Städte und Gemeinden müssen so sein, dass deren Oberhäuptern noch Gestaltungsspielräume verbleiben.
  • Bürgermeisterkandidaten, die im ersten Anlauf scheitern, sollten sich auch noch einen zweiten Wahlkampf leisten können.
  • Bürgerbeteiligung ist wünschenswert und legitim, aber sie darf nicht überborden, sondern muss im Regelfall verhältnismäßig, berechenbar und konsensfähig bleiben, sonst droht kommunaler Entwicklungsstillstand.

Es ist kein Zufall, dass die allenthalben beklagte Politikverdrossenheit mehr eine Parteienverdrossenheit darstellt und vor Bürgermeister(wahle)n einigermaßen haltmacht: Nach wie vor gilt die Mehrheit der baden-württembergischen Rathauschefs als parteipolitisch und auch sonst vergleichsweise unabhängig. Weil nicht wenige von ihnen zudem als menschliche Vorbilder taugen, dürfen wir einiges dafür tun, dass es dabei bleibt!

 

Klaus Abberger

Journalist und Wahlkampfberater, Rottenburg
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