03.08.2017

PKS und Bundeslagebild 2016

Erneuter Anstieg bei Gewaltdelikten und politisch motivierter Kriminalität

PKS und Bundeslagebild 2016

Erneuter Anstieg bei Gewaltdelikten und politisch motivierter Kriminalität

Die registrierte Gewaltkriminalität erhöhte sich im Jahr 2016 insgesamt um 6,7  Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf ca.  193.500 Taten. | © Marco2811 - Fotolia
Die registrierte Gewaltkriminalität erhöhte sich im Jahr 2016 insgesamt um 6,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf ca. 193.500 Taten. | © Marco2811 - Fotolia

Dieses Jahr wurde die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für das Berichtsjahr 2016 relativ frühzeitig veröffentlicht. Während für das Jahr 2015 besonders Wohnungseinbruchs- und Ladendiebstähle mit Rekordwerten für Unmut sorgten, zeigen sowohl PKS als auch das Bundeslagebild »Kriminalität im Kontext der Zuwanderung« eine besorgniserregende Entwicklung bei Gewaltdelikten jeglicher Art auf. Ein besonderer Fokus liegt auf der Entwicklung von Kriminalität durch Zuwanderer, die in einem separaten Lagebild erfasst wurden.

Systematik und Aussagekraft der PKS

Die PKS zählt sämtliche registrierte, also die bei der Polizei zur Anzeige gebrachten Straftaten und stellt somit kein Abbild der Kriminalitätsrealität dar, sondern dokumentiert lediglich das sogenannte Hellfeld. Je nach Deliktsart variiert die Nähe zur Realität durch das Anzeigeverhalten. Daher kann in den meisten Fällen nicht von einem realen Ansteigen oder Absinken von Kriminalität gesprochen werden, wenn die Entwicklungen der PKS diskutiert werden.

Insgesamt wurden mit 6,37 Millionen 2016 etwas mehr Straftaten registriert als im Vorjahr (6,3 Mio). Die Gesamt-Aufklärungsquote (AQ) liegt für das Jahr 2016 mit 56,2 Prozent nahezu auf dem Niveau des Vorjahres. Als aufgeklärt gilt eine angezeigte Straftat dann, wenn ein vorläufiger Tatverdächtiger ermittelt werden konnte (sprich dessen Namen bekannt ist). Häufig zeigt sich im weiteren Ermittlungsverlauf, dass sich diesbezüglich noch sehr viel ändern kann (beispielsweise keine Erhärtung des Tatverdachtes o.ä.). Die AQ bedeutet folglich nicht, dass ein Täter für eine angezeigte Tatverurteilt wurde. Somit transportiert die Aufklärungsquote häufig eine falsche Vorstellung in das öffentliche Bewusstsein.


Generell enthält die PKS Informationen zu den registrierten Fällen, aber auch zu Tatverdächtigen und Opfern (z.B. Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, ggf. Beziehung Täter und Opfer).

Fokus: Kriminalität durch Zuwanderer

In einem eigenen Jahresbericht des BKA wird Kriminalität im Zusammenhang mit Zuwanderung für 2016 erfasst. Dabei ist der Begriff bereits problematisch: Analog der Festlegungen in der PKS versteht das Lagebild tatverdächtige Personen als Zuwanderer, wenn diese sich mit dem Aufenthaltsstatus »Asylbewerber«, »Duldung«, »Kontingentflüchtling/ Bürgerkriegsflüchtling« oder »unerlaubter Aufenthalt« in Deutschland aufhalten. Tatverdächtige mit positiv abgeschlossenem Asylverfahren (»international / national Schutzberechtigte und Asylberechtigte«) werden in der PKS unter dem Sammelbegriff »sonstiger erlaubter Aufenthalt« erfasst, diese sind aber in dem Lagebild nicht berücksichtigt. Entsprechend stellen die Angaben zu tatverdächtigen Zuwanderern somit nur eine Teilmenge des zu berücksichtigenden Personenkreises dar.

Unter den Tatverdächtigen stieg die Anzahl der Zuwanderer um fast 53 Prozent im Vergleich zum Vorjahr an, insbesondere bei Gewalttaten legte deren Anteil zu.

Registrierter Anstieg von Gewalt- und Sexualstraftaten

Die registrierte Gewaltkriminalität erhöhte sich im Jahr 2016 insgesamt um 6,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf ca. 193 500 Taten. Darunter fallen Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen, aber auch Vergewaltigung und sexuelle Nötigung, Raub, Körperverletzung, gefährliche schwere und mit Todesfolge sowie erpresserischer Menschenraub und Geiselnahme, einschließlich sämtlicher Versuche. Eine auffallende Entwicklung zeigten die erfassten Tötungsdelikte (Mord, Totschlag und Tötung auf Verlangen): Sie stiegen um 14,3 Prozent auf gut 2 400 Fälle.

Bei Gewaltdelikten insgesamt wurden im Jahr 2016 ein Prozent mehr deutsche, aber knapp 90 Prozent mehr zugewanderte Tatverdächtige festgestellt. Meist waren die Opfer von Gewalt durch Zuwanderer selbst Zuwanderer (in etwa 80 Prozent der Fälle). Die Gewalt spielt sich häufig in den Unterkünften und Aufnahmeeinrichtungen ab. Ursachen für die Gewalt unter Zuwanderern könne somit beispielsweise die beengte Unterbringung, importierte Feindbilder und auch die Sozial- und Altersstruktur der nach Deutschland gekommenen Flüchtlinge sein. Gerade die Kriminalitätsbelastung der 18–21-jährigen Männer ist auch unter Deutschen deutlich höher als in der Gesamtbevölkerung.

Bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, insbesondere bei Vergewaltigung und sexueller Nötigung gem. § 177 Abs. 2, 3 und 4, § 178 StGB, gab es einen registrierten Anstieg um fast 13 Prozent. Aufgrund hunderter Anzeigen der Silvesternacht 2015 auf 2016 vor allem in Köln und Hamburg liegt zunächst die Vermutung nahe, dass gerade diese Anzeigen zur Steigerung der registrierten Gewalt gegen die sexuelle Selbstbestimmung verursacht haben. Nimmt man hierzu die PKS 2016 des Landes Nordrhein-Westfalen, dann zeigt sich, dass die gestellten Anzeigen (in 162 Fällen) dort 12,3 Prozent der in dem Bundesland registrierten Gesamtfallzahlen ausmachen. Der Anstieg in NRW um 5,4 Prozent (+ 531 registrierte Fälle) auf 10 376 Taten kann also nicht vollständig mit den sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht begründet werden. Bezogen auf den Anstieg registrierter Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung im gesamten Bundesgebiet stellen sie somit lediglich einen Anteil dar. Allerdings könnten die Ereignisse der Nacht, die Berichterstattung in den Medien und die nachfolgende gesellschaftliche Diskussion dazu beigetragen haben, dass solche Taten eher zur Anzeige gebracht werden, insbesondere dann, wenn sie von dem Opfer völlig fremden Tätern verübt wird. Diese These ist bislang aber nicht untersucht und kann daher nicht herangezogen werden, um den Anstieg der Fallzahlen in der PKS zu erklären.

Erneuter Anstieg Politisch Motivierter Kriminalität (PMK)

Einen erneuten Höchststand zeigen politisch motivierte Straftaten (Politisch Motivierte Kriminalität, PMK) auf. Vor allem Straftaten der politisch motivierten Ausländerkriminalität (mit Islamismus) seien um 66,5 Prozent auf 3 372 Delikte angestiegen (2015: 2 025). Rund 45 Prozent der für den Bereich der politisch motivierten Ausländerkriminalität festgestellten Delikte (1 518) stehen im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen der Türkei und der PKK.

Zu diesem Bereich zählen Straftaten im Namen von ausländischen extremistischen Organisationen wie beispielsweise dem sogenannten Islamischen Staat (IS). Auch die Zahl der Straftaten mit rechter Motivation nahm zu, während etwas weniger linksmotivierte Delikte registriert wurden.

Die Zahl der Angriffe auf Asyl- und Flüchtlingsunterkünfte war erstmals seit ihrer Erfassung im Jahr 2014 im Berichtsjahr 2016 rückläufig. Mit erfassten 995 Straftaten liegt die Gesamtzahl nur leicht unter denjenigen des Vorjahres (2015: 1 031). Auch die ersten – vorläufigen – Zahlen des Jahres 2017 bestätigen diesen Trend.

Weniger Wohnungseinbrüche registriert

Gerade Wohnungseinbruchsdiebstahl als sogenannter Versicherungsdelikt wird meistens von den betroffenen Opfern zur Anzeige gebracht. Insofern bietet die PKS gerade bei diesen Delikten einen guten Anhaltspunkt über das tatsächliche Kriminalitätsaufkommen. Wohnungseinbruchdiebstahl nahm im Vergleich zum Vorjahr um 9,5 Prozent auf 151 000 Fälle ab und liegt damit in etwa auf dem unbenommen hohen Niveau von 2014.

Besonders häufig schlagen Einbrecher im Norden und im Westen des Landes zu, seltener im Süden und Osten. Als »Einbruchs-Hochburg« gilt nach wie vor Nordrhein-Westfalen. Für die Einbrüche werden vor allem organisierte Banden aus Süd- und Südosteuropa verantwortlich gemacht. Polizeivertreter beklagen in diesem Zusammenhang unter anderem föderale Hürden und auch die Zusammenarbeit mit den Herkunftsländern der Täter. So würden Auskunftsersuchen an das europäische Ausland mitunter erst nach Monaten beantwortet. Auch gestalten sich die polizeilichen Interventionen gegen Wohnungseinbruchsdiebstahl unterschiedlich: Während vor allem Bayern auf eine Ausweitung der sogenannten Schleierfandung setzt, haben NRW und Bremen keine Rechtsgrundlage für dieses kriminalistische Instrument geschaffen und können es daher nicht anwenden.

Länder- und Städteranking

Nach wie vor zeigt die Kriminalstatistik ein starkes Nord-Süd-Gefälle. Nach den Stadtstaaten Berlin, Bremen und Hamburg ist Nordrhein-Westfalen der Flächenstaat mit der höchsten Kriminalitätsrate. Deutlich besser schneiden Baden-Württemberg, Hessen, Rheinland-Pfalz und besonders Bayern ab.

Erstmals liegt Berlin bei der Anzahl registrierter Straftaten im bundesweiten Vergleich auf dem ersten Platz. Die Hauptstadt kam 2016 auf 16 161 erfasste Taten pro 100 000 Einwohner. Frankfurt am Main, jahrelang an der Spitze der kriminellsten Städte in Deutschland, lag nun mit 15 671 Taten pro 100 000 Einwohner auf dem vierten Platz. Auf den zweiten Platz ist Leipzig (15 811 Taten) gerückt, auf dem dritten liegt Hannover (15 764 Taten). Wie in den Vorjahren bleibt München die Stadt mit der geringsten registrierten Kriminalität. Dort registrierte die Polizei nur 7 909 Taten pro 100 000 Einwohner. Den Platz dahinter nimmt ebenfalls eine bayerische Stadt ein: Augsburg (7 988 Taten). Die nordrhein-westfälische Stadt Oberhausen (8 258 Taten) kommt auf den dritten Platz, gefolgt von der hessischen Landeshauptstadt Wiesbaden.

Fazit und Ausblick

Die Aussagekraft der PKS muss immer im Hinblick auf ihre methodischen Schwächen und generellen Grenzen betrachtet werden. Dennoch ist es das umfassendste Instrument zur Kriminalitätserfassung, das zur Verfügung steht. Trends in der Kriminalitätsentwicklung lassen sich damit skizzieren. Probleme und Kriminalität im Zusammenhang mit bestimmten Stadtgebieten oder auch im Kontext der Flüchtlingskrise, Zuwanderung und Migration müssen näher untersucht werden. Gerade der Anstieg der registrierten Gewaltkriminalität wirkt alarmierend und bedarf wirksamer Konzepte, um gegenzusteuern. Dieses Problem als solches zu erfassen und zu thematisieren, ist ein erster Schritt. Ursachenanalysen und darauf abgestimmte Interventionen müssen nun folgen.

 

Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl

Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein Westfalen
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