03.07.2017

Schleichende Zentralisierung und Verantwortungsverwischung

Warum die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen aus kommunaler Sicht kritikwürdig ist

Schleichende Zentralisierung und Verantwortungsverwischung

Warum die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen aus kommunaler Sicht kritikwürdig ist

Ab 2020 gelten neue Verfassungsregeln für die Bund-Länder-Finanzbeziehungen. | © magele-picture - Fotolia
Ab 2020 gelten neue Verfassungsregeln für die Bund-Länder-Finanzbeziehungen. | © magele-picture - Fotolia

Im Frühjahr 2017 ist nach langen und zähen Verhandlungen zwischen Bund und Ländern die Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen ab 2020, die eigentlich lediglich einfachgesetzlich im Finanzausgleichsgesetz zu regeln gewesen wäre, mit 13 Grundgesetzänderungen ihrer finalen Regelung zugeführt worden. Das erzielte Ergebnis verwundert weniger mit Blick auf die fiskalischen Auswirkungen; es hätte aber wohl noch im Herbst 2016 niemand damit gerechnet, dass zu seiner Erlangung der bisherige Verfassungsrahmen in so vielen Vorschriften verändert werden würde.

Gravierender Eingriff in die Verfassung

Auffällig ist, dass in den insgesamt elf von 68 Jahren seit Inkrafttreten des Grundgesetzes, in denen im Bund eine Große Koalition regierte, die bundesstaatliche Finanzverfassung jeweils gravierenden Veränderungen unterworfen wurde, weil sich zu den vorhandenen verfassungsändernden Mehrheiten im Deutschen Bundestag auch Mehrheiten im Bundesrat – ggf. unter Einsatz von Finanzmitteln für einzelne Länder – gewinnen ließen.

Aus Sicht des Deutschen Landkreistages besonderes drastisch stellt sich die Einfügung des Art. 104c GG dar. Er markiert den Gipfel der strukturellen Schwächung der Länder gleich in doppelter Hinsicht: Genauso wie es die alleinige Aufgabe der Länder ist, durch den kommunalen Finanzausgleich dafür zu sorgen, dass alle ihre jeweiligen Kommunen über eine ihren jeweiligen Aufgaben entsprechende finanzielle Mindestausstattung verfügen, wozu künftig auch Bundesergänzungszuweisungen nach Art. 107 Abs. 2 S. 6, 1. Alt. GG beitragen, liegt die Sachkompetenz der Länder für Schulen in Gesetzgebung und Verwaltung allein bei ihnen. Auch hier dem Bund nach der bereits 2014 erfolgten Änderung im Wissenschaftsbereich in Art. 91b GG ein Scheunentor geöffnet zu haben, kann sich binnen Kurzem als wucherndes Krebsgeschwür für den Föderalismus in Deutschland erweisen.


Art. 104c GG: Verfassungsrechtlicher Irrweg

Dabei handelt es sich um einen verfassungsrechtlichen Irrweg, bei dem der gebotene Ausweg eine dauerhaft erhöhte und in ihrer horizontalen Verteilung veränderte sowie auch auf die Kreise erstreckte kommunale Umsatzsteuerbeteiligung gewesen wäre. Einen Schleichweg hatte der Deutsche Landkreistag ebenfalls vorgeschlagen: In der hitzigen Debatte um eine 3,5 Mrd. Euro-Förderung kommunaler Bildungsinfrastruktur durch den Bund hätte Art. 143c GG genutzt werden können, um diese Mittel wie die Gelder zur Wohnraumförderung als Entflechtungsmittel auf die kommunale Ebene zu bringen, statt für diese einmalige Investitionshilfe eigens die Verfassung zu ändern. Aus beidem ist jedoch nichts geworden.

Anlass zu neuem Nachdenken über den einzuschlagenden Weg gab es freilich genug: Ende April stellte der Bund Überlegungen für die mit den Ländern abzuschließende Verwaltungsvereinbarung an, in der einerseits der Bund auf die Einhaltung der verfassungsrechtlichen Vorgaben der Art. 104b und c GG hat achten müssen und andererseits die Länder und ihre Kommunen für die größtmögliche Bewahrung ihrer bisherigen ausschließlichen Kompetenz im Bereich der Schulinfrastruktur kämpfen mussten. Um es kurz zu machen: beides zu erreichen, war strukturell unmöglich. Der mit dem Entwurf der Verwaltungsvereinbarung unternommene Versuch der Züchtung der eierlegenden Wollmilchsau ist gründlich missglückt, was den beteiligten Akteuren nunmehr sehr deutlich vor Augen geführt worden ist.

Bund agiert nur scheinbar länderfreundlich

Nach Art. 104c GG hat der Bund den Kreis „der finanzschwachen Gemeinden (Gemeindeverbände)“, der in der Verfassung wörtlich so umschrieben wird, selbst zu definieren. Täte er dies aber, fielen die Kommunen etlicher Länder komplett aus der Förderung heraus, was mit der politisch getroffenen Verabredung nicht zu vereinbaren gewesen ist. Auch muss der Bund definieren, welche der zahlreich denkbaren Maßnahmen im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur „gesamtstaatlich bedeutsam“ sind, was er ebenfalls nicht leisten kann.

Also agierte der Bund zum einen scheinbar länderfreundlich, aber nicht Art. 104c GG-konform, den Ländern die jeweilige Festlegung zu überlassen, zum anderen aber, den Ländern dabei – von diesen mehr als gängelnd und willkürlich empfundene – Vorgaben zu machen, wie dies zu geschehen hat – und zwar sowohl für die Auswahl finanzschwacher Kommunen (finanzschwach im Verhältnis zu vier vorgegebenen landesdurchschnittlichen Vergleichsgrößen, von denen die Länder zwei auswählen können) als auch bezogen auf Mindestvolumina einzelfallbezogener Projekte bei einem Verbot pauschaler Mittelzuweisung durch die Länder oder der Bildung von Förderbudgets und die Definition des Förderbereichs.

In der Sache sprach indes alles dafür, den alleinzuständigen Ländern und ihren Kommunen zu überlassen, zu bestimmen,

  • was Schulgebäude sind,
  • ob eine Verknüpfung mit Horten besteht bzw. bestehen soll,
  • ob Ersatzbauten sinnvoll sind,
  • ob räumliche Kapazitätserweiterungen notwendig sind,
  • ob ergänzende Maßnahmen zur Erfüllung der digitalen Anforderungen geboten sind, seien sie nun mit dem Gebäude fest verbunden oder beweglich.

Allein die Verortung in Art. 104c GG gab dem Bund hier ein Packende, ja sogar die Pflicht, ein tief in originäre Länder- und Kommunalkompetenzen eingreifendes Bestimmungsrecht des Bundes einzufordern, das er so bei Einschlagen des Weges der Finanzierung über Art. 143c GG nicht gehabt hätte. Deshalb hatte der Deutsche Landkreistag Bund und Länder nachdrücklich aufgefordert, einen anderen verfassungsrechtlichen Weg für die vereinbarte 3,5 Mrd. Euro-Kommunalinvestitionsförderung zu beschreiten.

Vorschlag für ein Bauschild

Da Bund und Länder den vorgetragenen Bedenken nicht gefolgt sind, ist vielleicht im Zusammenhang z. B. mit Schulsanierungen folgendes Bauschild – ein solches muss laut Verwaltungsvereinbarung auf die Bundesförderung hinweisen – angebracht:

„Da das Land X seiner Verpflichtung zur aufgabenangemessenen Finanzausstattung der Kommune K nicht nachgekommen ist und notwendige eigene Anstrengungen zur Unterstützung kommunaler Investitionen nicht hinreichend unternommen hat, ist deine Kommune K finanzschwach i. S. d. Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland und erhält daher ausnahmsweise eine Förderung durch den Bund nach dem Kommunalinvestitionsförderungsgesetz in Höhe von X Euro, beschränkt auf die Sanierung bzw. den Umbau des Schulgebäudes und mit diesem fest verbundener, nicht beweglicher Gegenstände und Anlagen ohne wesentliche räumliche Kapazitätserweiterung.“

DigitalPakt Schule schlägt in dieselbe Kerbe

Unter dieselbe Überschrift passt zudem der kürzlich von Bund und Länder verabredete „DigitalPakt Schule“ zur Unterstützung der Bildung in der digitalen Welt, wonach der Bund in den Jahren 2018-2022 insgesamt ca. 5 Mrd. Euro für den Ausbau digitaler Ausstattung an allgemeinbildenden und beruflichen Schulen sowie sonderpädagogischen Bildungseinrichtungen bereitstellen will.

Klar ist: Die Digitalisierung der Schulen muss weiter voranschreiten. Hier stehen Länder und Kommunen als Verantwortliche vor großen Aufgaben, die zusätzliche Investitionen bedeuten. Aber: Schulen zukunftsfest zu machen, ist keine Aufgabe des Bundes! Für eine Weiterentwicklung des Bildungs- und Erziehungsauftrages in der digitalen Welt und die bedarfsgerechte Qualifizierung des Lehrpersonals hat der Bund überhaupt keine Kompetenzen. Ebenso fallen Betrieb und Wartung der digitalen Infrastrukturen in den Verantwortungsbereich des jeweiligen Schulträgers, also des Landkreises oder der Gemeinde. Ein Kostenrahmen wurde in diesem Zusammenhang auch bereits genannt: 2,8 Mrd. Euro pro Jahr. In diese notwendige Daueraufgabe kann man nicht auf unklarer Kompetenzgrundlage bei nicht auf Dauer gesicherter Finanzierung hineinstolpern.

Erst kürzlich hat das Bundesverfassungsgericht dem Bund den allzu unbeschwerten Umgang mit den Grenzen der eigenen Kompetenzen vorgehalten und die Kernbrennstoffsteuer für verfassungswidrig erklärt. Damit wurde nach dem ebenso deutlichen Urteil zur Verfassungswidrigkeit des Betreuungsgesetzes vor zwei Jahren einmal mehr klargestellt: Der Bund kann sich nicht leichtfertig über die Kompetenzordnung des Grundgesetzes hinwegsetzen und ungebunden im Verantwortungsbereich der Länder Regelungen treffen. Dies muss insbesondere bei den bis zum Jahresende andauernden Verhandlungen von Bund und Ländern zum Digitalpakt berücksichtigt werden.

 

Prof. Dr. Hans-Günter Henneke

Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Landkreistages, Berlin
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