31.08.2017

Neuer Rechtsrahmen für die elektronische Verwaltung

Wichtige Änderungen im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)

Neuer Rechtsrahmen für die elektronische Verwaltung

Wichtige Änderungen im Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)

Klare Rahmenbedingungen sind wichtig auf dem Weg zum automatisierten Verwaltungsverfahren. | © Wax - stock.adobe.com
Klare Rahmenbedingungen sind wichtig auf dem Weg zum automatisierten Verwaltungsverfahren. | © Wax - stock.adobe.com

Bereits am 1. Januar 2017 sind wichtige Änderungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) im Bereich der »elektronischen Verwaltung« in Kraft getreten. Es wurde ein Rechtsrahmen für einen vollautomatisierten Erlass von Verwaltungsakten und eine neue Möglichkeit zur Bekanntgabe elektronischer Verwaltungsakte durch Abruf von Onlineportalen geschaffen. Die Neuerungen wurden gleichzeitig in den drei Verfahrensordnungen VwVfG, AO und SGB X durch das Gesetz zur Modernisierung des Besteuerungsverfahrens (StModernG) vom 18. Juli 2016 eingeführt.

Auf dem Weg zum vollautomatisierten Verwaltungsverfahren

Verwaltungsakte konnten nach dem VwVfG zwar schon immer »mit Hilfe automatischer Einrichtungen« erlassen werden. Dass auch komplexe Verwaltungsverfahren einmal vollständig von Apparaten erledigt werden könnten, hatte der Gesetzgeber in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts noch nicht im Blick. Bislang fehlte es deshalb an einer ausdrücklichen Regelung im VwVfG. Sie wurde mit dem StModernG in allen drei Verfahrensordnungen eingeführt.

Gute Gründe für eine ausdrückliche Regelung

Nach der Begriffsbestimmung in § 35 VwVfG ist ein Verwaltungsakt eine nach außen gerichtete Maßnahme einer Behörde zur Regelung eines Einzelfalls. Er wird deshalb auch als öffentlich-rechtliche Willenserklärung verstanden. Ein Verwaltungsakt verlangt danach eine Willensbetätigung, zu der aber nur natürliche Personen fähig sind. Wird das Verwaltungsverfahren soweit automatisiert, dass der einzelnen regelnden Maßnahme keine individuelle Willensbildung mehr zugrunde liegt, kann man sich die Frage stellen, ob es sich überhaupt um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 35 VwVfG handelt. Die neue Regelung erkennt die Verwaltungsaktqualität ohne Weiteres an, lässt den Erlass so produzierter Verwaltungsakte aber nur unter bestimmten Voraussetzungen zu. Neben dogmatischen Überlegungen bedurfte es vor allem einer verfahrensrechtlichen Einhegung, um auch unter den Bedingungen der Automatisierung ein rechtsstaatliches Verfahren zu gewährleisten.


Keine schrankenlose Automatisierung

Um ein rechtsstaatliches Verfahren zu garantieren, sieht § 35a VwVfG zwei Schranken vor. Zum einen gilt ein »Gesetzesvorbehalt«: Die Automatisierung muss durch Rechtsvorschrift zugelassen sein. Damit wird sichergestellt, dass nicht die Behörde, sondern der Normgeber entscheidet, welche Verfahren vollständig automatisiert werden können und wie ggf. der Wegfall der »Komponente Mensch« mit begleitenden Regelungen kompensiert werden muss. Wäre es der Verwaltung selbst überlassen, solche Verfahren nach eigenem Ermessen einzuführen, könnte auch die Gestaltungsfreiheit des Normgebers eingeschränkt werden, wenn dessen Entscheidungen wegen erforderlicher Systemanpassungen künftig nur noch mit erheblicher Zeitverzögerung umgesetzt werden können. Der Regelungsvorbehalt in § 35a VwVfG dient deshalb nicht nur dem Schutz der Verfahrensbeteiligten, sondern hat auch Schutzfunktion für den Normgeber selbst.

Neben dem Gesetzesvorbehalt sieht § 35a VwVfG noch eine weitere Einschränkung vor: Ein vollständig automatisierter Erlass ist ausschließlich bei gebundenen Entscheidungen zulässig. Sowohl die Ausübung eines Ermessens als auch die Ausfüllung eines Beurteilungsspielraums erfordern regelmäßig eine individuelle Abwägung und Willensbetätigung, die ein Rechner – zumindest derzeit – nicht leisten kann. Da die Behörde ohnehin einer speziellen Ermächtigung für den vollautomatisierten Erlass bedarf, hat das Verbot des Einsatzes für Verfahren mit Ermessens- oder Beurteilungsspielraum vor allem Warnfunktion: Wegen der Subsidiarität des VwVfG kann sich der Fachgesetzgeber zwar über das Verbot im VwVfG hinwegsetzen, er soll dabei aber die besonderen Anforderungen an ein solches Verfahren bedenken.

Gewährleistung von Verfahrensrechten der Beteiligten

Für die Verwaltung liegt der Vorteil der Automatisierung vor allem bei den erzielbaren Einspareffekten. Bürger und Unternehmen profitieren zwar auch von einer Verfahrensbeschleunigung und einem gleichmäßigen Verwaltungshandeln »ohne Ansehen der Person«. Automatisierung bedeutet aber immer auch Schematisierung und gerät damit in ein Spannungsverhältnis zu Rechtmäßigkeit und Einzelfallgerechtigkeit. Individuelle Fallkonstellationen können von einem schematischen Prüfraster nur soweit berücksichtigt werden, wie sie antizipiert werden können. Automatisierung kann die Gefahr erhöhen, dass die Verwaltung rechtswidrige Verwaltungsakte erlässt. Um dieser Gefahr vorzubeugen, wird § 35a VwVfG flankiert von einer Ergänzung von § 24 VwVfG (Untersuchungsgrundsatz). Sie stellt klar, dass auch in einem automatisierten Verfahren für den Einzelfall bedeutsame tatsächliche Angaben des Beteiligten zu berücksichtigen sind, die im automatischen Verfahren nicht ermittelt würden.

Die Befugnis zur Automatisierung befreit die Behörde also nicht von der Pflicht zur vollständigen Sachverhaltsermittlung. Für den Einzelfall bedeutsame tatsächliche Angaben des Betroffenen dürfen nicht einfach übergangen werden. Das Recht auf individuellen Vortrag soll andererseits nicht missbraucht werden können, um das jeweilige System lahmzulegen. Deshalb besteht keine Verpflichtung, bei jedwedem individuellen Vortrag den Fall auszusteuern und zu einer individuellen Einzelfallprüfung überzugehen.

Bekanntgabe von elektronischen Verwaltungsakten durch Abruf

Elektronische Verwaltungsakte werden üblicherweise von der Behörde mit einfacher E-Mail bekanntgegeben. Für die Steuerverwaltung stellt der Versand mit unverschlüsselter E-Mail wegen des Steuergeheimnisses ein Problem dar. Dieses Problem soll durch eine neue Form der Bekanntgabe gelöst werden: Der elektronische Steuerbescheid wird vom Finanzamt nicht mehr versandt, sondern auf einem geschützten Onlineportal zum Abruf bereitgestellt. Für Verwaltungsverfahren im Anwendungsbereich des VwVfG und des SGB X besteht zwar kein vergleichbarer Handlungsdruck, die zusätzliche Option soll jedoch auch hier zur Verfügung stehen. Alle drei Verfahrensordnungen sehen das Prinzip der Freiwilligkeit und das Erfordernis einer sicheren Authentifizierung für die Bekanntgabe per Datenabruf vor. Allerdings unterscheiden sich die Regelungen in VwVfG und SGB X in einem wesentlichen Punkt deutlich von der in der AO.

Abrufvariante versus Fiktionsvariante im Steuerverfahren

Die AO knüpft an den Versand einer Benachrichtigung über die erfolgte Bereitstellung zum Abruf an und fingiert den Zugang des Bescheids. Der Adressat wird per E-Mail informiert, dass der Bescheid abgerufen werden kann. Der Steuerbescheid gilt dann am dritten Tag nach Versendung der Benachrichtigung als bekanntgegeben – unabhängig davon, ob er tatsächlich abgerufen wurde oder die Benachrichtigung den Adressaten überhaupt erreicht hat. Wird der Zugang der Benachrichtigung allerdings bestritten und der Bescheid nicht abgerufen, ist die Bekanntgabe regelmäßig gescheitert. Diese Lösung zielt in erster Linie auf Angehörige der steuerberatenden Berufe, also einen professionellen Nutzerkreis. Hier geht man von einem hohen Eigeninteresse an einer reibungslosen elektronischen Verfahrensabwicklung einer professionellen Ablauforganisation auf Empfängerseite aus. Zudem besteht häufig ein gesteigertes Interesse der Steuerverwaltung, schon bei Erlass eines Bescheids den Zeitpunkt des Wirksamwerdens bestimmen zu können, um z. B. bereits mit dem Erlass Zinsen festlegen zu können.

Die Regelung im VwVfG und im SGB X knüpft dagegen an den tatsächlichen Abruf des elektronischen Bescheids an. Auch hier ist eine Benachrichtigung über die Bereitstellung erforderlich. Sie dient aber nur der Information und fingiert nicht schon den Zugang des Verwaltungsakts. Dieser gilt (erst) am Tag nach dem tatsächlichen Abruf als bekanntgegeben. Diese »Abrufvariante« bewahrt den Adressaten vor unliebsamen Überraschungen und fördert damit die Akzeptanz dieses Verfahrens, das ja auf Freiwilligkeit beruht. Denn auch lautere Nutzer werden die Benachrichtigung gelegentlich nicht oder verzögert erhalten oder wahrnehmen. Unter Umständen stellt sich für sie dann erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung heraus, dass die Verwaltung von der Bekanntgabe eines Verwaltungsakts ausgeht, von dessen Existenz sie nichts wissen. Auch für die Verwaltung ergeben sich unerwünschte Folgeprobleme, wenn sich ein vermeintlich wirksam bekanntgegebener Verwaltungsakt nachträglich als hinfällig herausstellt. Auch die Fiktionsvariante erspart der Behörde nicht die Überwachung und Protokollierung des tatsächlichen Abrufs: Andernfalls kann sie nämlich die Behauptung der nicht zugegangenen Benachrichtigung selbst in Fällen eines tatsächlichen Abrufs nicht widerlegen.

Hinweis der Redaktion: Einen ausführlichen Aufsatz zu diesem Thema finden Sie in der September-Ausgabe der Zeitschrift Ausbildung/Prüfung/Fachpraxis (apf), die am 15. des Monats erscheint.

 

Lorenz Prell

Bundesministerium des Innern, Referat V II 1 – Verwaltungsrecht und Verwaltungsverfahrens­recht, Verwaltungsgerichts­barkeit, Informationszugangsrecht, Personenstandswesen und Namensrecht
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