07.09.2017

Unterm Strich

Kompensation im Straßenbaubeitragsrecht

Unterm Strich

Kompensation im Straßenbaubeitragsrecht

Über die beitragsrechtliche Relevanz von Straßenbaumaßnahmen wird immer wieder gestritten. | © _jure - stock.adobe.com
Über die beitragsrechtliche Relevanz von Straßenbaumaßnahmen wird immer wieder gestritten. | © _jure - stock.adobe.com

Der Ausgangsfall

Im Jahr 2016 baut eine Gemeinde eine vor 30 Jahren erstmalig endgültig hergestellte Anbaustraße aus, die bisher aus einer 9 m breiten Fahrbahn, einem einseitigen Gehweg sowie einer Beleuchtungs- und einer Straßenentwässerungseinrichtung bestand. Durch die Baumaßnahme 2016 verschmälert die Gemeinde die Fahrbahn auf eine Breite von 7 m, versieht die Fahrbahn erstmals mit einer Frostschutzschicht und einer – im Verhältnis zur bisherigen – um 8 cm stärkeren Deckschicht. Auf der durch die Verschmälerung der Fahrbahn gewonnenen Fläche legt sie einen 2 m breiten Radweg mit einem Plattenbelag an.

Herr E wird als Eigentümer eines an die Straße angrenzenden Grundstücks zu einem Straßenbaubeitrag herangezogen. Er wendet sich gegen den Beitragsbescheid und macht geltend: Der Bescheid sei rechtswidrig, weil die durchgeführte Baumaßnahme letztlich nicht als beitragsfähig qualifiziert werden könne. Zwar sei der Ausbau der Fahrbahn als eine Verbesserung zu werten, doch werde diese Verbesserung durch die Verschlechterung ausgeglichen, die sich aus der Verschmälerung der Fahrbahn um 2 m ergebe. Entsprechendes treffe für die Anlegung des Radweges zu, zumal dieser Weg auf einer Fläche hergestellt worden sei, die schon im Rahmen der erstmaligen endgültigen Herstellung der Anbaustraße von den Anliegern durch Erschließungsbeiträge finanziert worden sei. Kurzum: Die durch die Baumaßnahme 2016 bewirkte Verbesserung sei durch die infolge der Verschmälerung eingetretene Verschlechterung mit der Folge kompensiert worden, dass im Ergebnis keine beitragsfähige Maßnahme angenommen werden könne. Mangels beitragsfähiger Maßnahme seien keine sachlichen Beitragspflichten entstanden und deshalb könnten der Aufwand weder für den Ausbau der Fahrbahn noch für die Anlegung des Radwegs über Straßenbaubeiträge abgewälzt werden.

Teileinrichtungsinterne und teileinrichtungsübergreifende Kompensation

Gegenstand beitragsfähiger Ausbaumaßnahmen sind im Straßenbaubeitragsrecht in erster Linie nicht Straßen insgesamt, sondern einzelne ihrer Teileinrichtungen wie u.a. Fahrbahn, Gehweg, Radweg, Beleuchtung und Entwässerung. Das kann dazu führen, dass bei einer mehrere Teileinrichtungen umfassenden Baumaßnahme der Ausbau der einen Teileinrichtung als Verbesserung, der einer anderen Teileinrichtung dagegen als Erneuerung zu qualifizieren ist. Zutreffend geht Herr E davon aus, im Ausgangsfall komme sowohl mit Blick auf den Ausbau der Fahrbahn – erstmaliger Einbau einer Frostschutzschicht und erhebliche Verstärkung der Deckschicht – als auch mit Blick auf die Anlegung des Radwegs als beitragsfähige Maßnahme einzig eine Verbesserung in Betracht. Denn im Straßenbaubeitragsrecht ist eine Verbesserung anzunehmen, wenn sich der Zustand etwa einer flächenmäßigen Teileinrichtung wie der Fahrbahn nach dem Ausbau in irgendeiner Weise (z.B. räumliche Ausdehnung, funktionale Aufteilung der Fläche, Art der Befestigung) gegenüber dem ursprünglichen Zustand verändert hat und diese Veränderung positiven Einfluss auf ihre Benutzbarkeit hat (vgl. statt vieler OVG Lüneburg, Urteil vom 07.09.1999 – 9 L 393/99 – KStZ 2000, 74), d.h. dazu beiträgt, dass der Straßenverkehr leichter, flüssiger, geordneter und gefahrloser abläuft. Die Verbesserung ist mithin grundsätzlich verkehrstechnisch zu verstehen.


Die Veränderung einer Fahrbahn kann sich in zweierlei Richtungen auswirken; sie kann zu einer Verbesserung, aber auch zu einer Verschlechterung der ursprünglichen Verhältnisse führen. Eine verändernde Ausbaumaßnahme kann folglich zugleich Verbesserung und Verschlechterung sein, sodass sich die beiden Veränderungen gegenseitig ausgleichen können und im Ergebnis keine beitragsfähige Maßnahme anzuerkennen ist. Eine solche Kompensation ist nach der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. zur Kompensation u.a. OVG Münster, Urteil vom 28.08.2001 – 2 A 465/99 – KStZ 2002, 33, und BayVGH, Beschluss vom 18.05.2016 – 6 ZB 15.2785 –) in zwei Fallvarianten denkbar: Zum einen kann die technische Verbesserung einer Teileinrichtung dadurch kompensiert werden, dass dieselbe Teileinrichtung infolge der durchgeführten Maßnahme gegenüber dem früheren Zustand zugleich eine Veränderung zum Schlechteren erfahren hat (sog. teileinrichtungsinterne Kompensation). Zum anderen kann eine sog. teileinrichtungsübergreifende Kompensation anzunehmen sein, wenn eine Verbesserung auf einer andersartigen funktionalen Aufteilung einer Straße beruht und durch eine derart verbessernde Baumaßnahme zugleich die Funktion einer anderen Teileinrichtung beeinträchtigt wird.

Die Differenzierung zwischen teileinrichtungsinternen und teileinrichtungsübergreifenden Baumaßnahmen ist von besonderer Bedeutung. Denn von der Art der jeweiligen Baumaßnahme hängt der Grad der Verschlechterung ab, der erreicht werden muss, um eine Verschlechterung als beitragsrelevant einzustufen: Geht es um eine teileinrichtungsinterne Maßnahme, ist eine Beitragsrelevanz bereits anzunehmen, wenn durch sie die Verkehrsfunktion der jeweiligen Teileinrichtung nicht unerheblich betroffen wird (relative Verschlechterung). Geht es dagegen um die Anlegung einer neuen Teileinrichtung auf der Fläche einer anderen, schon vorhandenen Teileinrichtung, also um eine – weil zwei verschiedene Teileinrichtungen berührt werden – teileinrichtungsübergreifende Maßnahme, ist eine beitragsrechtliche Relevanz erst anzuerkennen, wenn diese Maßnahme zum Wegfall der zuvor vorhandenen Teileinrichtung oder zu deren Funktionsunfähigkeit führt (absolute Verschlechterung). Das ist etwa der Fall, wenn ein Radweg an die Stelle eines bisherigen Gehwegs tritt, dieser also wegfällt, bzw. wenn durch eine Verbreiterung der Fahrbahn ein Gehweg derart verschmälert wird, dass er wegen seiner geringen Breite der ihm nach Lage der Dinge zukommenden Funktion nicht mehr genügen kann.

Situation im Ausgangsfall

Im Ausgangsfall drängt sich zunächst eine Betrachtung allein der Fahrbahn auf. Der erstmalige Einbau einer Frostschutzschicht und die erhebliche Verstärkung des vertikalen Aufbaus der Deckschicht der Fahrbahn haben eine höhere Belastbarkeit und eine geringere Frostanfälligkeit zur Folge, was sich insgesamt positiv auf die Benutzbarkeit der Fahrbahn auswirkt. Insoweit ist zweifelsfrei eine Verbesserung festzustellen. Zugleich ist die Fahrbahn von 9 m auf 7 m verschmälert worden; dadurch wird der Verkehrsfluss typischerweise beeinträchtigt und in der Folge die Verkehrssituation eher verschlechtert. Ob diese Verschlechterung beitragsrelevant ist, also die zuvor festgestellte Verbesserung aufzuwiegen vermag, richtet sich – da es sich um eine teileinrichtungsinterne, d.h. allein die Fahrbahn betreffende Maßnahme handelt – nach dem insoweit einschlägigen Maßstab. Danach wäre eine Kompensation lediglich anzunehmen, wenn die Verschmälerung die vorher vorhandene Sicherheit und Leichtigkeit des Fahrzeugverkehrs nicht nur unerheblich reduzierte (relative Verschlechterung). Das dürfte regelmäßig bei einer Verschmälerung einer Fahrbahn von 9 m auf 7 m nicht zutreffen, hängt jedoch letztlich von den Umständen im konkreten Einzelfall wie der Funktion der jeweiligen Straße im Gesamtverkehrsnetz der Gemeinde und ihrer tatsächlichen Beanspruchung ab.

Die erstmalige Anlegung eines Radwegs in einer Breite von 2 m ist ebenfalls als eine Verbesserung zu bewerten, weil der Kraftfahrzeugverkehr nicht mehr durch langsamer fahrende Radfahrer behindert und die Sicherheit der Radfahrer erhöht wird. Da die Anlegung dieses Radwegs zu einer Verschmälerung der Fahrbahn geführt hat, also auf der Fläche der bisherigen Fahrbahn erfolgt ist, könnte eine durch die Verschmälerung bewirkte Verschlechterung der Verkehrssituation beitragsrelevant ausschließlich nach Maßgabe des Maßstabs einer – da zwei Teileinrichtungen betroffen sind – teileinrichtungsübergreifenden Baumaßnahme sein, d.h. wenn die Anlegung des Radwegs zum Wegfall der Fahrbahn oder dazu geführt hätte, dass sie ihre bestimmungsgemäße Funktion nicht mehr zu erfüllen in der Lage ist (absolute Verschlechterung). Davon kann indes bei einer Reduzierung der Fahrbahnbreite auf 7 m keine Rede sein.

Eine Kompensation kommt im Straßenbaubeitragsrecht – und darauf sei abschließend hingewiesen – nur in Betracht bei beitragsfähigen Maßnahmen, die mit Veränderungen einhergehen. Das trifft einzig auf Verbesserungen, nicht aber auch auf Erneuerungen zu. Denn unter einer Erneuerung ist im Straßenbaubeitragsrecht die Ersetzung einer infolge bestimmungsgemäßer Nutzung und Ablauf der üblichen Nutzungszeit abgenutzten, d.h. verschlissenen Anlage (Teileinrichtung) durch eine gleichsam »neue« Anlage gleicher räumlicher Ausdehnung, gleicher funktioneller Aufteilung der Fläche und gleichwertiger Befestigungsart zu verstehen, mithin eine Maßnahme, durch die eine nicht mehr (voll) funktionsfähige, also erneuerungsbedürftige Anlage bzw. Teileinrichtung nach Ablauf der für sie üblichen Nutzungszeit in einen Zustand versetzt wird, der mit ihrem ursprünglichen Zustand im Wesentlichen vergleichbar ist. Und schließlich ist für eine Kompensation regelmäßig kein Raum im Zusammenhang mit dem Merkmal »(wirtschaftlicher) Vorteil«. Vorrangig ist nämlich jeweils zu klären, ob eine Ausbaumaßnahme – bei einer Verbesserung selbst unter Berücksichtigung des Gesichtspunkts einer Kompensation – den Tatbestand einer beitragsfähigen Maßnahme erfüllt. Ist das zu bejahen, »indiziert bereits dieser Umstand regelmäßig den besonderen wirtschaftlichen Vorteil für die Eigentümer der angrenzenden Grundstücke« (OVG Lüneburg, Beschluss vom 11.09.2003 – 9 ME 120/03 – NdsVBl 2004, 23). Hat aber eine beitragsfähige Ausbaumaßnahme den Eigentümern dieser Grundstücke (wirtschaftliche) Vorteile vermittelt, fehlt in der Regel jeder Ansatz für das Vorliegen von Nachteilen, die diese Vorteile kompensieren könnten.

Ergebnis

Herrn E ist in der Ansicht zuzustimmen, der Einbau einer Frostschutzschicht und die wesentliche Verstärkung der Deckschicht hätten zu einer Verbesserung der Fahrbahn und die Anlegung des Radwegs habe zur Verbesserung der Straße insgesamt geführt. Nicht gefolgt werden kann ihm indes in der Auffassung, diese Verbesserungen seien durch die Verschmälerung der Fahrbahn mit der Folge kompensiert worden, dass sozusagen »unter dem Strich« eine beitragsfähige Verbesserung zu verneinen sei und mangels Vorliegens einer beitragsfähigen Maßnahme keine sachlichen Beitragspflichten entstanden seien. Die Verschmälerung der Fahrbahn dürfte nicht als eine beitragsrelevante Verschlechterung zu qualifizieren sein. Sofern nicht ausnahmsweise die Umstände dieses Einzelfalls derart sein sollten, dass belegbare Fakten die Auffassung zu stützen vermögen, die Verschmälerung habe zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Fahrzeugverkehrs geführt, scheidet der Regel entsprechend eine – bei einer teileinrichtungsinternen Maßnahme maßgebende – relative Verschlechterung aus. Ferner kann offensichtlich keine Rede davon sein, die Reduzierung der Fahrbahnbreite um 2 m auf 7 m habe – wie für die Annahme einer teileinrichtungsübergreifenden Kompensation erforderlich – den Wegfall der Fahrbahn bzw. deren Funktionsunfähigkeit zur Folge. Vor diesem Hintergrund wird die Klage des Herrn E keine Aussicht auf Erfolg haben.

 

 

 

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

Prof. Dr. Hans-Joachim Driehaus

Rechtsanwalt und Wirtschaftsmediator, vormals Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht, Berlin
n/a