15.03.2013

Kontrazeptiva aus der Kläranlage?

Europa: Umstrittene Revision der Liste prioritärer Stoffe

Kontrazeptiva aus der Kläranlage?

Europa: Umstrittene Revision der Liste prioritärer Stoffe

Die Aufnahme von Arzneimittelwirkstoffen in die Liste prioritärer Stoffe im Bereich der Wasserqualität ist strittig. | © Africa Studio - Fotolia
Die Aufnahme von Arzneimittelwirkstoffen in die Liste prioritärer Stoffe im Bereich der Wasserqualität ist strittig. | © Africa Studio - Fotolia

Am 31.01.2012 hat die Europäische Kommission den Vorschlag COM(2011) 876 final für eine Revision der Richtlinie 2000/60/EG und der Richtlinie 2008/105/EG in Bezug auf prioritäre Stoffe im Bereich der Wasserpolitik vorgelegt. Ursprünglich wollte bereits die dänische Ratspräsidentschaft zu diesem Dossier eine politische Einigung im 1. Halbjahr 2012 erzielen. Die von der Kommission vorgeschlagene erstmalige Aufnahme von Arzneimitteln und insbesondere von zwei Kontrazeptiva in die Liste der prioritären Stoffe löste jedoch erhebliche Diskussionen unter den Mitgliedstaaten aus, so dass bis zum Jahresende 2012 kein Konsens erzielt werden konnte. Ende Januar dieses Jahres erteilten die Mitgliedstaaten schließlich der Präsidentschaft ein Verhandlungsmandat für den Trilog mit dem Europäischen Parlament und der Kommission. Die derzeitige irische Präsidentschaft hat als Teil ihres offiziellen Programms im Bereich der Umweltpolitik den Abschluss des Dossiers in
1. Lesung im 1. Halbjahr 2013 zur Priorität erklärt. Dieser Beitrag vollzieht die Entwicklung der Debatte auf deutscher und europäischer Ebene nach und stellt den aktuellen Sachstand dar.

Europäische Wasserrahmenrichtlinie

Das Ziel der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) ist es, einen „guten Zustand“ der europäischen Oberflächengewässer und des Grundwassers zu erreichen. Gemäß Art. 2 WRRL bemisst sich der „gute Zustand“ eines Wasserkörpers aus einer Kombination eines „guten chemischen Zustands“ und eines „guten ökologischen Zustands“ bzw. im Falle des Grundwassers eines „guten mengenmäßigen Zustands“. Konkretisierung erfährt der Begriff des „guten chemischen Zustands“ durch die Bestimmungen der Tochterrichtlinie 2008/105/EG, die für 33 prioritäre Stoffe Umweltqualitätsnormen (UQN) bestimmt, die von den Mitgliedstaaten einzuhalten sind. Für bestimmte gefährliche prioritäre Stoffe – insbesondere solche, die persistent, bioakkumulierend oder toxisch sind – besteht gemäß Art. 16 WRRL über die Einhaltung der UQN hinaus die Verpflichtung, auf die Beendigung oder schrittweise Einstellung von Einleitungen, Emissionen und Verlusten hinzuwirken. Die Anforderungen der WRRL und der Tochterrichtlinie 2008/105/EG wurden in Bezug auf die prioritären Stoffe mit der Oberflächengewässerverordnung (OGewV) vom 20.07.2011 in deutsches Recht umgesetzt.

Kommissionsvorschlag

Art. 16 WRRL verpflichtet die Kommission alle vier Jahre nach Inkrafttreten der Richtlinie, eine Überprüfung der Liste prioritärer Stoffe vorzunehmen und gegebenenfalls Änderungsvorschläge vorzulegen. Mit dem Vorschlag COM(2011) 876 final vom 31.01.2012 ist die Kommission dieser Verpflichtung nachgekommen und hat 15 neue Stoffe zur Aufnahme in die Liste prioritärer Stoffe identifiziert. Darunter befinden sich erstmals auch drei Stoffe, die ubiquitären Einsatz in Humanarzneimitteln finden. Es handelt sich dabei um die Hormone 17-Alpha-Ethinylestradiol (EE2) und 17-Beta-Östradiol (E2) sowie den Arzneimittelwirkstoff Diclofenac. Die beiden Hormone finden u.a. Anwendung in Kontrazeptiva; bei Diclofenac handelt es sich um ein weitverbreitetes nichtsteroidales Antirheumatikum.


Aufnahme von Arzneimitteln strittig

Die Aufnahme der Arzneimittelwirkstoffe war von Anfang an strittig – sowohl unter den Mitgliedstaaten als auch zwischen der Bundesregierung und den für den nationalen Vollzug der WRRL zuständigen Bundesländern. Nur bei Deutschland und Schweden sowie – nach einigem anfänglichen Zögern – Luxemburg und Dänemark fand der Kommissionsvorschlag diesbezüglich Rückhalt. Die große Mehrheit der europäischen Mitgliedstaaten lehnt eine Aufnahme hingegen strikt ab. Hatte die irische Ratspräsidentschaft zu Beginn noch den Versuch unternommen, einen Kompromiss zwischen den Positionen der Mitgliedstaaten und der Kommission zu finden und zwischenzeitlich vorgeschlagen, die Arzneimittelwirkstoffe auf die neu zu schaffende Beobachtungsliste zu setzen, sieht das Ende Januar erteilte Verhandlungsmandat als gemeinsame Position der Mitgliedstaaten eine ersatzlose Streichung der drei Stoffe vor. Auch das Europäische Parlament wollte dem Vorschlag der Kommission nicht folgen und entschied sich in der Abstimmung des Umweltausschusses dazu, die drei Arzneimittel zwar auf der Liste der prioritären Stoffe zu belassen, aber die vorgesehenen assoziierten UQN zu streichen. In Deutschland machte der Bundesrat den Kommissionsvorschlag gleich zwei Mal zum Gegenstand von Beschlüssen. Am 30.02.2012 (Drucksache 56/12) sowie am 01.02.2013 (Drucksache 720/12) forderte die Länderkammer die Bundesregierung auf, in Brüssel darauf hinzuwirken, die drei Arzneimittelwirkstoffe auf die Beobachtungsliste zu überführen.

Fachlicher Dissens und Zweifel an der Verhältnismäßigkeit

Die Ursachen dieses Dissenses unter den Mitgliedstaaten und zwischen der Bundesregierung und dem Bundesrat sind sowohl in unterschiedlichen fachlichen Bewertungen der tatsächlichen Eignung der drei Stoffe für die Aufnahme in die Liste der prioritären Stoffe als auch in einer grundsätzlich divergierenden Haltung in der Frage der Einbeziehung einer sozio-ökonomischen Kosten- und Nutzenbetrachtung in die Entscheidungsfindung zu sehen. Die Bundesregierung und die Kommission vertreten dabei die Auffassung, dass die Gewässerrelevanz der drei Arzneimittelwirkstoffe durch die für alle Stoffe harmonisierte wissenschaftliche Risikobewertung hinreichend erwiesen ist. Der Bundesrat und eine Vielzahl von europäischen Mitgliedstaaten zweifeln diese Bewertung hingegen an und stellen zudem in Frage, dass die Stoffe mit den derzeitigen Analysemethoden sinnvoll überwacht werden können. Sie halten die abgeleiteten UQN für zu niedrig. Deutlich gewichtiger in der europäischen Diskussion ist jedoch das Argument, eine Aufnahme der Arzneimittel würde unverhältnismäßige Kosten für Reduktionsmaßnahmen nach sich ziehen. Laut einer aktuellen Studie der europäischen Umweltagentur EEA (Vgl. Owens, R. and Joblings, S., Ethinyl oestradiol: bitter pill for the precautionary principle, in: Late Lessons from Early Warnings: Science, Precaution, Innovation, S. 324, EEA 2013) würde die notwendige 4. Reinigungsstufe in kommunalen Kläranlagen für eine Stadt von 250.000 Einwohnern im Vereinigten Königreich einmalige Investitionskosten in Höhe von 8 Millionen Euro sowie laufende Kosten in Höhe von 800.000 Euro p.a. nach sich ziehen. Für die 1.400 Kläranlagen in England und Wales würden sich daher die Nachrüstkosten auf mehr als 30 Milliarden Euro belaufen. Für Deutschland bezweifelt die Bundesregierung, dass sich ähnlich hohe Kosten ergeben würden; nicht zuletzt, da laut Umweltbundesamt 2,4 Prozent der Kläranlagen die Hälfte des Abwassers behandeln und somit deutlich weniger Nachrüstungen notwendig wären. Zudem seien diese „end-of-pipe-Maßnahmen“ nur ein möglicher Reduktionspfad. Die Bundesregierung ist zudem grundsätzlich der Auffassung, dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nur auf Ebene der zu ergreifenden Maßnahmen durchzuführen ist, nicht aber bei der Bestimmung des Schutzziels.

Kompromiss möglich

Deutschland und die Europäische Kommission sind mit ihrer Haltung in Europa weitgehend isoliert, so dass derzeit nicht mit einer Aufnahme von E2, EE2 und Diclofenac und damit assoziierten UQN in die Liste der prioritären Stoffe zu rechnen ist. Alle drei am ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beteiligten Akteure – Kommission, Rat und Europäisches Parlament – sehen jedoch genug politische Übereinstimmungen, um zu einem Kompromiss zu gelangen. Wie dieser im Detail aussehen wird, bleibt abzuwarten. Sicher ist jedoch, dass in absehbarer Zukunft eine striktere Regulierung von Arzneistoffen im Rahmen der WRRL zu erwarten ist. Dieses Thema wird uns somit erhalten bleiben.

 

Benjamin Schroeter

Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Deutscher Bundestag, Berlin
n/a