15.02.2013

Willkommen in der Neuen Welt des ÖPNV

Die Novelle des Personenbeförderungsgesetzes ist in Kraft getreten

Willkommen in der Neuen Welt des ÖPNV

Die Novelle des Personenbeförderungsgesetzes ist in Kraft getreten

Spurwechsel im ÖPNV – Wandel vom Genehmigungs- zum Vergabeverfahren. | © B. Wylezich - Fotolia
Spurwechsel im ÖPNV – Wandel vom Genehmigungs- zum Vergabeverfahren. | © B. Wylezich - Fotolia

Am 01.01.2013 ist die Novelle des Personenbeförderungsgesetzes (PBefG) in Kraft getreten. Sie enthält neue nationale Marktzugangsregeln für Personenbeförderungsdienste und dient einer Anpassung des nationalen Personenbeförderungsrechts an die Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007. Mit Inkrafttreten der Novelle ist der politische Streit über die Notwendigkeit und den Umfang einer Anpassung des nationalen Rechts an die europäischen Vorgaben endlich beendet.

Der juristische Streit über die richtige Auslegung der neuen Genehmigungsregeln vor dem Hintergrund des vorgegebenen EU-Rechtsrahmens geht jedoch mit unverminderter Härte weiter. Mit Umsetzung der EU-Vorgaben im deutschen Recht kommen diese nun tatsächlich in der personenbeförderungsrechtlichen Genehmigungspraxis und damit in der Wahrnehmung aller maßgeblichen Akteure an.

Wer empfindliche Rechtsnachteile – insbesondere den Verlust der für den Marktzugang erforderlichen Liniengenehmigungen – vermeiden will, sollte sich daher strikt an die Vorgaben der VO (EG) Nr. 1370/2007 halten.


Die europäischen Vorgaben gelten ohnedies seit dem 31.12.2009 vorrangig vor dem nationalen Marktzugangsregime des PBefG. Insoweit bietet nur die konsequente Einhaltung der Vorgaben der VO (EG) Nr. 1370/2007 Gewähr für eine rechtssichere Erteilung von Liniengenehmigungen. Daran ändert auch die PBefG-Novelle nichts.

Abschied von der alten Welt – Wandel von der Eigen- in die Gemeinwirtschaftlichkeit

Das neue PBefG bringt erhebliche Änderungen für den Marktzugang im ÖPNV mit sich. Für Verkehrsunternehmen ist die wohl einschneidendste Änderung der Wandel ihres Genehmigungsstatus von der Eigen- in die Gemeinwirtschaftlichkeit. Der vormals die allermeisten Verkehrsleistungen erfassende Begriff der Eigenwirtschaftlichkeit wird jetzt derart eng gefasst, dass die Existenz solcher Verkehrsleistungen trotz aller politischen Bekenntnisse im neuen PBefG ungewiss ist.

Eigenwirtschaftlich können nur noch solche Verkehre sein, die abgesehen von Ausgleichsleistungen aus allgemeinen Vorschriften ohne jegliche öffentliche Ausgleichsleistung und einer Gewährung von ausschließlichen Rechten auskommen. Denn Verkehre mit ausschließlichen Rechten und/oder Ausgleichsleistungen bedürfen nach den europäischen Vorgaben immer eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags und gelten daher auch im neuen PBefG konsequenterweise als gemeinwirtschaftlich im Sinne des EU-Rechts.

Zwar postuliert der Gesetzgeber weiterhin den Vorrang eigenwirtschaftlicher vor gemeinwirtschaftlicher Verkehrsleistungen. Dabei handelt es sich aber wohl eher um einen dem politischen Kompromiss geschuldeten Wunsch als um die Rechtswirklichkeit. Denn nach der Entscheidungspraxis europäischer Institutionen und nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht längst fest, dass jede Liniengenehmigung nach der Konzeption des PBefG ein ausschließliches Linienbedienungsrecht vermittelt. Andernfalls müsste es nämlich echten Wettbewerb um den Fahrgast auf der Linie geben, wie er jetzt erstmalig isoliert für den liberalisierten Fernbusverkehr erlaubt wird. Echten Wettbewerb um den Fahrgast im öffentlichen Nahverkehr wollten aber weder der historische Gesetzgeber noch der Gesetzgeber der aktuellen PBefG-Novelle.

Für die regelmäßig defizitären kommunalen Verkehrsunternehmen kommt unabhängig von der Frage eines ausschließlichen Rechts als Bestandteil der Liniengenehmigung sowieso nur noch ein gemeinwirtschaftlicher Verkehrsantrag in Frage. Denn für Verkehrsleistungen, die im steuerlichen Querverbund über einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag finanziert werden, ist – anders als nach der alten Rechtslage – die Eigenwirtschaftlichkeit jetzt per definitionem ausgeschlossen. Damit ist den allermeisten kommunalen Verkehrsunternehmen nur ein gemeinwirtschaftlicher Genehmigungsantrag bei der Neu- oder Wiederbeantragung auslaufender Liniengenehmigungen möglich. Diesen Antrag können Verkehrsunternehmen aber nicht mehr auf eigene Initiative, sondern nur noch auf der Grundlage vorbereitender Handlungen des Aufgabenträgers stellen.

Wandel zum „Bestellerprinzip“ – Der Aufgabenträger bestimmt die Verkehrsleistung über die Vorabbekanntmachung

Ausgangspunkt eines jeden gemeinwirtschaftlichen Verkehrsantrags ist ab dem 01.01.2013 die Vorabbekanntmachung des Aufgabenträgers. Ohne Vorabbekanntmachung haben Aufgabenträger weder eine rechtlich gesicherte Möglichkeit, politisch gewollte Qualitätsstandards im ÖPNV zu verwirklichen, noch die Vergabe an ein eigenes kommunales Unternehmen zu steuern und durchzusetzen. Wo nämlich eine Vorabbekanntmachung fehlt, gilt als Auswahlkriterium allein die beste Verkehrsbedienung (§ 13 Abs. 2b PBefG). Festlegungen im Nahverkehrsplan sind dann nur „zu berücksichtigen“ und können – müssen aber nicht – eine Zurückweisung rechtfertigen (§ 13 Abs. 2a Satz 1 PBefG). Nur die Vorabbekanntmachung gewährleistet schließlich, dass der politisch gewünschte Verkehr qualitativ und quantitativ kaum noch durch eigenwirtschaftliche Verkehrsanträge unterlaufen werden kann.

Überdies ist noch nicht eindeutig abzusehen, welchen Stellenwert die künftig allein zuständigen Vergabegerichte der Vorabbekanntmachung zuerkennen werden. Es spricht jedoch einiges dafür, dass die Vorabbekanntmachung als eine zentrale Transparenzvoraussetzung qualifiziert wird, so dass bei einer Verletzung der gesetzlichen Anforderungen die gesamte Erteilung eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags aufgehoben werden müsste.

Bestandsbetrauungen bewahren nicht vor der Pflicht zur Vorabbekanntmachung

Selbst Unternehmen, die bereits eine so genannte Bestandsbetrauung auf Basis der Altmark-Trans-Kriterien oder sogar der VO (EG) Nr. 1370/2007 innehaben, können und sollen auf die Vorabbekanntmachung vor Erteilung der gemeinwirtschaftlichen Liniengenehmigungen nicht verzichten. Europarechtlich handelt es sich bei diesen Konstrukten ohnehin nur um einen Teilbestandteil eines „multipolaren“ öffentlichen Dienstleistungsauftrags, nämlich um die Finanzierungskomponente ohne Betrauungsqualität.

Die europarechtlich anerkannte Betrauung, also die verbindliche Festlegung gemeinwirtschaftlicher Pflichten als Kernelement des öffentlichen Dienstleistungsauftrags, beruht hingegen allein auf den Liniengenehmigungen und zwar über deren Betriebs-, Beförderungs- und Tarifverpflichtung. Damit aktualisiert sich der öffentliche Dienstleistungsauftrag mit jeder Neu- bzw. Wiedererteilung einer Liniengenehmigung. Doch gerade diese mit der Liniengenehmigung verbundene Marktöffnung muss nach den EU-Vorgaben stets transparent und vorab bekannt gegeben werden.

Die Vorabbekanntmachungspflicht gilt für alle jetzt auslaufenden Genehmigungen

Verschärft wird die Situation durch den erheblichen zeitlichen Vorlauf, den das Gesetz für eine Vorabbekanntmachung anordnet. Sie darf nicht früher als 27 Monate vor dem beabsichtigten Betriebsbeginn liegen (§ 8a Abs. 2 Satz 2 PBefG-Novelle). Sie muss nach Art. 7 Abs. 2 VO (EG) Nr. 1370/2007 spätestens 12 Monate vor Erteilung eines Direktauftrags an das eigene Verkehrsunternehmen im EU-Amtsblatt veröffentlicht sein. Das bedeutet, für die demnächst auslaufenden Liniengenehmigungen ist höchste Eile geboten.

Gleichzeitig beinhaltet die Vorabbekanntmachung aber auch neue Chancen für die kommunale Verkehrswirtschaft. Der Aufgabenträger steuert über die Vorabbekanntmachung nicht nur die Qualität, sondern eben auch die Quantität. Das bedeutet, er kann lukrative und weniger lukrative Verkehre bündeln und so die Möglichkeit des Rosinenpickens lukrativer Verkehre effektiv verhindern.

Fazit – Das PBefG wird vergaberechtlich aufgeladen

Verkehrsunternehmen, Aufgabenträger oder Genehmigungsbehörden müssen sich von den bekannten Gepflogenheiten der alten personenbeförderungsrechtlichen Genehmigungswelt verabschieden. Insbesondere auf die kommunale Verkehrswirtschaft kommen erhebliche rechtliche Veränderungen, aber auch Chancen zu. Niemand sollte noch darauf vertrauen, dass die bislang geübten Gesetzmäßigkeiten einfach weitergelten.

Dafür werden nicht zuletzt die Vergabegerichte sorgen, die jetzt ausdrücklich für die Nachprüfung der Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge zuständig sind. Die Erfahrung der vergangenen zwei Jahre mit Nachprüfungsverfahren der Vergabejurisprudenz im ÖPNV hat gezeigt, dass diese konsequent ihre wettbewerbsrechtlichen Vorstellungen durchsetzen und auf personenbeförderungsrechtliche Gewohnheiten wenig Rücksicht nehmen.

Insofern gilt: Willkommen in der neuen Welt des PBefG für alle diejenigen, die die Chancen des neuen Rechts konsequent nutzen und dessen Risiken kennen und beachten!

 

Dr. Christian Jung

LL.M., Rechtsanwalt Becker Büttner Held, Köln
 

Dr. Jan Deuster

Rechtsanwalt Becker Büttner Held, Köln
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