13.01.2016

Migration: Eine Behörde in der Bewährung

Interview mit dem Vizepräsidenten des BAMF, Dr. Michael Griesbeck

Migration: Eine Behörde in der Bewährung

Interview mit dem Vizepräsidenten des BAMF, Dr. Michael Griesbeck

 | © kamasigns - Fotolia
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Das Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge, kurz BAMF genannt, steht seit Monaten vor enormen Herausforderungen. Um auf die steigenden Flüchtlingszahlen reagieren zu können, wurden in kürzester Zeit neue Außenstellen eröffnet. Nach einer Personalaufstockung mit 1000 im Nachtragshaushalt 2015 bewilligten Mitarbeitern sollen bis März 2016 weitere 4000 neue Stellen für die Entgegennahme von Asylanträgen und die Entscheidung hierüber geschaffen werden. Seit Ende des vergangenen Jahres wird außerdem der neue Ankunftsnachweis an vier Standorten – Berlin, Heidelberg, Bielefeld und Zirndorf – erprobt. Dieser Ankunftsnachweis wird von den zuständigen Aufnahmeeinrichtungen und den zuständigen Außenstellen des BAMF unverzüglich nach der erkennungsdienstlichen Behandlung ausgestellt. Ein einheitliches Erfassungssystem, auf das alle beteiligten Behörden zugreifen können, wird aktuell entwickelt. Im Februar 2016 ist die schrittweise flächendeckende Einführung geplant.

Ob Personalaufbau, Eröffnung von Außenstellen oder schnellere Entscheidungen – das Bundesamt hat also in schwierigen Zeiten das Mögliche versucht und damit schon viel geschafft. Frau Dr. Yvonne Dorf, Fachbereichsleiterin des Fachbereichs Allgemeine Innere Verwaltung der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl, führte für PUBLICUS das Interview mit dem Vizepräsidenten des Bundesamtes, Dr. Michael Griesbeck.

PUBLICUS: Seit 1996 sind Sie im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) tätig, das damals noch „Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge” (BAFl) hieß. Mit der Übernahme von Aufgaben auch im Integrationsbereich wurde die Bundesbehörde in Bundesamt für Migration und Flüchtlinge umbenannt. Wie hat der Aufgabenzuwachs und die damit einhergehende Umbenennung das Bundesamt verändert?


Dr. Griesbeck: 50 Jahre lang war das Bundesamt nur für einen Aufgabenbereich, nämlich für die Asylzuwanderung zuständig. Die Süßmuth-Kommission schlug 2001 dann vor, dort weitere Migrationsaufgaben zu bündeln. Durch den Aufgabenzuwachs, zum Beispiel um die Bereiche Integration, Rückkehrhilfe, Forschung, Ausländerzentralregister, ist das Bundesamt zur zentralen Behörde für Migration auf Bundesebene geworden. Mit seinen zwei Kernbereichen Asyl und Integration gestaltet es seit über 10 Jahren das Migrationsgeschehen in Deutschland mit.

PUBLICUS: Anfang der 90er Jahre musste sich das Bundesamt mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion schon einmal der Herausforderung einer steigenden Zahl von Asylantragstellern in der Bundesrepublik Deutschland stellen, die auch damals eine erhebliche Personalaufstockung und damit einhergehend ein ausreichend dimensioniertes Dienstgebäude für die Zentrale des Bundesamtes notwendig machte. Wenn Sie heute zurückblicken: Lassen sich Parallelen in der Aufgabenbewältigung ziehen bzw. wie unterscheidet sich die Aufgabenlast von damals verglichen mit der heutigen Flut von Asylanträgen.

Dr. Griesbeck: Auch in den 90er Jahren hatten wir schon eine große Anzahl von Asylanträgen. Im Jahr 1992 waren es zum Beispiel 438.000 Anträge. Der Unterschied ist, dass sich im Laufe der Jahre das einschlägige Recht wesentlich verändert hat. Sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene sind eine Fülle von Vorgaben zu beachten. Parallelen lassen sich allerdings in der Personaleinstellung ziehen: Auch damals mussten binnen kürzester Zeit hunderte, ja tausende von neuen Mitarbeiter eingestellt werden und eine Vielzahl von neuen Außenstellen überall im Bundesgebiet eingerichtet werden. Das ist heute wieder so. Allerdings sind wir heute mit der gleichzeitig in Angriff genommenen Verfahrensoptimierung in der Lage, mit den großen Zahlen besser zurecht zu kommen.

PUBLICUS: Seit 2006 sind Sie Vizepräsident des BAMF. Was war bislang die schwierigste Entscheidung, die Sie zu treffen hatten.

Dr. Griesbeck: Zu den schwierigsten Entscheidungen, die ich in den vergangenen Jahren treffen musste, gehören sicherlich Entscheidungen im Zusammenhang mit den Hungerstreiks in Würzburg, Berlin, München und Nürnberg. Hier, aber auch in Fällen von Kirchenasyl, gilt es kluge Entscheidungen zu treffen und den Asylbewerbern vor Augen zu führen, dass es rechtstaatliche Mittel gibt, gegen einen Bescheid vorzugehen, dass aber das Mittel des Hungerstreiks oder des Kirchenasyls neben dem Recht stehen und nicht geeignet sind, eine Entscheidung zu erzwingen. Gerade weil viele von ihnen vor Verhältnissen geflohen sind, die nicht rechtstaatlich waren, muss der Rechtstaat hier deutlich machen, dass es keine willkürliche Gewährung von Asyl gibt.

PUBLICUS: Über wie viele Außenstellen und Entscheidungszentren verfügt das BAMF zur Zeit und wird sich diese Zahl noch erhöhen?

Dr. Griesbeck: Derzeit verfügt das Bundesamt über 40 Außenstellen und vier Entscheidungszentren. Diese Zahl wird sich noch erhöhen, da überall im Bundesgebiet die Länder neue Erstaufnahmeeinrichtungen benennen, teilweise mit über 1000 Betten. Bei solchen Größen soll das Bundesamt dann laut Gesetz eine Außenstelle errichten.

PUBLICUS: Wird sich die Struktur des Amtes aufgrund der aktuellen Situation wesentlich verändern müssen?

Dr. Griesbeck: Das Amt wird sicherlich mehr Außenstellen haben und der Bereich Asyl wird ein größeres Gewicht erhalten. Der Großteil der neuen Mitarbeiter – in 2016 werden 4.000 Mitarbeiter dazukommen – wird im Bereich Asyl eingesetzt. Gleichwohl verlieren die anderen Aufgabenbereiche nicht ihre Bedeutung. Vor allem die Integration der Flüchtlinge mit Bleiberecht wird den Integrationsbereich im Bundesamt stark fordern – und durch die Umsetzung von EU-Entscheidungen wird auch der internationale Bereich weiterhin ein starkes Gewicht haben. Auch der Fachkräftezuzug wird das Bundesamt in Zukunft beschäftigen.

PUBLICUS: Sie sind nicht nur Vizepräsident, sondern seit dem Sommersemester 2012 auch Dozent für das Recht der Zuwanderung an der juristischen Fakultät der Universität Regensburg. Ihren Studierenden kann man nur gratulieren, sozusagen aus erster Hand in die Thematik eingeführt zu werden. Wo sehen Sie regelmäßig Wissenslücken bei der Bevölkerung/Politik, wenn es um das Thema Zuwanderung geht?

Dr. Griesbeck: Die Arbeit mit Studierenden macht mir sehr viel Freude, da durch die jungen Leute neue, frische Ideen vorgetragen werden und man selbst ins Reflektieren kommt. Generell gilt, dass in der öffentlichen Diskussion aber oft die verschiedenen Arten der Zuwanderung vermischt werden. Der Weg des Asyls ist zum Beispiel nur für Schutzbedürftige gedacht und nicht für Menschen, die ihre wirtschaftliche Perspektive verbessern wollen. Für Erwerbszuwanderung gibt es eigene Vorschriften. Und für Familiennachzug gelten wiederum andere Regeln. Leider wird das in der öffentlichen Diskussion nicht genau getrennt.

PUBLICUS: Was würden Sie sich von den Studierenden, gleich ob an Universitäten oder verwaltungsinternen Hochschulen, wünschen?

Dr. Griesbeck: Bei vielen Studenten und auch bei den Absolventen der Verwaltungshochschulen stelle ich ein großes Interesse an Fragen der Migration und Integration fest. Viele sind überrascht, wenn ich sie dann frage, zu welchem Ergebnis sie in der Abschlussarbeit über ein Migrationsthema gekommen sind. Ich wünsche mir – und sage dies den neu bei uns eingestellten Kolleginnen und Kollegen auch – dass sie sich diese Neugierde und dieses Interesse, diese Aufgeschlossenheit für Neues und für Veränderung bewahren und weiterhin Fragen stellen sollen. Migration wird das Megathema im Zeitalter der Globalisierung.

PUBLICUS: Worauf sollte insbesondere bei der Ausbildung von Verwaltungsmitarbeitern des gehobenen nichttechnischen Verwaltungsdienstes Ihrer Ansicht nach besonders geachtet werden?

Dr. Griesbeck: Hier kann ich schildern, was neu eingestellte Kolleginnen und Kollegen für einen Einsatz im Bundesamt benötigen. Das sind zum einen die Kenntnisse eines Verwaltungsgeneralisten, also Rechtskenntnisse und natürlich auch Kenntnisse der Betriebswirtschaftslehre der öffentlichen Verwaltung. Aber wir achten im Bundesamt auch auf die sog. Methodenkompetenzen, also die Fähigkeit, sich Neues schnell aneignen und Wissen transferieren zu können. Darüber hinaus erwarten moderne Behörden auch Teamfähigkeit – ohne Teamarbeit geht heute nichts mehr im Arbeitsalltag. Der Vorteil des Absolventen eines Verwaltungsstudiengangs im gehobenen Dienst muss seine vielfältige Einsetzbarkeit in der öffentlichen Verwaltung bleiben.

PUBLICUS: Seit Beginn des Flüchtlingsansturms gerade auch auf Deutschland waren Sie als Vizepräsident besonders gefordert. Was hat Ihnen, aber auch Ihren Mitarbeitern, in den vergangenen Monaten bei der täglichen Bewältigung der Aufgabenflut Mut gemacht?

Dr. Griesbeck: Großen Mut hat uns die Solidarität der anderen Behörden gemacht. Die Bereitschaft, uns zu unterstützen, bis wir den für den Haushalt 2016 vorgesehenen Stellenzuwachs bekommen, war enorm. Hier möchte ich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, aber auch bei den Vorgesetzten der anderen Ressorts und Geschäftsbereichsbehörden, beim Zoll, der Bundeswehr und natürlich der Bundesagentur für Arbeit bedanken. Mein besonderer Dank gilt aber insbesondere den 51 Studierenden der Hochschule Bund, die ihr Praktikum beim Bundesamt geleistet haben. Vielleicht sind einige auf den Geschmack gekommen und wollen auch nach Abschluss des Studiums zu uns kommen. Sie sind auf jeden Fall herzlich willkommen!

PUBLICUS: Insbesondere seit Oktober 2015 sind auch Kollegen der Bundesagentur für Arbeit, Praktikanten und abgeordnete Mitarbeiter anderer Behörden für das BAMF im Einsatz und unterstützen bei der Abarbeitung der Asylanträge. Wie sind Ihre Erfahrungen mit diesen Mitarbeitern? Wird das BAMF weiterhin auf „externe” Unterstützung angewiesen sein?

Dr. Griesbeck: Die Erfahrungen sind sehr gut. Wir nehmen großes Interesse an der Aufgabe und großes Engagement wahr. Ob wir weiterhin externe Unterstützung brauchen, hängt auch davon ab, ob wir schnell genug ausreichend neue eigene Mitarbeiter bekommen. Daran arbeitet das Bundesamt gerade mit Hochdruck.

PUBLICUS: Welche finanziellen, personellen und technischen Mittel benötigt das BAMF, um für die zukünftigen Herausforderungen gerüstet zu sein. Wie viele zusätzliche Stellen z. B. werden im BAMF benötigt?

Dr. Griesbeck: Wir haben nun 4000 zusätzliche Stellen für 2016 dazu bekommen und arbeiten an einer Verfahrensoptimierung – mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung. Bei gleichzeitigem Rückgang der Asylbewerberzahlen, zum Beispiel in Folge gesetzlicher Änderungen, wird sich die Lage weiter entspannen. Dann wird sich auch herausstellen, wie viele Mitarbeiter wir in den nächsten Jahren brauchen.

PUBLICUS: Was macht die Arbeit als Verwaltungsmitarbeiter im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge so attraktiv?

Dr. Griesbeck: Im Bundesamt ergibt sich aktuell die einmalige Gelegenheit, bei der Bewältigung einer der größten Herausforderungen in der Geschichte der Bundesrepublik aktiv mitzuwirken. Wer ein wirklich abwechslungsreiches und spannendes Tätigkeitsfeld haben möchte, ist beim Bundesamt gut aufgehoben. Natürlich liegt derzeit der Fokus der Einstellungen ganz klar auf dem Asylbereich, die Integration der dauerhaft Bleibenden ist aber auch eins der kommenden Themen. Das macht die Perspektiven im Bundesamt durchaus attraktiv.

PUBLICUS: Sehr geehrter Herr Dr. Griesbeck, wir danken Ihnen für dieses Interview!

 

Dr. iur. Yvonne Dorf

Leitende Regierungsdirektorin
 

Dr. Michael Griesbeck

Dr. Michael Griesbeck ist seit dem 4. September 2006 Vizepräsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF).
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