13.01.2016

Wer bezahlt Gegendarstellung?

Erstattung von Anwaltskosten von Mitgliedern des Rates/Kreistages

Wer bezahlt Gegendarstellung?

Erstattung von Anwaltskosten von Mitgliedern des Rates/Kreistages

Mit Anwalt gegen Pressebericht: Kostenerstattung nur bei unmittelbarem Zusammenhang mit Mandatsausübung. | © nmann77 - Fotolia
Mit Anwalt gegen Pressebericht: Kostenerstattung nur bei unmittelbarem Zusammenhang mit Mandatsausübung. | © nmann77 - Fotolia

Es kommt immer wieder vor, dass sich Mitglieder kommunaler Vertretungen (Rat, Kreistag, Regionsversammlung) in Rechtsstreitigkeiten, die sich nach deren Meinung auch auf die Mitarbeit in der Vertretung beziehen, anwaltlich vertreten lassen. Nach Abschluss der Verfahren wird dann häufig von der Kommune die Übernahme der Anwaltskosten verlangt. Lehnt die Kommune die Übernahme ab, kommt es erneut zu Rechtsstreitigkeiten. Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (NdsOVG) hat mit Urteil vom 29. 09. 2015 (10 LB 25/14) Kriterien entwickelt, nach denen auf der Basis der niedersächsischen Rechtslage die Auslagen zu erstatten sind. Nicht nur das niedersächsische Kommunalverfassungsrecht (bis 31. 10. 2011 Niedersächsische Gemeindeordnung – NGO -, seit 1. 11. 2011 Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz – NKomVG), sondern auch andere Kommunalverfassungen der Länder sehen für ehrenamtlich Tätige oder Mitglieder der Vertretungskörperschaften einen Anspruch auf Ersatz von Auslagen vor, die im Zusammenhang mit der ehrenamtlichen Tätigkeit stehen.

Der Fall

Dem oben genannten Urteil lag zusammengefasst folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger war seit längerer Zeit Ratsmitglied und Angehöriger des Bauausschusses der beklagten Kommune. Am 20. 09. 2011 tagte der Bauausschuss und beriet einen Bebauungsplan. An dieser Sitzung nahm auch der Kläger teil. Die Neue Osnabrücker Zeitung veröffentlichte im Anschluss an diese Sitzung noch am selben Tag in ihrer Online-Ausgabe folgenden Artikel:


„Bersenbrück: Deutscher Gruß im Bauausschuss?

Bersenbrück. Jetzt interessiert sich sogar ein Fernsehsender für den Streit um das geplante Bersenbrücker Einkaufszentrum. Vor laufender Kamera beschloss der Bauausschuss am Dienstagabend, dem Stadtrat zu empfehlen, den Baugebietsplänen zuzustimmen. Die Sitzung verlief reichlich turbulent. Ihr Höhepunkt: Aus Verärgerung über Sitzungsleitung und Stadtverwaltung sprang B. C. (Die Grünen) auf und reckte den rechten Arm zum Gruß. Da hatte D. E. seine Kamera aber gerade ausgemacht. (…)

Da war es aber schon zu spät, weil sich der Ausschuss bereits in der Abstimmung befand. ‚Wir sind doch nicht bei den Hottentotten`, rief der Grüne und machte jene Geste, die ob ihrer nationalsozialistischen Herkunft nun auch die Vorgesetzten des Lehrers beschäftigen dürfte.”

Die Papierausgabe gab die Passage wortgleich wieder. Daraufhin beauftragte der Kläger seinen Prozessbevollmächtigten mit der Geltendmachung eines Gegendarstellungsanspruchs nach dem Niedersächsischen Pressegesetz. Dieses Verfahren endete mit einem Vergleich der Beteiligten. Für die anwaltliche Tätigkeit stellte der Prozessbevollmächtigte des Klägers Kosten in Höhe von 1.673,15 € in Rechnung. Der Kläger stellte bei der Kommune einen Antrag auf Übernahme der Anwaltskosten. Die Kommune lehnte ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die Voraussetzungen für eine Erstattung von Auslagen nach § 39 Abs. 5 und 6 der NGO nicht vorlägen. Dem Kläger seien diese Kosten nicht aus der Mandatswahrnehmung selbst, sondern nur anlässlich derselben entstanden. Ihm ginge es bei der Beauftragung des Rechtsanwalts nicht darum, die Rechtmäßigkeit einer Beschränkung seiner Rechte als Ratsherr zu überprüfen, sondern „um eine emotionale persönliche Verhaltensweise”. Diese stünde jedoch nicht spezifisch mit der Mandatswahrnehmung in Verbindung, sondern entspreche der Reaktion einer beliebigen Person, unabhängig vom Amt eines Ratsherrn. Dieses eigenveranlasste Verhalten betreffe den Kläger nur als Privatperson in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und sei demnach nicht erstattungsfähig.

Der Ratsherr erhob Klage vor dem Verwaltungsgericht, die abgewiesen wurde. Das NdsOVG ließ die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu und wies die Berufung zurück.

Zum Begriff „Auslagen” im Hinblick auf den unmittelbaren Mandatsbezug.

Das Gericht definierte zunächst den Begriff Auslagen. Es führte aus, der Auslagenbegriff in § 39 Abs. 5 Satz 1 NGO sei nach der bisherigen Senatsrechtsprechung im Ansatz weit zu verstehen. Er umfasse danach zunächst alle durch die Mandatsausübung veranlassten Aufwendungen, unabhängig davon, ob sie regelmäßig anfallen oder nicht und ob sie satzungsrechtlich erfasst wurden bzw. erfassbar seien. Jedoch werde auch dieser im Ansatz weite Begriff begrenzt, allerdings nicht erst – wie wohl vom Kläger geltend gemacht – durch das Merkmal der Mutwilligkeit, sondern durch das engere Erfordernis eines unmittelbaren Mandatsbezugs. Ein solcher unmittelbarer Mandatsbezug sei über die typischen, durch eine Satzung erfassten Fälle von Auslagenersatz für eine Kinderbetreuung oder Verdienstausfall bzw. von Sitzungsgeldern als pauschale Aufwandsentschädigung oder Fahrtkostenentschädigung (nur) gegeben, wenn die kostenverursachende Handlung des Ratsmitglieds nicht nur kausal auf seine Mandatstätigkeit zurückzuführen sei, sondern sich darin gerade ein spezifisches Risiko der Mandatstätigkeit verwirklicht habe und deshalb der Mandatsträger als solcher in der Wahrnehmung seiner Rechte und Pflichten betroffen sei. Letzteres sei etwa der Fall, wenn es um Folgekosten eines Dringlichkeitsantrages gehe; denn solche Anträge könnten nur von Ratsmitgliedern gestellt werden. Hiervon abzugrenzen seien Kosten, die typischerweise im Zusammenhang mit der Ausübung von Rechten eines einzelnen Ratsmitgliedes als Privatperson stünden, etwa im Zusammenhang mit dem jedermann zustehenden Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG) oder mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Art. 2 Abs. 1 GG. Mit der Ausübung dieser Rechte verwirkliche sich letztlich ein allgemeines Lebensrisiko, welches das Ratsmitglied als Privatperson betreffe.

Mit dieser Auslegung hat das Gericht den Unterschied zwischen einer typischen Ratstätigkeit (Teilnahmerecht an Sitzungen, Rederecht, Antragsrecht usw.) und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht auf freie Meinungsäußerung herausgearbeitet. Die gezeigte Geste des Ratsherrn hatte keinen unmittelbaren Mandatsbezug. Sie hätte auch bei einer anderen Veranstaltung außerhalb der Ratstätigkeit gezeigt werden können. Die Geste war daher nicht unmittelbar mit der Ratstätigkeit verbunden. Eine Erstattung der Auslagen wurde zu Recht abgelehnt.

Die Auslagenerstattung ist Korrelat der Tätigkeit im Rat/Kreistag oder einer ehrenamtlichen Tätigkeit. Es muss ein enger zeitlicher, räumlicher und funktionaler Zusammenhang mit der (Rats- oder ehrenamtlichen) Tätigkeit bestehen.

Hierzu hat das Gericht hervorgehoben:

Nach ihrem Sinn und Zweck stelle die Auslagenerstattung das Korrelat für die Teilnahmepflicht an Sitzungen der kommunalen Vertretung bzw. des Kreistages und deren Ausschüsse dar. Der unmittelbare Mandatsbezug wäre hier erfüllt, wenn der presserechtliche Gegendarstellungsanspruch ein Verhalten des Klägers zum Gegenstand gehabt hätte, das den Kläger in einem engen zeitlichen, räumlichen und funktionalem Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Ratsmitglied der Beklagten beträfe. Dies sei hier indessen nicht der Fall, weil die Rechtsanwaltskosten für die Verfolgung eines presserechtlichen Gegendarstellungsanspruchs jedenfalls nicht unmittelbar durch die Ausübung der ehrenamtlichen Tätigkeit als Ratsherr für die Gebietskörperschaft entstanden seien, sondern den Kläger in seinen Rechten als Privatperson beträfen. Der im Raum stehende Vorwurf, „Aus Verärgerung über Sitzungsleitung und Stadtverwaltung sprang B. C. (Die Grünen) auf und reckte den rechten Arm zum Gruß”, stehe nicht in einem unmittelbar funktionalen Zusammenhang mit der Mandatsausübung eines Ratsmitglieds, sondern sei lediglich in räumlichem und zeitlichem Zusammenhang mit der Bauausschusssitzung erfolgt.

Dieser unmittelbare, und enge zeitliche, räumliche und insbesondere funktionale Zusammenhang mit der Ratstätigkeit war im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Die Art und Weise der Ausübung von Rechten und Pflichten als Ratsmitglied sind Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch.

Das Gericht merkt hierzu an:

Die Art und Weise der Ausübung von Rechten und Pflichten des Klägers als Ratsmitglied in der Bauausschusssitzung sei gerade nicht Gegenstand der Pressemitteilung. Der Artikel stelle vielmehr darauf ab, dass die dem Kläger vorgeworfene Geste nach Durchführung der Abstimmung erfolgt sei und das vermeintliche Fehlverhalten des Klägers, der Lehrer sei, nun für den Dienstvorgesetzten von Interesse sein dürfte. Damit werde deutlich, dass der Vorwurf nach der presserechtlichen Darstellung im Schwerpunkt des Verhaltens bzw. die Gesinnung des Klägers als Privatperson betroffen sei und nicht in erster Linie auf seine Tätigkeit als Mandatsträger bzw. Mitglied der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abziele.

Hierzu ist zu bemerken, dass den Mitgliedern der Vertretungen aus ihrem Verhalten in dieser Funktion, insbesondere aus ihrem Abstimmungsverhalten, keine persönlichen oder dienstrechtlichen Nachteile entstehen dürfen. Die Mitglieder der Vertretungen genießen ein „freies Mandat”. Auf mögliche dienstrechtliche Konsequenzen zielte der Pressehinweis auf die Vorgesetzten des Lehrers.

Im vorliegenden Fall waren (nur) die allgemeinen Persönlichkeitsrechte betroffen.

Das Gericht stellte fest:

Der vom Kläger verfolgte Anspruch auf Gegendarstellung wegen einer gegen seine Person gerichteten negativen Berichterstattung betreffe typischerweise eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die ihm unterstellte Geste habe der Kläger nach der Darstellung in den streitgegenständlichen Presseartikeln daher nur „im Gewande” seiner Ratsmitgliedschaft und anlässlich der Bauausschusssitzung abgegeben.

Die Mandatseigenschaft gab nur den Anlass für die Geste, sie hatte aber keinen Mandatsbezug.

Hierzu führte das NdsOVG aus:

Etwas anderes ergebe sich ferner nicht aus dem unbestrittenen Vortrag des Klägers, er sei bloß im Nachgang zur Abstimmung des Rates aufgestanden und habe gestikuliert, weil er seinen Unmut über die Sitzungsleitung habe zum Ausdruck bringen wollen. Auch danach habe die Ratsmitgliedschaft des Klägers bloß den Anlass für die Geste und die kostenpflichtige anwaltliche Austragung einer presserechtlichen Streitigkeit gegeben. Mit der Berichterstattung über die dem Kläger unterstellte Geste habe sich daher ein spezifisches Risiko verwirklicht, das mit jeder Meinungsäußerung verbunden sei. Ein unmittelbarer Bezug zur Ausübung von (Rede- und Antrags-) Rechten und Funktionen als Mitglied der Fraktion bzw. des Rats der Beklagten liege nicht vor. Folglich habe es sich bei den Rechtsanwaltskosten nicht um Auslagen im Sinne des § 39 Abs. 5 Satz 1 NGO gehandelt, die unmittelbar durch die Ausübung der Mandatstätigkeit des Klägers als Ratsherr für die Beklagte veranlasst worden seien.

Die vom NdsOVG herausgearbeiteten Kriterien sind auch in den übrigen Bundesländern für Ansprüche auf Auslagenersatz von Mitgliedern der Vertretungskörperschaften und ehrenamtlich Tätigen an die Kommune von Bedeutung.

 

Heinrich Albers

Beigeordneter beim Niedersächsischen Landkreistag a. D., Sarstedt
n/a