13.01.2016

Die Anschläge von Paris

Konsequenzen für die europäische Sicherheitspolitik

Die Anschläge von Paris

Konsequenzen für die europäische Sicherheitspolitik

Die Terroranschläge vom 13. November 2015 in Paris waren koordinierte, islamistisch motivierte Attentate.|© Smileus - Fotolia
Die Terroranschläge vom 13. November 2015 in Paris waren koordinierte, islamistisch motivierte Attentate.|© Smileus - Fotolia

Die Terroranschläge vom 13. November 2015 in Paris waren koordinierte, islamistisch motivierte Attentate an fünf verschiedenen Orten der Stadt. Insgesamt wurden dabei 132 Menschen ermordet und mehr als 350 verletzt, davon 97 schwer. Sieben der Attentäter starben ebenfalls. Als verantwortlich erklärte sich die terroristische Vereinigung Islamischer Staat (IS).

Freitag, der 13. November 2015: Während des Fußballspiels Frankreich-Deutschland kam es vor dem Stade de France ab 21.20 Uhr zu drei Detonationen durch terroristische Selbstmordattentäter. Das Spiel wurde nicht abgebrochen, da man eine Massenpanik befürchtete. In der Halbzeit wurden der französische Staatspräsident François Hollande und der deutsche Außenminister Franz Walter Steinmeier evakuiert. Um 21.25 Uhr schossen Terroristen aus einem schwarzen Auto mit automatischen Waffen auf die Gäste, die auf den Terrassen der Bar Le Carillon und des Restaurants Le Petit Cambodge saßen. Die Täter fuhren weiter und schießen auf Menschen vor der Pizzeria La Casa Nostra, Rue de la Fontaine-au-Roi. Anschließend richteten sie vor der Bar À la belle Equipe an der Rue Charonne ein drittes Massaker an. Kurze Zeit später fuhren drei weitere Attentäter vor dem Club Le Bataclan vor, töteten zuerst das Personal am Eingang und drangen dann in den Saal ein, wo die amerikanische Rockband Eagles of Death Metal vor 1500 Zuhörern ein Konzert gab und schossen um sich. Als die Polizei den Saal stürmte, sprengten auch sie sich in die Luft. Allein im Bataclan starben über 80 Menschen. Zuletzt nahm sich im Restaurant Au Comptoir Voltaire ein weiterer Terrorist das Leben, wobei eine weitere Person schwer verletzt wurde.

Einen Tag später, am 14. November 2015 bekannte sich der „Islamischer Staat” (IS) in einer im Internet auf Arabisch, Französisch, Englisch und Deutsch veröffentlichten Erklärung zu den Anschlägen. Darin bezogen sich die Terroristen auf die Koransure 59 Vers 2: „Er ist es, der diejenigen von den Leuten der Schrift, die ungläubig sind, aus ihren Wohnstätten zur ersten Versammlung vertrieben hat. Ihr habt nicht geglaubt, dass sie fortziehen würden; und sie meinten, dass ihre Festungen sie vor Allah schützten. Da kam Allah über sie, von wo sie nicht (damit) rechneten, und jagte in ihre Herzen Schrecken, so dass sie ihre Häuser mit ihren (eigenen) Händen und den Händen der Gläubigen zerstörten. Darum zieht die Lehre daraus, o die ihr Einsicht besitzt.” Ferner bezeichneten sie die Anschläge als „gesegneten Kriegszug” gegen das „kreuzzüglerische Frankreich”.


Reaktionen in Frankreich

Noch heute sind viele Fragen hinsichtlich Planung und Durchführung des Anschlags, als auch über die Hintergründe und Radikalisierung der Täter offen. Die Attentäter hatten bewusst Touristenziele, wie den Eifelturm, Montmatre oder den Louvre nicht ausgewählt. Stattdessen wählten sie beliebte Plätz zum Ausgehen und trafen damit vor allem Einheimische. Die direkte Folge waren der Notfallplan des Code Rouge, der umgehend eingesetzt wurde und die Verhängung des Ausnahmezustandes. Die französische Nationalversammlung hat mittlerweile die Verlängerung des Ausnahmezustands im Land um drei Monate gebilligt. Damit ist es möglich, ohne Durchsuchungsbefehl Wohnungen zu durchsuchen und Verdächtige unter Hausarrest zu setzen.

Europäische und internationale Dimension

Am 17. November 2015 beantragte der französische Verteidigungsminister Jean-Yves Le Drian in Brüssel offiziell den Beistand der anderen EU-Mitgliedstaaten im Rahmen der Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) und des Art. 42 Abs. 7 des Vertrages über die Europäische Union. Damit ist Frankreich das erste Land in der Geschichte der EU, das die unionsrechtliche Beistandsklausel in Anspruch nimmt. Aufgrund bilateraler Gespräche zwischen Frankreich und den anderen EU-Staaten sollen konkrete Maßnahmen umgesetzt werden. Kriegshandlungen gegen den islamischen Staat in Syrien und im Irak sollen verstärkt werden. In diesem Zusammenhang muss die Nato über die Entsendung von Bodentruppen entscheiden, da lediglich eine Ausweitung der Luftangriffe wohl auch weiterhin nicht ausreicht, um die terroristische Bedrohung einzudämmen.

Als unmittelbare Reaktion auf die Anschläge verschärften zunächst fast alle europäischen Länder die Sicherheitsmaßnahmen. Die Freizügigkeit, in Europa durch das Schengen-Abkommen geregelt, wurde vorrübergehend teilweise ausgesetzt. An Frankreichs Außengrenzen wurden die Grenzkontrollen wieder eingeführt.

Auswirkungen auf Deutschland

Als unmittelbare Reaktion auf die Anschläge in Paris ordnete Innenminister Thomas de Maizière eine höhere öffentliche Polizeipräsenz an Bahnhöfen, Flughafen und belebten Plätzen an. Die deutsche Bundespolizei verstärkte nach den Terroranschlägen die Einsatzkräfte an der deutsch-französischen Grenze und konzentrierte sich insbesondere auf die Überwachung der Zugverbindungen und des Flugverkehrs. Das für den 17. November 2015 in Hannover angesetzte Länderspiel der deutschen Fußballnationalmannschaft gegen die Niederlande wurde kurz vor Spielbeginn abgesagt und das Stadion wurde evakuiert. Grund dafür sei eine anonyme Drohung gewesen, wonach ein Sprengsatz während des Spiels gezündet werden sollte. Die fieberhafte Suche ergab keinen Fund.

Die Debatte um Maßnahmen zur Steigerung der Sicherheit einerseits und potenzielle Gefährder innerhalb der Flüchtlingsströme nach Deutschland, beherrschen die politische Diskussion. Die politischen Vertreter zeigen sich dabei keineswegs einig, vielmehr verkommen die Anschläge und die Angst vor Terrorismus in Deutschland und ganz Europa, vor allem in der Vorweihnachtszeit, zum politischen Spielball jeweiliger Interessen. Eine einheitliche Strategie oder eine transparent kommunizierte Vorgehensweise gibt es bislang nicht.

Zudem rückt die Polizei in den Fokus der Sicherheitsfrage, wie gut sie für Terroranschläge vorbereitet ist und ob sie die Mehrbelastung durch die Gefährdungslage, als auch die anhaltende Flüchtlingswelle noch bewältigen kann. Speziell geschult und vorbereitet sind rund zwei Dutzend erfahrene Spezialeinsatzkommandos (SEK) mit insgesamt mehr als 1500 Beamten. Allerdings reichen sie nicht aus, um flächendeckend auf Gefährdungslagen im gesamten Bundesgebiet zu reagieren. Sowohl die Polizei der Länder als auch die Bundespolizei klagt seit mehreren Jahren über Personalmangel und eine unzureichende Ausrüstung. Mehrere Dienststellen holten pensionierte Beamte zurück, um die Flüchtlingskrise besser bewältigen zu können. Diese temporäre Notlösung ist hochproblematisch und muss gerade angesichts der aktuellen Gefährdungssituation in Deutschland kritisch betrachtet werden.

Fazit: Eine Symbolpolitik beruhigt nicht mehr

Nach den Anschläge auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo und einen jüdischen Supermarkt in Paris am 7. Januar 2015, prägte einige Tage später das Starke Bild des Trauermarsches vom 11. Januar 2015 auf dem Boulevard Voltaire die Wahrnehmung der Öffentlichkeit. An diesem nahmen neben französischen Spitzenpolitikern über 50 hochrangige Politiker, darunter 44 Staats- und Regierungschefs aus dem Ausland teilnahmen. Dies in Verbindung mit beruhigenden O-Tönen und der Tatsache, dass die Todesopfer relativ gezielt ausgewählt wurden, erschütterte das Sicherheitsempfinden nicht derart, wie nach den aktuellen Anschlägen in Paris, der nicht nur viel mehr Todesopfer forderte, sondern viel wahlloser Menschen zu Opfern machte.

Das Credo, der Terrorismus habe nichts mit dem Islam zu tun (Thomas de Maiziére) oder die gemeinsame Meldung des Zentralrates der Muslime in Deutschland (ZMD), des Islamrates und der DİTİB, in der sie den Anschlag „aufs Schärfste” verurteilten und dazu aufriefen, „sich nicht einschüchtern oder auseinanderdividieren zu lassen”, hallen nach den erneuten Anschlägen in Paris nicht mehr nach. Symbolische Gesten reichen angesichts der gegenwärtigen Angst nicht mehr aus. Nach dem Abschuss eines russischen Kampfjets durch die türkische Armee verstärken sich die Ängste in der europäischen Bevölkerung insgesamt, die nun auch die NATO immer weniger als geschlossenes Bündnis wahrnimmt.

Die akute Bedrohung durch islamistische Terroristen, die am 17. November in Hannover besonders spürbar war und die noch aktuell in Belgien präsent ist, verlangt nach klaren Strategien in ganz Europa. Denn dass der islamische Staat weitere Terroranschläge plant und vorbereitet, muss als sicher angenommen werden. Die Erklärung deutscher Politiker, sich gegenüber Frankreich solidarisch zu zeigen oder auch dem Terror die Stirn bieten zu wollen, lassen weiterhin die Inhalte vermissen. Wie der Bedrohung durch islamistischen Terrorismus politisch begegnet wird, ist nach wie vor unklar. Dies sorgt wiederum für Verunsicherung der Bürger in Deutschland und impliziert die Gefahr eines Vertrauensverlustes in den Staat, der fatale Folgen haben kann (siehe hierzu auch unseren BeitragTrauboth, Quo vadis Deutschland? – Soldaten gegen ISIS: Politische Gesamtstrategie fehlt, in dieser Ausgabe auf S. 18).

 

Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl

Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein Westfalen
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