15.02.2013

EuGH erschwert Ausschreibungsfreiheit

Inhouse-Vergaben durch Minderheitsgesellschafter

EuGH erschwert Ausschreibungsfreiheit

Inhouse-Vergaben durch Minderheitsgesellschafter

Ausschreibung intern vergeben: Voraussetzung ist Prüfung der Inhouse-Festigkeit eines Gemeinschaftsunternehmens. | © coramax - Fotolia
Ausschreibung intern vergeben: Voraussetzung ist Prüfung der Inhouse-Festigkeit eines Gemeinschaftsunternehmens. | © coramax - Fotolia

Die Deckung eines wirtschaftlichen Bedarfs durch die öffentliche Hand kann entweder durch eine Nachfrage am Markt oder eine Eigenerbringung erfolgen. In gewisser Hinsicht zwischen diesen Polen liegen die so genannten Inhouse-Geschäfte. Diesen liegt zwar eine Vertragsbeziehung zwischen selbstständigen Rechtsträgern zugrunde, es besteht jedoch eine Verbindung, die der vereinbarten Leistung den Charakter einer Eigenerbringung verleiht.

Ein Thema von großer praktischer Relevanz

Da Inhouse-Geschäfte für öffentliche Auftraggeber eine legale Ausnahme von der vergaberechtlichen Ausschreibungspflicht darstellen, besitzt die Thematik große praktische Relevanz. In der vergaberechtlichen Rechtsprechung und Literatur bilden die damit zusammenhängenden Rechtsfragen inzwischen einen „Dauerbrenner“.

Zulässigkeit und Grenzen derartiger Inhouse-Vergaben werden maßgeblich durch das Gemeinschaftsrecht und die hierzu ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) sowie von Entscheidungen der Vergabesenate der deutschen Oberlandesgerichte bestimmt.


In seiner jüngsten hierzu ergangenen Entscheidung hat der EuGH (EuGH, Urt. v. 29. November 2012, Rs. C-182/11 und C-183/11, „Econord SpA“) die Anforderungen an die vergaberechtsfreie Beauftragung eines Unternehmens, das von mehreren öffentlichen Auftraggebern kontrolliert wird, präzisiert und verschärft.

Bisherige Rechtsprechung des EuGH

Der EuGH hat in der grundlegenden „Teckal-Entscheidung“ zwei Voraussetzungen festgelegt, die ein Inhouse-Geschäft erfüllen muss, damit es nicht vom Anwendungsbereich des europäischen Vergaberechts erfasst wird (EuGH, Urt. v. 18.11.1999, Rs. C-107/98). Demnach setzt die Inhouse-Vergabe eines öffentlichen Auftraggebers grundsätzlich voraus, dass

  1. der öffentliche Auftraggeber über das zu beauftragende Unternehmen eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle ausübt (Kontrollkriterium);
  2. die Auftragnehmer-Gesellschaft im Wesentlichen für den auftragserteilenden öffentlichen Auftraggeber bzw. für ihre öffentlichen Anteilseigner tätig wird (Wesentlichkeitskriterium).

Wesentlichkeitskriterium

Erforderlich für das Wesentlichkeitskriterium ist, dass die Auftragnehmer-Gesellschaft im Wesentlichen für den oder die öffentlichen Auftraggeber tätig wird. Dieses Erfordernis soll sicherstellen, dass das europäische Vergaberecht anwendbar bleibt, wenn ein von einem öffentlichen Auftraggeber kontrolliertes Unternehmen auf dem Markt tätig ist und daher mit anderen Unternehmen in Wettbewerb treten kann (EuGH, Urt. v. 11.05.2006, Rs. C-340/04, „Carbotermo“). Eine präzise Schwelle hat der Gerichtshof bislang nicht vorgegeben, sondern stets betont, dass bei der Beurteilung alle qualitativen und quantitativen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. In einer Entscheidung hat der EuGH jedoch eine Tätigkeit von 90 % für den öffentlichen Auftraggeber als ausreichend angesehen (EuGH, Urt. v. 19.04.2007, Rs. C-295/05, „Asemfo & Tragsa“).

Das OLG Celle (OLG Celle, Beschl. v. 29.10.2009, 13 Verg 8/09) geht hingegen von einer erheblichen, „inhouse-schädlichen“ Tätigkeit für Dritte schon dann aus, wenn der Auftragnehmer wenigstens 7,5 % seines Umsatzes aus Drittgeschäften erzielt.

Kontrollkriterium

Nach Auffassung des EuGH ist das Kontrollkriterium nur erfüllt, wenn der oder die öffentliche(n) Auftraggeber sämtliche Gesellschaftsanteile der Auftragnehmer-Gesellschaft innehaben. Die auch nur minderheitliche Beteiligung eines privaten Unternehmens schließt eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle zwingend aus. Auf den Umfang der Beteiligung des privaten Kapitals kommt es dabei nicht an.

Das Kontrollmerkmal ist grundsätzlich auch dann erfüllt, wenn das Kapital des Auftragnehmers von mehreren öffentlichen Auftraggebern gehalten wird. Am ausführlichsten hat sich der EuGH mit dieser Konstellation bislang in der Entscheidung „Coditel Brabant“ auseinandergesetzt (EuGH, Urt. v. 13.11.2008, Rs. C-324/07). Der Gerichtshof hat festgestellt, dass eine jeweils individuelle Kontrolle jeder einzelnen öffentlichen Stelle nicht erforderlich ist, wenn mehrere öffentliche Stellen über eine Institution eine gemeinschaftliche Kontrolle ausüben. Die Kontrolle durch ein Kollegialorgan, das über einen Mehrheitsbeschluss entscheidet, reiche aus. Aus dieser Entscheidung zog die vergaberechtliche Praxis bislang den Schluss, dass auch ein Minderheitsgesellschafter einem gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern beherrschten Unternehmen vergaberechtsfrei Aufträge erteilen kann.

Sachverhalt der Entscheidung „Econord SpA“

Den Hintergrund der Vorlagefrage eines italienischen Gerichts bildete eine Konstellation, in der 36 Gemeinden lediglich geringfügig am Kapital einer öffentlichen Aktiengesellschaft beteiligt sind (gemeinsam insgesamt 0,2 % der Anteile), während eine Gemeinde als Hauptgesellschafter fungiert (99,8 % der Anteile). Die Minderheitsgesellschafter sind nach den zugrunde liegenden gesellschaftsrechtlichen Vereinbarungen berechtigt, gemeinsam einen Vertreter in den Aufsichts- und Verwaltungsrat des Gemeinschaftsunternehmens zu entsenden.

Rechtliche Würdigung des EuGH

Im Ausgangspunkt stellt der EuGH fest, dass eine Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle vorliegt, wenn die betreffende Einrichtung einer Kontrolle unterliegt, die es dem öffentlichen Auftraggeber ermöglicht, sowohl auf die strategischen Ziele als auch auf die wichtigen Entscheidungen dieser Einrichtung einzuwirken. Der öffentliche Auftraggeber muss also in der Lage sein, eine wirksame strukturelle und funktionelle Kontrolle auszuüben.

Wenn mehrere öffentliche Auftraggeber ein Gemeinschaftsunternehmen zur Erfüllung einer gemeinsamen Aufgabe einschalten, ist es nach Ansicht des Gerichtshofs nicht erforderlich, dass jeder ein individuelles Kontrollrecht ausübt. Allerdings darf die Kontrollbefugnis nicht nur einem Gesellschafter zufallen, da andernfalls das Konzept der gemeinsamen Kontrolle ausgehöhlt würde. Soweit einem öffentlichen Auftraggeber in Bezug auf ein Gemeinschaftsunternehmen nur eine Stellung zukommt, die nicht die geringste Möglichkeit einer Beteiligung an der Kontrolle über diese Einrichtung sichert, ist demzufolge nicht davon auszugehen, dass er an der Ausübung der Kontrolle wie über eine eigene Dienststelle beteiligt wäre. Andernfalls wäre, so der EuGH, einer Umgehung der europarechtlichen Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge und Dienstleistungskonzessionen Tür und Tor geöffnet, weil bereits allein ein formaler Beitritt zu einer solchen Einrichtung oder deren gemeinsamen Leitungsorgan einen öffentlichen Auftraggeber von der Verpflichtung befreien würde, ein Ausschreibungsverfahren nach den Unionsvorschriften durchzuführen.

Fazit und Praxishinweise

Die Entscheidung des EuGH zieht die Grenzen für vergaberechtsfreie Inhouse-Geschäfte öffentlicher Auftraggeber, die nur minderheitlich an einem Gemeinschaftsunternehmen öffentlicher Stellen beteiligt sind, deutlich enger. Damit begrenzt der Gerichtshof zugleich auch die Möglichkeiten einer interkommunalen Zusammenarbeit. Entscheidend für die Vergaberechtsfreiheit der Beauftragung eines Gemeinschaftsunternehmens ist, dass der jeweilige öffentliche Auftraggeber in der Lage sein muss, eine wirksame strukturelle und funktionelle Kontrolle über diese Einrichtung auszuüben. Davon ist jedenfalls dann nicht auszugehen, wenn die ausgeübte Kontrolle nur auf der Kontrollbefugnis eines von mehreren öffentlichen Auftraggebern beruht, weil in diesem Fall schon begrifflich keine gemeinsame Kontrolle vorliegt. In welchem Umfang Minderheitsgesellschafter an der Kontrolle teilhaben müssen, lassen die Ausführungen des EuGH unbeantwortet. Die öffentliche Hand ist vor dem Hintergrund dieser neuen Rechtsprechung gehalten, ihre Beteiligungen an Gemeinschaftsunternehmen auf deren Inhouse-Fähigkeit zu überprüfen.

 

Dr. Martin Ott

Rechtsanwalt, Menold Bezler Rechtsanwälte Partnerschaft, Stuttgart
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