08.03.2023

4 gewinnt – Perspektivwechsel ins Glück?

Lernen aus eigenen Fehlern als Kernkompetenz

4 gewinnt – Perspektivwechsel ins Glück?

Lernen aus eigenen Fehlern als Kernkompetenz

Ob vier in einer Reihe, vier Punkte in der Klausur oder vier Klausuren korrigiert:
4 gewinnt immer!   |   © Alterfalter – stock.adobe.com
Ob vier in einer Reihe, vier Punkte in der Klausur oder vier Klausuren korrigiert: 4 gewinnt immer! | © Alterfalter – stock.adobe.com

Das Lernen aus eigenen Fehlern ist eine Kernkompetenz, die eine wichtige Grundlage für die Verbesserung eigener Leistungen ist. Man kann aber nicht nur aus eigenen, sondern auch aus fremden Fehlern lernen. An der Universität Erlangen-Nürnberg entsteht ein Projekt, in dem Studierende* Klausuren von Mitstudierenden korrigieren und durch diesen Perspektivwechsel ihre eigene Klausurtechnik verbessern sollen.

„4 gewinnt“ ist ein Spruch, der Jurastudierenden geläufig sein dürfte. Üblicherweise wird damit beschrieben, dass das (einzige) Ziel das Bestehen, also das Erreichen von vier Punkten, ist. Dennoch soll dieser Beitrag keine Auseinandersetzung mit dem dahinterstehenden Mindset darstellen.[1] „4 gewinnt“ ist nämlich auch der Name eines Projekts am Fachbereich Rechtswissenschaft der Friedrich-Alexander- Universität Erlangen-Nürnberg. Darin übernehmen Studierende Korrekturen von Übungsklausuren. Dieser Perspektivwechsel verspricht die Verbesserung der eigenen Klausurtechnik.

Der Anstoß

In meiner Examensvorbereitung war ich erstmals als Tutor für Erstsemester tätig. In dieser Zeit merkte ich ein sprunghaftes Ansteigen der Noten meiner eigenen Übungsklausuren. Das konnte ich auf zwei Faktoren zurückführen: Zum einen beschäftigte ich mich stärker mit den Grundlagen, sowohl materiell-rechtlich als auch methodisch. Zum anderen war eine der Aufgaben als Tutor auch die Korrektur der Übungsklausuren aus der sog. Klausurwerkstatt.[2]


Der Grundgedanke

Daraus resultierte eine einfache Erkenntnis: Wenn man fremde Klausuren korrigiert, hilft das beim Schreiben eigener Klausuren. Wenn man seine eigenen Klausurnoten verbessern will, ist es also vorteilhaft, fremde Klausuren zu korrigieren. Dies stellt einen Aspekt dar, der in der üblichen Klausurvorbereitung noch gar nicht enthalten ist.

Die Chancen

Dieser Perspektivwechsel vom Klausurschreiber zum Korrektor rückte einige Aspekte in den Fokus:

  • Was langweilt bei der Korrektur?
  • Wo erwartet man von den Studierenden mehr?
  • Welche Argumentationsmuster sind gut, welche dagegen schlecht?
  • Wie liest sich eine gute Klausur sprachlich?[3]

Zudem ist jede weitere Übungsklausur, die man selbst schreibt, auch eine Form des Lernens.

Die Risiken

Natürlich birgt es Gefahren, Studierende ohne Examen korrigieren zu lassen – auch bei Übungsklausuren. Daher dürfen die Korrekturen nicht dem „freien Spiel“ überlassen werden, denn Korrekturen sind fehlerbehaftet, da Korrektoren – egal ob examiniert oder nicht – Menschen sind. Studierende ohne Korrekturerfahrung brauchen daher Unterstützung – und auch ein wenig Überwachung. Will man diesen Perspektivwechsel institutionalisieren, muss er begleitet werden.

Das Konzept

Das Konzept von „4 gewinnt“ soll die Chancen erhalten und gleichzeitig die Risiken minimieren. Die Studierenden werden in Kleingruppen eingeteilt und schreiben eine Übungsklausur. Anschließend korrigieren sie die Klausuren der anderen Gruppenmitglieder. Dabei bekommen sie eine Lösungsskizze mit ausführlichen Korrekturhinweisen an die Hand.

Jeder Teilnehmer korrigiert drei Klausuren. Dementsprechend bekommen auch alle Studierenden drei Korrekturen für die eigene Klausur von Mitstudierenden. Hinzu kommt noch eine reguläre Korrektur der Übungsklausur durch einen Korrektor mit Staatsexamen. Dadurch erhalten alle Studierenden vier Korrekturen – die Grundlage des Namens „4 gewinnt“.

Außerdem ist ein Überprüfungsmechanismus vorgesehen: Vor der Rückgabe werden alle Korrekturen (zusätzlich zur vorher erwähnten regulären Korrektur) noch einmal von einem „Master- Korrektor“ mit Korrekturerfahrung und Staatsexamen überprüft. Hierdurch können fehlerhafte Randbemerkungen o. Ä. verhindert werden.

Gleichzeitig behält der Master-Korrektor den Überblick. Das ermöglicht einen doppelten Feedback-Mechanismus: Die Studierenden bekommen einerseits Rückmeldung über ihre Korrekturen. Dies steigert die Qualität der Korrekturen von Übungsklausur zu Übungsklausur und damit auch den Lerneffekt. Andererseits kann der Master-Korrektor auch Entwicklungen in den geschriebenen Klausuren oder tieferliegende Probleme erkennen. Mit diesen tieferliegenden Problemen sind (meist methodische) Schwächen gemeint, die aus einer einzelnen Klausur nur schwer herauszulesen sind.

Eine mangelnde Schwerpunktsetzung kann bspw. Folge einer einzelnen zeitlichen Fehlkalkulation sein. Sie kann aber auch System haben. So kann ein Student immer wieder den Beginn der Klausur zu ausführlich gestalten. Dadurch fehlt am Ende naturbedingt Zeit oder man bleibt an den Problemstellen zu oberflächlich. Auch Schwächen in der Argumentationstechnik können in einer Einzelklausur schnell übersehen werden. Treten ähnliche (verbesserungsbedürftige) Argumentationsmuster über mehrere Klausuren hinweg immer wieder auf, kann ein Master-Korrektor dies erkennen und an die jeweiligen Studierenden zurückmelden. Hier besteht eine Schnittstelle zu einem anderen Konzept, der sog. Klausurenklinik.[4]

Der Aufwand

Dadurch kommt dem Master-Korrektor eine zentrale Rolle zu. Diese zentrale Rolle geht mit entsprechendem Aufwand einher. Er muss sich nicht nur in die Klausur hineindenken, sondern auch in die Studierenden – sowohl diejenigen, die die Klausur schreiben, als auch diejenigen, die sie korrigieren. Außerdem muss er idealerweise bei späteren Übungsklausuren noch einmal auf frühere Übungsklausuren zurückgreifen. So kann er die tiefergehenden Probleme, die zuvor angesprochen wurden, am besten erkennen. Weiterhin müssen unter Umständen Klausuren erstellt werden. Dieser Aufwand kann reduziert werden, bspw. mit Altklausuren oder durch Anknüpfung an bereits existierende Konzepte wie den Examensklausurenkurs.

Die Lösungsskizzen stünden dann auch zumindest materiell-rechtlich bereits fest. Sie müssen aber an die neue Zielgruppe, also korrigierende Studierende angepasst werden. Die Lösungshinweise müssen den Klausurstil tiefer behandeln, als dies bei den üblichen Korrekturhinweisen der Fall ist. Auch sollte verstärkt auf vertretbare Alternativlösungen eingegangen werden. Dies schließt die Frage ein, was eine Alternativlösung vertretbar macht: nicht das bloße Ergebnis, sondern die Tragfähigkeit der Begründung. Gerade bei den ersten Klausuren erscheint auch eine Klausurbesprechung sinnvoll.

Diese sollte die Möglichkeit von Rückfragen beinhalten. Im weiteren Verlauf des Semesters kann man zur Reduzierung des Aufwands auch von interaktiven über aufgezeichnete Klausurbesprechungen zu bloßen Lösungsskizzen übergehen. Auch für die teilnehmenden Studierenden bedeutet das Projekt – wie jede Form des Lernens – Mehraufwand. Neben dem offensichtlichen Schreiben und Korrigieren der Klausuren und dem Nachbearbeiten des Feedbacks ist hier die Korrekturschulung zu nennen: Die Studierenden nehmen an derselben Online-Schulung teil, die auch examinierte Korrektoren erhalten, wenn sie reguläre Klausuren für den Fachbereich korrigieren wollen.[5] Diese dauert ca. 45 Minuten und vermittelt die Grundlagen einer guten Korrektur.

Die Zielgruppe

Vom Perspektivwechsel können Studierende in allen Phasen des Studiums profitieren. Das Pilotprojekt wurde an den Examensklausurenkurs angegliedert, um Synergien sowohl für die Organisation als auch für das Lernen zu nutzen. Dementsprechend befinden sich die Teilnehmenden in der Examensvorbereitung. Das ist allerdings Folge einer rein pragmatischen Überlegung zur Reduktion des Aufwands im Versuchsstadium. Es ist sogar möglich, ein solches Projekt für Studierende aller Semester gemeinsam anzubieten. In dem Fall muss darauf geachtet werden, dass der Inhalt für alle Teilnehmenden verständlich ist.

Da der Perspektivwechsel bei einer zweistündigen Anfängerklausur im Allgemeinen Teil des BGB derselbe ist wie bei einer fünfstündigen Examensklausur zum Staatshaftungsrecht, ist es kein Problem, auf (vermeintlich) einfachere Themen zurückzugreifen. Im Gegenteil: Je besser die teilnehmenden Studierenden die Klausur inhaltlich verstehen, desto größer ist der Effekt des Perspektivwechsels, denn sie können dann alternative Lösungswege leichter nachvollziehen und die Tragfähigkeit der Begründung besser einschätzen.

Der Kollateralnutzen

Durch die Heranführung und Begleitung der studentischen Korrektoren entsteht mittel- bis langfristig ein Kollateralnutzen für die Universität: Wenn einst Teilnehmende ihr Examen erfolgreich abgelegt haben, stehen sie ohne großen Aufwand auch für die Korrektur regulärer Klausuren zur Verfügung. Da sie bereits Feedback zu ihren Korrekturen erhalten haben, werden sie dann voraussichtlich qualitativ höherwertig korrigieren als neue Korrektoren ohne diese Vorbefassung. Dies reduziert den Aufwand für die Behandlung schlecht korrigierter Klausuren oder die Bearbeitung von Remonstrationen.

Außerdem steigert eine gute Korrektur den Lerneffekt bei den Studierenden, die eine (von den ehemals Teilnehmenden korrigierte) Klausur schreiben. Das Projekt kommt also mittelbar auch späteren Generationen von Studierenden zugute.

 

Entnommen aus dem Wirtschaftsführer für junge Juristen, 2022-2023/2, S. 27.

[1] Kritisch dazu van Lijnden, LTO v. 9. 6. 2011, abrufbar unter https://www.lto.de/karriere/jura-studium/stories/detail/juristenausbildungvier-gewinnt-nicht (zul. abgerufen: 11. 7. 2022). Aus Sicht des Verfassers können zu ehrgeizige Ziele aber auch hemmend wirken, vor allem, wenn man sie regelmäßig verfehlt. Deshalb lieber mit „Vier gewinnt“ bestehen als mit dem Druck eines Prädikats als Ziel durchfallen!

[2] Näheres zum Konzept der Klausurwerkstatt unter https://www.jura.rw.fau.de/studium/im-studium/zusatzangebote-im-studium/klausurwerkstatt/ (zul. abgerufen: 11. 7. 2022).

[3] Lesenswert hierzu Wolf, ZJS 2020, 553.

[4] Näheres dazu unter https://www.jura.rw.fau.de/studium/im-studium/zusatzangebote-im-studium/klausurenklinik/ (zul. abgerufen: 11.07.2022).

[5] Nähere Informationen unter https://www.jura.rw.fau.de/schulung-fuer-korrektorinnen-und-korrektoren-und-angebotsplattform-korrektur/ (zul. abgerufen: 11. 7. 2022).

 

Johannes Gründel

Wiss. Mitarbeiter, Studienfachberater, Universität Erlangen-Nürnberg
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