13.02.2023

Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis gegenüber einer als Rechtsextremist eingestuften Person

VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 4.7.2022 – 6 S 988/22

Widerruf einer waffenrechtlichen Erlaubnis gegenüber einer als Rechtsextremist eingestuften Person

VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 4.7.2022 – 6 S 988/22

Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Neues Polizeiarchiv« | © emmi - Fotolia / RBV

Sachverhalt:

Der Antragsteller begehrte im vorläufigen Rechtsschutzverfahren die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 24.3.2022 gegen den Bescheid des Landratsamts vom 11.3.2022 anzuordnen bzw. wiederherzustellen.

Mit vorgenanntem Bescheid hat das Landratsamt – von Gesetzes wegen sofort vollziehbar – die dem Antragsteller erteilten Waffenbesitzkarten widerrufen (Ziff. 1 des Bescheids) sowie – unter Anordnung der sofortigen Vollziehung (Ziff. 6) – die Überlassung verschiedener Waffen des Antragstellers an einen Berechtigten oder deren Unbrauchbarmachung (Ziff. 4) und die Einbehaltung bzw. Rückgabe ihm erteilter Waffenbesitzkarten verfügt (Ziff. 5).


Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass der Antragsteller strafrechtlich in Erscheinung getreten sei, bis ins Jahr 2019 mehrfach an Veranstaltungen der rechtsextremistischen Deutschen Liga für Volk und Heimat (DLVH) teilgenommen habe, im Jahr 2014 bei einer Kreistagswahl für diese kandidiert habe und an rechtsextremistischen Stammtischen einer Person, die unter anderem baden-württembergischer Landesvorsitzender der NPD gewesen sei, teilgenommen habe. Die DLVH werde von Funktionären der NPD beherrscht und verfolge selbst verfassungsfeindliche Ziele. Es fehle sowohl nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG als auch nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 lit. a) aa) i.V.m. Nr. 3 lit. c) WaffG an der erforderlichen waffenrechtlichen Zuverlässigkeit.

Das Verwaltungsgericht Freiburg lehnte den Antrag des Antragstellers ab. Auf die Beschwerde des Antragstellers wurde der Beschluss des Verwaltungsgericht Freiburg abgeändert und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 24.3.2022 gegen den Bescheid des Landratsamts vom 11.3.2022 hinsichtlich dessen Ziffer 1 angeordnet und hinsichtlich dessen Ziffern 4 und 5 wiederhergestellt.

WaffG – §§ 4 Abs. 1 Nr. 2, 5 Abs. 1 Nr. 2, 5 Abs. 2 Nr. 3, 45 Abs. 2 Satz 1

1. Allein die Einstufung als Rechtsextremist durch das Landesamt für Verfassungsschutz rechtfertigt nicht die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG.

2. Es bleibt offen, ob die bloße Teilnahme an einer von einer Vereinigung im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 lit. b) WaffG organisierten Veranstaltung bereits eine Unterstützungshandlung im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 lit. c) WaffG darstellt.

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (Beschl. v. 4.7.2022 – 6 S 988/22 – Verlags-Archiv Nr. 22-11-08)

Aus den Gründen:

Die im Rahmen des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung ergibt ein Überwiegen des Aussetzungsinteresses des Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung der angegriffenen Verfügung. Denn an deren Rechtmäßigkeit bestehen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats durchgreifende Bedenken.

Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG ist eine Erlaubnis nach dem Waffengesetz zu widerrufen, wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen. Die Erteilung einer Erlaubnis setzt nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG unter anderem voraus, dass der Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit besitzt. Vorliegend liegen bei summarischer Prüfung weder hinreichende Anhaltspunkte für eine (absolute) Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG noch für eine Unzuverlässigkeit aufgrund der Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG vor.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist, weil bzw. solange eine Entscheidung über den Widerspruch des Antragstellers aussteht, der Zeitpunkt der Beschlussfassung des Senats.

Die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) – c) WaffG Personen nicht, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie Sorgfaltsanforderungen für den Umgang mit Waffen und Munition nicht beachten werden, etwa diese Gegenstände missbräuchlich oder leichtfertig verwenden, nicht sorgfältig verwahren oder nicht berechtigten Personen überlassen werden.

Über die waffenrechtliche Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG ist aufgrund einer Prognose des künftigen Verhaltens zu entscheiden, an die keine überhöhten Anforderungen gestellt werden dürfen. Maßstabsbildend ist der Gesetzeszweck. Dieser besteht darin, die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, auf ein Mindestmaß zu beschränken. Das Gebot der Risikominimierung ist Ausdruck der präventiven Gefahrenvorsorge. Daraus folgt, dass nur solche Personen als zuverlässig gelten können, bei denen die tatsächlichen Umstände keinen vernünftigen Zweifel zulassen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen werden.

Die Prognose der Unzuverlässigkeit ist bei Berücksichtigung des strikt präventiven, auf die Umsetzung grundrechtlicher Schutzpflichten gerichteten Regelungskonzepts des Waffengesetzes nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Tatsachen, auf die sie gestützt ist, nach aller Lebenserfahrung kein plausibles Risiko dafür begründen, dass die in Rede stehende Person künftig Verhaltensweisen im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG begehen wird.

Entscheidend ist, ob Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass zukünftig eine der in § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG aufgeführten Verhaltensweisen verwirklicht wird. Rechtskonformes Verhalten einer Person in der Vergangenheit ist wie jeder andere Umstand, der beurteilungsrelevant sein kann, in diese Prognose miteinzubeziehen. Es ist aber möglich, dass sonstige Umstände zu dem Schluss führen, die Person werde eine Verhaltensweise im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG verwirklichen.

Die von § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG verlangte Prognose ist auf diejenige Person zu beziehen, deren Zuverlässigkeit in Frage steht. Die Unzuverlässigkeit anderer, selbst nahestehender Personen rechtfertigt als solche nicht den Schluss auf ihre Unzuverlässigkeit. Individuelle Verhaltenspotentiale werden allerdings durch das soziale Umfeld mitbestimmt. Daher bestehen keine Bedenken dagegen, die Gruppenzugehörigkeit einer Person – ein personenbezogenes Merkmal – als Tatsache heranzuziehen, welche die Annahme der Unzuverlässigkeit stützt. Gefordert ist jedoch, dass zwischen der Annahme der Unzuverlässigkeit und der Gruppenzugehörigkeit eine kausale Verbindung besteht.

Gerade die Gruppenzugehörigkeit der Person muss die Prognose tragen, dass diese künftig Verhaltensweisen im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG verwirklichen wird. Nicht ausreichend ist, dass solche Verhaltensweisen innerhalb der Gruppe regelmäßig vorgekommen sind oder noch immer vorkommen. Vielmehr müssen bestimmte Strukturmerkmale der Gruppe die Annahme rechtfertigen, dass gerade auch die Person, die in Rede steht, sie künftig verwirklichen wird. Daran gemessen liegen hier keine hinreichend belastbaren Anknüpfungstatsachen vor, die die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit des Antragstellers nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG rechtfertigen könnten.

Die im angefochtenen Bescheid angeführten strafrechtlichen Verurteilungen aus den Jahren 2010 und 2011 sind im Bundeszentralregister bereits getilgt und nicht mehr verwertbar. Die jüngste in den Akten befindliche Auskunft aus dem Bundeszentralregister vom 14.9.2021 weist keinerlei Eintragungen auf.

Der Umstand, dass der Antragsteller vom Landesamt für Verfassungsschutz als Rechtsextremist eingestuft wird, begründet allein ebenfalls keine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG.

Zwar liegen hinreichend belastbare Anknüpfungstatsachen für die Annahme vor, dass der Antragsteller dem rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnen ist. Dafür sprechen seine Kreistagskandidatur auf einer offenen Liste der DLVH im Jahr 2014 und die Teilnahme an einem vom früheren Landesvorsitzenden der NPD und derzeitigen geschäftsführenden Vorsitzenden der DLVH organisierten Stammtisch bis in das Jahr 2019. Der Senat hat keine durchgreifenden Zweifel daran, dass die u.a. von hochrangigen Funktionsträgern der NPD 1991 gegründete DLVH, die ihren Parteistatus 1996 aufgegeben hat und seither als Verein firmiert, nach ihren Zielen – ebenso wie die NPD – die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anstrebt.

Die DLVH wurde deshalb auch in den Verfassungsschutzberichten Baden-Württemberg bis 2001 durchgehend unter der Rubrik Rechtsextremismus aufgeführt. Dass sie seither nicht mehr dort genannt wird, dürfte nicht an einer Änderung ihrer ideologischen Ausrichtung, sondern an ihrer abnehmenden Bedeutung liegen. Im Verfassungsschutzbericht 2001 (S. 74) heißt es, die DLVH habe ihren Abwärtstrend nicht stoppen können. Die Mitgliederzahlen auf Bundesebene (ca. 230 Mitglieder) wie auch in Baden-Württemberg (ca. 30 Mitglieder) seien weiterhin rückläufig.

Es erscheint des Weiteren hinreichend wahrscheinlich, dass der Antragsteller die ideologischen Ziele der DLVH teilt. Seine Einlassung, er habe sich zu einer Kandidatur auf der offenen Liste der DLVH überreden lassen, um dem Verein bzw. Herrn J. S. einen Gefallen zu erweisen, sei selbst aber nicht rechtsextrem, erscheint als bloße Schutzbehauptung. Ist der Antragsteller somit, auch wenn er nicht formell Mitglied der DLVH (gewesen) sein sollte, jedenfalls als Anhänger oder zumindest als Sympathisant anzusehen, rechtfertigt dies allein entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht den Schluss auf eine etwaige Gewaltbereitschaft oder eine sonstige eine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 WaffG begründende Verhaltensweise. Der Antragsgegner nimmt bei seiner gegenteiligen Einschätzung die Heterogenität der rechtsextremistischen Szene nicht hinreichend in den Blick.

Das Landesamt für Verfassungsschutz rechnet aktuell etwa 790 der knapp 2000 Rechtsextremisten in Baden-Württemberg der Gruppe der gewaltorientierten Rechtsextremisten zu (Verfassungsschutzbericht 2020, S. 142, 159). Das Spektrum der gewaltorientierten Rechtsextremisten setzt sich nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes im Wesentlichen aus subkulturell geprägten Rechtsextremisten (ca. 350) und nicht parteigebundenen Neonazis (ca. 410) zusammen (Verfassungsschutzbericht 2020, S. 161). Zwar soll auch in anderen rechtsextremistischen Teilsegmenten (z.B. im Parteienbereich) eine gewisse Anzahl gewaltorientierter Personen anzunehmen sein (Verfassungsschutzbericht 2020, S. 162), doch weisen rechtsextremistische Parteien oder Vereine nicht generell Strukturmerkmale auf, die ohne weitere Anhaltspunkte den Schluss erlauben, ein Mitglied, Unterstützer oder Sympathisant einer solchen Partei oder eines solchen Vereins werde im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) und lit. c) WaffG Waffen missbräuchlich oder leichtfertig verwenden oder Nichtberechtigten überlassen.

Bezüglich der NPD hat das Bundesverfassungsgericht keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür finden können, dass bei ihr eine Grundtendenz bestehe, ihre verfassungsfeindlichen Ziele durch Gewalt oder die Begehung von Straftaten durchzusetzen. Es wird vom beweisbelasteten Antragsgegner nicht dargelegt und ist auch nicht ersichtlich, dass derartige Tendenzen bei der DLVH bestünden. Auch der Antragsteller wird in dem Behördenzeugnis des Landesamtes für Verfassungsschutz vom 11.10.2021 lediglich als Rechtsextremist, nicht aber als gewaltorientierter Rechtsextremist bezeichnet. Soweit es in dem Behördenzeugnis weiter heißt, der Antragsteller habe bis 2019 mehrmals an Veranstaltungen von rechtsextremistischen Organisationen teilgenommen, wird lediglich die DLVH namentlich angeführt.

Hinreichende Anhaltspunkte für eine Unzuverlässigkeit aufgrund der Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG liegen ebenfalls nicht vor.

Die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 lit. a) WaffG Personen in der Regel nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie in den letzten fünf Jahren Bestrebungen verfolgt haben, die aa) gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder bb) gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker, gerichtet sind. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 lit. b) WaffG gilt dies auch für Personen, die Mitglied in einer Vereinigung waren, die solche Bestrebungen verfolgen oder verfolgt haben; nach lit. c) reicht die Unterstützung einer solchen Vereinigung aus.

Zwar dürfte es sich bei der DLVH nach dem oben Ausgeführten um eine Vereinigung handeln, die Bestrebungen verfolgt, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind. Eine Mitgliedschaft des Antragstellers in der DLVH konnte dem Antragsteller jedoch nicht nachgewiesen werden. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners fehlt es auch an hinreichenden Anknüpfungstatsachen für die Annahme, der Antragsteller habe die DLVH in den letzten fünf Jahren im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 lit. c) WaffG unterstützt. Ein bloßes Sympathisieren mit einer Vereinigung ist vom Begriff des Unterstützens nicht erfasst.

Die Kandidatur auf einer offenen Liste der DLVH bei den Kreistagswahlen 2014 kann dem Antragsteller insoweit nicht mehr entgegengehalten werden, weil sie nicht innerhalb des gesetzlich normierten Fünfjahreszeitraums stattgefunden hat.

 

Entnommen aus dem Neuen Polizeiarchiv, 11/2022, Lz. 893.

 

Jörg Wagner

Rechtsanwalt
n/a