13.01.2016

Löschungspflichten von Access Providern

Der BGH beschreitet neue dogmatische Wege und setzt Maßstäbe

Löschungspflichten von Access Providern

Der BGH beschreitet neue dogmatische Wege und setzt Maßstäbe

Urheberrechtsverletzungen im Netz – Interessenausgleich mit Zugangssperren durch Diensteanbieter?|© kentoh - Fotolia
Urheberrechtsverletzungen im Netz – Interessenausgleich mit Zugangssperren durch Diensteanbieter?|© kentoh - Fotolia

Die Problematik

Am 26. 11. 2015 hat der I. Zivilsenat des BGH in zwei Verfahren (I ZR 3/14 und I ZR 174/14) über die Haftung von Unternehmen bei Urheberrechtsverletzungen Dritter entschieden. Wegweisend sind die Entscheidungen deshalb, weil sich die Klagen nicht gegen Host Provider oder Content Provider richteten – also solche Unternehmen, die sich häufig im rechtsfreieren und schwer zu kontrollierenden Ausland niederlassen, um mit Filesharing- und Upload-Portalen die Film- und Musikindustrie um ihre Einnahmen zu bringen, Urheber zu schädigen und Rechteverwerter ins Leere laufen zu lassen.

Nein, es handelte sich bei den Klägern um die GEMA sowie Tonträgerhersteller, die gegen in Deutschland ansässige, über jeden Zweifel erhabene Telekommunikationsdienstleister vorgingen, um zu erzwingen, dass diese in ihrer Funktion als Bereitsteller von Internetzugängen den Aufruf von Internetseiten unmöglich machen sollten, wenn auf diesen Seiten Urheberrechte verletzt werden und die Urheber oder ihre Beauftragten dieses Verlangen an die Access Provider stellen.

Konkret ging es in den streitbefangenen Fällen um die Webseiten ‚3dl.am’ und ‚goldesel.to’, die jeweils zum ausschließlichen Ziel hatten, Links zu Sharehostern bereitzustellen, über die urheberrechtlich geschützte Musik- und Filmwerke kostenfrei downgeloadet werden konnten. Über derartige Filesharing-Netzwerke, so die Kläger, würden widerrechtlich hochgeladene, urheberrechtlich geschützte Inhalte verbreitet und damit Urheber- und Leistungsschutzrechte massiv verletzt. Der Schaden für die Betroffenen gehe in die Milliarden. Aus diesem Grund nehme man die Beklagten auf Unterlassung in Anspruch, künftig über die von ihnen bereitgestellten Internetzugänge Dritten den Zugriff auf Links zu den streitbefangenen Werken über die im Ausland gehosteten Webseiten zu ermöglichen. Die beiden ersten Instanzen hatten die Klagen abgewiesen.


Die Entscheidungsbegründungen

Der BGH hat in seinen Entscheidungen zunächst grundsätzlich bejaht, dass ein Telekommunikationsunternehmen, das Dritten den Zugang zum Internet ermöglicht, von Rechteinhabern als Störer darauf in Anspruch genommen werden kann, den Zugang zu Internetseiten zu unterbinden, auf denen urheberrechtlich geschützte Werke rechtswidrig öffentlich zugänglich gemacht werden. Das in der modernen Rechtsdogmatik fast vergessene Instrument des Störers wird vom BGH aktuell bei der Verletzung absoluter Rechte fruchtbar gemacht, wenn jemand, ohne Täter oder Teilnehmer zu sein, auf sonstige Weise willentlich und adäquat-kausal zur Verletzung eines geschützten Rechtgutes beiträgt, sofern er zumutbare Prüfpflichten verletzt hat.

Zusätzlich müsse das deutsche Recht vor dem Hintergrund des Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie 2001/29/EG über das Urheberrecht in der Informationsgesellschaft richtlinienkonform ausgelegt werden; d. h., es sei eine Möglichkeit vorzusehen, gegen Vermittler von Internetzugängen Sperranordnungen zu verhängen.

Abzuwägen seien in den streitbefangenen Fällen die Grundrechte des Eigentumsschutzes der Urheberrechteinhaber, die Berufsfreiheit der Telekommunikationsunternehmen sowie der Informationsfreiheit und der informationellen Selbstbestimmung der Internetnutzer. Bei überwiegend rechtsverletzenden Inhalten auf einer Internetseite seien Sperranordnungen ein probates Mittel, um einen Zugang trotz bestehender Umgehungsmöglichkeiten zumindest erheblich zu erschweren.

Hierarchie der Störerhaftung

Allerdings komme eine Störerhaftung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit nur dann in Betracht, wenn der Rechteinhaber bereits nachweisbar alle zumutbaren Anstrengungen unternommen hat, gegen diejenigen Beteiligten vorzugehen, die als Rechteverletzer einen weitaus gewichtigeren und von hoher Verletzerenergie getragenen Tatbeitrag geleistet haben als der deutsche Access Provider, namentlich der Host und der Content Provider, die sich mit Absicht im außereuropäischen Ausland unter Deckadressen niedergelassen haben, um primär rechtswidrige Geschäftsmodelle zu betreiben. Nur wenn die Inanspruchnahme dieser Tatbeteiligten scheitere oder jede Erfolgsaussicht fehle, sie so in Anspruch zu nehmen, dass der rechtswidrige Zustand beseitigt wird, sei die Inanspruchnahme des Access Providers als Störer zumutbar, weil ansonsten eine Rechtsschutzlücke entstünde, die auf diesem Weg geschlossen werden könne.

Die vom Gebot der Verhältnismäßigkeit diktierte Hierarchie der Störerinanspruchnahme erfordere es, dass die Rechteinhaber – bis hin zur Einschaltung von Detekteien, supranational tätiger Ermittlungskräfte und Nachforschungen vor Ort – alles Zumutbare unternähmen, um die Rechteverletzer ausfindig zu machen und zur Rechenschaft zu ziehen. Die bloße Erwirkung von gerichtlichen Verfügungen, die nicht zugestellt werden konnten, weil sich die Adressangaben in der Domain-Registrierung als falsch herausstellten oder weil das Impressum einer Verletzerseite keine gültige Adresse und Handelsregisterregistrierung erkennen lasse, reichten nicht aus, um an dieser Stelle keine weiteren Anstrengungen zu unternehmen und sich mit einer Unterlassungsverfügung an den inländischen Access Provider zu wenden. Die Revisionen seien daher zurückzuweisen. Soweit der BGH.

Die Reaktionen

Naturgemäß sind die Entscheidungen auf ein geteiltes Echo gestoßen. Der Bundesverband der Musikindustrie, BMVI, begrüßte die weitere Klarstellung der Verantwortungsräume im Internet, ließ allerdings Zweifel an der praktischen Handhabbarkeit der aufgestellten Kriterien erkennen. Die faktisch etablierte Subsidiarität der Access Provider Haftung könne dazu führen, dass Rechteinhaber kaum wirtschaftlich zumutbar und zeitlich sinnvoll ihre Rechte gegen die primär Verantwortlichen durchsetzen können. Hinweise auf Detektiv-einsätze im Ausland führten auf direktem Weg in ein Rechtsdurchsetzungsnirwana, das niemand mit Praxiserfahrung beschreiten wolle oder könne. Eher sei ein konsequentes Vorgehen gegen Rechtsverletzer an erreichbarem Ort gegen erreichbare Mitstörer zielführend und vonnöten.

Andere Stimmen bezeichnen die Entscheidungen des BGH als ‚von einer ergebnisorientierten Wunschdogmatik getragen’. Der BGH selbst habe die Störerhaftung mehrfach eingeschränkt, um nicht Haftungsgrundsätze auf unbeteiligte Dritte zu erstrecken. Jeder Störer müsse einen nachweisbar kausalen Beitrag zur Rechtsverletzung geleistet haben. Die Rechtsverletzung geschehe aber ausschließlich im Bereich der ausländischen Host- und Content Provider. Sie verletzten die Rechteinhaber. Eine Zugangssperre des Access Providers sei für diese Verletzungshandlungen in keiner Weise kausal. Die Verletzung verschwinde durch eine Sperre auch nicht, sondern werde lediglich – vorübergehend – nicht sichtbar, bestehe aber weiter. Außerdem postuliere der BGH mit seiner Abstufung zwischen sachnäheren und sachferneren Störern eine Hierarchie, die dem deutschen Recht bisher unbekannt war. Auch der Verweis auf europarechtliche Auslegungsgrundsätze verfange nicht, weil Access Provider gerade nicht zur Verletzung eines Schutzrechtes beitrügen, sondern dieses lediglich sichtbar machten. Der BGH habe sich bei seinen Entscheidungen von einem entschiedenen Wollen und nicht von einer klaren Rechtsdogmatik leiten lassen.

Das Fazit

Der I. Zivilsenat des Bundesgerichthofs hat die bereits vom EuGH in seiner ‚Telekabel Wien’ Entscheidung (C-314/12) vom 27. 03. 2014 vorgegebene Linie zur Störerhaftung von Access Providern fortgeführt. Netzsperren waren bereits mit der Schaffung des ‚Zugangserschwerungsgesetzes’, das am 23. 02. 2010 in Kraft trat und am 29. 12. 2012 wieder gestrichen wurde, ein öffentlich diskutiertes Thema. Der BGH hatte zwischen dem Haftungsprivileg des § 8 TMG, wonach Diensteanbieter nicht verpflichtet sind, die von ihnen zugänglich gemachten Informationen auf rechtswidrige Tätigkeiten hin zu prüfen oder zu überwachen, und der auch europarechtlich gewollten Möglichkeit, Access Provider in bestimmten, nicht anders zu lösenden Fällen, auf die Sperrung von Internetzugängen in Anspruch zu nehmen, abzuwägen.

Der BGH hatte im Ergebnis neue dogmatische Wege zu beschreiten, um zu einem angemessenen Interessenausgleich zu kommen. Das ist seine Aufgabe. Ob die Quadratur des Kreises praxistauglich ist, wird die Zukunft zeigen.

 

Professor Achim Albrecht

Westfälische Hochschule, Gelsenkirchen
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