16.04.2024

Wie eine diverse juristische Ausbildung den Rechtsstaat stärkt

Ein Aufruf zu mehr (Perspektiven-)Vielfalt

Wie eine diverse juristische Ausbildung den Rechtsstaat stärkt

Ein Aufruf zu mehr (Perspektiven-)Vielfalt

Die Justizprüfungsämter und die juristischen Fakultäten müssen fundamental umdenken und andere Infrastrukturen schaffen. | © Markus Mainka - Fotolia
Die Justizprüfungsämter und die juristischen Fakultäten müssen fundamental umdenken und andere Infrastrukturen schaffen. | © Markus Mainka - Fotolia

Es ist wieder Ersti-Woche: Angehende Jurastudierende treffen aufeinander, lernen sich und ihre zukünftige Fakultät kennen und tauschen sich aus, warum sie sich entschieden haben, Jura zu studieren. Nicht selten fällt dabei der Satz „Meine Eltern sind beide Anwält:innen“ oder: „Mein Vater hat eine eigene Kanzlei“. Diejenigen, die die Ersten in den Familien sind, die Rechtswissenschaften (oder überhaupt) studieren, fragen sich dann: „Bin ich hier überhaupt richtig?“

Die Juristerei in Deutschland ist nicht besonders für ihre Diversität bekannt. Über Jahrhunderte hinweg war das Recht eine Sache von weißen Männern. Das spiegelt sich natürlich dann in der juristischen Ausbildung wider. Erst ab 1922 durften Frauen im Deutschen Reich Jura studieren. Der Frauenanteil an juristischen Lehrstuhlinhaber:innen liegt nach wie vor unter 20 %. Und die Fälle, an denen Studierende lernen, reproduzieren nach wie vor teils sexistische oder klassistische Stereotype. Insbesondere die Rechtswissenschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sich das System ständig von außen abgrenzt: Interdisziplinarität, Pluralität der Perspektiven, Internationalität? – Fehlanzeige! Kritik am System und vor allem am Personalbestand bleibt unerwünscht.

Es können alle nur profitieren …

Dabei wäre eine diverse Aufstellung der juristischen Ausbildung so wünschenswert und für alle gewinnbringend. Ein juristischer Berufsstand, der die tatsächliche gesellschaftliche Realität abbildet, kann doch viel eher der Diversität und Vielschichtigkeit der heutigen Probleme einer globalisierten und vernetzten Welt gerecht werden. Es ist vielfach wissenschaftlich belegt, dass diverse Teams mit vielfältigen Blickwinkeln bessere und nachhaltigere Lösungen finden, von denen mehr Menschen profitieren können. Und viele gesellschaftliche Problemstellungen, die bislang aufgrund der fehlenden Repräsentanz kaum oder unzureichend juristisch diskutiert wurden – seien es das Selbstbestimmungsrecht von Frauen über ihren Körper, soziale Gerechtigkeit oder postkoloniale Kontinuitäten im Recht –, würden durch eine buntere Aufstellung der Juristerei eher adressiert werden.


Viel mehr noch: Menschen, die bislang keinen Zugang zum Recht erhalten haben oder die vielleicht von unserem Rechtssystem benachteiligt oder enttäuscht wurden, fänden durch verstärkte Repräsentanz aller gesellschaftlichen Gruppen und Schichten wieder Vertrauen in den (Rechts-)Staat und seine Vertreter:innen.

Richter:innen und Anwält:innen sind durch gelebte Realität von Vielfalt sensibilisiert für die Probleme der Menschen und der Rechtsstaat kann adäquate Antworten darauf geben. Ein zusätzlicher Vorteil könnte sich durch ein breiteres Zielpu-blikum der juristischen Ausbildung ergeben: Vielleicht lässt sich ja dem drohenden Nachwuchsmangel in den juristischen Berufen bis zu einem bestimmten Grad vorbeugen. Doch dafür muss die juristische Ausbildung für alle attraktiv sein und auch Menschen ansprechen, die sonst keine Berührungspunkte mit Recht und dem Rechtsstaat hatten.

Was ist der aktuelle Stand?

Wenn wir uns in unseren Hörsälen umschauen, dann herrscht erfreulicherweise mindestens Parität! Schon seit Jahrzehnten stellen laut den Daten des Bundesamts für Justiz Frauen die Mehrheit der Studierenden dar. Doch schneiden sie – trotz im Schnitt besserer Abiturnoten – durchschnittlich schlechter in der Ersten Prüfung ab als Männer. Dies bedingt die weitere „leaky pipeline“: Auf jeder nächsthöheren Stufe in der Rechtswissenschaft von wissenschaftlichen Mitarbeiter:innen bis Professor:innen nimmt der Frauenanteil ab. Darüber hinaus sind Erstakademiker:innen, Menschen mit Behinderung, Menschen mit Migrationsgeschichte und B(I)PoC1Die Abkürzung „B(I)PoC“ ist ein Begriff, der sich auf Schwarze, Indigene und People of Color bezieht. stark unterrepräsentiert.

Zwar stieg die Sichtbarkeit in den Hörsälen und mittlerweile auch in der Berufswelt in den letzten Jahren an, von einer Repräsentation der Gesellschaft sind wir aber noch weit entfernt. Um die (fehlende) Diversität in der juristischen Ausbildung noch besser abbilden zu können, führte der BRF Anfang des Jahres eine Umfrage durch. Die Ergebnisse veröffentlichen wir im Laufe des Jahres.

Was braucht es? Die Justizprüfungsämter und die juristischen Fakultäten müssen fundamental umdenken und andere Infrastrukturen schaffen: Potenzielle Jurastudierende müssen gezielt in den Schulen angesprochen und für unseren Berufsstand begeistert werden. An den Hochschulen müssen Strukturen geschaffen werden, in denen Lehrende und Lernende sensibilisiert sind und in denen sich Studierende mit den verschiedenen Merkmalen wohlfühlen. Das beinhaltet Mentoringprogramme, einen barrierefreien Zugang zu allen universitären Einrichtungen, finanzielle und ideelle Unterstützung für die, die sich Teile des Studiums sonst nicht zutrauen würden, und konkrete Antidiskriminierungsbeauftragte und spezielle Ansprechpartner:innen.

Schließlich bedarf es dazu auch einer Reform des Jurastudiums insgesamt: Eine Ausbildung muss als solche attraktiv sein, damit sie junge Menschen anzieht. Ein integrierter Bachelor kann zumindest der Unsicherheit dieses so langen und anstrengenden Studiums abhelfen. Aber darüber hinaus sollte sich die Kultur in der Rechtswissenschaft ändern, sodass sich alle angesprochen fühlen.

Ein funktionierender und wehrhafter Rechtsstaat: notwendiger denn je!

Unsere rechtsstaatlich verfasste Demokratie ist in Gefahr. Dies hat nicht zuletzt die Correctiv-Recherche im Januar 2024 gezeigt: Rechtsextreme und autoritäre, faschistische Kräfte versuchen die Macht in diesem Land zu übernehmen und wollen Millionen Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen, deportieren. Doch die Bedrohung für den Rechtsstaat ist viel unscheinbarer. Es wird versucht, das Justizsystem gezielt auszunutzen und an die Belastbarkeitsgrenze zu bringen, sodass die Menschen Vertrauen verlieren und ein schwacher Rechtsstaat eine schleichende Machtergreifung nicht verhindern kann. Dagegen müssen sich alle Jurist:innen stellen.2So ein Statement etlicher juristischer Organisationen inklusive des BRF vom 15.01.2024: http://www.bundesfachschaft.de/correctiv-recherche. Notwendig ist daher mehr denn je eine vielfältige und pers-pektivenreiche Aufstellung des Rechtsstaates, der wehrhaft und geschlossen gegen Verfassungsfeinde steht und der seine Diversität als Stärke versteht. Ein Rechtssystem, das funktioniert und auf die aktuellen Probleme der Bevölkerung antwortet und die Vielfalt sieht. Es gibt keinen besseren Zeitpunkt als jetzt, um anzufangen und die Weichen für die Zukunft zu stellen: Setzen wir uns alle gemeinsam für eine bunte und diverse juristische Ausbildung ein.

Der Beitrag stammt aus „Recht Reloaded 01/2024“ und kann mit einem Klick kostenfrei gelesen werden.

 

Jonathan Franz

Ehemaliger Vorsitzender des Bundesverbandes rechtswissenschaftlicher Fakultäten
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    Die Abkürzung „B(I)PoC“ ist ein Begriff, der sich auf Schwarze, Indigene und People of Color bezieht.
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    So ein Statement etlicher juristischer Organisationen inklusive des BRF vom 15.01.2024: http://www.bundesfachschaft.de/correctiv-recherche.
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