15.08.2015

Verfassungsschutzreform 2015

Eine Reaktion auf die NSU-Ermittlungspannen

Verfassungsschutzreform 2015

Eine Reaktion auf die NSU-Ermittlungspannen

Der Verfassungsschutz hat Reformbedarf. | © only4denn - Fotolia
Der Verfassungsschutz hat Reformbedarf. | © only4denn - Fotolia

Am 3. Juli 2015 wurde im Deutschen Bundestag das Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes verabschiedet. Das große Ziel ist die Verbesserung der Zusammenarbeit der Verfassungsschutzämter des Bundes und der Länder. Doch werden mit der Reform auch die Stellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) in seiner zentralen Funktion gestärkt und die Bestimmungen zu V-Leuten und verdeckten Mitarbeitern konkretisiert.

Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses

Die Reform des Verfassungsschutzes in Deutschland ist in erster Linie eine Reaktion auf die Pannenserie bei der Aufklärung der Mordserie durch den „Nationalsozialistischen Untergrund” (NSU). Bei den NSU-Ermittlungen wurden der Polizei seitens des Verfassungsschutzes wichtige Erkenntnisse vorenthalten, da der Verfassungsschutz das Gefahrenpotenzial des Trios verkannt hatte. Auch wurde während der Ermittlungen die Rollen der Informanten im rechtsextremen Milieu heftig diskutiert und ihr Nutzen infrage gestellt. Währenddessen zog die NSU mordend durch das Land. Mit der nun gesetzlich novellierten Regelung werden Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses aus der vergangenen Legislaturperiode umgesetzt. Eine zentrale Forderung war die zentrale Zusammenfassung von Informationen, deren Auswertung und Austausch zwischen Bund und Ländern. Weiterhin forderte der Bundestagsausschuss mehr Kontrolle durch parlamentarische Gremien und eine klare Vorgabe zu Auswahl und Einsatz von V-Leuten.

V-Leute als Diskussionsgegenstand

Die Abschaffung der V-Leute, wie zuvor von Mitgliedern des Bundestages aus den Fraktionen „Die Grünen” und „Die Linke” gefordert, erfolgte erwartungsgemäß nicht. Allerdings wird mit dem Gesetz erstmals der Einsatz von V-Leuten geregelt. So dürfen u. a. keine Minderjährigen oder Teilnehmer eines Aussteigerprogramms angeworben werden, zudem müssen V-Leute über weitere Einkünfte neben den Geld- oder Sachzuwendungen verfügen. Nur in geregelten Ausnahmen dürfen noch Personen mit erheblichen Vorstrafen eingesetzt werden, nämlich dann, wenn es zur Abwehr von besonders gefährlichen Bestrebungen unerlässlich ist. Indes dürfen Schwerstkriminelle unter keinen Umständen eingesetzt werden. Auch die Kriterien für zulässiges „szenetypisches Verhalten” (z. B. Missachtung des versammlungsrechtlichen Vermummungsverbots) wurden geregelt. Eingriffe in Individualrechte (z. B. Sachbeschädigungen) durch V-Leute sind nicht zulässig, das Verhalten muss zur Akzeptanz in der Szene beitragen, darf dabei aber nicht unverhältnismäßig sein. Darüber hinaus dürfen V-Leute gem. § 9b BVerfSchG Absatz 2 keine strafbaren Vereinigungen gründen oder steuern, sie können aber Mitglied sein oder werden, um sie aufzuklären. Der Einsatz von V-Leuten wird auf den gewaltorientierten Bereich konzentriert, es muss sich generell um Bestrebungen von erheblicher Bedeutung handeln.


Der Bundesrat hielt es im Hinblick auf das verfassungs-rechtliche Bestimmtheitsgebot für bedenklich, dass der Gesetzentwurf in § 9b BVerfSchG-E bei bestimmten strafrechtlichen Verurteilungen eine Anwerbung und den Einsatz von V-Personen nur grundsätzlich ausschließt, ohne die Ausnahmen im Gesetz konkret zu benennen. Die Bundesregierung sagte die Prüfung zur Einfügung von Ausnahmetatbeständen zu. Diese wurden nun nicht explizit aufgeführt, sondern die Entscheidung darüber dem Behördenleiter und seiner Vertretung übertragen.

Ausweitung der Befugnisse des Bundesamtes ohne Kontrolle

Ebenso bedenklich sah der Bundesrat die Erweiterung der operativen Zuständigkeiten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, selbst bei regionalen gewalttätigen Bestrebungen. Die Bundesregierung verteidigte die Erweiterung mit dem unbedingten Aufklärungswillen, der sich in Zukunft keinerlei blinde Flecken mehr erlauben dürfe. Genau die Vermeidung sog. blinder Flecken blieb das zentrale Anliegen.

Die Umsetzung nach einem besseren Informationsaustausch zwischen den Behörden in Bund und den Ländern ist keine neue, zudem existiert seit Jahren ein Instrument dafür. Das Nachrichtendienstliche Informationssystem (NADIS) ist dem polizeilichen Informationssystem INPOL ähnlich. Es ist nicht-öffentlich und ein automatisiertes Datenverbundsystem, an dem die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder beteiligt sind. Länderübergreifende Beziehungen und Strukturen extremistischer oder anderweitig demokratiefeindlichen Gruppierungen sollen mit NADIS besser sichtbar und nachvollziehbar gemacht werden. Dabei handelt es sich um Personendaten, keine inhaltlichen Erkenntnisse. Abfrage- und Zugriffsregelungen werden protokolliert und unterliegen datenschutzrechtlichen Bestimmungen.

Kritiken und Ausblick

Dass der Verfassungsschutz Reformbedarf hat, darüber waren sich alle Parteien des Bundestages einig. Kritisiert wurde am vorliegenden Gesetz nun, dass beispielsweise die Kontrollmöglichkeiten des Verfassungsschutzes weiterhin nicht verbessert wurden. Auch ging vielen Politikern die Bestimmungen zu V-Leuten nicht weit genug, zumal viele Politiker diese gerne ganz abgeschafft sehen würden.

Doch einige Veränderungen wurden angestoßen. Fortan müssen sich die Verfassungsschützer in Bund und Ländern besser abstimmen, dabei kommt dem Bundesamt eine Schlüsselstellung zu. Zudem erscheint es überfällig, dass für die umstrittenen V-Leute ein gesetzlicher Rahmen geschaffen wurde, auch wenn viele Entscheidungen zum Einsatz nach wie vor bei der Behördenleitung liegen. Allerdings bleibt es zweifelhaft, ob bezahlte Informanten in und aus (hoch-)kriminellen Milieus für den Staat wirklich von großem Nutzen im Strafverfahren sind.

 

Prof. Dr. Dorothee Dienstbühl

Professorin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) Nordrhein Westfalen
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