15.02.2013

Arbeitnehmerüberlassung – alles (un)klar?

Aktuelle Urteile zu den Folgen langfristiger Arbeitnehmerüberlassung

Arbeitnehmerüberlassung – alles (un)klar?

Aktuelle Urteile zu den Folgen langfristiger Arbeitnehmerüberlassung

(K)ein fingiertes Arbeitsverhältnis – Welcher Zeitraum verträgt sich noch mit dem Begriff "vorübergehend"? | © eccolo - Fotolia
(K)ein fingiertes Arbeitsverhältnis – Welcher Zeitraum verträgt sich noch mit dem Begriff "vorübergehend"? | © eccolo - Fotolia

Seit der Novellierung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) gilt, dass die Überlassung von Arbeitnehmern nur vorübergehend erfolgt. Welcher Zeitraum noch „vorübergehend“ in diesem Sinne ist und welche Folgen ein mittel- oder gar langfristiger Einsatz von Leiharbeitnehmern haben kann, ist bislang ungeklärt. Zwei aktuelle Urteile des LAG Berlin-Brandenburg befassen sich mit eben diesen Fragen. Die Antworten hierauf könnten unterschiedlicher kaum sein.

Die Entscheidung vom 16. Oktober 2012

Der Fall spielte in einem Krankenhaus, das vormals dem Land Brandenburg gehört hatte, später jedoch von einem privaten Betreiber übernommen wurde. Die Klägerin – eine Krankenschwester – war seit dem 1. August 2008 bei einer konzerninternen, sich im Besitz einer unbefristeten Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung befindenden Personaldienstleistungsgesellschaft eingestellt und seither von dieser an den Krankenhausbetreiber „ausgeliehen“ worden, der sie ununterbrochen in der Klinik für Psychiatrie einsetzte.

Im Dezember 2011 – nach knapp dreieinhalbjähriger Tätigkeit im Krankenhaus – erhob sie Klage und begehrte die Feststellung, dass zwischen ihr und dem Betreiber ein Arbeitsverhältnis besteht. Grundsätzlich besteht im Falle der Arbeitnehmerüberlassung zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer kein Arbeitsverhältnis, sondern nur zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer. Eine Ausnahme sieht § 10 Abs. 1 AÜG vor, wonach bei Unwirksamkeit des Vertrages zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis fingiert werden kann. Die Klägerin berief sich zur Begründung dafür, dass zwischen ihr und dem Krankenhausbetreiber ein Arbeitsverhältnis besteht, auf den Wortlaut von § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG und meinte, dass in ihrem Fall von einer nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung keine Rede mehr sein könne. Der Betreiber decke seinen (dauerhaften) Arbeitskräftebedarf in rechtsmissbräuchlicher Weise über Leiharbeitnehmer, um auf diese Weise Kosten zu sparen.


Das LAG Berlin-Brandenburg hat die Klage, genau wie die erste Instanz, abgewiesen (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 16. Oktober 2012 – 7 Sa 1182/12). Die Richter der 7. Kammer haben das Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses zwischen der Klägerin und dem Betreiber verneint. Voraussetzung für das Eingreifen des § 10 Abs. 1 AÜG sei, dass der Vertrag zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer wegen der fehlenden Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung unwirksam sei. Da die Personaldienstleistungsgesellschaft, bei der die Klägerin angestellt ist, über eine solche Erlaubnis verfüge, sei dies nicht der Fall. Die Dauer der Überlassung hat nach Ansicht der Kammer keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit einer erteilten Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung. Das Gericht vermeidet es so, auf die für die Praxis spannende Frage, ob die Beschäftigungsdauer von knapp dreieinhalb Jahren noch „vorübergehend“ im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG ist, eine Antwort zu geben. Da aus seiner Sicht ein Verstoß gegen das Gebot der nur vorübergehenden Überlassung folgenlos bleibt, kann es diese Frage auch offen lassen.

Die Klägerin hatte angeführt, dass die Personaldienstleistungsgesellschaft lediglich als Strohmann oder Scheinverleiher agiert, wenn sie dem Krankenhausbetreiber längerfristig Personal überlässt und damit das Modell der Arbeitnehmerüberlassung missbraucht. Dies hat das Gericht mit dem Argument verneint, dass zu dem Zeitpunkt, als die Personaldienstleistungsgesellschaft das Arbeitsverhältnis mit der Krankenschwester begründet und diese sodann an den Krankenhausbetreiber verliehen hatte, eine zeitliche Begrenzung von Arbeitnehmerüberlassungen noch nicht bestand. Von einer nur vorübergehenden Arbeitnehmerüberlassung spricht das AÜG erst seit der Novellierung im Dezember 2011. Ein missbräuchliches Umgehungsgeschäft habe daher im Jahr 2008 überhaupt nicht vorliegen können. Das Gericht musste daher auch nicht entscheiden, ob in solchen Fällen ein Arbeitsverhältnis zwischen Entleiher und Leiharbeitnehmer konstruiert werden kann bzw. muss.

Die Entscheidung vom 9. Januar 2013

Ein ähnlicher Sachverhalt beschäftigte parallel auch die 15. Kammer des LAG Berlin-Brandenburg. Man sollte in diesem Fall eigentlich davon ausgehen, dass das gleiche Gericht – auch wenn die Entscheidung von anderen Richtern gefällt wird – auch ähnlich entscheidet. Doch weit gefehlt: Das Urteil vom 9. Januar 2013 (Az.: 15 Sa 1635/12) steht in komplettem Widerspruch zu der eben dargestellten Entscheidung. Leider liegt das Urteil noch nicht im Volltext vor, so dass die über die in der Pressemitteilung mitgeteilten hinausgehenden Erwägungen noch nicht bekannt sind. Aus der Pressemitteilung ergibt sich jedoch, dass die 15. Kammer ein Arbeitsverhältnis auf Grund der Regelung des § 10 Abs. 1 AÜG zwischen dem Entleiher – also dem Krankenhausbetreiber – und der klagenden Krankenschwester bejaht. Die der konzerninternen Personaldienstleistungsgesellschaft erteilte Erlaubnis erfasse eine auf Dauer angelegte Überlassung nicht. Leider ergibt sich aus der Pressemitteilung nicht, wie lange die klagende Krankenschwester in dem von der 15. Kammer entschiedenen Fall bereits als Leiharbeitnehmerin bei dem Betreiber eingesetzt war.

Nach Ansicht der 15. Kammer liegt daneben auch ein „institutioneller Rechtsmissbrauch“ vor, wenn das konzerneigene Verleihunternehmen nicht werbend am Markt tätig sei und seine Beauftragung nur dazu diene, Lohnkosten zu senken oder kündigungsschutzrechtliche Wertungen ins Leere laufen zu lassen.

Ausblick

Der Laie staunt und der Fachmann wundert sich ob dieser sich widersprechenden Entscheidungen desselben Gerichts in gleich gelagerten Sachverhalten. Gemeinhin geht man davon aus, dass sich auch Richter untereinander austauschen. Daher drängt sich die Frage auf, ob diese Divergenz von den Kammern bewusst herbeigeführt wurde, um das BAG zur Klärung der offenen Fragen zu bewegen. In beiden Entscheidungen ist die Revision zugelassen worden. Das letzte Wort hat daher voraussichtlich das BAG. Je nach Entscheidung des BAG können die Folgen für die Praxis mehr oder weniger spürbar sein.

Folgt das BAG im Wesentlichen der Entscheidung der 7. Kammer, wird es mit einiger Wahrscheinlichkeit weiterhin keine Klärung geben, wann eine Arbeitnehmerüberlassung noch vorübergehend ist. Kommt das BAG ebenfalls zu dem Schluss, dass ein Verstoß gegen das Merkmal „vorübergehend“ praktisch sanktionslos bleibt, insbesondere kein Arbeitsverhältnis zum Entleiher begründet, kann es diese Frage auch offenlassen. Wünschenswert wäre in diesem Fall, dass sich das BAG aber zumindest in einem obiter dictum zum Merkmal „vorübergehend“ äußert, um Rechtsanwendern und Praxis Anhaltspunkte für künftige Entscheidungen an die Hand zu geben.

Daneben wird sich das BAG voraussichtlich auch mit der Frage befassen, ob es in den Fällen, die die 15. Kammer des LAG als „institutionellen Missbrauch“ bezeichnet, einem Entleiher verwehrt ist, sich auf das Nichtbestehen eines Arbeitsverhältnisses mit dem Leiharbeitnehmer zu berufen, und – bejahendenfalls – in welchen Fällen dies denkbar ist. Spannend wird dann sein, ob sich das BAG dem Weg des LAG anschließt und diese Frage ganz allgemein für Leiharbeitsverhältnisse verneint, die vor der Reform des AÜG begründet wurden, und insoweit eine Art „Vertrauensschutz“ gewährt. Für Leiharbeitsverhältnisse, die nach der Novellierung begründet wurden, wird das BAG nicht umhinkommen, eine Aussage zur zeitlichen Begrenzung in § 1 Abs. 1 Satz 2 AÜG zu treffen. Anderenfalls würden Verleiher und Entleiher ohne jede Hilfestellung mit den potentiellen Risiken allein gelassen.

Sollte das BAG hingegen der Auffassung der 15. Kammer folgen, wären die Auswirkungen auf die Praxis kaum absehbar. Würde höchstrichterlich entschieden, dass eine nicht mehr nur vorübergehende Überlassung von Leiharbeitnehmern nicht von der Erlaubnis der Arbeitsagenturen gedeckt ist und damit ein Arbeitsverhältnis zum Entleiher begründet wird, sähen sich Entleiherbetriebe erheblichen Risiken ausgesetzt. Sie müssten stets damit rechnen, dass sich Leiharbeitnehmer erfolgreich in „ihr“ Unternehmen einklagen. Ob und wie sich ein Entleiher im Wege des Schadensersatzes an den Verleiher wenden kann, ist offen. Das einzig Gute im Falle einer solchen Entscheidung wäre, dass das BAG dann immerhin eine mehr oder weniger verlässliche Aussage zum Merkmal „vorübergehend“ treffen müsste. Verleiher und Entleiher hätten dann jedenfalls verlässliche zeitliche Grenzen. Sollte die höchstzulässige Dauer der Arbeitnehmerüberlassung allerdings (zu) knapp bemessen sein, stellt sich die Frage, ob das Modell „Leiharbeit“ wirtschaftlich noch interessant ist.

Fazit

Die Unsicherheit hinsichtlich der nur „vorübergehenden“ Arbeitnehmerüberlassung besteht vorerst fort. Die Urteile des LAG Berlin-Brandenburg haben keine Klarheit gebracht, weder hinsichtlich der zeitlichen Grenze noch mit Blick auf die Folgen eines Rechtsverstoßes. Das Gegenteil ist der Fall. Der Ball liegt nun beim BAG. Wie dieses entscheiden wird, ist nicht abzusehen. Bis dahin kann und darf über die – möglicherweise gravierenden – Folgen für die Praxis und die Leiharbeitsbranche insgesamt munter spekuliert werden.

 

Ulrich Mosch

Rechtsanwalt, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Dresden
 

Dr. Julia Burkard-Pötter

Rechtsanwältin, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Berlin
n/a