29.04.2024

Ein ungewöhnliches Testament

Erbeinsetzung auf einem Kneipenblock

Ein ungewöhnliches Testament

Erbeinsetzung auf einem Kneipenblock

Die Verwendung von ungewöhnlichem Schreibpapier spricht nicht per se gegen einen ernsthaften Testierwillen. | ©rsester  - stock.adobe.com
Die Verwendung von ungewöhnlichem Schreibpapier spricht nicht per se gegen einen ernsthaften Testierwillen. | ©rsester - stock.adobe.com

Das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg hatte einen ungewöhnlichen Fall einer Erbeinsetzung zu beurteilen und zu entscheiden. Das handschriftlich gefertigte Testament des Erblassers war auf einem Kneipenblock handschriftlich niedergeschrieben. Es enthielt lediglich die Namen des Erblassers und der Erbin, das Datum und zwei Worte. Trotz der ungewöhnlichen Form erfüllt dieses Testament alle Kriterien, die eine rechtsgültige Erbeinsetzung stellen sind. Das Gericht hat seinem Beschluss vom 20.12.2024 (3 W 96/23) folgenden amtlichen Leitsatz vorangestellt:

„Die Verwendung von ungewöhnlichem Schreibpapier (hier: Kneipenblock) spricht nicht per se gegen einen ernsthaften Testierwillen.

Es steht im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts, zur Bewertung der Echtheit eines handschriftlichen Testaments, einen Schriftsachverständigen hinzuzuziehen oder im Rahmen eigener vorhandener Sachkunde den Schriftvergleich selbst durchzuführen.


Bei der Bewertung des Testierwillens können auch außerhalb der Urkunde liegende Umstände berücksichtigt werden (z.B. Auffindesituation, Äußerungen des Erblassers unmittelbar von Testamentserrichtung), über die ggf. gesondert Beweis zu erheben ist.“

Das Gericht hat in der Pressemitteilung vom 13.03.2024 auf diesen außergewöhnlichen Fall hingewiesen. Dem entschiedenen Fall lag folgender Sachverhalt zugrunde: Verstorben war ein Gastwirt aus Ostfriesland. Seine Partnerin sah sich als Erbin und beantragte die Erteilung eines Erbscheins. Als Testament legte sie dem Gericht einen Kneipenblock vor, den sie im Gastraum hinter der Theke gefunden habe. Dort war unter Angabe des Datums und einer Unterschrift auch der Spitzname der begünstigten Person (in der veröffentlichen Fassung des Beschlusses: „BB“) genannt. Auf dem Zettel hieß es lediglich: „BB kriegt alles„. Das Amtsgericht als Nachlassgericht hatte die Partnerin des Erblassers nicht als Erbin anerkannt. Es hatte die Auffassung vertreten, dass nicht sicher feststellbar sei, dass mit dem Kneipenblock ein Testament errichtet werden sollte. Daher fehle der für ein Testament erforderliche Testierwille. Der auf das Erbrecht spezialisierte dritte Zivilsenat des Oberlandesgerichts gelangte zu einer anderen Bewertung.

Der Erblasser war nicht verheiratet und hatte keine Nachkommen. Seine Eltern und seine Schwester, der einzige Geschwisterteil, waren vorverstorben. Die Schwester des Erblassers hatte vier Kinder, die Beteiligte in dem Nachlassverfahren waren. Nach den Feststellungen des Gerichts kannten sich die BB und der Erblasser seit 1985. Die BB führte zu der Zeit ein Lokal, der Erblasser betrieb eine Landwirtschaft. 1991 verstarb der Ehemann der BB und aus der Freundschaft des Erblassers mit ihr entwickelte sich eine Partnerschaft, wobei beide bis zum Tode des Erblassers keine gemeinsame Wohnung bewohnten. Nach finanziellen Problemen der BB erwarb der Erblasser das Lokal im Jahr 1994 und führte es fortan zunächst neben der Landwirtschaft und ab 2012 ausschließlich. Die BB war weiterhin im Lokal tätig. Zwischen dem Erblasser, seiner 2020 verstorbenen Schwester und deren Kindern bestand zuletzt nur selten Kontakt. Der Erblasser verstarb 2022. Die BB legte dem Nachlassgericht einen Notizzettel einer Brauerei vor, auf dem regelmäßig die Bestellungen in der Gastronomie notiert wurden. Auf dem Notizzettel ist vermerkt „BB kriegt alles AA 04.12.22„.

Die BB hatte erstinstanzlich vorgetragen, dass es sich bei dem Zettel um das von dem Erblasser selbst und mit Testierwillen handschriftlich verfasste Testament handele. Sie habe es im Gastraum hinter der Theke gefunden, an dem der Erblasser auch nicht bezahlte Rechnungen der Gäste („Deckel“) verwahrt habe. Die Antragstellerin des Erbscheines heißt mit Vornamen BB. Der Erblasser habe sie zu Lebzeiten immer „“BB“ genannt. Eine andere BB habe er nicht gekannt.

Das Nachlassgericht hatte die Erteilung eines Erbscheins angekündigt, wonach die Kinder der vorverstorbenen Schwester Miterben nach dem Erblasser geworden seien. Es greife die gesetzliche Erbfolge. Der auf den 04.12.2022 datierte Zettel stelle kein wirksames Testament dar. Ein Testierwille des Erblassers sei nicht feststellbar. Darüber hinaus fehle es an einer ausreichenden Konkretisierung der „BB“, so dass nicht sicher festgestellt werden könne, ob die BB wirklich gemeint gewesen sei. Da ein Testierwille nicht feststellbar sei und ein möglicher Erbe nicht hinreichend zu konkretisieren sei, könne die Echtheit des Schreibens dahingestellt bleiben.

Die BB wandte sich gegen die angekündigte Erteilung eines Erbscheins zugunsten der Kinder der verstorbenen Schwester des Erblassers und erhob form- und fristgerecht Beschwerde. Der Zettel erfülle Mindestanforderungen eines Testaments. Die Auslegung ergebe, dass der Erblasser den Text mit Testierwillen verfasst habe. Hinsichtlich der Wortwahl müsse berücksichtigt werden, dass der Erblasser keinen hohen Bildungsgrad erworben habe. Das Abfassen von Briefen und Schreiben habe ihm nicht gelegen. Mit BB habe er sie gemeint. Am Nachmittag des 04.12.2022, einem Sonntag, habe der Erblasser die erkrankte BB zu Hause besucht. Die Tochter der BB, die vom Gericht befragte Zeugin, sei hinzugekommen. In diesem Rahmen habe der Erblasser erneut den Wunsch geäußert, dass die BB in beerben solle. Hierauf habe die Zeugin gesagt, dass er dies dann aber auch aufschreiben müsse.

Das OLG hat die erstinstanzliche Entscheidung, wonach die Kinder der vorverstorbenen Schwester Miterben geworden seien, aufgeboben und die Verfügung des Erblassers als dessen vollgültigen letzten Willen anerkannt. In den Gründen des Beschlusses hat das Gericht u.a. folgende Feststellungen getroffen:

„Im Erbscheinsverfahren wird die Gültigkeit eines Testaments nach §§ 2358 Abs. 1 BGB, 26 FamFG von Amts wegen geprüft. Soll ein Erbschein erteilt werden, muss nicht nur der erbrechtliche Charakter der Erklärung, sondern auch deren Echtheit und Eigenhändigkeit zur Überzeugung des Gerichts feststehen.

Da eine absolute Gewissheit der Echtheit eines Testaments im naturwissenschaftlichen Sinne fast nie zu erreichen und die theoretische Möglichkeit des Gegenteils der Tatsache, die festgestellt werden soll, kaum auszuschließen ist, genügt für die richterliche Überzeugung nach herrschender Rechtsprechung insoweit ein für das praktische Leben brauchbarer Grad von Gewissheit, der vernünftige Zweifel ausschließt. Eine solche Gewissheit liegt auch in Amtsverfahren – wie dem Erbscheinsverfahren – vor, wenn diese einen Grad erreicht hat, „der den Zweifeln Einhalt gebietet“, ohne sie völlig ausschließen zu können (…). Es reicht daher aus, wenn das zur Entscheidung im Erkenntnisverfahren berufene Gericht nach diesen Grundsätzen keine „vernünftigen Zweifel“ an der Echtheit des Testaments hat.

Im Hinblick auf die „Beweislast“ ist festzuhalten, dass das Erbscheinsverfahren eine subjektive Beweislast (Beweisführungslast) als ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit wegen des hier geltenden Untersuchungsgrundsatzes (§ 26 FamFG, § 2358 Abs. 1 BGB) nicht kennt (…). Indes gibt es auch hier eine objektive Beweislast (Feststellungslast), die bestimmt, wie zu entscheiden ist, wenn die gebotenen, zur Feststellung einer erheblichen Tatsache durchgeführten Ermittlungen zu keinem Erfolg geführt haben. Ihre Verteilung richtet sich nach materiellem Recht (…).

Dies folgt bereits aus dem allgemeinen Grundsatz, dass derjenige, der Rechte beansprucht, auch den Beweis für ihre Entstehung zu liefern hat, dies ergibt sich aber auch aus § 440 Abs. 1 ZPO. Während § 416 ZPO nur für Urkunden gilt, deren Echtheit feststeht, hat danach derjenige die Echtheit einer gemäß § 439 ZPO nicht als echt anerkannten Urkunde zu beweisen, der sie behauptet. Daran ändert auch der nachlassrechtliche Amtsermittlungsgrundsatz nichts. Da die Beweise danach vom Nachlassgericht nur von Amts wegen einzuholen sind, bewirkt er lediglich, dass die dort nicht gegebene Beweisbelastung des Testamentserben für die sein Erbrecht begründenden Tatsachen, also auch die Echtheit des Testaments, zu der daraus folgenden Feststellungslast wird, d. h., dass ihn die Nachteile aus einer eventuellen Unaufklärbarkeit des Erbrechts treffen (…).“

Das Gericht hat sodann die einzelnen Elemente der Verfügung des Erblassers geprüft und ist zu folgenden Feststellungen gekommen:

„a) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Senat davon überzeugt, dass die auf den 04.12.2022 datierte Verfügung von dem Erblasser stammt und nicht etwa eine Unaufklärbarkeit der Echtheit vorliegt, die sich zu Lasten der Antragstellerin auswirken würde. Vernünftige Zweifel an der Urheberschaft der Verfügung auf dem Zettel bestehen nicht.“

„b) Die Mindestvoraussetzungen eines eigenhändigen Testaments erfüllt das Schreiben. Verlangt wird ausschließlich die eigenhändige Abfassung und die Unterschrift (§ 2247 Abs. 1 BGB). Beides ist erfüllt. Darüber hinaus wurden mehrere sog. Soll-Voraussetzungen für ein wirksames eigenhändiges Testament erfüllt. Die Unterschrift wurde mit Vor- und Nachnamen geleistet und das Schreiben wurde datiert (§ 2247 Abs. 2, 3 BGB).“

„c) Die Beteiligte zu 1) wurde in dem Schriftstück ausreichend bestimmt bezeichnet. Soweit, wie hier, ein Erbe nicht eindeutig bezeichnet wurde, ist im Wege der Auslegung zu ermitteln, wen der Erblasser konkret einsetzen wollte. Hierbei hat eine am Erblasserwillen orientierte Auslegung zu erfolgen, die ihre Grenzen im Bestimmtheitsgebot der Anordnung findet (…). Nach Anhörung aller Beteiligter und Vernehmung der Zeugin GG ist der Senat davon überzeugt, dass der Erblasser die Beteiligte zu 1) mit der von ihm verwandten Abkürzung „BB“ meinte. Die Beteiligte zu 1) heißt mit Vornamen BB und wurde von dem Erblasser in den letzten 30 Jahren durchgehend als BB bezeichnet. Dies bestätigten auch die Beteiligten zu 2) – 5), die sie ebenfalls BB nennen. Nach der glaubhaften Angabe der Beteiligten zu 1) kannte der Erblasser auch keine andere BB. Eine weitere dem Erblasser bekannte Person, die BB heißt, konnten die weiteren Beteiligten im Übrigen auch nicht benennen.“

„d) Der Erblasser hat das Schriftstück vom 04.12.2022 auch mit einem ausreichenden Testierwillen verfasst.

Ein Schriftstück, welches die formalen Voraussetzungen des § 2247 BGB erfüllt, kann immer nur dann als letztwillige Verfügung gelten, wenn sie auf einem ernsten Testierwillen des Erblassers beruht (…). Der Testierwille grenzt das Testament von Entwürfen, der bloßen Ankündigung der Errichtung eines Testaments oder sonstigen Schriftstücken, die keine letztwillige Verfügung darstellen sollen, ab. Demnach muss außer Zweifel stehen, dass der Erblasser die von ihm erstellte Urkunde als rechtsverbindliche letztwillige Verfügung angesehen hat oder zumindest das Bewusstsein hatte, die Urkunde könne als Testament angesehen werden (…). Gegebenenfalls ist dies durch Auslegung sowie Würdigung der Umstände des Einzelfalls und Zugrundelegung der allgemeinen Lebenserfahrung zu erforschen (…). Strenge Anforderungen an den Nachweis des Testierwillens sind zu stellen, wenn die Form des Schriftstücks nicht den für Testamente üblichen Gepflogenheiten entspricht (…) oder das Original nicht sogfältig aufbewahrt wird. Alleine der Umstand, dass das formgültige Schriftstück sich auf einer ungewöhnlichen Unterlage befindet (zB Notizzettel, Briefumschlag), lässt allerdings nicht den zwingenden Schluss zu, dass es sich bei dem Schriftstück nur um einen Entwurf handelte (…) oder dass dieses keine verbindliche letztwillige Verfügung darstelle (…).

Unter Beachtung dieses Maßstabes ist der Senat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme und der persönlichen Anhörung der Beteiligten zu 1) davon überzeugt, dass der Erblasser das Schriftstück vom 04.12.2022 mit Testierwillen errichtete.“

Nach den Kriterien, die das Gericht zur Beurteilung der letztwilligen Verfügung des Erblassers zugrunde legte, war die Notiz auf dem Kneipenblock als vollgültiges Testament zu bewerten. Kürzer als in diesem Fall beschrieben, kann ein vollgültiges Testament wohl nicht verfasst werden. Die eigentliche Verfügung, der letzte Wille des Erblassers besteht aus zwei Worten „.. erhält alles …“.

 

Heinrich Albers

Beigeordneter beim Niedersächsischen Landkreistag a. D., Sarstedt
n/a