08.02.2018

Wirklich berechtigte Kritik?

Viel Aufregung um das NetzDG

Wirklich berechtigte Kritik?

Viel Aufregung um das NetzDG

Betreiber sozialer Netzwerke sind verpflichtet, «Hatespeech» zu löschen. | © vege - Fotolia
Betreiber sozialer Netzwerke sind verpflichtet, «Hatespeech» zu löschen. | © vege - Fotolia

Seit dem 1. Januar müssen Betreiber großer sozialer Netzwerke wie Facebook, Twitter und YouTube gemeldete, eindeutig rechtswidrige Inhalte i.d.R. binnen 24 Stunden löschen. Nicht nur die rechten Postings mehrerer AfD-Abgeordneter wurden gelöscht, sondern auch ein satirischer Titanic-Tweet. Angeblich ist Heiko Maas selbst schon «zensiert» worden. Angesichts dieser Ereignisse kochen die Diskussionen um die «Zensur im Internet» in den Medien und in der Politik bereits hoch. Doch ist die Kritik aus juristischer Sicht auch berechtigt?

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Viele «Aufreger»

Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) ist noch jung, doch viele plädieren bereits dafür, das Gesetz entweder abzuschaffen oder zumindest weitestgehend zu verändern. Anlass gaben den Kritikern auch mehrere Vorfälle von gelöschten Tweets und Postings:

Aktuell ist der «Aufreger» um Noch-Justizminister Heiko Maas (SPD), der angeblich selbst «Opfer» seines Gesetzes geworden ist, wie es die Medien schreiben. Twitter habe – möglicherweise nach Meldungen nach dem NetzDG wegen «Beleidigung» oder den eigenen Richtlinien wegen «Hatespeech» – einen alten Tweet von 2010 gelöscht. Darin hatte Maas geschrieben: «Beim Besuch der islamischen Gemeinde Saarbrücken ist mir gerade wieder klar geworden was für ein Idiot Sarazin ist.» Die Vermutung, dass Maas selbst den Tweet gelöscht hat, dementierte er auf Facebook.


Zuvor hatten die AfD-Abgeordneten von Storch, Weidel und Maier das Jahr mit einer Reihe von Provokationen auf Facebook und Twitter gestartet. So schrieb etwa Beatrix von Storch (AfD) auf Facebook und Twitter über «barbarische, muslimische, gruppenvergewaltigende Männerhorden». Das Satire-Magazin Titanic wiederholte den Kommentar in satirischer Einkleidung. Die Netzwerke haben sofort reagiert und all diese Postings gelöscht – es ist unklar, ob aufgrund ihrer eigenen Regeln oder des NetzDG.

Die Diskussion ist im Moment sehr erhitzt. Bei näherer Betrachtung wird aber deutlich, dass die Kritiker des Gesetzes hier einfach einiges durcheinanderwerfen. Und viele wiederholt vorgebrachte Argumente greifen nicht nur zu kurz, sondern basieren teils schlicht auf falschen Fakten. Ich möchte daher im Einzelnen auf die Kritik eingehen.

 

  1. Hier würden komplexe Sachverhalte in die Hand privater Netzwerke gelegt, obwohl dies eigentlich eine Aufgabe der Strafverfolgung und Justiz sei.

Das stimmt so nicht. Bereits jetzt ist es so, dass nicht immer ein Richter entscheidet, was korrekt oder nicht korrekt ist: Denn es gibt in Deutschland die Störerhaftung. Nach § 10 Telemediengesetz müssen Provider nach der Meldung durch die Nutzer selbst entscheiden, ob ein Inhalt strafbar bzw. rechtsverletzend ist oder nicht. Erst wenn sie gar nicht handeln, entscheidet ein Richter. Dieses Institut gibt es schon sehr lange und es existiert auch nicht nur in strafrechtlich relevanten Fällen, sondern bspw. auch im Wettbewerbsrecht. Und sogar Journalisten haben eine eigene Prüfpflicht, ob sie eine Gegendarstellung publizieren müssen oder nicht. Es ist also überhaupt nicht so, als würden in Deutschland immer Richter über Meinungen entscheiden. Insofern schafft das neue Gesetz auch nicht so viel Neues, sondern formalisiert lediglich das Verfahren und setzt geltendes Recht durch. Ihrer Löschpflicht sind aber die vornehmlich amerikanischen Anbieter wie Facebook & Co. bis 2017 nicht ausreichend nachgekommen. Daher auch der Name «NetzwerkDURCHSETZUNGSgesetz».

 

  1. Das Gesetz beschränke die Meinungsfreiheit im Netz.

Die Meinungsfreiheit hat Grenzen – diese werden unter anderem in den Strafnormen ausformuliert. Und in den Fällen, in denen Postings aufgrund des NetzDG gelöscht werden, handelt es sich – abgesehen von Prüffehlern – um in Deutschland strafbare Inhalte. Auch die Aussage, Meinungen im Netz würden per se verboten, ist faktisch gesehen nicht richtig. Schließlich gibt es – leider – ohnehin zu viele Internetseiten, auf denen noch strafbare Äußerungen verbreitet werden. Die Gefahr durch die Beschneidung der Meinungsfreiheit sehe ich eher in den teils strengeren Regeln der In­ter­net­platt­for­men selbst, die teils Bilder und Postings zensieren, die in Deutschland durchaus unter die Meinungsfreiheit fallen.

 

  1. Bereits in den ersten Tagen kam es zu fälschlichen Löschungen bzw. Sperrungen satirischer bzw. ironischer Beiträge. So wurde etwa ein Tweet der Zeitschrift Titanic gelöscht, obwohl es sich eindeutig um Satire handelte. Das sei ein Vorbote für die Zensur in der Zukunft.

Das Posting der Titanic hätte wahrscheinlich nicht gelöscht werden dürfen, weil es wohl noch von der Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt war – auch, wenn das Magazin stark an die Grenzen der Satire gegangen ist. Letztlich ist das aber immer eine Frage des Einzelfalls. Die Tatsache, dass die Titanic genau die gleichen Worte wie Frau von Storch verwendet hat, lässt mich vermuten, dass die sozialen Netze jetzt offenbar mit Algorithmen versuchen, einmal gefilterte Inhalte noch mal zu löschen, damit diese nicht wieder an die Öffentlichkeit gelangen. Einen sog. «Upload-Filter», der das erneute Hochladen einmal gelöschter Inhalte verhindern soll, fordert das Gesetz aber gerade nicht – Twitter scheint ihn aber dennoch anzuwenden. Wie wir jetzt gesehen haben, klappt das nicht. Allerdings versuchen solche sozialen Netzwerke immer alles mit Technologie zu lösen. Das ist aber ein Problem der sozialen Netzwerke und nicht des neuen Gesetzes.

 

  1. Das Gesetz würde ausgenutzt, um rechte Äußerungen massenhaft zu zensieren.

Zwar wurden viele rechtsradikale Bilder und Äußerungen gelöscht – doch von einer flächendeckenden Sperrung rechter Inhalte kann keine Rede sein. So wurden fast alle AfD-Postings gemeldet – doch in vielen Fällen wurde nur geprüft und nicht eingegriffen. Von Massenzensur also keine Spur.

 

  1. Die Netzwerke würden aufgrund der angedrohten Bußgelder zu schnell und zu umfangreich löschen («Overblocking»).

Wenn dem so ist, dürfte sich die Kritik eigentlich nicht primär gegen das NetzDG richten, sondern gegen die privaten Netzwerke selbst. Denn es ist nicht so, als würden fälschlich nicht gelöschte Postings automatisch dazu führen, dass es zu Bußgeldern kommt. Um dieser Gefahr zu begegnen, sieht das NetzDG ein aufwendiges Verfahren vor, an dessen Ende Bußgeldforderungen stehen können. Erst sys­te­ma­ti­sche Ver­stö­ße der Platt­for­men können durch das Bun­des­amt für Jus­tiz sank­tio­nie­rt werden. Und diese können nur dann auf nicht rechtzeitig entfernte oder gesperrte rechtswidrige Inhalte gestützt werden, wenn es vorab über jeden einzelnen Fall eine gerichtliche Entscheidung über diese Inhalte gab.

 

  1. Mitarbeiter hätten weder die Sachkompetenz noch die Zeit, um so schnell angemessene Entscheidungen zu treffen und die Meinungsfreiheit zu berücksichtigen.

Dieser Kritikpunkt macht ganz deutlich, dass es hier eigentlich nicht um das Gesetz selbst geht, sondern um die Löschpraxis der privaten Unternehmen. Die Mitarbeiter der Konzerne waren schon lange überfordert mit der Löschung. Die teils unzumutbaren Zustände für die prüfenden Mitarbeiter waren medial bekannt. Außerdem löschten die Netzwerke damals primär aufgrund ihrer eigenen Regeln und beachteten zu wenig das deutsche Recht. Das bedeutet: Nicht das NetzDG muss geändert werden, sondern die Unternehmen der Verantwortung gerecht werden, die sie nun mal von Gesetzes wegen haben. Dafür müssen dann auch genügend geschulte Mitarbeiter bereitgestellt werden, die angemessen Zeit haben, um die Postings zu prüfen. Außerdem bietet das NetzDG bei komplexen Fällen die Möglichkeit, sich 7 Tage Zeit zu lassen für die Entscheidung. Zudem haben die Netzwerke die Möglichkeit, sehr komplexe Entscheidungen nicht selbst zu treffen, sondern sie der Einrichtung der regulierten Selbstkontrolle zu übergeben, die dann mehr Zeit für die Entscheidung hat. Schließlich darf ein Bußgeld erst verhängt werden, wenn die Behörde eine gerichtliche Entscheidung über einen Inhalt herbeigeführt hat.

 

  1. Das Gesetz sei in zu kurzer Zeit gestaltet worden und dadurch juristisch und technisch zu unausgegoren – daher bedürfe es einer größeren Überarbeitung. So seien etwa die Fristen zu kurz und zu starr, die Vorgaben an die Unternehmen zu schwammig.

Dieser Kritikpunkt ist nicht gänzlich von der Hand zu weisen, ggf. muss das Gesetz noch einmal in Details justiert werden.

 

Fazit zur NetzDG-Diskussion

Es ist noch zu früh, um wirklich zu bewerten, ob und wie das Gesetz erfolgreich ist oder nicht. Doch unsere erste Erfahrung in der Kanzlei aus der letzten Woche zeigt: klar rechtswidrige Inhalte werden nunmehr innerhalb von Stunden gelöscht. Davor mussten erst teure und aufwendige Prozesse angestrengt werden, bevor jemand reagiert hat. Derzeit sieht es also so aus, als würde das Hauptziel des Gesetzes, nämlich die Netzwerke zu einem schnelleren Reagieren zu zwingen, erfüllt. Und dass sie reagieren müssen, war ja bereits zuvor ihre gesetzliche Pflicht.

Das Lösch-System der Netzwerke muss sich jetzt erst einmal einpendeln. Ich gehe davon aus, dass die Lösch-Praktiken der Netzwerke ausdifferenzierter werden, wenn nämlich die Mitarbeiter ein Gespür für die Sachverhalte entwickelt haben. Meiner Meinung nach ist die Aufregung hier insgesamt übertrieben. Allerdings ist es möglich, dass das Gesetz im Detail nachgebessert werden muss. Und die sozialen Netze müssen begreifen, dass man hier alleine mit Technologie nicht dem Gesetz Folge leisten kann.

 

Christian Solmecke

LL.M, Rechtsanwalt und Partner, Medienkanzlei WILDE BEUGER SOLMECKE, Köln
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