20.02.2023

Gemeindliche Vorkaufsrechte nach dem BauGB

Vertiefung und Aktuelles

Gemeindliche Vorkaufsrechte nach dem BauGB

Vertiefung und Aktuelles

Ein Beitrag aus »Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg« | © emmi - Fotolia / RBV

In ihrem letzten Beitrag zu den gemeindlichen Vorkaufsrechten nach dem Baugesetzbuch in den Verwaltungsblättern Baden-Württemberg (8/2019, 309 ff.) haben die Autoren die Frage aufgeworfen, ob das Vorkaufsrecht derzeit eine Renaissance erlebt. Rückblickend können die Autoren aus heutiger Sicht diese Frage uneingeschränkt mit Ja beantworten. Die gemeindlichen Vorkaufsrechte nach dem Baugesetzbuch stellen neben der Veränderungssperre und der Zurückstellung von Baugesuchen ein wichtiges Instrument zur Sicherung der Bauleitplanung der Kommunen dar und sind bei den planenden Kommunen als ein solches Sicherungsinstrument im Vergleich zu ihrem früheren eher stiefmütterlichen Dasein präsenter denn je. Die Autoren beleuchten in diesem Beitrag einzelne rechtliche Themen zu den Vorkaufsrechten nach §§ 24 ff. BauGB und kommentieren ausgesuchte Entscheidungen der Rechtsprechung, die sie aus ihrer beratenden Funktion für Kommunen rechtlich und in praktischer Hinsicht für bedeutsam erachten.

I. Einleitung

Die gemeindlichen Vorkaufsrechte nach dem Baugesetzbuch dürfen nicht zur Bodenbevorratung genutzt werden.[1] Sie dienen allein der Sicherung der Bauleitplanung. Denn durch die Ausübung eines Vorkaufsrechts nach dem Baugesetzbuch erhält die Gemeinde die Möglichkeit, Zugriffe auf Grundstücke zu nehmen, die freihändig an einen Dritten verkauft werden.

Während die Autoren in ihrem ersten Beitrag[2] vorwiegend die Grundlagen dargelegt haben, gehen sie in diesem Beitrag auf einzelne rechtliche Themen zu den verschiedenen Vorkaufstatbeständen nach § 24 Abs. 1 Satz 1 BauGB (dazu II.) sowie auf einzelne rechtliche Themen zu den besonderen Vorkaufsrechten nach § 25 BauGB und das Vorkaufsrecht an herrenlosen Grundstücken sowie den Ausschlussgrund nach § 26 Nr. 4 BauGB ein. Der Beitrag endet mit einem Fazit (dazu VI.).


II. Rechtliche Herausforderungen bei den allgemeinen Vorkaufsrechten in der Praxis

Im Katalog des § 24 Abs. 1 Satz 1 BauGB werden abschließend acht Vorkaufstatbestände geregelt. Mit Inkrafttreten des Baulandmobilisierungsgesetzes am 23.06.2021[3] ist zu den bisherigen Katalognummern 1 bis 7, die durch das Baulandmobilisierungsgesetz teilweise ergänzt worden sind, noch ein weiterer Vorkaufstatbestand in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 BauGB aufgenommen worden.

1. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB – wirksamer Bebauungsplan vorausgesetzt

Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB steht der Gemeinde im Geltungsbereich eines Bebauungsplans ein Vorkaufsrecht beim Kauf von Grundstücken zu, soweit es sich um Flächen handelt, für die nach dem Bebauungsplan eine Nutzung für öffentliche Zwecke oder für Flächen oder Maßnahmen zum Ausgleich i. S. d. § 1 a Abs. 3 BauGB festgesetzt ist. Es muss sich also um Flächen handeln, für die im Bebauungsplan eine öffentliche Zweckbestimmung festgesetzt ist. Neben der Festsetzung kommt es maßgeblich auf den Bebauungsplan an sich an. Denn der Bebauungsplan muss wirksam sein.

Zu beachten ist, dass es eine große Spannweite an möglichen Fehlern im Bebauungsplan bzw. Bebauungsplanverfahren geben kann, die zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans und damit zu einer fehlenden Grundlage für die Ausübung des Vorkaufsrechts nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB führen können. Das betrifft nicht nur Bebauungspläne, die den formalen Anforderungen nicht gerecht werden, bspw. bei alten Bebauungsplänen, die in nicht-öffentlicher Sitzung beraten und beschlossen worden sind, sondern auch oftmals neuere Bebauungspläne, die materiell-rechtlich zu beanstanden sind.

Ein wichtiges Thema in der Praxis sind, wenn es um die Wirksamkeit des Bebauungsplans, präziser um die für den Vorkaufstatbestand maßgebliche Festsetzung geht, die Anforderungen an die Lärmemissionskontingentierung. Festsetzungen mit fehlerhaften Lärmemissionskontingenten im Bebauungsplan führen zur Unwirksamkeit der einzelnen Festsetzung und regelmäßig zur Unwirksamkeit des gesamten Bebauungsplans. In der jüngeren Vergangenheit sind mehrere wegweisende Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zu diesem Thema getroffen worden. Rechtsgrundlage für die Festsetzung von Emissionskontingenten ist § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO. Danach können im Bebauungsplan für die in den §§ 4 bis 9 BauNVO bezeichneten Baugebiete Festsetzungen für das jeweilige Baugebiet getroffen werden, die das Baugebiet nach der Art der Betriebe und Anlagen und deren besonderen Bedürfnissen und Eigenschaften gliedern.[4]

Die Lärmemissionskontingentierung nach der DIN 45691 ist als derartige Gliederung anerkannt. Für eine Gliederung nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO muss das Baugebiet in einzelne Teilgebiete unterteilt werden.[5] Die einzelnen Teilgebiete müssen mit unterschiedlich hohen Lärmemissionskontingenten festgesetzt werden.[6] Zudem muss es im Plangebiet, für das ein Gewerbegebiet festgesetzt ist, eine ausreichend große Fläche ohne Immissionsbeschränkungen geben oder eine solche mit Immissionskontingenten, die jeden nach § 8 BauNVO zulässigen Betrieb ermöglichen.[7]

Entspricht eine Festsetzung zur Lärmkontingentierung nicht den Anforderungen an die Rechtsprechung, so führt dies zu einer rechtswidrigen Ausübung des Vorkaufsrechts auf der Basis dieses Bebauungsplans, wenn und soweit die fehlerhafte Lärmkontingentierung die Unwirksamkeit des gesamten Bebauungsplans nach sich zieht.

Sind solche materiell-rechtlichen Fehler des Bebauungsplans auszumachen, kann der Bebauungsplan keine Grundlage für die rechtmäßige und deshalb erfolgreiche Ausübung eines Vorkaufsrechts auf der Basis eben dieses Bebauungsplans sein. Der Bebauungsplan kann inzidenter in dem gerichtlichen Verfahren, in dem über die Rechtmäßigkeit des Ausübungsbescheids gestritten wird, geprüft werden. Deshalb ist die Wirksamkeit der maßgeblichen Festsetzungen des Bebauungsplans zwingende Voraussetzung für die rechtmäßige Ausübung des Vorkaufsrechts. Im Zweifel ist daher die Prüfung des gesamten Bebauungsplans auf seine Wirksamkeit hin gefordert.

2. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB – wirksamer Kaufvertrag erforderlich

Nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB steht der Gemeinde ein Vorkaufsrecht beim Kauf von Grundstücken in einem Umlegungsgebiet nach §§ 45 ff. BauGB zu. Eine Besonderheit in Bezug auf diesen Vorkaufstatbestand besteht vorliegend darin, dass es im Umlegungsgebiet eine Verfügungs- und Veränderungssperre nach § 51 BauGB gibt. Gem. § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB bedürfen Vereinbarungen für Grundstücke im Umlegungsgebiet, durch die einem anderen ein Recht zum Erwerb eines Grundstücks eingeräumt wird, von der Bekanntmachung des Umlegungsbeschlusses bis zum Inkrafttreten des Umlegungsplans nach § 71 BauGB der schriftlichen Genehmigung der Umlegungsstelle. In Bezug auf die Ausübung des Vorkaufsrechts ist dies insofern relevant, als der Kaufvertrag zwischen dem Verkäufer und dem Käufer erst mit dieser Genehmigung nach § 51 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB wirksam wird. Die Gemeinde kann daher ihr Vorkaufsrecht in diesem Fall erst dann ausüben, wenn diese Genehmigung erteilt ist. Alternativ hat die Gemeinde bei der Tenorierung in dem Vorkaufsrechtsbescheid zu beachten, dass die Ausübung unter der aufschiebenden Bedingung der Erteilung der Genehmigung erfolgt.[8]

Erst mit Erteilung dieser Genehmigung wird der Kaufvertrag wirksam und kommt die Ausübung eines Vorkaufsrechts auf dieser Basis in Betracht.

3. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB – Preisprüfung im Sanierungsgebiet zu beachten

Gem. § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB steht der Gemeinde ein Vorkaufsrecht beim Verkauf von Grundstücken in einem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet zu. Es geht hierbei um förmlich festgelegte Sanierungsgebiete nach § 142 BauGB. Ein Kaufvertrag in einem Sanierungsgebiet wird gem. § 145 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur dann wirksam, wenn die sanierungsrechtliche Genehmigung für dieses Rechtsgeschäft von der Gemeinde erteilt wird. Im Rahmen der Prüfung der Erteilung der sanierungsrechtlichen Genehmigung ist – bei den derzeit enorm hohen Grundstückskaufpreisen – insbesondere auch eine sogenannte Preisprüfung nach § 145 Abs. 2 BauGB im Blick zu behalten.

Denn nach § 145 Abs. 2 BauGB darf die Genehmigung nur versagt werden, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass das Vorhaben, der Rechtsvorgang einschließlich der Teilung eines Grundstücks oder die damit erkennbar bezweckte Nutzung die Durchführung der Sanierung unmöglich machen oder wesentlich erschweren oder den Zielen und Zwecken der Sanierung zuwiderlaufen würde. Nach § 153 Abs. 2 Satz 1 BauGB liegt auch dann eine wesentliche Erschwerung der Sanierung vor, wenn der vereinbarte Gegenwert für das Grundstück über dem Wert liegt.

Ist der Kaufpreis für das Grundstück höher als der sanierungsunbeeinflusste Grundstückswert, so wird unwiderleglich vermutet, dass es sich hierbei um eine Sanierungserschwerung nach § 145 Abs. 2 BauGB handelt.[9] Die Gemeinde hat also stets eine Preisprüfung vorzunehmen und zu ermitteln, ob der Kaufpreis über dem sanierungsunbeeinflussten Grundstückswert liegt. Für die Gemeinde besteht hierbei kein Ermessensspielraum.

Kommt die Gemeinde zu dem Ergebnis, dass der Kaufpreis überhöht ist, so ist sie daran gebunden, die sanierungsrechtliche Genehmigung abzulehnen.[10] Diskutiert wird, in welchen Fällen der Kaufpreis über dem von der Sanierung unbeeinflussten Grundstückswert i. S. d. § 153 Abs. 1 BauGB liegt. Es werden Überschreitungen von 10 % bzw. 5 % oder 7 % in Erwägung gezogen.[11] Teilweise wird die Grenze zur Überschreitung aber auch erst bei 15 % bis 20 % gesehen.[12] Die Überschreitung ist im Einzelfall zu prüfen. Es kann bei der Beurteilung im Rahmen der Preisprüfung eine akzeptable Spannweite geben. In der Praxis ist derzeit festzustellen, dass eine Überschreitung des sanierungsunbeeinflussten Grundstückswerts im Rahmen der Preisprüfung regelmäßig recht einfach zu beurteilen ist, da aufgrund des explodierten Immobilienmarktes der Kaufpreis in vielen Fällen 50 % über dem ermittelten sanierungsunbeeinflussten Verkehrswert liegt.

Ergibt die Preisprüfung, dass der sanierungsunbeeinflusste Grundstückswert in nicht zu tolerierender Weise den Kaufpreis übersteigt mit der Folge, dass eine wesentliche Erschwerung der Sanierung gegeben ist, so ist die sanierungsrechtliche Genehmigung abzulehnen. Die Konsequenz hieraus ist, dass das Vorkaufsrecht nach § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB mangels wirksamen Kaufvertrags (aufgrund fehlender Genehmigung) nicht ausgeübt werden kann.

[…]

VI. Fazit

In ihrem Beitrag aus 2019[13] gelangten die Autoren zu dem Fazit, dass das Vorkaufsrecht nach dem Baugesetzbuch ein effektives Instrument zur Sicherung der Bauleitplanung darstellt.

Diese Auffassung bestätigt die Zwischenzeit. Gerade in dem derzeit äußerst dynamischen Immobilienmarkt, der teils sehr hohe Grundstückspreise hervorbringt, sind Kommunen gut beraten, jedes Grundstücksgeschäft eingehend auf die Möglichkeit der Ausübung eines Vorkaufsrechts zu prüfen, um ihre städtebaulichen Planungen umsetzen zu können. Auch kann den Gemeinden nur empfohlen werden, zielgerichtet Vorkaufsrechtssatzungen zur Erreichung ihrer städtebaulichen Ziele zu erlassen.

In Bezug auf die Neuerungen im Vorkaufsrecht, die durch das Baulandmobilisierungsgesetz hervorgebracht worden sind, sei der Hinweis erlaubt, dass der Gesetzgeber zeitnah punktuell nachbessern sollte, da durch die beschlossenen Gesetzesänderungen nicht die gewünschte Rechtsklarheit und Rechtssicherheit für die Kommunen gegeben ist. So bleibt die Ausübung des Vorkaufsrechts nach dem Baugesetzbuch auch im Hinblick auf die sich fortentwickelnde Rechtsprechung hierzu Privileg und Herausforderung zugleich.

 

Den vollständigen Beitrag lesen Sie in den Verwaltungsblättern Baden-Württemberg, 1/2023, S. 8.

[1] BVerwG, Beschl. v. 25.01.2010, NVwZ 2010, 593.

[2] VBlBW 2019, 309 ff.

[3] Gesetz zur Mobilisierung von Bauland (Baulandmobilisierungsgesetz) vom 14.06.2021, BGBl. I 2021, S. 1802.

[4] Ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, u. a. BVerwG, Urt. v. 07.12.2017, NVwZ 2018, 499, 500 mit weiteren Verweisen auf die Rechtsprechung.

[5] BVerwG (Fn. 4).

[6] BVerwG (Fn. 4).

[7] BVerwG (Fn. 4); BVerwG, Urt. v. 29.06.2021, DVBl. 2022, 48.

[8] Siehe hierzu: BGH, Urt. v. 15.05.1998, NJW 1998, 2352.

[9] Kleiber/Fieseler, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 144. Aufl., § 153 Rn. 87.

[10] Kleiber/Fieseler, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 144. Aufl., § 153 Rn. 110 mit Verweis auf OLG Köln, Urt. v. 04.06.1992, NVwZ-RR 1993, 170.

[11] Kleiber/Fieseler, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 144. Aufl., § 153 Rn. 132 m. w. N.

[12] Kleiber/Fieseler, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 144. Aufl., § 153 Rn. 132 mit Verweis auf Kronisch, in: Brügelmann, BauGB, 107. Lfg., § 24 Rn. 121.

[13] VBlBW 2019, 309 ff.

 

Enzo Beathalter

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Verwaltungsrecht, Wirsing Rechtsanwälte, Stuttgart
 

Dr. Helena Sophia Wirsing

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Verwaltungsrecht, Wirsing Rechtsanwälte, Stuttgart
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