17.07.2017

Welcome to Hell

Sicherheitspolitische Überlegungen zum Gewaltexzess bei G20-Gipfel

Welcome to Hell

Sicherheitspolitische Überlegungen zum Gewaltexzess bei G20-Gipfel

Der G20-Gipfel fand in Hamburg statt. | © Ch_Alexandr - stock.adobe.com
Der G20-Gipfel fand in Hamburg statt. | © Ch_Alexandr - stock.adobe.com

Der G20-Gipfel wurde von gewalttätigen Ausschreitungen überschattet. Diese wurden zwar erwartet, das Ausmaß überraschte dennoch. Menschengruppen mit enormem Zerstörungswillen beherrschten das Bild, ganze Straßenzüge wurden verwüstet, Autos verbrannt, Häuser beschädigt und Geschäfte geplündert. Während die Polizisten im Einsatz insgesamt viel Rückhalt aus der Bevölkerung bekamen, wurde in den Medien der Vorwurf des Staatsversagens laut. Theorien, Meinungen und vor allem Schuldzuweisungen beherrschen seitdem die Debatte. Doch fehlen nach wie vor umfassende Analysen.

Eskalation und Zerstörung als kommuniziertes Ziel

Diverse Gruppen und Verbände schlossen sich zusammen, um Demonstrationen gegen den G20-Gipfel zu organisieren. Die Teilnehmer kamen aus ganz Deutschland und dem (europäischen) Ausland. Die Polizei rechnete bereits im Vorfeld mit bis zu 8.000 gewaltbereiten Demonstranten. Und tatsächlich meldeten Bündnisse Demonstrationen an, die sich nicht nur mit Redebeiträgen, Musik, Tanz etc. gegen den Gipfel artikulieren, sondern diesen auch gezielt stören wollten. Allen voran das Demonstrationsbündnis »Welcome to Hell«. Deren Motto war eine Gewaltorgie mit Ansage. Sie kündigten an, den Gipfel für die Beteiligten zur Hölle machen zu wollen, zudem bezeichneten sie die Teilnehmer des Gipfels im Vorfeld als »kriegsführende Faschisten« und riefen in einer »Call to Action« zu »angemessenen Aktionen« gegen diese auf. Trotz all dieser expliziten Ansagen hat das Bündnis vom Gericht die Genehmigung zur Durchführung der Demonstration bekommen, der Ton für die Proteste war damit gesetzt.

Die Konfrontation mit der Polizei ließ nicht lange auf sich warten. Die Polizei räumte ein Demo-Camp und stoppte auch den Demonstrationszug aufgrund vollvermummter Personen am Donnerstag, 6. Juli, sehr frühzeitig, auch unter Einsatz von Reizgas. Dieses Vorgehen stieß auf großflächige Kritik in Medien und Politik. Der Vorwurf, die Polizei habe bewusst die Eskalation provoziert und sogar angegriffen, wurde laut. Der bewusste Verstoß gegen das Vermummungsverbot nach § 17 a Abs. 2 Versammlungsgesetz würde ein derart aggressives Einkesseln des gesamten Demonstrationszuges nicht rechtfertigen, hieß es. Allerdings hätte die Polizei den Zug aufgrund der Vermummung des sog. schwarzen Blocks auch nicht weiterziehen lassen können. Auch der Aspekt, dass der schwarze Block in bewusster und aggressiver Absicht agierte, wird bei aller Kritik offensichtlich vernachlässigt. Die Akteure suchten bewusst die Eskalation mit der Polizei. Dass es den vermummten Teilnehmer um rechtskonformen, friedlichen Protest ging, ist somit wenig glaubhaft und entspricht auch nicht den Ankündigungen.


Betrachtung der polizeilichen Maßnahmen

Bereits seit dem Morgen des Freitags, 7. Juli, zogen gewalttätige Randalierer durch Altona, zerschlugen auf der Elbchaussee Schaufensterscheiben und die Scheiben eines Linienbusses, zündeten Mülleimer an, verwüsteten Cafés, zündeten Bengalos und griffen ein Möbelhaus an . Diverse Videos zeigen, wie hunderte Vermummte den ganzen Tag über randalieren und Brandanschläge gegen Autos verüben. In der Nacht vom 7. auf den 8. Juli eskalierte die Situation im Schanzenviertel vollends. Die Gewalttäter tobten sich etwa drei Stunden ungehindert aus, zündeten Autos an, schlugen Schaufensterscheiben ein und plünderten Läden. Die Polizei griff nicht ein. Erst mit Eintreffen des SEK und der Räumung eines Gebäudes, von dessen Baugerüst und Dach aus Molotow-Cocktails, Flaschen und Steine auf die Polizei geworfen wurden, wurde kurz vor Mitternacht die Lage wieder unter Kontrolle gebracht. Die Frage, warum über 20.000 eingesetzte Polizeibeamte dies nicht schneller geschafft hatten, wiegt tatsächlich schwer. Die durch ein Video gestützten Erklärungen des Einsatzleiters Dudde, wonach die Gefährdung durch die Gewalttäter auf dem Dach des später vom SEK geräumten Gebäudes zu groß war, wirkten angesichts Personenstärke und Ausrüstung nicht vollständig überzeugend.

Kritik an und durch Journalisten

Aufsehen erregte auch eine Liste mit den Namen von 32 Journalisten, denen zum Beginn des Gipfels nachträglich die Akkreditierung entzogen wurde. Von wem diese Liste erstellt wurde und auf wessen Initiative diese Maßnahme zurückging (BKA oder Bundespresseamt) war zunächst unklar. Pressevertreter rügten einen massiven Eingriff in die Pressefreiheit und Datenschützer den Umstand, dass die Liste mit diesen 32 Namen großflächig an die diensthabenden Polizeibeamten ausgehändigt wurde.

Andere Journalisten bzw. Blogger, deren Berufsqualifikation nicht eindeutig geklärt werden konnte, posteten auf Facebook, sie seien von der Polizei an der Ausübung ihres Berufes gehindert worden, mit unflätigen Aufforderungen wie »Verpiss Dich hier!«, mit Drohungen oder auch mit Tätlichkeiten wie Wegstoßen. Das Antasten von Demonstrations- und Pressefreiheit als eklatante Eingriffe in demokratische Grundrechte muss zwingend aufgeklärt werden.

Doch auch Kommentare und Gebaren der Journalisten müssen kritisch betrachtet werden. Statements von Publizisten wie beispielsweise Jutta Ditfurth, Jakob Augstein oder Sören Kohlhuber sahen die Schuld für die Gewalt bei der Polizei und dem Gipfel selbst. Ditfurth erklärte kurz und knapp: »Die Gewalt ging von der Polizei aus«. Der Verlags-Erbe Augstein reagierte auf einen Tweet der Bundesregierung, dass es für Gewalt keine Rechtfertigung gäbe: »Widerspruch! Der Gipfel selbst tut der Stadt Gewalt an! Mündige Bürger werden zur Kulisse von Despoten gemacht«. Kohlhuber twitterte gar: »Die Gewalt geht von Staat und Polizei aus. Jede Flasche, jeder Stein hat heute seine Berechtigung!«. Zudem erkannte er eine Bloggerin aus den USA, die als Sympathisantin der Identitären Bewegung (IB) gilt. Andere Journalisten und Blogger, die sie begleiteten, ordnete er deswegen auch der IB zu und sorgte so für eine Hetzjagd durch Anhänger der Antifa, die die Personengruppe mehrfach angriffen. Dies führte dazu, dass die Zeit am Montag den 11. Juli 2017 die Trennung vom Autor des Zeit-Online Projektes »Störenmelder« bekanntgab.

Fehlende Übernahme der politischen Verantwortung

Doch auch Politiker wie Ralf Stegner (SPD) und Katja Kipping (Die Linke) sahen keinen Linksextremismus in der Gewalt und äußerten Kritik am Vorgehen der Polizei. Indes möchte niemand aber die politische Verantwortung übernehmen, weder die Regierung als Ausrichter, der Senat der Stadt Hamburg als Veranstalter oder die Partei »Die Linke«, deren Abgeordneter Jan van Aken zum Demonstrationsbündnis gehörte und die Verantwortung für Eskalationen pauschal der Polizei zuschrieb. Die nicht stringente Strategie der Polizeiführung und die fehlende politische Übernahme der Verantwortung fallen in der öffentlichen Wahrnehmung auf die Polizisten und Polizistinnen im Einsatz zurück, die ihren Dienst bis zum Rand der Erschöpfung versehen haben. Die Verantwortung für den Polizeieinsatz liegt aber nicht bei ihnen selbst, sondern zum einen bei der Einsatzleitung, vor allem aber bei dem Innensenator Andy Grote als obersten Dienstherren.

Doch die politische Verantwortungsübernahme müsste noch deutlich weitergehen: Linksextreme Strukturen werden in Deutschland seit Jahren verharmlost und zum Teil sogar noch gefördert, wie beispielsweise schon die Zeitung taz vor zwei Jahren berichtete. Politisch oder religiös motivierte Gewalt kann nicht im Vergleich für besser oder schlechter befunden werden, Extremismus ist stets als Angriff auf das demokratische Grundverständnis zu sehen und entsprechend zu ahnden. Im Falle linksextremer Strukturen würde ein konsequentes Vorgehen die Schließung autonomer »Kulturzentren« und die Räumung unrechtmäßig besetzter Häuser beinhalten. Auch hierzu bedarf es der Politik, denn solange sich Politiker des Themas nicht annehmen wollen oder sogar entsprechende Täter noch rechtfertigen und fördern, sind Gewalt-Eskalationen wie zuletzt in Hamburg nur eine Konsequenz politischer Agitation.

Ein weiterer Pfeiler in der Bekämpfung linksextremistischer Gewalt stellt freilich die Justiz dar. Auch hier beklagen Polizei und Verfassungsschutz eine zuweilen häufig nachsichtige Haltung gegenüber linksautonomen Extremisten in der Strafverfolgung. Menschenverachtende Gewalt, oft gegen Polizeibeamte gerichtet, wird durch eine vermeintlich »linke Ideologie« allerdings nicht weniger gefährlich oder schändlich.

Der Publizist und Psychologe Ahmad Mansour kommentierte die Ereignisse zusammenfassend so: »Die Polizei in Deutschland hat ein Autoritätsproblem. Nicht erst seit heute wird sie als schwach, handlungsunfähig, als Feind wahrgenommen. Jeden Tag in Neukölln, in der Kölner Silvesternacht und jetzt in Hamburg war das nicht zu übersehen.
Verantwortlich dafür sind diejenigen Politiker, die seit Jahren die Polizei kaputtsparen und lieber ihr eigenes Image pflegen als das unserer Gesetzeshüter. Verantwortlich sind aber auch die Richter, die mit ihrer Kuscheljustiz die Arbeit der Polizei beinahe unmöglich machen.«

Vorläufige Schadensbilanz

Die Bilanz des Gipfels liest sich düster: Überschaubare Ergebnisse bei immensem Aufwand und Kosten bereits im Vorfeld, 476 verletzte Polizeibeamte bei lediglich 37 vorläufigen Festnahmen, Sachschäden in Millionenhöhe und Bilder von bürgerkriegsähnlichen Zuständen, die um die Welt gingen. Eine Blamage vor der ganzen Welt. Die führenden Politiker des Landes, von der Bundeskanzlerin, die Hamburg favorisierte und auch das Konzert in der Elbphilharmonie als Programmpunkt setzte, angefangen, bis hin zum regierenden Oberbürgermeister Hamburgs, Olaf Scholz, sieht sich niemand in der Verantwortung und stellt den G20-Gipfel 2017 insgesamt als positives Ereignis dar.

Vieles am G20-Gipfel war vorhersehbar: Eine wenig spektakuläre Abschlusserklärung des Gipfels, dass es zu gewalttätigen Ausschreitungen kommt und auch, wie die Reaktionen darauf ausfallen. Es gab gute Gründe für und gute Gründe gegen den Gipfel. Es gab ebenso gute Gründe, die für als auch gegen den Austragungsort Hamburg sprachen. Doch keiner der Gründe rechtfertigt die Geschehnisse, die Gewalt, die Zerstörung und den Einsatz von Polizei, Feuerwehr und Rettungskräfte über deren Belastungsgrenzen hinaus.

Das Demonstrationsrecht hat eine grundgesetzlich verbürgte Gewährleistung und diese mit klaren Regeln. Die Polizei hat als staatliche Exekutive die Aufgabe, auf die Einhaltung dieser Regeln zu achten und bei Verstößen und Verbrechen die Täter der Strafverfolgung zuzuführen. Aufgrund der vielen Bilder, die die Gewalttäter zum Teil selbst sogar als Selfies in sozialen Medien hochgeladen haben, und diverser Handyvideos werden sicherlich viele der Gewalttäter ermittelt werden können. Dann ist es an der Justiz, das Strafmaß in Anlehnung an dem von den Tätern zelebrierten Hass und der ausgeübten Gewalt zu orientieren und entsprechend zu urteilen. Doch ohne eine politische Verortung, Verantwortungsübernahme und Konsequenzen wird die Gewalt von Hamburg lediglich eine Randnotiz bleiben, die viele Menschen verletzt und Eigentum zerstört hat. Die Aussage, man werde für die entstandenen Schäden der Menschen aufkommen, sind gerade in Zeiten eines Wahlkampfjahres noch das billigste Mittel, da für dieses Versprechen letzten Endes der Steuerzahler aufkommt.

 

 

 

Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl

Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein Westfalen
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