15.04.2024

Verkehrssicherungspflicht der Waldbesitzenden entlang von Bahnlinien

Neue Regelungen im Allgemeinen Eisenbahngesetz

Verkehrssicherungspflicht der Waldbesitzenden entlang von Bahnlinien

Neue Regelungen im Allgemeinen Eisenbahngesetz

Ein Beitrag aus »Die Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Die Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz« | © emmi - Fotolia / RBV

Durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften im Eisenbahnbereich vom 09.06.2021 (BGBl. I S. 1730), das am 01.07.2021 in Kraft trat, ist erstmalig eine gesetzliche Grundlage für die Vegetationskontrolle entlang von Schienenwegen geschaffen worden. Bedingt durch Extremwetterereignisse kommt es in jüngerer Zeit vermehrt zu Baumstürzen, die Schienenwege blockieren oder Oberleitungen und Signalanlagen zerstören. Durch die Neuregelungen in § 24 und § 24 a Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG) sollen insbesondere von Grundstücken Privater ausgehende vegetationsbedingte Störungen des Betriebsablaufs verringert werden.

Verkehrssicherungspflicht nach § 24 AEG

Der Gesetzgeber sieht die Notwendigkeit, die bestehenden Pflichten der Verkehrssicherungspflichtigen von Grundstücken entlang von Bahnlinien innerhalb eines sicherheitsrelevanten Bereichs als öffentlich-rechtliche Pflicht im AEG zu konkretisieren. Nach § 24 AEG ist derjenige, der die Verfügungsgewalt über ein Grundstück besitzt, verpflichtet, auf dem Grundstück innerhalb eines 50 m breiten Streifens beidseits entlang der Gleise, gemessen von der Gleismitte des außen liegenden Gleises, die geeigneten, erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zu treffen, um Gefahren für die Sicherheit des Schienenverkehrs durch umsturzgefährdete Bäume, herausbrechende oder herabstürzende Äste oder sonstige Vegetation abzuwehren.

Ausweislich der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung (BT-Drs. 19/ 27671, S. 26) bildet § 24 Satz 1 Nr. 1 AEG die im Richterrecht über Jahrzehnte entwickelte bestehende Rechtslage der zivilrechtlichen Verkehrssicherungspflicht eins zu eins ab. Die Verkehrssicherungspflicht erfordert nicht die Beseitigung jeder potenziellen Gefahr, sondern nur von konkreten Gefahren. Insbesondere besteht keine Verpflichtung zur Entfernung von gesunden Bäumen, nur, weil sie z. B. einer naturbedingt vergleichsweise bruchgefährdeteren Baumart angehören. Die Tiefe des relevanten Grundstücksstreifens entspricht mit 50 m in etwa dem 1,5-fachen der durchschnittlichen Höhe der gängigen Baumarten.


Befugnisse der Eisenbahninfrastrukturunternehmen nach § 24 a AEG

Mit § 24 a AEG werden rechtliche Handlungsmöglichkeiten der Eisenbahninfrastrukturunternehmen ähnlich der bereits bestehenden Möglichkeiten der Straßenbaulastträger geschaffen.

Unbeschadet der Verpflichtung des nach § 24 AEG verkehrssicherungspflichtigen Grundeigentümers sind Schienenwege betreibende Unternehmen nach § 24 a Abs. 1 Satz 1 AEG berechtigt, die Baumbestände in angemessenen zeitlichen Abständen auf Gefahren für die Sicherheit des Schienenverkehrs zu sichten (Inspektions-/Sichtungsrecht). Im Sinne der Stärkung eines präventiven Ansatzes der Vegetationskontrolle soll die Sichtung der Baumbestände gem. § 24 a Abs. 1 Satz 2 AEG auch auf solche Bäume hin erfolgen, aufgrund derer eine Gefährdung der Sicherheit des Schienenverkehrs noch nicht besteht, aber zu besorgen ist (sog. „Sorgenbäume“).

Gegenüber dem Gesetzentwurf der Bundesregierung ist die ursprünglich vorgesehene spezifische Verpflichtung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen zur regelmäßigen Sichtung der Vegetation auf Drittgrundstücken entfallen und in § 24 a Abs. 1 AEG durch eine allgemeine Befugnis ersetzt worden. Die Änderung des Gesetzentwurfs ging auf eine Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (BT-Drs. 19/28828, S. 15) zurück. Damit wurde aus der Perspektive der Waldbesitzenden eine maßgebliche Zielsetzung des Gesetzgebungsverfahrens verfehlt.

Nach § 24 a Abs. 2 AEG sind Schienenwege betreibende Unternehmen berechtigt, Grundstücke zum Zweck der Sichtung zu betreten (Betretungsrecht mit Vorankündigung). Dies ist dem Besitzer mind. 14 Tage vorher ortsüblich anzuzeigen und es ist ihm Gelegenheit einzuräumen, bei den Sichtungen anwesend zu sein. Vormals war eine Vegetationskontrolle aufgrund des fehlenden Betretungsrechts nur von den Gleisen aus möglich. Das bloße Betreten des Grundstücks stellt keinen unzulässigen Eigentumseingriff in Art. 14 GG dar, da damit keine spürbare Nutzungseinschränkung verbunden ist (BT-Drs. 19/27671, S. 28).

Aus Gründen der Nachvollziehbarkeit ist gem. § 24 a Abs. 3 AEG das Ergebnis der Vegetationskontrolle in geeigneter Weise zu dokumentieren und dem Verkehrssicherungspflichtigen unabhängig vom Ergebnis zugänglich zu machen (Dokumentations- und Hinweispflicht). Sofern Gefahren für die Sicherheit des Schienenverkehrs festgestellt werden, haben die Schienenwege betreibenden Unternehmen diese Gefahren dem nach § 24 AEG Verkehrssicherungspflichtigen unverzüglich anzuzeigen und ihn auf seine Verkehrssicherungspflicht hinzuweisen. Aus der bloßen Anzeige erwächst keine rechtliche Verpflichtung. Die Anzeige hat, ausweislich der Gesetzesbegründung (a. a. O., S. 29), lediglich deklaratorischen Charakter. Sie soll denjenigen, der die Verfügungsgewalt über ein Grundstück hat, an seine Verkehrssicherungspflicht erinnern und auf diese Weise dazu beitragen, dass er die erforderlichen Schutzmaßnahmen im eigenen Interesse durchführt.

§ 24 a Abs. 4 AEG berechtigt Eisenbahninfrastrukturunternehmen bei Gefahr im Verzug zur unverzüglichen Gefahrenbeseitigung (Ersatzvornahmerecht bei Gefahr im Verzug). Nach der Gesetzesbegründung (a. a. O.) liegt Gefahr im Verzug vor, wenn das Eisenbahninfrastrukturunternehmen davon ausgehen muss, dass eine unmittelbare Gefahr für die Sicherheit des Schienenverkehrs besteht. Soweit der Verantwortliche bereit ist, die Gefahr selbst ohne schuldhaftes Verzögern zu beseitigen, überlässt ihm das Eisenbahninfrastrukturunternehmen die Durchführung der erforderlichen Maßnahmen. Ist der Verantwortliche nicht erreichbar oder verweigert er seine Zustimmung, nimmt das Eisenbahninfrastrukturunternehmen die Beseitigung unverzüglich vor. Als Eigentumseingriff sind die Maßnahmen schonend und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit durchzuführen. Das Eisenbahninfrastrukturunternehmen hat das mildeste geeignete Mittel zu wählen (vgl. BT-Drs. 19/27671, S. 30).

Die Beseitigung der von umsturzgefährdeten Bäumen ausgehenden Gefahr erfolgt entsprechend der allgemeinen zivilrechtlichen Ansprüche nach §§ 677, 683 BGB auf Kosten des Eigentümers oder Besitzers. Aus diesem Grund besteht kein Ersatzanspruch hinsichtlich der entgangenen Zuwachsleistung beseitigter Bäume. Die eingeschlagenen Bäume sind dem Eigentümer oder Besitzer des Grundstücks zu belassen. Ersatzansprüche des Eigentümers oder Besitzers bestehen nur für Beschädigungen von Eigentum, die durch eine unsachgemäße Durchführung einer notwendigen Maßnahme entstanden sind.

Änderung des Waldbegriffs

Durch Art. 4 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften im Eisenbahnbereich vom 09.06.2021 ist in § 2 Abs. 2 BWaldG der Waldbegriff geändert worden. Mit Forstpflanzen bestockte Grundflächen auf Schienenwegen und – nach näheren Kriterien bestimmt – beidseits der Schienenwege sind kein Wald im Sinne des Gesetzes. Damit finden u. a. die Regelungen zur Erhaltung des Waldes (Notwendigkeit einer forstrechtlichen Genehmigung) keine Anwendung. Die Gesetzesänderung geht auf die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur (BT-Drs. 19/28828) zurück.

Die Bundesregierung (BT-Drs. 19/27671, S. 44 f.) stellt auf die Prüfungsbitte des Bundesrats fest, dass der geänderte Waldbegriff im BWaldG für den landesrechtlichen Waldbegriff und die landesrechtlichen Bestimmungen, die diesen oder den bundesrechtlichen Waldbegriff in Bezug nehmen, maßgeblich ist. Wenn der Bundesgesetzgeber den Katalog der in § 2 Abs. 2 BWaldG genannten Flächen, mithin der Flächen, die kein Wald im Sinne des BWaldG sind, erweitert, verneint er für diese Flächen bundeseinheitlich die Waldeigenschaft. Die Länder sind nicht befugt, die in § 2 Abs. 2 BWaldG bezeichneten Flächen aufgrund der Ermächtigung des § 2 Abs. 3 Alt. 1 BWaldG dem Wald (wieder) zuzurechnen.

Entnommen aus der Gemeindeverwaltung Rheinland-Pfalz Heft 11/2023, Rn. 107.

 

Dr. Stefan Schäfer

Forst- und Pressereferent des Gemeinde- und Städtebundes Rheinland-Pfalz
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