15.08.2015

Reverse Charge bei Bauleistungen

Rückwirkende Änderung der Besteuerung nach § 27 Abs. 19 UStG

Reverse Charge bei Bauleistungen

Rückwirkende Änderung der Besteuerung nach § 27 Abs. 19 UStG

Reverse-Charge-Verfahren: Der Leistungsempfänger schuldet Umsatzsteuer gegenüber dem Finanzamt. | © momius - Fotolia
Reverse-Charge-Verfahren: Der Leistungsempfänger schuldet Umsatzsteuer gegenüber dem Finanzamt. | © momius - Fotolia

Mit Urteil vom 22. 08. 2013 (Az.: V R 37/10, BStBl. 2014 II, S. 128) hatte der BFH entschieden, dass die bis dahin maßgebliche Auslegungspraxis der Finanzverwaltung zur Umkehr der Umsatzsteuerschuld (sog. Reverse-Charge-Verfahren) bei Bauleistungen nicht mit der Mehrwertsteuersystemrichtlinie vereinbar sei (zum gleichen Ergebnis kam in der Folge auch das BFH-Urteil vom 11. 12. 2013, Az.: XI R 21/11, BStBl. 2014 II, S. 425).

Dieses Urteil hatte den Steuerpflichtigen in 2014 zunächst eine wahre „Flut” von immer neuen Anwendungsschreiben der Finanzverwaltung beschert. Zu nennen sind hier insbesondere die BMF-Schreiben v. 05. 02. 2014, BStBl. 2014 I, S. 233, v. 08. 05. 2014, BStBl. 2014 I, S. 823, v. 31. 07. 2014, BStBl. 2014 I, S. 1073, v. 26. 09. 2014, BStBl. 2014 I, S. 1297, und v. 01. 10. 2014, BStBl. 2014 I, S. 1322.

Schließlich wurde mit Wirkung ab dem 01. 10. 2014 durch das sog. „Kroatiengesetz”(Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften − KroatienG − vom 25. 07. 2014, BGBl. 2014 I, S. 1266) die ursprüngliche Auffassung der Finanzverwaltung gesetzlich festgeschrieben. Außerdem hat der Gesetzgeber dabei einen neuen § 27 Abs. 19 UStG geschaffen, um befürchtete Steuerausfälle im Zusammenhang mit der Änderung von Umsatzsteuerbescheiden für Vergangenheitssachverhalte zu vermeiden. Eine aktuelle Finanzgerichtsentscheidung bestätigt jetzt verfassungsrechtliche Zweifel an dieser Änderungsvorschrift.


Zum Hintergund

Die mit dem Kroatiengesetz vollzogene „Rolle rückwärts” führt dazu, dass sich die Steuerpflichtigen für das Jahr 2014 mit drei unterschiedlichen Anwendungsregeln konfrontiert sehen (mit der Folge, dass auch die Abrechnungspraxis prinzipiell zweimal umzustellen war), vereinfacht gilt:

  • für Bauleistungen bis zum 14. Februar 2014: der Leistungsempfänger ist Steuerschuldner für an ihn ausgeführte Bauleistungen, wenn mehr als 10 % der von ihm im vorangegangenen Kalenderjahr weltweit ausgeführten Leistungen ihrerseits „Bauleistungen” i.S.v. § 13 b UStG darstellen („nachhaltige” Erbringung von Bauleistungen). Die Verwendung der bezogenen Bauleistung (für eigene unternehmerische oder für private Zwecke) war unerheblich.
  • für Bauleistungen zwischen dem 15. Februar und dem 30. September 2014: der Leistungsempfänger wird nur dann Steuerschuldner für die an ihn erbrachte Bauleistung, wenn er diese unmittelbar selbst für eine Bauleistung verwendet. In welchem Umfang der Leistungsempfänger im Übrigen Bauleistungen erbringt, ist nicht entscheidend.
  • für Bauleistungen ab dem 01. Oktober 2014: der Leistungsempfänger ist Steuerschuldner für an ihn ausgeführte Bauleistungen, wenn er selbst nachhaltig solche Bauleistungen ausführt. Der Nachweis der nachhaltigen Erbringung von Bauleistungen durch den Leistungsempfänger wird über eine besondere Bescheinigung durch das Finanzamt (USt 1 TG) geführt. Auf einen unmittelbaren Verwendungszusammenhang zu einer Ausgangsbauleistung kommt es nicht an.

Unternehmer können sich allerdings auch für Bauleistungen, die vor dem 15. 02. 2014 ausgeführt wurden und die nicht unmittelbar für eine Bauleistung verwendet worden sind, auf die Grundsätze des BFH-Urteils vom 22. 08. 2013 berufen. Dies kann insbesondere dazu führen, dass bei Bauleistungen, die an Bauträger ausgeführt wurden, und bei denen entsprechend den damals gültigen Richtlinien der Finanzverwaltung das Reverse-Charge-Verfahren des § 13b UStG angewendet wurde (mit der Folge einer vermeintlichen Steuerschuld des Bauträgers), die Umsatzsteuer stattdessen tatsächlich vom leistenden Bauunternehmer hätte abgeführt werden müssen. Wie die Praxis zeigt, versuchen solche Leistungsempfänger (Bauträger), welche die Umsatzsteuer – rückblickend betrachtet – zu Unrecht an ihr Finanzamt abgeführt haben, jetzt in der Tat vielfach, diese vom Fiskus erstattet zu bekommen.

Da jedenfalls nach Auffassung der Finanzverwaltung die Erstellung von Hausanschlüssen eine relevante „Bauleistung” i.S.d. § 13b UStG darstellt (vgl. Abschn. 13b.2 Abs. 5 Nr. 8 Umsatzsteuer-Anwendungserlass (UStAE), kommt diese Problematik gerade auch im Bereich der Energie- bzw. Wasserversorgungsunternehmen zum Tragen.

Die Änderungsvorschrift des § 27 Abs. 19 UStG

§ 27 Abs. 19 UStG sieht vor, dass

  • der leistende Unternehmer nachträglich für Umsatzsteuer in Anspruch genommen werden kann, obwohl die Steuerschuld nach damaliger Auffassung der Finanzverwaltung den Leistungsempfäger traf und
  • er sich dabei nicht auf Vertrauensschutz gemäß § 176 Abs. 2 AO berufen können soll (nach § 176 Abs. 2 AO darf bei der Änderung eines Steuerbescheids an sich nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass ein oberster Gerichtshof des Bundes festgestellt hat, dass eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, einer obersten Bundes- oder Landesbehörde nicht im Einklang mit geltendem Recht steht).

Flankierend zu dieser Änderungsmöglichkeit enthält § 27 Abs. 19 Sätze 3 und 4 UStG auch ein Verfahren, nach dem der leistende Bauunternehmer seinen Anspruch gegen den Leistungsempfänger auf (Nach-)Entrichtung der Umsatzsteuer unter bestimmten Voraussetzungen an die Finanzverwaltung abtreten kann, die diesen Anspruch dann mit dem Erstattungsanspruch des Bauträgers verrechnen wird, so dass es faktisch nicht zu einer Rückzahlung der ursprünglich vom Bauträger abgeführten Umsatzsteuer kommt.

Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass der Erstattungswunsch des Leistungsempfängers (Bauträgers) aus Sicht der Finanzverwaltung ein sog. rückwirkendes Ereignis i.S.v. § 233a Abs. 2a AO darstellt. Das bedeutet, dass der Zinslauf erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem das rückwirkende Ereignis eingetreten ist, so dass dem leistenden Unternehmer zumindest nicht auch noch eine Verzinsung seiner Nachzahlungsverpflichtung droht (zugunsten des Leistungsempfängers kommt demgegenüber eine Verzinsung der Erstattungsbeträge durchaus in Betracht [0,5 % pro Monat nach Ablauf von 15 Monaten]; dies stellt möglicherweise auch einen der Beweggründe für das derzeit häufig zu beobachtende Aufgreifen solcher „Altfälle” durch Bauträger dar).

Aktueller Beschluss des FG Berlin-Brandenburg

In seiner Entscheidung vom 03. 06. 2015 (Az.: 5 V 5026/15, vgl. FG Berlin-Brandenburg, Pressemitteilung vom 05. 06. 2015), die in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangen ist, äußert das FG Berlin-Brandenburg erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 27 Abs. 19 UStG als Änderungsvorschrift, da durch den Ausschluss des Vertrauensschutzes möglicherweise gegen das Verbot der sog. echten Rückwirkung verstoßen werde und dem Steuerpflichtigen ein erheblicher Vermögensschaden drohe, soweit er die Umsatzsteuer wegen eingetretener zivilrechtlicher Verjährung von seinem Vertragspartner nachträglich nicht mehr verlangen könne.

Die endgültige Klärung dieser Fragen sei allerdings einem Hauptsacheverfahren vorbehalten, ein solches sei derzeit (noch) nicht anhängig.

Dass die Grundsätze von § 176 AO zu Lasten des leistenden Unternehmers in den Fällen des § 27 Abs. 19 UStG nicht gelten sollen, erfolgt letztlich als reine Feststellung des Gesetzgebers, ohne dass dies irgendwie näher erläutert oder systematisch begründet würde. Vor diesem Hintergrund ist dem FG Berlin-Brandenburg darin zuzustimmen, dass zweifelhaft erscheint, ob der Gesetzgeber allgemeine Verfahrensgrundsätze mit steuerlicher Rückwirkung aushebeln kann, wenn ihm dies aus fiskalischen Interessen heraus gerade gelegen kommt (kritisch dazu auch Radeisen, in: DB 2014, 2547 [2552]).

Konsequenzen aus Sicht bauleistender Unternehmen

Unabhängig davon, dass belastbare Handlungsempfehlungen regelmäßig nur nach einer Prüfung des jeweiligen konkreten Einzelfalles abgegeben werden können, sollte aus der Sicht von Versorgungsunternehmen, die von dieser Sachverhaltskonstellation betroffen sind, erwogen werden,

Umsatzsteuer-Änderungsbescheide, die gegen sie auf der Grundlage von § 27 Abs. 19 UStG ergehen, möglichst offen zu halten,

  • ernsthaft zu prüfen, inwieweit von dem in § 27 Abs. 19 Satz 3 f. UStG vorgesehenen Verfahren der Abtretung eines (möglichen) Anspruchs gegen den Leistungsempfänger auf Zahlung der Umsatzsteuer an die Finanzverwaltung Gebrauch gemacht werden soll.
  • Zwar lässt das zu der Abtretungsmöglichkeit ergangene BMF-Schreiben vom 31. 07. 2014 (BStBl. 2014 I, S. 1073) zahlreiche wichtige (Vor-)Fragen unbeantwortet. Zu nennen sind hier beispielsweise die Frage nach der Relevanz von zwischen den Parteien allgemein vereinbarten Abtretungsverboten, nach dem Beginn der zivilrechtlichen Verjährung des Anspruchs auf Nachentrichtung der Umsatzsteuer, nach dem Vorgehen bei bereits erfolgter Auszahlung der Umsatzsteuer an den Leistungsempfänger (Bauträger) oder bei zwischenzeitlicher Insolvenz des Leistungsempfängers.

Dem Vernehmen nach besteht allerdings innerhalb der Finanzverwaltung bereits eine Verständigung darüber, das Abtretungsverfahren im Interesse der bauleistenden Unternehmer handhabbar zu gestalten und die vorgenannten Zweifelsfragen für steuerliche Zwecke tendenziell zu deren Gunsten zu beantworten.

Im Interesse der Rechtssicherheit wäre es wünschenswert, dass Antworten auf die offenen Fragen möglichst bald in einer bundesweit abgestimmten Verfügung oder im UStAE verschriftlicht werden. Dies dürfte auch die Akzeptanz des Abtretungsverfahrens auf Seiten der bauleistenden Unternehmen deutlich erhöhen.

 

Stefan Maier

Rechtsanwalt, Steuerberater, PwC AG Düsseldorf
 

Eike Christian Westermann

Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht und für Handels- und Gesellschaftsrecht bei der KPMG AG WPG
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