11.09.2017

Infrastruktur für die Energiewende

Ziele, Rahmenbedingungen und Strategien für die nächste Phase der Transformation

Infrastruktur für die Energiewende

Ziele, Rahmenbedingungen und Strategien für die nächste Phase der Transformation

Der Umbau der Energieinfrastruktur hat in den vergangenen Jahren Fahrt aufgenommen. | © Massimo Cavallo - stock.adobe.com
Der Umbau der Energieinfrastruktur hat in den vergangenen Jahren Fahrt aufgenommen. | © Massimo Cavallo - stock.adobe.com

Infrastrukturen verfügen neben anderen Merkmalen über hohe Lebensdauern, Unteilbarkeiten und Sprungkosten. Änderungen an der Infrastruktur nehmen daher lange Zeiträume in Anspruch. Insofern ist die Geschwindigkeit, mit der der grundlegende Umbau der Energieinfrastruktur in Deutschland in den vergangenen Jahren in Richtung einer erneuerbaren Energieversorgung vorangeschritten ist, durchaus beachtlich. Die erneuerbaren Energien verfügen in Deutschland mittlerweile über einen Anteil von 15 Prozent am Endenergieverbrauch – damit hat zwischen 2000 und 2016 eine Vervierfachung stattgefunden –, und besonders im Stromsektor wurden Entwicklungssprünge genommen. Ihr Anteil ist seit dem Jahr 2000 um den Faktor 6 gestiegen, nunmehr stammt mehr als jede dritte Kilowattstunde aus regenerativer Energie (im 1. Halbjahr 2017: 37,8 Prozent).

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Die Zielvorstellungen des Bundes zum Ausbau regenerativer Energien

In den Anfangsjahren der Energiewende war die Transformation von der Markteinführung der Erneuerbaren Energien und Effekten der Kostendegression geprägt, außerdem haben sich die Windenergie und die Photovoltaik – gemeinsam kommen sie auf einen Anteil von fast 55 Prozent an der regenerativen Stromerzeugung – aufgrund von Vorteilen bei Kosten und nutzbaren Potenzialen in dem durch den breiten und technologieoffenen Ansatz des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ausgelösten Technologiewettbewerb gegenüber anderen regenerativen Optionen durchgesetzt. Während die Systemintegration in den Anfangsjahren mittels gesetzlich garantiertem Einspeisevorrang relativ einfach bewerkstelligt werden konnte, wird dies in der zweiten Phase der Energiewende bei einem fortgesetzten Ausbau der regenerativen Energien bis ca. 2025 zur Herausforderung und bedarf des Einbezugs der Wärme- und Verkehrssektoren sowie der Modernisierung und des Ausbaus der Netzinfrastruktur.


Abb. 1: Transformationsphasen der Energiewende

 

Die Vorstellungen zur Energiewende in Deutschland gründen sich auch nach den Energie- und Klimabeschlüssen der G7-Staaten von Elmau und bei der Weltklimakonferenz von Paris weiterhin auf das von der Bundesregierung 2010 erarbeitete Energiekonzept sowie den nach dem Reaktorunglück von Fukushima beschlossenen Ausstieg aus der Kernenergie. Gleichzeitig entfalten die »klassischen« Ziele der Energiepolitik – Versorgungssicherheit, Umweltverträglichkeit und Wirtschaftlichkeit – weiterhin ihre Wirkung. Zentrale Zielvorstellungen des Bundes zum Ausbau der regenerativen Energien sind,


  • dass sich der Anteil der Erneuerbaren Energien am Bruttoendenergieverbrauch (Strom, Wärme, Kraftstoff) im Jahr 2020 auf 18 Prozent und im Jahr 2030 auf 30 Prozent beläuft, bevor er schließlich (2050) auf 60 Prozent ansteigt;
  • dass die Erneuerbaren Energien im Jahr 2020 einen Anteil von mindestens 35 Prozent und im Jahr 2025 von 40 bis 45 Prozent am Bruttostromverbrauch abdecken sowie bis zum Jahr 2050 schrittweise auf einen Anteil von mindestens 80 Prozent ausgebaut werden;
  • dass am Endenergieverbrauch für Wärme ein Anteil von 14 Prozent erreicht wird (2020). Gleichzeitig wird bundesweit ein verpflichtender Nutzungsanteil Erneuerbarer Energien von 10 Prozent bei Neubauten vorgegeben.

Die Erreichung der 2020-Ziele für die Erneuerbaren Energien im Strom- und Wärmesektor ist zum Greifen nahe, im Verkehrssektor liegt man hingegen aktuell fast 5 Prozentpunkte unter dem 10 Prozentziel. Bei der mittel- und langfristigen Entwicklung gilt es zu berücksichtigen, dass die Bundesregierung relative Zielgrößen gewählt hat, deren Erreichung immer auch von der Entwicklung der Bezugsgröße (Bruttoendenergieverbrauch, Bruttostromverbrauch, etc.) abhängt. Die Verbrauchsseite hat sich in den letzten Jahren jedoch nicht zielkonform entwickelt und mit Blick auf die vieldiskutierte Sektorkopplung, beispielsweise durch Elektromobilität oder dem verstärkten Einsatz von Wärmepumpen, bestehen signifikante Treiber für einen zunehmenden Energieverbrauch, was sich wiederum auf die Zielerreichung im Bereich der regenerativen Energien auswirken kann.

Hoher Infrastrukturaus- und -umbau bis 2050 erforderlich

Für die Transformation der Energieinfrastruktur sind insbesondere drei Eigenschaften der regenerativen Energieerzeugung maßgeblich.

  • Kosten: Bei der erneuerbaren Stromerzeugung sind massive Kostendegressionen erfolgt und weitere Reduktionen sind zu erwarten. Deutlich wird dies beispielsweise, wenn man sich die Absenkung der durchschnittlichen Förderhöhe für Photovoltaikfreiflächenanlagen zwischen der ersten Pilotausschreibung im April 2015 (9,17 ct/kWh) und der Ausschreibung im Juni 2017 (5,66 ct/kWh) vor Augen führt. Gleichzeitig weicht die Kostenstruktur von Windenergie und Photovoltaik mit hohen Investitionskosten (> 65 Prozent) und relativ niedrigen Aufwendungen für den Betrieb von der konventionellen Erzeugung deutlich ab (Ähnliches gilt auch für Speichertechnologien). Den Faktoren Standortgunst, Flächenverfügbarkeit und Finanzierungskosten kommt beim weiteren Ausbau daher eine hohe Bedeutung zu.
  • Dezentralität: Die Anlagen zur Erzeugung regenerativen Stroms – auch wenn sich beispielsweise bei der Windenergie die durchschnittliche Anlagenleistung seit 2000 auf rund 2,9 MW mehr als verdoppelt hat – verfügen im Vergleich zu konventionellen Kraftwerken über deutlich kleinere Kraftwerksleistungen. Während die Großkraftwerke früher in der Nähe der Lastzentren errichtet wurden, wird künftig eine weitaus größere Anzahl an regenerativer Anlagen (schon derzeit werden in Deutschland z. B. rund 1,6 Millionen Photovoltaikanlagen betrieben) schwerpunktmäßig im ländlichen Raum Strom bereitstellen. Die Skaleneffekte der Anlagengröße werden also durch Effekte der Massenproduktion ergänzt. Die Stromerzeugung fällt außerdem kleinteiliger aus und die Einspeisung ins Stromnetz findet zunehmend auf der Nieder- und Mittelspannungsebene statt. Damit wird die Umsetzung auch zu einer lokalen Herausforderung für Kommunen, Stadtwerke und Bürgerschaft.
  • Komplexität: Technisch und organisatorisch werden die nächsten Phasen der Energiewende von zunehmenden Interdependenzen der verschiedenen Sektoren und der unterschiedlichsten Lebensbereiche geprägt sein. Gerade bei Verkehr und Wärme wird beispielsweise im Zusammenhang mit der Sektorkopplung schnell die Frage aufgeworfen, wie die Konsumenten durch Nutzungsverhalten und Investitionsentscheidungen Einfluss auf die Nachhaltigkeit der Energieversorgung nehmen können. Auch angesichts einer zunehmenden Verdichtung verschiedenster (energie- und nicht-energiebezogener) Raumansprüche, der zunehmenden Bedeutung der Systemintegration sowie der gestiegenen Vielschichtigkeit der Finanzierung (während bspw. das EEG 2000 noch fünf Seiten hatte, verfügt das EEG 2017 mittlerweile über 119 Seiten) ist ein Ineinandergreifen der gewählten Maßnahmen wichtig, um die Zubauraten – bei einsetzendem Rückbau von Anlagen, die zu Beginn der 2000er Jahre in Betrieb gegangen sind – auf dem notwendigen Level zu halten. Die Abstimmungs- und Kommunikationsbedarfe werden daher stetig steigen.

Der Infrastrukturumbau zur Energiewende fußt bislang im Wesentlichen auf dem energiepolitischen Zieldreieck, dem seit 2010 geltenden Energiekonzept der Bundesregierung und einem überparteilichen Beschluss zur Energiewende. Konzeptionell wurde (wie auch in den Ansätzen der Länder) eine Doppelstrategie aus Konsistenz- (Einsatz erneuerbarer Energien) und Effizienzmaßnahmen (Reduktion des Energieeinsatzes bei gleichbleibendem Nutzen) etabliert. Es wird sich zeigen, ob zur Zielerreichung mittel- und langfristig nicht auch Suffizienzmaßnahmen in den Blick genommen werden müssen.

Um den kontinuierlich hohen Infrastrukturaus- und -umbau bis 2050 erfolgreich umzusetzen, gilt es, der Energiewende für die nächsten 35 Jahre – bzw. neun Bundesregierungen – mit einem Energiewenderahmengesetz zu Zielen, Maßnahmenplänen und Monitoring einen stabilen institutionellen Rahmen zu geben. Ferner ist außerdem die Übersetzung auf die regionale und kommunale Ebene – also dort, wo die energie- und klimapolitischen Zielsetzungen von Bund und Ländern in Form von Standorten und Trassen letztlich realisiert werden – mit entsprechenden Rahmenbedingungen, Verfahren und Angeboten zu gewährleisten.

 

 

 

 

Dr. Till Jenssen

Referent am Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg
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