13.01.2016

Quo vadis Deutschland?

Soldaten gegen ISIS: Politische Gesamtstrategie fehlt

Quo vadis Deutschland?

Soldaten gegen ISIS: Politische Gesamtstrategie fehlt

Nach dem Beschluss des Bundestags: Der Tornado ist nicht am Boden geblieben.|© alpha11 - Fotolia
Nach dem Beschluss des Bundestags: Der Tornado ist nicht am Boden geblieben.|© alpha11 - Fotolia

Am 04.12.2015 hat der Deutsche Bundestag eine Zeitenwende eingeläutet. Deutschland zieht in den Kampf, der offiziell nicht „Krieg“ heißen soll, weil der „Islamische Staat“ kein Staat ist. Gleichwohl ist es ein Krieg und zwar ein asymmetrischer. Ein Krieg zwischen modernsten Waffensystemen gegen Kalaschnikows. Ein Luftbombenkrieg gegen fanatische Terrormilizen, deren erobertes Gebiet so groß ist, wie das von Großbritannien.

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Die aktuelle Situation

Das Mandat, 1200 Mann für zwölf Monate mit bis zu sechs Recce-Tornados, einer Fregatte, einem Luftbetankungsflugzeug Airbus A310 und einem Satellitenprojekt abzustellen, ist als politisches Zeichen der Solidarität für Frankreich völlig richtig. Es ist kräftemäßig ein eher vorsichtiger Ansatz. Der Einsatz von Recce-Tornados im Vergleich zu Drohnen ist tatsächlich ein Mehrwert. Ob er taktisch im Luftraum über ISIS zwingend notwendig ist, darf bezweifelt werden.

Strategisch ist das Bundestagsmandat ein schwerer Fehler, denn der Einsatz ist überstürzt und konzeptlos. Das politische Ziel ist es, den „Islamischen Staat“ zu vernichten. Doch zu viele involvierte Länder haben eigene, konträre Interessen, was zu einer fehlenden politischen Gesamtstrategie und einer unüberschaubaren militärischen Gemengelage am Himmel über Syrien und dem Nord-Irak führt. Die deutschen Recce-Tornados fliegen gewissermaßen in einer „politischen Dunkelkammer“. Sie liefern weitere Koordinaten für nachfolgende Luftangriffe, die den Krieg nicht beenden, sondern verlängern werden. Die gequälten Menschen warten nicht auf weitere Kampfflugzeuge oder deutsche Aufklärungs-Tornados, sondern auf Befreiung und Befriedung.


Die Lehren aus den Einsätzen im Kosovo und Afghanistan sollten uns zu denken geben: Bevor Deutschland sich erneut auf einen Kampf im Ausland einlässt und das Leben seiner Soldaten riskiert, muss die Rechtslage geklärt sein. Ein Bundestagsmandat allein reicht nicht aus.

Überblick über eine komplexe Rechtslage

Die NATO könnte nur dann eingreifen, wenn Frankreich den Bündnisfall der Militärallianz ausgerufen hätte. In Artikel 5 des Washingtoner Vertrags heißt es: „Die Mitglieder stimmen überein, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als Angriff gegen jeden von ihnen gewertet wird.“ Daraus ergebe sich, dass jeder dem Opfer dieser Angriffe zur Seite stehe, so, „wie jede Partei es für notwendig erachtet, die Einsetzung von bewaffneten Truppen mitinbegriffen“.

Doch Frankreich hat diese Möglichkeit nicht genutzt – stattdessen hat Frankreich eine UN-Resolution(Nr. 2249), eingebracht. Diese fordert die Mitgliedstaaten auf, in Syrien und dem Irak „alle notwendigen Maßnahmen“ zu ergreifen, „um terroristische Handlungen zu verhüten“.

Ferner hat Frankreich um die Mithilfe seiner EU-Partnerstaaten nach Artikel 42 Absatz 7 des EU-Vertrages gebeten. Das macht die Rechtslage ungleich komplizierter, denn der Fall ist bisher einmalig in der Geschichte der Europäischen Union. Danach schulden die Staaten der Gemeinschaft einem angegriffenen Mitgliedsland „alle in ihrer Macht stehende Hilfe“. Die EU könnte ein System der kollektiven Sicherheit im Sinne der UN-Charta sein. Alle 27 EU Partner haben unterstützt.

Der Artikel nimmt ausdrücklich Bezug auf Artikel 51 der UN-Charta. Darin heißt es, dass die Maßnahmen, die EU-Mitglieder unternehmen, um einen angegriffenen Partner zu helfen, im Einklang mit der Charta stehen müssen. Der Artikel 51 erlaubt es Staaten, im Rahmen des „kollektiven Selbstverteidigungsrechts“ gegen andere Staaten vorzugehen. Er setzt einen „bewaffneten Angriff“ eines fremden Akteurs von einer gewissen „Intensität“ voraus, um zu greifen. Doch bei den Attentätern von Paris handelt es sich überwiegend um französische und belgische Staatsbürger. Der IS, der den Anschlag angezettelt hat, ist kein Staat, auch wenn er sich so nennt. Und es gibt keine klaren Kriterien für die notwendige Intensität eines Angriffs. Nach dem Anschlag auf das World Trade Center in New York entbrannte darüber eine Debatte. Am 11.09.2001 verloren rund 3000 Menschen ihr Leben. In Paris waren es 130, ohne dass dieses zynisch klingen soll.

Ungewiss ist zudem, ob der Einsatz deutscher Tornados mit dem Grundgesetz harmoniert. Artikel 24 und Artikel 87a erlauben der Bundeswehr Einsätze im Rahmen der Verteidigung, unter Umständen auch im Rahmen eines Systems der kollektiven Selbstverteidigung. Hier stellen sich aber dieselben Fragen wie beim Völkerrecht.

Endgültige Gewissheit über die Rechtmäßigkeit des Einsatzes gibt es erst nach einem Urteil des Verfassungsgerichts im Falle einer Verfassungsklage oder einem Urteil des Internationalen Strafgerichtshofs im Falle einer Klage im Rahmen des Völkerrechts. Es wäre fatal, wenn im Nachhi-nein festgestellt würde, dass die Entsendung deutscher Truppen verfassungswidrig wäre. Die Regierung und der Bundestag haben mit der voreiligen Entsendung hoch gepokert.

Eine Allianz für ein gemeinsames politisches Ziel finden

Nach Carl von Clausewitz ist der „Krieg eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln“. Hier wäre aktuell zu fragen: Fortsetzung welcher Politik? Erforderlich wäre zunächst einmal, dass sich Parteien zusammenfinden, die sich auf ein gemeinsames Konzept der Vernichtung der IS-Terroristen verbindlich einigen.

Die Hauptakteure sind im Wesentlichen die USA, Russland, die Türkei und die europäischen Staaten; auf der arabischen Seite der Iran, Irak, Saudi Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Katar sowie Jordanien. Diese Staaten müssten sich dazu bekennen, ISIS auszuschalten. Das dürfte insbesondere Saudi-Arabien und der Türkei schwer fallen. Baschar al-Assad, so unmoralisch das ist, muss für eine Übergangsphase akzeptiert werden. Doch nicht er ist wichtig, sondern der Rumpfstaat mit seinen Truppen unter ihm. Es darf nicht der Fehler nach Beendigung des Irak-Krieges wiederholt werden, ein Land mit verbrannter Erde zurückzulassen, aus dem zwangsläufig neue Terrorherde entstehen würden. ISIS ist aus den Folgen des Irak-Krieges entstanden. Eine „syrische Lösung“ zu finden, ist die Primäraufgabe der Diplomaten, z.B. in Fortsetzung der Syrien-Konferenz in Wien. Steht die Allianz, müssen die definierten Ziele Eingang in ein UN-Mandat finden.

Umsetzung in eine Militärstrategie

Auf der Grundlage des UN-Mandates planen die Militärs eine Strategie, wie ISIS mit welchen Kräften welcher Nationen am besten zu Land, zu Luft und vom Wasser aus vernichtet wird. Zum ersten Mal bestünde die Chance, dass europäische, amerikanische, russische und arabische Kräfte unter einem zentralen Hauptquartier zusammenarbeiten. Doch allein schon die unterschiedlichen Sprachen und verschiedenen Einsatzverfahren könnten diesen Ansatz zunichtemachen. Immerhin gäbe es dann ersatzweise die Möglichkeit, eine zentrale Koordinierungsstelle für den Kampf einzurichten – eine Art gemeinsamer Generalstab, wie von russischer Seite bereits angedacht wurde. Im Ergebnis gäbe es eine abgestimmte Einsatzplanung zur Durchsetzung der Ziele an den verschiedenen Kriegsschauplätzen.

Die Entscheidung wird am Boden stattfinden, insbesondere durch die Einnahme und das Halten der Städte Rakka und Mossul. Idealerweise sollten arabische, syrische und kurdische Kräfte, unterstützt von westlichen Spezialkräften und Luftstreitkräften, den Kampf führen.

Das sind die wichtigsten militärstrategischen Rahmenbedingungen:

  • Die Grenze zwischen der Türkei und Syrien verlässlich schließen.
  • Druck auf die Türkei und Golfländer ausüben, dass ISIS kein Öl mehr verkaufen kann.
  • Dem IS durch Lähmung des Internets die Führungsfähigkeit nehmen.
  • Gespräche mit Russland im NATO-Rat und die Petersburger-Gespräche wieder aufnehmen. Sanktionen abbauen. Die Annektierung der Krim und das Handeln in der Ost-Ukraine „auf Eis“ legen.
  • Eine Bombenabwurfverbotszone in Zusammenarbeit mit Russland und dem Iran über Syrien einrichten, um Assads Fassbombenangriffe zu beenden und Ruhe in die gegeneinander kämpfenden Gruppen zu bringen.

Nachkriegsordnung und Wiederaufbauprogramm

Das UN-Mandat muss zugleich ein Stationierungsprogramm von UN-Truppen und ein Wiederaufbauprogramm beinhalten, mit dem Ziel, die Bevölkerung zu versorgen, die Rückführung von Flüchtlingen zu ermöglichen und am Versöhnungsprozess zwischen Sunniten und Schiiten beizutragen. Der Fehler nach dem Irak-Krieg darf nicht wiederholt werden.

Wenn wir nicht jetzt politisch und militärisch ganzheitlich handeln, wird der islamistische Terror auch für uns die schlimmste Katastrophe dieses Jahrhunderts werden, und wir sind mitschuldig, weil wir zu lange abgewartet haben. Noch ist es Zeit, dem Einsatz unserer Soldaten einen Sinn zu geben.

Hinweis der Redaktion: Jörg H. Trauboth (1943) ist Oberst a.D. der Luftwaffe, Generalstabsoffizier in Truppenverwendungen, Verteidigungsministerium und in der NATO-Planung; ferner Waffensystemoffizier in RF-4E /F 4F Phantom und Tornado Flugzeugen mit über 2000 Flugstunden. Er ist Sachbuchautor im Richard Boorberg Verlag und Buchautor der aktuellen Doku-Fiktion „Drei Brüder“ über den IS-Terror (www.trauboth-autor.de). Siehe auch unseren Literaturspiegel auf S. 39.

Jörg H. Trauboth

Jörg H. Trauboth

Oberst der Luftwaffe a.D., Lohmar
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