28.09.2017

Umbrüche und Visionen

Wie arbeiten wir in Zukunft transnational zusammen?

Umbrüche und Visionen

Wie arbeiten wir in Zukunft transnational zusammen?

Interreg ist viel mehr als nur ein Förderprogramm: Es schafft Orte der europäischen Begegnung | © koya979 - stock.adobe.com
Interreg ist viel mehr als nur ein Förderprogramm: Es schafft Orte der europäischen Begegnung | © koya979 - stock.adobe.com

Seit mehr als 20 Jahren tragen die Programme der transnationalen Zusammenarbeit, kurz Interreg B, zu einer nachhaltigen Raumentwicklung in Europa bei. 1996 startete die transnationale Zusammenarbeit als Interreg mit dem Ziel, den territorialen Zusammenhalt in größeren Kooperationsräumen in der Europäischen Union zu stärken. Heute hat sich Interreg von einer Gemeinschaftsaufgabe zu einer Sparte der Kohäsionspolitik gewandelt, mit einer eigenen EU-Verordnung als Rechtsgrundlage. Zu den integrierten, raumbezogenen Themen der ersten Jahre, wie etwa Hochwasserschutz, sind stärker fachlich fokussierte Themen getreten, bei denen der Schwerpunkt auf zählbaren Ergebnissen liegt.

Transnationale Zusammenarbeit wichtiger denn je

Die transnationalen Programme sind in jeder Hinsicht deutlich gewachsen: Es gibt heute mehr Mitgliedstaaten und damit mehr beteiligte Regionen, mehr Kooperationsräume und mehr Geld. Die Mittel aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung haben sich seit 1996 auf 2,1 Milliarden Euro verfünffacht. Doch auf diesen Erfolgen können sich die Programme nicht lange ausruhen: Ab 2021 steht mit dem Beginn einer neuen siebenjährigen EU-Strukturfondsförderperiode wieder ein Wandel für Interreg an. Wie stehen die Vorzeichen, was sind die Unbekannten und warum ist die transnationale Zusammenarbeit heute wichtiger denn je?

In den Jahren bis 2019 steht eine Reihe entscheidender Gesetzgebungsinitiativen in der Europäischen Union an. Bis Ende 2017 ist die Vorlage des neuen Mehrjährigen Finanzrahmens geplant. Wie vor jeder neuen Förderperiode sind zunächst die Differenzen bei den Auffassungen der Mitgliedstaaten groß. Dieses Mal kommt als neuer Faktor der Brexit hinzu. Wie der Mehrjährige Finanzrahmen schließlich aussehen wird, wird die Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESIF) unmittelbar beeinflussen, aus denen Interreg finanziert wird. Nach den bisherigen Planungen wird die EU-Kommission Ende 2017 oder Anfang 2018 die Vorschläge für die neuen ESIF-Verordnungen vorlegen, in denen auch die Grundlagen für Interreg B ab 2020 geregelt werden. Es gilt, die transnationalen Programme im breiten Kontext der EU-Regionalpolitik zu verorten, ihr Alleinstellungsmerkmal zu definieren und ihre Stärken zur Entfaltung zu bringen.


Alleinstellungsmerkmal herausarbeiten

Was macht die Programme der transnationalen Zusammenarbeit einzigartig? Das ist der direkte Bezug auf das im Vertrag von Lissabon verankerte Ziel des territorialen Zusammenhalts in Europa. Die transnationalen Programme sollen laut aktueller EU-Verordnung zur räumlichen Integration der Programmräume beitragen. Zu Beginn von Interreg B erfolgte dies über den Bezug auf das Europäische Raumentwicklungskonzept (EUREK) mit seinen räumlich-integrierten Ansätzen. Mit der weiteren Ausgestaltung der EU-Regionalpolitik wurden diese Elemente durch die thematisch orientierten Prioritäten der Europa-2020-Strategie überlagert. Der raumbezogene Ansatz von Interreg berücksichtigt die Wirkungen von Projekten auf den konkreten Ort, die konkrete Region. Dazu bezieht er Akteure aus verschiedenen Fachbereichen und von verschiedenen Verwaltungsebenen mit ein. Zunehmend sind aber Projektanträge und Projekte zu beobachten, die einen sehr fachspezifischen, ortsungebundenen Ansatz verfolgen. Künftig muss die zentrale Zielsetzung der territorialen Integration im Rahmen der transnationalen Programme deshalb wieder gestärkt werden.

Immateriellen Nutzen besser darstellen

Wie können die Erfolge der Interreg-Programme am besten gemessen werden und was für ein Indikatoren-System ist dafür notwendig? Auch dies ist eine Schlüsselfrage für die Zukunft der transnationalen Zusammenarbeit. Die in der jetzigen Verordnung vorgeschriebene fachspezifische Ergebnisorientierung verpflichtet die Projekte und Programme dazu, zählbare Ergebnisse vorzulegen – etwa die Anzahl gebauter Straßenkilometer oder die Verminderung des CO2-Ausstoßes. Auf diese Weise wird allerdings der große »immaterielle« Nutzen von Interreg nicht angemessen abgebildet. Dazu zählt zum Beispiel die Qualifikation von regionalen Akteuren, die durch Interreg lernen, zusammenzuarbeiten und die für ihre transnationalen Regionen gemeinsame Strategien entwickeln. Hier ist es wichtig, die richtigen Fragen zu stellen: Ist die Zusammenarbeit ein Ziel an sich und sollte sie somit »gemessen« werden? Oder ist sie vielmehr ein Mittel, um andere Ziele – nämlich die territoriale Kohäsion – zu erreichen, die dann das Ergebnis darstellen?

Brexit, Eurokrise, Flüchtlinge: Komplexe Gemengelage für die Raumentwicklungspolitik

Die europäische Raumentwicklungspolitik – und damit auch die Zukunft von Interreg B – ist an einem wichtigen Wendepunkt. Die Erweiterungen der EU in den Jahren 2004, 2007 und 2013 haben die regionalen Unterschiede in Europa deutlich verstärkt, politische Abstimmungsprozesse sind dadurch komplexer geworden. Zudem hat die politische Strategie der EU mit ihrem Fokus auf Wachstum und Beschäftigung seit 2000 sowohl die Inhalte der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit als auch die Ausrichtung der EU-Regionalpolitik stark beeinflusst.

Gleichzeitig führen die sozioökonomischen Entwicklungen der vergangenen Jahre den europäischen Einigungsprozess zunehmend in ein Spannungsverhältnis zwischen Kontinuität und Neuausrichtung: Wirtschafts- und Finanzkrise, Eurokrise, steigende Zahl von Flüchtlingen und jüngst der Brexit beeinflussen als externe Einflussfaktoren auch die Ausgestaltung der Interreg-Programme. Es kommt jetzt darauf an, den Gedanken der territorialen Kohäsion wieder nach vorne zu bringen und die transnationalen Interreg-Programme zu einem schlagkräftigen Instrument der gleichwertigen, nachhaltigen und ausgewogenen Entwicklung des europäischen Territoriums zu machen.

Den europäischen Gedanken stärken

Bei allen Veränderungen der letzten Jahre und gerade angesichts der momentan oft spürbaren Europaskepsis darf jedoch eines nicht vergessen werden: Die transnationale Zusammenarbeit leistet bereits seit mehr als 20 Jahren einen erkennbaren Beitrag zur Stärkung der territorialen und sozialen Integration innerhalb Europas. Interreg fördert die Zusammenarbeit zwischen nationalen, regionalen und kommunalen Partnern und baut damit Europa »von unten«. Die Transnationalität dieser Kooperationen ist nicht nur die Voraussetzung, sondern der Garant dafür, dass wirksame Lösungen für große gemeinsame Herausforderungen entwickelt und langfristig etabliert werden können. Die transnationale Zusammenarbeit ist somit beides: Ziel an sich und gleichzeitig Mittel, um weitere Politikziele zu erreichen. Interreg macht vor Ort klar, wie wichtig der europäische Gedanke ist und was für ein hohes Gut die offenen Grenzen sind. Interreg ist damit viel mehr als nur ein Förderprogramm. Es schafft Orte der europäischen Begegnung und bringt Menschen zusammen, die zwar unterschiedliche Sprachen sprechen, aber aufgrund der gemeinsamen Arbeit bemerken: Wir alle stehen vor denselben Herausforderungen und wir sind stärker, wenn wir sie gemeinsam lösen! Bei den Diskussionen um die Zukunft der transnationalen Programme sollten sich die Beteiligten diese Vision immer vor Augen halten.

 

Dr. Katharina Erdmenger

Referatsleiterin Europäische Raumentwicklungspolitik/Territorialer Zusammenhalt, Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur
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