29.04.2024

Präklusion im Verwaltungsverfahren

Bewegungsfreiheit im europäischen Korsett

Präklusion im Verwaltungsverfahren

Bewegungsfreiheit im europäischen Korsett

Ein Beitrag aus »Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg« | © emmi - Fotolia / RBV

Die Zeitenwende ist in aller Munde, auch beim Klimaschutz. Die Beschleunigung der zugrunde liegenden Verwaltungsverfahren hat Hochkonjunktur. Ein Baustein im rechtspolitischen Instrumentenkasten ist dabei die Präklusion. Deren Wirkweise bleibt europarechtlich merklich eingeengt; Anlass zur Betrachtung der Handlungsoptionen.

A. Einleitung

Die Energie- und Verkehrswende ist politisch eingeläutet, die Realisierung kostet enorme finanzielle wie fachliche Ressourcen. Ein gewichtiger Erfolgsfaktor ist die Beschleunigung der grundlegenden Infrastrukturprojekte: Reduzierte Personal-, Fach- und Sachmittel in der Verwaltung, komplexe Rechtsrahmen in Mehrebenenverfahren und die Realitäten der Umsetzung führen dazu, dass große Infrastrukturprojekte im „Deutschlandtempo“ ihrer Gesamtrealisierung schon mal 20 Jahre1Roth, ZRP 2022, 82. Durner spricht von „ständig neuen Prüfpflichten und deren akribische gerichtliche Kontrolle“, die die Genehmigungsbehörden überfordern und sieht hierin die „Hauptursachen für die überlange Dauer der deutschen Zulassungsverfahren“, VerwArch 2020, 162, 186. Das im November 2023 beschlossene Maßnahmepaket zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich, BT-Drs. 20/6879, versucht über eine Vierjahresfrist für Planfeststellungsverfahren bei transeuropäischen Verkehrsprojekten raschere Umsetzungsläufe im FStrG, AEG, LuftVG und WaStrG zu implementieren. dauern.

Vor diesem Hintergrund fand das Beschleunigungsziel über Präklusionsregelungen, also den Ausschluss eines Verfahrensbeteiligten mit seinem Vorbringen, prominente Erwähnung im Koalitionsvertrag der Bundesregierung aus SPD, Grüne und FDP.2Koalitionsvertrag 2021 „Mehr Fortschritt wagen“, S. 13: „Wir wollen eine wirksame und unionsrechtlich zulässige Form der materiellen Präklusion einführen“. Zwar hat sich fast jede Regierung seit den 1990er-Jahren die Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung auf die Fahnen geschrieben;3Ein Überblick über die bisherige Beschleunigungsgesetzgebung findet sich bei Roth (Fn. 1). jedoch entscheidet was seit Langem ärgerlich und kostenträchtig ist, derzeit mit über das Wohl und Wehe unserer künftigen Lebensweise.


Entsprechend konkret wird die Präklusion als Stellschraube der Beschleunigung benannt und Ende März 2023 in einem weiteren „Infrastrukturbeschleunigungsgesetz“4Gesetz zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich, BGBl. I 2023, Nr. 71. Hierzu Bier/Bick, NVwZ 2023, 457 ff. verankert, allerdings lediglich über eine Verschärfung der innerprozessualen Präklusion.5Scheffczyk, NordÖR 2023, 177, 179 f. § 87 b VwGO n. F. wandelt sich von einer Ermessens- zu einer zwingenden Beachtung der prozessualen Ausschlusspräklusion, ohne Prüfung einer tatsächlichen Verzögerung.6Kritisch u. a. die Stellungnahme 47/2022 des Deutschen Anwaltsvereins, S. 11 f. sowie der Neuen Richtervereinigung 09/2022, S. 6 f. Im Verwaltungsverfahren, auf das auch der Koalitionsvertrag mit der materiellen Präklusion im Kern abhebt, bewegt sich trotz der engen Wirkverzahnung derweil rechtspolitisch nichts. Stimmt daher die Betitelung von Luise Jachmann, die die materielle Präklusion bereits 2019 am Ende sah7Jachmann, in: Tietje, Beiträge zum Europa- und Völkerrecht, Heft 17, 2019: Das Ende der materiellen Präklusion: Die Entscheidung des EuGH v. 15.10.2015 (C-137/14) und die Reaktionen des deutschen Gesetzgebers., und verpufft das konkrete Fortschrittsansinnen der Koalition aufgrund supranationaler Rechtsschutzvorgaben?

B. Einordnung der Bedeutung im Verwaltungsverfahren

I. Wirkung und Zwecke

Dem Rechtsinstitut der Präklusion wohnt eine fast 180-jährige Tradition im deutschen Verwaltungsverfahren inne, mit Anfängen bereits in der Allgemeinen Preußischen Gewerbeordnung von 1845.8Vgl. Jachmann (Fn. 7), S. 6; Durner (Fn. 1), 162, 164. Grundlegend ist das Verständnis, dass es nicht „die“ Präklusion im Verwaltungsverfahren gibt, sondern insbesondere zwei Wirkweisen zu unterscheiden sind.9Einen guten Überblick zu den Ausprägungen der Präklusion im Verwaltungsverfahren bietet Brandt, NVwZ 1997, 233.

Die formelle Präklusion wirkt ausschließlich auf das Verwaltungsverfahren. Bei nicht form- oder fristgerecht vorgebrachten Einwendungen gehen Verfahrensrechte verloren, nicht aber die materielle Rechtsposition;10Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG-Kommentar, 2022, Art. 19 Abs. 4 Rn. 259. diese kann in einem Vor- oder Klageverfahren wieder eingewandt werden. Die formelle Präklusion normiert der Gesetzgeber selten gesondert;11Etwa im § 4 a Abs. 6 BauGB. vielmehr versucht er die materielle Wirkung zu verorten und hat hierfür bereits 1996 eine Zentralnorm in § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG geschaffen, auf die zahlreiche Fachgesetze verweisen.12Etwa § 43 Abs. 4 EnWG oder § 17 Abs. 1 Satz 5 FStrG. Es verbleiben aber auch eigene Sonderregelungen wie in § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO BW oder im aktuellen Krisenkontext erwähnenswert, der § 34 Abs 1 Satz 2 LBG (Gesetz über die Landbeschaffung für Aufgaben der Verteidigung). Die materielle Präklusion wurzelt ebenfalls im Verwaltungsverfahren, wirkt aber über die Verwirkung der materiellen Rechtsposition bis auf die Vortragbarkeit vor Gericht13Brandt (Fn. 9), 233, 234. und verbindet entsprechend sinnvoll Verwaltungs- und Klageverfahren.14Jachmann (Fn. 7), S. 6.

Die bedeutsamsten Anwendungsgebiete sind Planungs- und Umweltverfahren mit ihren komplexen nationalen und supranationalen Entscheidungsprogrammen, etwa bei der Errichtung von Windenergieanlagen samt der dazugehörigen Stromnetze oder der Bahninfrastruktur. Dort ringt der Vorhabenträger, regelmäßig interessiert an einer schnellen Entscheidung zur Eingleisung seiner Investitionssicherheit, mit der interessierten Öffentlichkeit, mittendrin suchen die Zulassungsbehörden in einem komplexen nationalem und supranationalem Rechtsrahmen eine einwandfreie Entscheidung.

Präkludiert werden können dabei auch Behörden selbst, etwa über § 73 Abs. 3 a Satz 2 VwVfG oder § 4 a Abs. 6 BauGB, die von der Anhörungsbehörde zu beteiligen sind. Beschleunigungserheblicher ist jedoch die Präklusion von direkt vorhabenbetroffenen Individuen mit eigenen Interessen oder von anerkannten Verbänden, insbesondere Umweltvereinigungen, die den direkt Betroffenen verfahrensrechtlich weitestgehend gleichgestellt sind.15§ 73 Abs. 5 Satz 5, Abs. 6 VwVfG infolge des Gesetzes zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren 2013.

Die Präklusion ordnet dabei die Rollen zwischen Behörden, Vorhabenträger und den Vorhabenbetroffenen/Verbänden, indem Ausschlussfristen dazu anhalten, Bedenken frühzeitig vorzutragen, anstatt Einwände erst am Verfahrensende oder gar danach geltend zu machen; Rechte und Pflichten der Beteiligten werden somit in das rechte Maß gesetzt.16Vgl. Jachmann (Fn. 7), S. 6; Schmidt-Aßmann (Fn. 10), Art. 19 Abs. 4 Rn. 258. Hierdurch erhält die Zulassungsbehörde frühzeitig ein Bild der Belange, um in die Problembewältigung einzusteigen.17Weiß, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 2022, § 73 Rn. 251. Dies dient der Vollständigkeit, Schnelligkeit und Richtigkeit der Verwaltungsentscheidung und vermeidet einen späteren Überraschungsvortrag; das wiederum entlastet die Behörden und steigert Rechts- und Investitionssicherheit.18Brandt (Fn. 9), 233.

Eine Evaluation des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2014 belegte eine Präklusionshäufigkeit bei verfahrensbeteiligten Verbänden in gut einem Drittel der Fälle.19Führ/Schenten/Schreiber/Schulze/Schütte, Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeiten nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, 2014, S. 94. Dieser Wert betrachtet zwar nur Umweltverbände und nicht ausschließlich Verwaltungsverfahren, skaliert als empirischer Ansatzpunkt aber die Relevanz des Verfahrensausschlusses samt entsprechender Verfahrensabkürzung bis vor knapp zehn Jahren.

II. Rechtsprechungsrahmen

Die Bedeutung der Präklusion lässt sich nicht ohne den gerichtlich konkretisierten Anwendungsrahmen ermessen. Die nationale, höchstrichterliche Rechtsprechung attestierte Verfassungsgemäßheit, solange mit Blick auf den effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 19 Abs. 4 GG genug Gelegenheit zur Einwendung bestand und die Fristversäumung selbstverschuldet ist.20Vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 25.05.1996 – 4 A 38/95 –. Sofern Eigentumsrechte des Betroffenen tangiert sind, wurde die Präklusion als zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung i. S. d. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG eingestuft.21Überblick zur Rechtsprechung von BVerfG und BVerwG bei Weiß (Fn. 17), § 73 Rn. 261.

Diese deutsche Einigkeit hielt den EuGH 201522EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C 137/14 –. nicht davon ab, die materielle Präklusion im Anwendungsbereich der UVP-23Richtlinie 2011/92/EU v. 13.12.2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, sog. UVP-RL. und Industrieemissions-Richtline24Richtlinie 2010/75/EU v. 24.11.2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung), sog. IE-RL. „mit dürrenWorten“25So Präsident des BVerwG a. D. Rennert, Übersicht über die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Umweltrecht, 2016, S. 12. als unionsrechtwidrig zu erklären: Das Gericht verwarf die deutsche Regelungstradition26U. a. verkörpert in § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG. aufgrund Verhinderung der Richtlinienziele, deren Ausführungen auf der sog. Aarhus-Konvention27Art. 9 Abs. 2 der sog. Aarhus-Konvention (AK) zum Umweltschutz: „Jede Vertragspartei stellt im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, daß Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit […] Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht […], um die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen […] anzufechten […]“. fußen. Die Präklusionsnormen beeinträchtigten deren grundlegendes Ansinnen des effektiven Rechtsschutzes für Verfahren mit erheblicher Umweltrelevanz, ohne dass dies zu rechtfertigen sei.28EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14 – Rn. 79 f.

Das Urteil wird zu Recht kritisiert29Exemplarisch für die breite Kritik: Durner (Fn. 1), 162, 168 f.; Kahl, JZ 2016, 666, 670; Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2023, § 73 Rn. 58.1.. In handwerklicher Hinsicht lässt aufhorchen, dass sich die Richter der Zweiten Kammer nicht näher mit den gewichtigen Gründen für die Präklusion befassen,30Ebenso Rennert (Fn. 25), S. 12. obwohl diese in komplexen Zeiten weiter an Bedeutung gewinnen. Diese Begründungskargheit findet sich bisweilen auch in Judikaten zum Europäischen Steuerrecht, indem tradierte Steuerinstitute unter knapper Berufung auf die supranationale Vogelperspektive zur Durchsetzung der Niederlassungsfreiheit gestutzt werden.31Vgl. Eisenbarth, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung als Kerngebiet des Europäischen Steuerrechts, 2011. Näher zum Begründungsstil des EuGH, Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, 2004, S. 404 f. Dabei müsste dem Gerichtshof vor dem Hintergrund unterschiedlicher Rechts- und Richterkulturen selbst daran gelegen sein, das eigene Vorgehen im Interesse der Akzeptanz seiner Entscheidungen ausführlich zu begründen32Wobei die Erwartungen an die Urteilserwägungen je nach Rechtskreis durchaus unterschiedlich ausfallen: So sind in Deutschland ausgebildete Juristen umfassendere Begründungen gewohnt als etwa französische. Dementsprechend wird auch der Erwartungshorizont oftmals unterschiedlich sein. und auch zu Kompromissen bereit zu sein. Diese Notwendigkeit ständiger Überzeugungsarbeit gilt für die Gemeinschaftsrichter in erhöhtem Maße, stehen sie doch – je nach Deutungsweise – außerhalb oder gar über den nationalen Gerichtsinstanzen, greifen anhand ihrer Entscheidungen aber einschneidend in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ein.33So auch Hirsch, in: Häberle, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Band 49, 2001, S. 87.

Bemerkenswert bleibt zudem, dass die Präklusion als Bestandteil des autonomen nationalen Verwaltungsverfahrens de jure nur beanstandet werden darf, wenn die Mindeststandards an Äquivalenz oder Effektivität unterschritten sind. Entsprechend wäre systematisch Zurückhaltung geboten und zunächst an eine inhaltliche Korrektur zu denken, bevor gänzlich verworfen wird.34Ebenso Rennert (Fn. 25), S. 12.

Das BVerwG ist in seinen Entscheidungen seit 2016 diesen EuGH-Vorgaben ohne kritischen Diskurs gefolgt.35Beginnend mit BVerwG, Urt. v. 22.10.2015 – 7 C 15/13 –; BVerwG, Urt. v. 22.11.2016 – 9 A 25.15 –. Kritisch hierzu Hildebrandt/Koch, NVwZ 2017, 1099, 1101. Auch der Gesetzgeber hat reagiert und etwa die Nichtanwendbarkeit der materiellen Präklusionswirkung im Anwendungsbereich der UVP- und IE-RL normiert.36Siehe etwa § 7 Abs. 4 UmwRG, der § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG für unanwendbar erklärt. Dabei ist er bemüht, die Auswirkungen möglichst auf Vorhaben, die erhebliche nachteilige Umweltauswirkungen haben können, zu begrenzen. Dennoch markiert die EuGH-Entscheidung eine Zäsur: Im Detail ist seither streitig, ob über die punktuellen Anpassungen hinaus weitere Normen einen Nichtanwendungsbefehl verdienen.37Vgl. Jachmann (Fn. 7), S. 24 ff.; Weiß (Fn. 17), § 73 Rn. 257 ff.

Die Gesamtschau der Kasuistik seit 201738EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14 – (Vertragsverletzungsklage Europäische Kommission/Bundesrepublik Deutschland); EuGH, Urt. v. 20.12.2017 – C-664/15 – (Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation); EuGH, Urt. v. 14.01.2021 – C-826/18 – (Stichting Varkens in Nood). Guter Überblick samt treffender Bewertung bei Lorenzen, NVwZ 2022, 674; im Detail zu den Urteilen 2015 und 2017 siehe Durner (Fn. 1), 162, 165 ff. lässt indes erkennen, dass die strikte Ablehnung von materiellen Präklusionsregeln auf Vorhaben mit erheblichen Umweltauswirkungen39Art. 9 Abs. 2 AK, also Umweltvorhaben mit erheblichen Auswirkungen, wie sie in Anhang 1 zu AK aufgezählt sind. beschränkt bleibt.40Lorenzen (Fn. 38), 674, 678. Außerhalb dieses Kerns erwägt der EuGH, in Übereinstimmung mit seiner sonstigen Dogmatik, die rechtfertigende Abwägung mit anderen Rechtsgrundsätzen.41Lorenzen (Fn. 38), 674, 678. Das Gericht anerkennt für diese sonstigen Vorhaben ohne erhebliche Umweltrelevanz42Vorhaben im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 AK., dass Präklusionsvorschriften hilfreich sein können, um streitige Punkte bereits im Verwaltungsverfahren zu identifizieren, sodass sich eine Klage erübrigt, oder zum Schutze der Rechte anderer notwendig sind43Etwa wenn sich Betroffene im Verwaltungsverfahren gar nicht beteiligen und ihnen dies vorwerfbar ist.; aber auch hier steht die materielle Präklusion insbesondere unter Verhältnismäßigkeitsvorbehalt.44Beginnend mit EuGH, Urt. v. 20.12.2017 – C-664/15 – Rn. 90; siehe Analyse von Durner (Fn. 1), 162, 194 ff. und klarstellend deutlich in EuGH, Urt. v. 14.01.2021 – C-826/18 – Rn. 63 ff.; siehe zutreffende Betrachtung von Lorenzen (Fn. 38), 674, 678 f.

[…]

Den vollständigen Beitrag entnehmen Sie den Verwaltungsblättern für Baden-Württemberg Heft 2/2024, S. 45 ff.

 

Prof. Dr. Markus Eisenbarth

Professor für Öffentliches Recht an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl
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  • 1
    Roth, ZRP 2022, 82. Durner spricht von „ständig neuen Prüfpflichten und deren akribische gerichtliche Kontrolle“, die die Genehmigungsbehörden überfordern und sieht hierin die „Hauptursachen für die überlange Dauer der deutschen Zulassungsverfahren“, VerwArch 2020, 162, 186. Das im November 2023 beschlossene Maßnahmepaket zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich, BT-Drs. 20/6879, versucht über eine Vierjahresfrist für Planfeststellungsverfahren bei transeuropäischen Verkehrsprojekten raschere Umsetzungsläufe im FStrG, AEG, LuftVG und WaStrG zu implementieren.
  • 2
    Koalitionsvertrag 2021 „Mehr Fortschritt wagen“, S. 13: „Wir wollen eine wirksame und unionsrechtlich zulässige Form der materiellen Präklusion einführen“.
  • 3
    Ein Überblick über die bisherige Beschleunigungsgesetzgebung findet sich bei Roth (Fn. 1).
  • 4
    Gesetz zur Beschleunigung von verwaltungsgerichtlichen Verfahren im Infrastrukturbereich, BGBl. I 2023, Nr. 71. Hierzu Bier/Bick, NVwZ 2023, 457 ff.
  • 5
    Scheffczyk, NordÖR 2023, 177, 179 f.
  • 6
    Kritisch u. a. die Stellungnahme 47/2022 des Deutschen Anwaltsvereins, S. 11 f. sowie der Neuen Richtervereinigung 09/2022, S. 6 f.
  • 7
    Jachmann, in: Tietje, Beiträge zum Europa- und Völkerrecht, Heft 17, 2019: Das Ende der materiellen Präklusion: Die Entscheidung des EuGH v. 15.10.2015 (C-137/14) und die Reaktionen des deutschen Gesetzgebers.
  • 8
    Vgl. Jachmann (Fn. 7), S. 6; Durner (Fn. 1), 162, 164.
  • 9
    Einen guten Überblick zu den Ausprägungen der Präklusion im Verwaltungsverfahren bietet Brandt, NVwZ 1997, 233.
  • 10
    Schmidt-Aßmann, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG-Kommentar, 2022, Art. 19 Abs. 4 Rn. 259.
  • 11
    Etwa im § 4 a Abs. 6 BauGB.
  • 12
    Etwa § 43 Abs. 4 EnWG oder § 17 Abs. 1 Satz 5 FStrG. Es verbleiben aber auch eigene Sonderregelungen wie in § 55 Abs. 2 Satz 2 LBO BW oder im aktuellen Krisenkontext erwähnenswert, der § 34 Abs 1 Satz 2 LBG (Gesetz über die Landbeschaffung für Aufgaben der Verteidigung).
  • 13
    Brandt (Fn. 9), 233, 234.
  • 14
    Jachmann (Fn. 7), S. 6.
  • 15
    § 73 Abs. 5 Satz 5, Abs. 6 VwVfG infolge des Gesetzes zur Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Vereinheitlichung von Planfeststellungsverfahren 2013.
  • 16
    Vgl. Jachmann (Fn. 7), S. 6; Schmidt-Aßmann (Fn. 10), Art. 19 Abs. 4 Rn. 258.
  • 17
    Weiß, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, 2022, § 73 Rn. 251.
  • 18
    Brandt (Fn. 9), 233.
  • 19
    Führ/Schenten/Schreiber/Schulze/Schütte, Evaluation von Gebrauch und Wirkung der Verbandsklagemöglichkeiten nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz, 2014, S. 94.
  • 20
    Vgl. etwa BVerwG, Urt. v. 25.05.1996 – 4 A 38/95 –.
  • 21
    Überblick zur Rechtsprechung von BVerfG und BVerwG bei Weiß (Fn. 17), § 73 Rn. 261.
  • 22
    EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C 137/14 –.
  • 23
    Richtlinie 2011/92/EU v. 13.12.2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, sog. UVP-RL.
  • 24
    Richtlinie 2010/75/EU v. 24.11.2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung), sog. IE-RL.
  • 25
    So Präsident des BVerwG a. D. Rennert, Übersicht über die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Umweltrecht, 2016, S. 12.
  • 26
    U. a. verkörpert in § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG.
  • 27
    Art. 9 Abs. 2 der sog. Aarhus-Konvention (AK) zum Umweltschutz: „Jede Vertragspartei stellt im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, daß Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit […] Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht […], um die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen […] anzufechten […]“.
  • 28
    EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14 – Rn. 79 f.
  • 29
    Exemplarisch für die breite Kritik: Durner (Fn. 1), 162, 168 f.; Kahl, JZ 2016, 666, 670; Kämper, in: Bader/Ronellenfitsch, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2023, § 73 Rn. 58.1.
  • 30
    Ebenso Rennert (Fn. 25), S. 12.
  • 31
    Vgl. Eisenbarth, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung als Kerngebiet des Europäischen Steuerrechts, 2011. Näher zum Begründungsstil des EuGH, Röthel, Normkonkretisierung im Privatrecht, 2004, S. 404 f.
  • 32
    Wobei die Erwartungen an die Urteilserwägungen je nach Rechtskreis durchaus unterschiedlich ausfallen: So sind in Deutschland ausgebildete Juristen umfassendere Begründungen gewohnt als etwa französische. Dementsprechend wird auch der Erwartungshorizont oftmals unterschiedlich sein.
  • 33
    So auch Hirsch, in: Häberle, Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Band 49, 2001, S. 87.
  • 34
    Ebenso Rennert (Fn. 25), S. 12.
  • 35
    Beginnend mit BVerwG, Urt. v. 22.10.2015 – 7 C 15/13 –; BVerwG, Urt. v. 22.11.2016 – 9 A 25.15 –. Kritisch hierzu Hildebrandt/Koch, NVwZ 2017, 1099, 1101.
  • 36
    Siehe etwa § 7 Abs. 4 UmwRG, der § 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG für unanwendbar erklärt.
  • 37
    Vgl. Jachmann (Fn. 7), S. 24 ff.; Weiß (Fn. 17), § 73 Rn. 257 ff.
  • 38
    EuGH, Urt. v. 15.10.2015 – C-137/14 – (Vertragsverletzungsklage Europäische Kommission/Bundesrepublik Deutschland); EuGH, Urt. v. 20.12.2017 – C-664/15 – (Protect Natur-, Arten- und Landschaftsschutz Umweltorganisation); EuGH, Urt. v. 14.01.2021 – C-826/18 – (Stichting Varkens in Nood). Guter Überblick samt treffender Bewertung bei Lorenzen, NVwZ 2022, 674; im Detail zu den Urteilen 2015 und 2017 siehe Durner (Fn. 1), 162, 165 ff.
  • 39
    Art. 9 Abs. 2 AK, also Umweltvorhaben mit erheblichen Auswirkungen, wie sie in Anhang 1 zu AK aufgezählt sind.
  • 40
    Lorenzen (Fn. 38), 674, 678.
  • 41
    Lorenzen (Fn. 38), 674, 678.
  • 42
    Vorhaben im Anwendungsbereich des Art. 9 Abs. 3 AK.
  • 43
    Etwa wenn sich Betroffene im Verwaltungsverfahren gar nicht beteiligen und ihnen dies vorwerfbar ist.
  • 44
    Beginnend mit EuGH, Urt. v. 20.12.2017 – C-664/15 – Rn. 90; siehe Analyse von Durner (Fn. 1), 162, 194 ff. und klarstellend deutlich in EuGH, Urt. v. 14.01.2021 – C-826/18 – Rn. 63 ff.; siehe zutreffende Betrachtung von Lorenzen (Fn. 38), 674, 678 f.
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