21.09.2017

Mobilität und Stadtentwicklung

Bayerischer Städtetag 2017 am 12./13.07.2017 in Rosenheim

Mobilität und Stadtentwicklung

Bayerischer Städtetag 2017 am 12./13.07.2017 in Rosenheim

Die neuen technischen Entwicklungen setzen Veränderungsprozesse in Städten und Gemeinden in Gang. | © Patrick P. Palej - stock.adobe.c
Die neuen technischen Entwicklungen setzen Veränderungsprozesse in Städten und Gemeinden in Gang. | © Patrick P. Palej - stock.adobe.c

Im Mittelpunkt des Bayerischen Städtetags 2017 am 12. und 13.07.2017 in Rosenheim stand das aktuelle Thema »Mobilität und Stadtentwicklung«. Bei der Jahrestagung, an der rund 400 Gäste und Delegierte teilnahmen, wurden die aktuellen Herausforderungen für die Städte und Gemeinden diskutiert, die sich aus den neuen technischen Entwicklungen ergeben, wie etwa dem automatisierten Fahren, der Elektromobilität, der digitalen Vernetzung im öffentlichen Nahverkehr oder dem CarSharing. Es ging auch um die Digitalisierung, die zunehmend alle Lebensbereiche umfasst und erhebliche Veränderungsprozesse in den Städten und Gemeinden zur Folge haben wird. Bei der Tagung ging es auch um das sich ändernde Mobilitätsverhalten der Menschen und um die neuen Herausforderungen des Lieferverkehrs, der sich den geänderten Bedürfnissen des Online-Handels anpasst. Das ausführliche Tagungspapier und weitere Informationen können der Internetseite www.bay-staedtetag.de entnommen werden.

Nachfolgend wird über wesentliche Inhalte der Tagungsreden des Vorsitzenden des Bayerischen Städtetags, Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly, und des Soziologieprofessors Dr. Armin Nassehi von der Ludwig-Maximilians-Universität München berichtet. Außerdem werden die wichtigsten Erkenntnisse aus vier Fachforen zusammengefasst, in denen Experten über innovative Mobilitätsprojekte berichtet hatten.

Mobilität und Stadtentwicklung im Wandel

Der Vorsitzende des Bayerischen Städtetags, Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly skizzierte am Beispiel seiner Heimatstadt Nürnberg den raschen Umbruch einer vom mittelalterlichen Stadtbild geprägten Reichsstadt zur Industriestadt. Laut Maly haben neue Antriebstechniken und Verkehrsmittel seit dem 19. Jahrhundert eine »Massenmobilität von Menschen und Gütern« ausgelöst. Die industrielle Fertigung in Fabriken führte zur funktionsräumlichen Arbeitsteilung, also der räumlichen Trennung von Wohngebieten und Gewerbegebieten. Ein grundlegender Wandel dieser Strukturen könnte durch die Möglichkeiten der Digitalisierung unter dem Schlagwort »Industrie 4.0« erfolgen. Wenn die Produktion auch im Einödhof stattfinden kann, der über Breitband an einen 3D-Drucker angeschlossen ist, könnte dies für die Stadtentwicklung bedeuten, dass Arbeiten und Wohnen wieder näher zusammenrücken. Wenn es künftig so keine großen Fabriken geben muss, würden auch lästige Emissionen aus Schmutz, Abgasen und Lärm wegfallen. In einer dann zunehmend kleinteiligeren Stadt würden Arbeiten und Wohnen wieder deutlich näher beieinanderliegen. Nach Maly ist dies die einzige Chance, um Verkehr an der Quelle zu erfassen und die individuelle Raumüberwindung zu reduzieren.


Der Städtetagsvorsitzende räumte auch mit einigen Illusionen zur Elektromobilität auf. Er stellte klar, dass der wertvolle urbane Raum von E-Autos genauso in Anspruch genommen wird, wie von Autos mit Verbrennungsmotor. Maly hierzu wörtlich: »Insofern ist das Ersetzen des Verbrennungsmotors durch den E-Motor Null Fortschritt, da es für die Stadtentwicklung nicht die Räume zurückgibt und gewinnt, die eigentlich nötig wären, um die Lebensqualität zu erhöhen. Notwendig ist vielmehr eine Verhaltensveränderung: Wir pflegen ein Verhältnis zum Auto, das durchaus Elemente der Irrationalität enthält.«

Maly sprach auch deutliche Worte zur finanziellen Ausstattung und Vernetzung des öffentlichen Nahverkehrs: »Der öffentliche Nahverkehr muss besser ausgestattet und vernetzt werden. Unsere ÖPNV-Systeme sind am Scheideweg, insbesondere, was deren Finanzierung angeht. Wir sind an vielen Stellen an den Grenzen der Nutzerfinanzierung angekommen. Wenn der Einzelfahrschein 3 Euro, 3,50 Euro oder 4 Euro kostet, dann ist der Anbieter für Massenmobilität nicht mehr glaubwürdig.« Der öffentliche Nahverkehr erscheint subjektiv im Vergleich zu Individualverkehr zu teuer, wenn Autofahrer meist nicht alle Kosten ihres Autos mit Anschaffung, Unterhalt und Versicherungen einkalkulieren, sondern nur den Spritpreis ansetzen.

Verkehrsplanung aus Sicht eines Soziologen

Aus Sicht des Soziologieprofessors Armin Nassehi von der Ludwig-Maximilians-Universität in München gibt es keine eindeutigen Lösungen für die Mobilitätsprobleme in den Städten. Laut Nassehi ist Verkehrsplanung von heute pluralistisch, sie hat ein komplexes, dynamisches System zu koordinieren. Die unterschiedlichen Verkehrsträger einer Stadt sind demnach eine Parabel auf das, was eine Stadt ausmacht. In einer Stadt kommen Dinge zusammen, die auf den ersten Blick nicht zusammenpassen, aber zusammengebracht werden müssen.

Nach Ansicht von Nassehi war die Idee der autogerechten Stadt kein Fehler, sondern Ausdruck einer Vision, wie sich die Gesellschaft nach den Weltkriegen weiterentwickelt: die Vision einer modernen liberalen westlichen Gesellschaft. Dieser Vision liegt die Vorstellung zugrunde, dass eine Gesellschaft nur dynamisch ist, wenn dem Einzelnen die Möglichkeit gegeben wird, seine Mobilität mit jeweils eigener Entscheidung zu organisieren.

Dem öffentlichen Verkehr sagt Nassehi die größte technische Revolution voraus, nämlich seine Individualisierung mit digitalen Mitteln. Die Vision könnte lauten: »Ein öffentlicher Verkehr, den man zu einem bestimmten Ort ruft«. Denn produktive Dynamik entsteht nur, wenn sie durch ihre Infrastruktur nicht auf sich selbst festgelegt ist.

Vernetzte Mobilität »City2Share« im Reallabor München

Bei der Tagung berichteten Rüdiger Pape von der BMW AG und Georg Dunkel von der Landeshauptstadt München über das in München und Hamburg laufende Forschungsprojekt für vernetzte urbane Mobilität »City2Share«. Bei dem Projekt geht es um innovative Ideen zur Lösung des Verkehrs und Umweltproblems in den Städten. Es geht um Maßnahmen zur Förderung der Aufenthaltsqualität der Nahmobilität und des multimodalen Mobilitätsverhaltens. Neben der Entwicklung und Erprobung eines innovativen Sharing-Systems mit autonomen Elektrofahrzeugen und der Weiterentwicklung von Bike- und Carsharing-Ansätzen mit elektrisch betriebenen Fahrzeugen steht auch die umweltverträgliche Gestaltung des innerstädtischen Lieferverkehrs im Fokus des Projekts. Am Standort München wird darüber hinaus besonders den Aspekten der Kommunikation und Bürgerpartizipation ein besonderer Stellenwert eingeräumt. Somit können verschiedene Möglichkeiten einer Umnutzung von öffentlichem Raum erprobt werden und die geplanten temporären Einrichtungen und Angebote auch zur Steigerung der Attraktivität und Verbesserung des Umfelds beitragen. Zur Erprobung im »Reallabor« wurden zwei Modellquartiere (Isarvorstadt und Untersendling) ausgewählt, die sich durch eine Innenstadtrandlage, hohe Dichte, vielfältige Nutzungsmischung und hohen Parkdruck auszeichnen. An zukünftig vier Mobilitätsstandorten werden die Bestandteile Carsharingplätze, MVG-Rad (auch mit Pedelec), Informationsstelle   und   Ladeinfrastruktur in unterschiedlichen Variationen vorgehalten.

Automatisiertes Fahren im Individualverkehr

In einem weiteren Forum präsentierten der Ingolstädter Oberbürgermeister Dr. Christian Lösel und Dr. Miklos Kiss von der Audi AG Visionen zum automatisierten Fahren im Individualverkehr. Im Anschluss an bereits heute schon vorhandene Assistenzsystem werde die nächste Stufe ein vollautomatisiertes Auto sein, das zum Beispiel vor einem Parkhaus verlassen werden kann, sich dann selbstständig einparkt und wieder vorfährt. In dieser Zeit kann der Akku eines Elektrofahrzeugs an induktiven Ladestationen wieder aufgeladen werden.

Für das automatisierte Fahren in der Stadt wird die Umrüstung der Verkehrsinfrastruktur notwendig. Das sind zum Beispiel intelligente Ampeln, die nicht mehr nur mit dem öffentlichen Personennahverkehr, sondern auch mit den automatisierten Autos des Individualverkehrs kommunizieren können. Dadurch sollen Staus minimiert werden. Außerdem könnte die Parkplatzsuche, die heute durchschnittlich zehn Minuten Zeit erfordert, vermindert werden, wenn die städtische Parkinfrastruktur sowie Autos miteinander diese Informationen austauschen. Schließlich stellt sich die Frage, ob wertvolle Flächen in den Innenstädten für Parkhäuser vorgehalten werden sollen, denn schon in 15 bis 20 Jahren soll das vollautomatisierte Auto überall fahren können. Es bringt die Menschen in die Stadt und fährt dann selbstständig wieder nach Hause oder in ein Parkhaus am Stadtrand. Dies setzt Übergabezonen vor Theatern, Fußgängerzonen und Wohnstraßen voraus. Für die Städte bedeutet dies nach den letzten Revolutionen zur autogerechten und zur bewohner- und umweltgerechten Stadt die Weiterentwicklung zur Smart-City. Dies könnte die Verkehrssicherheit verbessern und die Effizienz der Verkehrsinfrastruktur steigern.

Automatisiertes Fahren – Chancen oder Risiko für den ÖPNV?

Markus Pellmann-Janssen von der DB-Regio AG, Frankfurt, warf bei seinem Vortrag zum automatisierten Fahren im ÖPNV einen interessanten Blick in die Zukunft. Schon im Jahr 2028 könnte das vollautomatisierte Fahren im ÖPNV Realität sein.

Ziel ist eine »On-demand-Mobilität«. Jeder soll überall, autonom und individuell ein Fahrzeug anfordern können. Die DB Regio hat die Vision, dass in Zukunft auf zehn herkömmliche Autos nur noch ein autonomes Auto entfällt, infolgedessen 94 Prozent weniger Treibhausgase durch Autoverkehr emittiert werden, 50 Prozent weniger Kosten anfallen und rund 25 Prozent mehr Platz in den Städten frei wird. Um diese Ziele mit automatisiertem Fahren zu erreichen, sind nicht nur hohe technische Hürden zu überwinden. Es muss auch die gesellschaftliche Akzeptanz gesteigert werden. Im Kern geht es um die Entwicklung eines »Individuellen Öffentlichen Verkehrs«. Der ambitionierte Zeitplan der DB AG für diese Entwicklung sieht vor, dass bereits 2018 Pilotprojekte im öffentlichen Verkehr durchgeführt werden und 2022 der vollautomatisierte sogenannte individuelle öffentliche Verkehr mit entsprechenden Geschäftsmodellen flächendeckend erprobt wird. Kern des Geschäftsmodells soll eine eigene »Drive-Plattform« im Internet sein, über die alle Kundenanfragen und Verkehre abgewickelt werden. Pellmann-Jansen: »Wer diese Plattform in der Hand hat, bestimmt künftig auch das Geschäftsmodell«.

Vernetzte Mobilität im ländlichen Raum

In einem weiteren Fachforum wurden neue Entwicklungen zur vernetzten Mobilität im ländlichen Raum beleuchtet. Dort zeigte sich, dass die Zukunft der Mobilität darin liegen muss, bedarfsorientierte Mobilitätsangebote so zu gestalten, dass Mitfahrgelegenheiten im Individualverkehr mit Taxi, Bus und Bahn verknüpft und die Fahrten digitalisiert mit einem einheitlichen elektronischen Ticket für die gesamte Fahrstrecke angeboten werden. Dr. Thomas Huber von der DB Regio Bus, Region Bayern, machte anhand eines Beispiels aus dem Landkreis Rottal-Inn deutlich, dass vernetzte Mobilität eine Vielzahl kleinerer Schritte erfordert.

Mobilität bis zum Jahr 2025 werde bestimmt von ersten Prototypen autonom fahrender Autos, Niedrigpreismobilität, Sharing und vernetzter Mobilität. Die Auswahl des Verkehrsmittels wird intermodal und individuell erfolgen. Schwierigkeiten für den ÖPNV bestehen dann, wenn Mobilitätsströme in geringer Intensität gleichmäßig über den gesamten Tag verteilt stattfinden. Während Schüler nur zu bestimmten Stoßzeiten den ÖPNV nutzen, finden Fahrten für Einkäufe den gesamten Tag über, allerdings in geringer Anzahl statt, wodurch die Vorhaltung von Buslinien hohe Kosten bei geringer Nutzung verursacht. Da nur größere Orte gut mit ÖPNV erschlossen sind, führe dies zu einer Alternativlosigkeit des Individualverkehrs. Guten ÖPNV erkenne man an einer geringen Pkw-Dichte, schlechte Erschließung führe zu einer steigenden Pkw-Zahl. Im Landkreis Rottal-Inn wurden die schwankenden Nachfragen durch Bedarfsverkehre wie Rufbusse aufgefangen, die für rund 94 Prozent der Bevölkerung Mobilität durch öffentliche Verkehrsmittel bieten können.

 

Thomas Kostenbader

1. stellv. Geschäftsführer, Referent für Wirtschaft und Verkehr, Bayerischer Städtetag, München
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