15.02.2018

Räumungen und Evakuierungen
von Immobilien

Vorbereitungen auf Evakuierungsszenarien

Räumungen und Evakuierungen
von Immobilien

Vorbereitungen auf Evakuierungsszenarien

Personen müssen auf Ausnahmesituationen vorbereitet werden, um Panik zu verhindern. | © Mike Uhlemann - Fotolia
Personen müssen auf Ausnahmesituationen vorbereitet werden, um Panik zu verhindern. | © Mike Uhlemann - Fotolia

Die Ereignisse der letzten Jahre zeigen immer wieder die Aktualität und Bedeutung dieser Thematik. Der Anschlag im Olympia-Einkaufszentrum in München mit acht Toten, 80 Todesopfer nach dem Hochhausbrand in den Grenfell Towers in London sowie die immer wiederkehrenden Bombenfunde aus dem Zweiten Weltkrieg erfordern schnelles und professionelles Handeln von den Sicherheitsverantwortlichen. Nur durch eine gute Vorbereitung und Zusammenarbeit aller Akteure ist es möglich Immobilien zu evakuieren, um die Gesundheit von Menschen zu schützen und deren Leben zu retten.

Begriffliche Einordnung

Der Begriff der Evakuierung wird oftmals mit dem der Räumung synonym verwendet. Gekennzeichnet ist der begriffliche Unterschied von den Zuständigkeiten der öffentlichen Verwaltung. Die Räumung ist im behördlichen Kontext die erste Stufe, die dazu dient Örtlichkeiten von Personen und Sachen freizumachen. In erster Linie geht es hierbei um eine ad hoc Maßnahme, die das Ziel verfolgt Leben zu retten indem ein Raum zügig freigemacht wird. Der Verein der deutschen Ingenieure (VdI) definiert die Evakuierung als eine organisierte Verlegung von Menschen aus einem akut gefährdeten in einen sicheren Bereich. Ähnlich wie die Sicherheitsbehörden sieht der VdI den Unterschied zwischen den beiden Definitionen in dem Organisationsgrad. Für die praktische Umsetzung hat der Unterschied jedoch keine relevanten Auswirkungen, da es immer das Ziel ist, Personen aus einem Gefahrenbereich zu bringen, wobei es gleichzeitig zu verhindern gilt, dass Personen diesen betreten.

Rechtliche Verortung

Der Unternehmer, der Geschäftsführer sowie die Führungskräfte sind rechtlich zur Gefahrenvorsorge verpflichtet. Sie müssen die erforderlichen organisatorischen Maßnahmen treffen, um die rechtlichen Vorschriften mit den technischen Bestimmungen umzusetzen. Die Evakuierung ist weitestgehend dem Arbeitsschutzgesetz, § 3a ArbStättV sowie den Unfallverhütungsvorschriften zu entnehmen. Ergänzende Regelungen finden sich in § 33 MBO sowie deren landesrechtliche Umsetzung in den Landesbauordnungen. Aufgrund der fehlenden einheitlichen Existenz eines gesetzlichen Handlungsrahmens mit praktischen Handlungsempfehlungen für die Umsetzung haben Experten die VDI-Richtlinie 4062, Evakuierung von Personen im Gefahrenfall, erarbeitet. Dieser Leitfaden ermöglicht eine strukturierte Herangehensweise hinsichtlich der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Evakuierungen. Er beschreibt die Möglichkeiten der Selbst- und Fremdrettung und zeigt den Sicherheitsverantwortlichen branchenübergreifend Lösungsmöglichkeiten für Problemstellungen der Evakuierung auf.


Räumungskonzepte – Vorbereitung auf Notfälle

Das Räumungskonzept ist ein wesentlicher Baustein für die Vorbereitung auf Evakuierungen. Dieses umfasst neben den grundsätzlichen organisatorischen Regelungen auch Aussagen zu den Evakuierungsverantwortlichen, Evakuierungshelfern, technischen Maßnahmen und Hilfsmitteln, der Ausstattung und den Schulungsmaßnahmen (Unterweisungen) bis hin zu Übungen.

Unabhängig von den in der VDI-Richtlinie 4062 beschriebenen Inhalten von Räumungskonzepten besteht die besondere Schwierigkeit in der praktischen Umsetzung.

Immobilien sind grundsätzlich nicht vergleichbar. Sie unterscheiden sich meist in ihrer Architektur und Nutzung. Sie müssen daher individuell erstellt werden. Hierzu bedarf es einer genauen Analyse des Objektes, dessen Größe, der Mitarbeiter- und Besucherzahlen sowie örtlicher Besonderheiten und Gegebenheiten.

Anzustreben ist immer die vollständige Evakuierung der Immobilie mit einem weitestgehend standardisierten Räumungsablauf, um den Prozess möglich einprägsam und einfach zu gestalten. Ziel muss es sein, dass durch die Evakuierung keine zusätzlichen Personengefährdungen entstehen.

Von der Feststellung bis zur Evakuierung:
Der Evakuierungsprozess

Ziel der Evakuierung durch den Verantwortlichen einer Immobilie und seiner Beauftragten ist es bis zum Eintreffen der Rettungskräfte erste Maßnahmen zu treffen, um jegliche Zeitverzögerung der Menschenrettung zu verhindern. Im Vorfeld müssen daher Entscheidungskompetenzen festgelegt werden. Nach der Freigabe zur Evakuierung sollte der Evakuierungskoordinator einen Voralarm auslösen, sodass die Evakuierungshelfer sich mit den erforderlichen Mitteln ausstatten und auf die Aufgabe vorbereiten können. Sofern die Evakuierungshelfer ihre Position eingenommen haben, erfolgt die Auslösung des Evakuierungsalarms und die Durchführung der Evakuierung der Immobilien. Die Evakuierungshelfer und der Evakuierungskoordinator stellen sicher, dass alle Personen das Objekt verlassen und sich am Sammelplatz einfinden. Nachdem die Rettungskräfte oder die Polizei eingetroffen sind, übernehmen diese die weiteren Maßnahmen bis zur Auflösung des Evakuierungsalarms.

Problemstellungen

Einhergehend mit dem Thema der Evakuierung treten in allen Organisationen und Immobilien vergleichbare Probleme auf.

  • Gefahrensituationen stellen eine Ausnahmesituation dar und treten in der Regel nicht auf. Aus diesem Grund werden Alarme nicht ernst genommen und als Übungssituation bewertet. Räumungssignale sind meist trotz Unterweisung nicht bekannt.
  • Die vorhandenen und genutzten Zutrittskontrollsysteme lassen oftmals keinen verlässlichen Rückschluss auf den Aufenthaltsort der Mitarbeiter zu.
  • Das Meldewesen ist nicht lückenlos. Informationen werden nicht an alle Beteiligten zeitgerecht und zielorientiert kommuniziert.
  • Die Flucht- und Rettungswege sind nicht ausreichend beschildert oder aktuell.
  • Die Beschäftigten und Besucher setzen sich mit der Flucht- und Rettungswegsituation sowie den Verhaltensempfehlungen im Vorfeld nicht ausreichend auseinander, sodass im Ereignisfall wertvolle Zeit für die Eigen- und Fremdrettung verloren geht.
  • Die Umgebungssituation und auch der Geräuschpegel mindern die Wahrnehmungsfähigkeit des Alarms.
  • Die bestehenden Konzepte gewährleisten in der Regel immer ein Verlegen von Menschen aus einem Gefahrenbereich. Sie verhindern aber oftmals nicht, dass Menschen in diesen Bereich nachströmen und somit zu einem neuen Risikoherd beitragen.
  • Sicherheitsaufgaben werden ausgelagert. Der zeitliche Verzug der Umsetzung von Maßnahmen bleibt bei den Kostenentscheidungen meist unberücksichtigt.

Spannungsfeld: Lebensbedrohliche Situationen durch bewaffnete Gewalttäter

Bedingt durch terroristische Gewaltakte sowie Amok-Täter und einer damit einhergehenden veränderten Sicherheitslage, ist das Thema der Evakuierung mehrdimensional zu betrachten. In der Vergangenheit gingen Evakuierungskonzepte immer davon aus, dass die Gefahrenquelle sich an einem bestimmten Ort befindet und ausbreitet. In der Konsequenz sollten die Personen aus diesem Gefahrenbereich verbracht werden. Bewaffnete Gewalttäter bewegen sich jedoch unabhängig ihrer Motivation frei im Objekt und versuchen eine Vielzahl von Menschen zu verletzen oder zu töten. Insofern ist eine Identifizierung des Gefährdungsortes nur schwer möglich, da die Gefahrenquelle mobil ist. In Fällen lebensbedrohlicher Situationen durch bewaffnete Gewalttäter gilt daher der Grundsatz «Flüchten – Verstecken – Alarmieren». Die besondere Herausforderung für künftige Evakuierungskonzepte wird es daher sein, in wenigen Sekunden situationsangepasste Maßnahmen einzuleiten. Flüchten oder verstecken. Hierzu bedarf es einer Schnittstelle, die den Aspekten Safety und Security ausreichend Rechnung trägt.

Ausblick

Die Bedeutung der Thematik ist noch nicht ausreichend auf der Managementebene verankert. Kosten-Nutzen-Gesichtspunkte stehen oftmals gegen eine ausreichende Implementierung. Der theoretisch sehr einfache Evakuierungsprozess wirft in der praktischen Umsetzung immer wieder neue Fragen und Probleme auf. Hierzu bedarf es der genauen Definition und Beschreibung möglicher Evakuierungsszenarien.

Das Zusammenwirken der Sicherheitsbehörden und Evakuierungsverantwortlichen sowie deren Helfer ist abzustimmen und zu erproben. Hierzu bedarf es regelmäßiger Übungen, die Sicherheitslücken aufdecken und Optimierungspotenziale aufzeigen.

 

Prof. Marcel Kuhlmey

Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR), Berlin
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