15.02.2013

Umnummerierte Würstchen

Aktuelle Probleme in Gesetzgebungsverfahren

Umnummerierte Würstchen

Aktuelle Probleme in Gesetzgebungsverfahren

Unterliegen Würstchen einer strengeren Herstellungskontrolle als Gesetze? | © Yantra - Fotolia
Unterliegen Würstchen einer strengeren Herstellungskontrolle als Gesetze? | © Yantra - Fotolia

„Gesetze sind wie Würste, man sollte besser nicht dabei sein, wenn sie gemacht werden.“ Dieses – fälschlicherweise Bismarck zugeschriebene – Bonmot kommt immer dann in Erinnerung, wenn man sich mit der Konsolidierung von Gesetzen und Verordnungen befasst. Bei der softwaregestützten Verarbeitung von Änderungsgesetzen werden formale Fehler, die dem Gesetzgeber unterlaufen, schonungslos aufgedeckt. Alle Fehler im Gesetzgebungsverfahren – ob formal oder inhaltlich – sind gleichermaßen problematisch, denn sie führen zu Gesetzestexten, die nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen. Insbesondere Verordnungen aus dem Verkehrsministerium sind in den letzten Jahren Musterbeispiele einer planlosen, überhasteten und – nicht nur aus diesem Grund – fehlerbehafteten Rechtssetzungspraxis.

Hektische Änderungsgeschichten

Ein ganz aktuelles Beispiel ist die Fahrerlaubnis-Verordnung vom 13.12.2010, die vom Bundesverkehrsminister im Bundesgesetzblatt I vom 17.12.2010 (BGBl. I 2010 S. 1980) verkündet wurde. Die erste Änderung dieser neuen Verordnung datiert ebenfalls vom 17.12.2010 (BGBl. I 2010 S. 2279). Im Klartext heißt das: Schon zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Fahrerlaubnis-Verordnung war im Verkehrsministerium bekannt, dass diese Verordnung sogleich wieder umfassend zu ändern ist! Durch weitere Änderungsverordnungen (BGBl. I 2011 S. 3, BGBl. I 2012 S. 1394) wurde die Fahrerlaubnis-Verordnung mit dem zum damaligen weit in der Zukunft liegenden Inkrafttretensdatum 19.01.2013 geändert. Wer hierin aber eine vorausschauende und verlässliche Rechtssetzungspraxis des Verkehrsministeriums erkannt haben wollte, sieht sich jetzt abermals getäuscht: Kurz vor dem Stichtag 19.01.2013 hat der Bundesverkehrsminister durch erneute Änderungsverordnung (BGBl. I 2013 S. 35) eine Vielzahl der sogenannten „schwebenden“ – d.h. verkündeten, aber noch nicht in Kraft getretenen – Änderungen wieder aufgehoben und neue Änderungsanweisungen in Kraft gesetzt. Bei dieser hektischen Änderungsgeschichte der noch so jungen Fahrerlaubnis-Verordnung ist eines klar: Der Bürger als Normadressat hat keine Chance, sich mit einem angemessenen Aufwand durch einen Blick ins Gesetzblatt einen Überblick über den geltenden Wortlaut dieser Verordnung zu verschaffen.

Wer aber ist verantwortlich für dieses Chaos? Man muss dem Gesetzgeber zugutehalten, dass er häufig genug nicht mehr Herr des Gesetzgebungsverfahrens ist, sondern selbst als von der Europäischen Union Getriebener agiert.


Druck aus Brüssel

Im geschilderten Fall verhält es sich tatsächlich so: Die Änderungen der Fahrerlaubnis-Verordnung zum 19. Januar 2013 beruhen auf den Vorschriften der EU-Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006. Diese Richtlinie hat die Mitgliedstaaten nicht nur verpflichtet, bis zum 19. Januar 2013 die Neuregelungen zum Führerschein umzusetzen. Nach Artikel 16 Nr. 1 waren die Mitgliedstaaten sogar angewiesen, die Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 2006/126/EG schon zwei Jahre vor Inkrafttreten, also bis zum 19. Januar 2011, zu verkünden. Kurz vor dem Inkrafttreten der neuen Regelungen hat die EU die Richtlinie 2006/126/EG aber selbst durch die Richtlinie 2012/36/EU der Kommission vom 19. November 2012 geändert mit der Folge, dass natürlich auch das schon verkündete nationale Recht obsolet wurde und wiederum zu ändern war! Bürgerfreundlich ist das nicht, und man kann nur hoffen, dass irgend jemand den EU-Verantwortlichen für diese gesetzgeberische Gängelei die Leviten liest und ihnen Tätigkeiten zuweist, bei denen sie weniger Schaden anrichten können.

Weiteres Beispiel

Im Einzelfall mag der Druck aus Brüssel also eine zulässige Erklärung für eine mangelhafte Gesetzgebungspraxis sein – in der Regel ist er es aber nicht. Ein anderes Beispiel: Durch Artikel 2 Paragraph 2 der Änderungsverordnung vom 20.12.2012 (BGBl. I 2012 S. 2802) hat der Bundesverkehrsminister die Binnenschifffahrtskostenverordnung geändert und dabei unter anderem auch die Nummerierungen in der Anlage geändert. Bedauerlicherweise sind diese Umnummerierungen aber nicht einheitlich formuliert: Die Anweisung „Die bisherigen Nummern 213 bis 23132 werden die Nummern 214 bis 23232.“ regelt z.B. eindeutig, dass die Nummern 213 bis 231 mit all ihren Unternummern in die Nummern 214 bis 232 zu ändern sind. Dagegen ist die folgende Anweisung nicht eindeutig: „Die bisherige Nummer (sic!) 201 wird Nummer 202.“ Hier bleibt nämlich unklar, welches Schicksal der Gesetzgeber den in üppiger Zahl vorhandenen Unternummern von Nummer 201, den Nummern 20101 bis 20133, zugedacht hat: Bleiben sie unverändert oder sollen sie in die Nummern 20201 bis 20233 geändert werden? Zunächst spricht der Gebrauch der konjugierten Singular-Form „wird“ dafür, dass nur die Nummer 201 geändert werden soll. Nach textkritischer Exegese ergibt sich dies auch daraus, dass der Gesetzgeber ansonsten wie im ersten Beispiel eindeutig hätte formulieren können: „Die bisherigen Nummern 201 bis 20133 werden die Nummern 202 bis 20233.“ Andererseits wäre es natürlich verwirrend und unschön, wenn in der Anlage auf die neue Nummer 202 die alte Nummer 20101 folgen würde, so dass der Verdacht eines redaktionellen Versehens naheliegt.

„Ihre Annahme ist richtig“

In diesen Fällen hilft nur die Nachfrage im zuständigen Ministerium. Nach einer mehrtägigen Bearbeitungszeit – das Referat Bürgerservice im Verkehrsministerium scheint in der ersten Woche des neuen Jahres nur die nötigsten Aufgaben erledigen zu wollen – bestätigt das Ministerium in knappen Worten: „Ihre Annahme ist richtig. Die Umbenennung einer Nummer schließt auch die Umbenennung der jeweils ihr untergeordneten Nummern ein.“ So weit – so schlecht. Zum einen widerspricht diese Aussage dem Gebot der Normenklarheit, denn der Gesetzgeber muss die von ihm verkündeten Normen deutlich und unmissverständlich formulieren. Lesenswert dazu – nicht nur für Ministeriale – ist das Kapitel „Juristische Fachsprache“ in dem vom Bundesministerium der Justiz herausgegebenen Handbuch der Rechtsförmlichkeit, erfreulicherweise online zu finden. Dort heißt es unter Randnummer 595: „Jedoch sind etwaige Umnummerierungen anderer Gliederungseinheiten ausdrücklich anzuordnen.“ Die vom Verkehrsministerium implizit erledigte Umnummerierung von untergeordneten Gliederungseinheiten ist also eine rechtssetzungstechnisch äußerst fragwürdige Schlamperei. Zudem hat man sich dadurch Folgeprobleme eingehandelt, die im Ministerium wiederum erst auf Nachfrage erkannt und eingeräumt wurden. Die – nach Auffassung des Ministeriums – implizit geänderten Unternummern werden nämlich in anderen Nummern referenziert, so dass alle Referenzen an die neue Nummerierung angepasst werden müssen. „Eine Umnummerierung kann dazu führen, dass Verweisungen unrichtig werden und angepasst werden müssen …“ (vgl. a.a.O.). – Hier ist endgültig Schluss mit impliziten Änderungen: Alle Verweise auf geänderte Nummern hätten also in der Änderungsverordnung abgeändert werden müssen.

Fragen über Fragen

Eine Reihe von Fragen drängen sich an dieser Stelle auf:

  • Warum ist dieser Fehler niemandem aufgefallen? Aufgefallen ist dieser Fehler vor allem deshalb nicht, weil eine systematische Rechtsförmlichkeitsprüfung in Deutschland nicht stattfindet. Zuständig für die Prüfung ist nach den §§ 46, 62 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien (GGO) das Bundesministerium der Justiz (BMJ). Soweit dem Autor bekannt, kommt das BMJ dieser Verpflichtung aber nicht nach. Die Zahl der redaktionellen Fehler im Bundesgesetzblatt sprechen für diese These.
  • Warum wird dieser Fehler nicht berichtigt? Korrekt wäre es natürlich, wenn das Verkehrsministerium die fehlerhafte Änderungsverordnung durch ein formelles Berichtigungsverfahren nach § 61 Abs. 3 GGO im Bundesgesetzblatt in Ordnung bringen würde. Berichtigungen machen aber Arbeit, und sie machen den Fehler häufig erst publik. Typischerweise werden festgestellte Fehler vom Gesetzgeber deshalb nicht berichtigt, sondern in einer nachfolgenden Änderungsverordnung unauffällig beseitigt. Nach den Auswertungen des Autors werden weniger als 5% aller Fehler in Gesetzen und Verordnungen berichtigt. Auch das Verkehrsministerium hat dem Autor mitgeteilt, „die notwendigen Berichtigungen in der nächsten Änderungsverordnung zu berücksichtigen“. Anders als eine kurzfristige Berichtigung erfolgt eine Korrektur durch eine neue Änderungsverordnung häufig aber erst nach Wochen, Monaten oder Jahren, und solange bleibt der Wortlaut des Gesetzes zweifelhaft.
  • Und vor allem: Wen interessiert überhaupt die Nummerierung in der Anlage zur Binnenschifffahrtskostenverordnung?

Gesetze und Würstchen

Die Frage nach der Relevanz einer Norm ist natürlich eine rechtsdogmatisch grundsätzliche: Der richtige Wortlaut des Gesetzes sollte jedes Rechtssubjekt interessieren, das dem Gesetz unterworfen ist. Ob es sich dabei um den Wortlaut von Artikel 1 des Grundgesetzes oder den der Anlage zur Binnenschifffahrtskostenverordnung handelt, macht keinen prinzipiellen, sondern nur einen graduellen Unterschied. Schließlich kann jeder falsche Gesetzestext gravierende Folgefehler bis hin zu falschen und deshalb aufzuhebenden Gerichtsentscheidungen haben (vgl. BVerfG Urt. v. 26.2.2008 – 1 BvR 2327/07).

Die Herstellung von Würstchen hat der Gesetzgeber inzwischen im Lebensmittelrecht umfassend reglementiert und eine effektive Kontrolle des Herstellungsprozesses eingeführt. Es ist an der Zeit, dass Gesetze den Würstchen gleichgestellt werden: Mehr Sorgfalt bei der Textredaktion, ein strukturiertes Vorgehen im Gesetzgebungsverfahren und vor allem die Einführung einer Qualitätssicherung sind dringend angezeigt.

 

Christoph Schwalb

Geschäftsführer der LexXpress GmbH – befasst sich seit 1998 mit Rechtsdatenbanken und der automatisierten Konsolidierung von Gesetzestexten, Gundelfingen
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