Unionsrechtswidrigkeit des § 13 b BauGB
Was bringt die „Reparaturvorschrift“ des § 215 a BauGB?
Unionsrechtswidrigkeit des § 13 b BauGB
Was bringt die „Reparaturvorschrift“ des § 215 a BauGB?

Bemühungen des Gesetzgebers, die Rechtsprechung zu korrigieren, sind problematisch. Nicht selten scheitert ein entsprechender Versuch, weil sich die Rechtsprechung gegenüber den angestrebten Änderungen als resistent bzw. beharrungsstark erweist. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.07.2023 zur Unionsrechtswidrigkeit des § 13 b BauGB ist hierfür ein plastisches Beispiel.
§ 13 b BauGB kann als Reaktion des Gesetzgebers auf die (restriktive) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum räumlichen Anwendungsbereich des beschleunigten Verfahrens i. S. d. § 13 a BauGB verstanden werden. § 13 a BauGB erfreut sich bei den Kommunen großer Beliebtheit. Für „kleine“ Baugebiete im Siedlungsbereich, die den Schwellenwert von 20 000 m² einhalten (zulässige Grundfläche i. S. d. § 19 Abs. 2 BauNVO), kommt das beschleunigte Verfahren weithin als Regelverfahren zum Einsatz. Um dieses „flexibel“ handhaben zu können, wurden nicht selten Außenbereichsflächen, also solche außerhalb des Siedlungsbereichs, zur Abrundung bzw. Arrondierung in den Geltungsbereich eines nach § 13 a BauGB aufgestellten Bebauungsplans einbezogen. Das Bundesverwaltungsgericht hat dies als unzulässig gerügt. Der Gesetzgeber reagierte mit der Ergänzung des BauGB durch § 13 b BauGB im Zuge der Novelle 2017.Danach gilt § 13 a BauGB entsprechend für Bebauungspläne mit einer Grundfläche i. S. d. § 13 Abs. 1 Satz 2 BauGB von weniger als 10 000 m², durch die die Zulässigkeit von Wohnnutzungen auf Flächen begründet wird, die sich an im Zusammenhang bebaute Ortsteile anschließen. Ausdrücklich hebt die Gesetzesbegründung hervor, dass die Bestimmung der Erleichterung des Wohnungsbaus nicht nur im Innenbereich diene. Auch Außenbereichsflächen, die sich an im Zusammenhang bebaute Ortsteile anschließen, sollen gleichfalls im beschleunigten Verfahren beplant werden können. Durch das Baulandmobilisierungsgesetz wurde der zeitliche Anwendungsbereich verlängert. Ein Rückgriff auf § 13 b BauGB war demnach bisher möglich, sofern der Aufstellungsbeschluss bis zum 31.12.2022 und der Satzungsbeschluss spätestens bis zum 31.12.2024 gefasst wurde. Gerade Kommunen in Süddeutschland haben von der Möglichkeit des § 13 b BauGB vielfach Gebrauch gemacht. § 13 b BauGB ist eine umstrittene Vorschrift. Bereits ihre erstmalige Einfügung mit der BauGB-Novelle 2017, aber auch ihre Verlängerung im Zuge des Baulandmobilisierungsgesetzeswurden kritisiert. Zumindest rechtspolitisch und rechtssystematisch lagen (und liegen) die Einwände auf der Hand: Die Verfahrenserleichterungen des § 13 a BauGB haben den Zweck, die Bauentwicklung (zur Schonung des Außenbereichs) auf den Siedlungsbereich zu§ 13 b BauGB die Erleichterungen des § 13 a BauGB auch bei der Überplanung von Flächen außerhalb des Siedlungsbereichs zu gewähren. Anders formuliert: Der Normzweck des § 13 a BauGB wird durch § 13 b zumindest teilweise konterkariert. § 13 b BauGB stand aber nicht nur rechtspolitisch in der Kritik. Stimmen im Schrifttum bezweifelten dessen Unionsrechtskonformität. Die Erstreckung des beschleunigten Verfahrens auf die Überplanung von Außenbereichsflächen hatte die Konsequenz, dass entsprechende Bebauungspläne ohne Umweltprüfungen in Kraft gesetzt werden konnten. Dies wurde teilweise als Verstoß gegen die Richtlinie 201/42EG, die sogenannte SUP-Richtlinie, gewertet.
I. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
- Entscheidungsinhalt
In seinem Urteil vom 18.07.2023 hatte sich das Bundesverwaltungsgericht erstmals mit einem Bebauungsplan zu befassen, der im Verfahren nach § 13 b BauGB aufgestellt worden war. Es nimmt an, § 13 b BauGB sei unionsrechtswidrig und dürfe daher nicht angewandt werden, weil diese Norm die Überplanung von Außenbereichsflächen (außerhalb des Siedlungsbereichs) ohne Umweltprüfung zulasse. Während die Vorinstanz, der VGH BW, den Normenkontrollantrag der klagenden Umweltvereinigung als unbegründet abgewiesen hatte (wobei der VGH BW die Unionsrechtskonformität des § 13 b BauGB ausführlich begründet hatte), gelangt das Bundesverwaltungsgericht zur gegenteiligen Ansicht. Art. 3 Abs. 1 SUP Richtlinie fordere, dass die unter Art. 3 Abs. 2 bis 4 der SUP Richtlinie fallenden Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, einer Umweltprüfung nach Art. 4 bis 9 SUP-Richtlinie zu unterziehen seien. Nach Art. 3 Abs. 3 SUP-Richtlinie i. V. m. Art. 3 Abs. 4 SUP-Richtlinie seien Pläne und Programme, die nicht nach Art. 3 Abs. 2 SUP-Richtlinie einer Umweltprüfung bedürften, dann keiner Umweltprüfung zu unterziehen, wenn diese lediglich die Nutzung kleiner Gebiete auf lokaler Ebene festlegen oder nur geringfügige Änderungen vorsähen. Diese Pläne seien nur dann prüfpflichtig, wenn die Mitglieder bestimmten, dass sie voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen hätten. Bei diesen Plänen müssten die Mitgliedsstaaten gemäß Art. 3 Abs. 5 Satz 1 SUP-Richtlinie entweder durch Einzelfallprüfung oder durch Festlegung von Arten von Plänen und Programmen oder durch eine Kombination dieser beiden Ansätze die Entscheidung über die Erforderlichkeit einer Umweltprüfung treffen. In jedem Fall müssten die Mitgliedsstaaten die einschlägigen Kriterien des Anhangs II berücksichtigen, um sicherzustellen, dass Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, von der Richtlinie erfasst würden. Das Bundesverwaltungsgericht betont, das Ermessen der Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung der Richtlinienvorgaben sei eingeschränkt. In der Sache müssten diese sicherstellen, dass sämtliche Pläne und Programme, die voraussichtlich erhebliche Umweltauswirkungen haben, einer Umweltprüfung unterzogen würden. Diesen Anforderungen werde § 13 b BauGB nicht gerecht.12 Der Gesetzgeber habe sich mit § 13 b BauGB dafür entschieden, gemäß Art. 3 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 SUP-Richtlinie bestimmte Arten von Plänen festzulegen. Diese seien durch eine quantitative (Grundflächenbegrenzung) und zwei qualitative (Beschränkung auf Wohnnutzung sowie Anschluss an im Zusammenhang bebaute Ortsteile) Voraussetzungen gekennzeichnet. Dies sei jedoch unzureichend. Bei den so umschriebenen Plänen könnten erhebliche Umweltauswirkungen nicht in jedem Fall „und im Übrigen, soweit ersichtlich, auch nicht in der Regel“ ausgeschlossen werden. Dies gelte schon im Hinblick auf die Bandbreite der ökologischen Wertigkeit der in Anspruch genommenen Flächen. So könnten Wiesenflächen (sogar Feuchtwiesen, Magerwiesen), die zur Artenvielfalt beitrügen, überplant werden. Entsprechendes gelte für Streuobstwiesen und bewaldete Flächen, selbst wenn diese keinem besonderen naturschutzrechtlichen Schutzregime unterlägen. Wegen der Unanwendbarkeit des § 13 b BauGB geht nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts der Verweis von Satz 1 auf § 13 a BauGB ins Leere. Dies gelte – so das Bundesverwaltungsgericht – insgesamt und betreffe nicht nur § 13 a BauGB Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 13 Abs. 3 Satz 1 BauGB. Das beschleunigte Verfahren zeichne sich gerade durch den Verzicht auf eine Umweltprüfung aus. Die übrigen in § 13 a Abs. 2 BauGB vorgesehenen verfahrens- und materiell-rechtlichen Erleichterungen knüpften daran „als begleitende Regelungen“ an. Sie seien Teil eines Vereinfachungs- und Beschleunigungskonzepts. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts war eine Vorlage an den EuGH nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht erforderlich. Die Rechtslage sei durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hinreichend geklärt (acte éclairé).
- Bewertung
a) Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hat eine außerordentliche Resonanz erfahren – und dies nicht nur in der Fachöffentlichkeit. Das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen hat vorläufige Handlungsempfehlungen zum Urteil herausgegeben. Das Urteil ist – plakativ – als „Knaller aus Leipzig“ bezeichnet worden. Angesichts der bereits erwähnten und seit Längerem geführten Diskussion um die Unionsrechtswidrigkeit des § 13 b BauGB liegt der „Knalleffekt“ des Urteils wohl nicht darin, dass das Bundesverwaltungsgericht diese Norm mit Blick auf das Unionsrecht „kritisch“ betrachtet hat. Schon das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zur (unzulässigen) „Arrondierung“ eines § 13 a-Plangebietes, durch Einbezug einzelner Außenbereichsflächen, ließ eine „Reserviertheit“ gegen die räumliche Erstreckung des § 13 a BauGB auf Flächen außerhalb des Siedlungsbereichs erkennen. Überraschend war aber, dass das Bundesverwaltungsgericht von einer Vorlage an den EuGH gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV abgesehen hat. Nachdem alle Oberverwaltungsgerichte, die mit dieser Norm befasst waren, deren Unionsrechtskonformität (teilweise nach ausführlicher Erörterung und Prüfung) bejaht hatten und diese Auffassung auch im Schrifttum und in den Standardkommentaren (soweit sie die Frage überhaupt erörterten) überwiegend geteilt worden war22, dürfte die Erwartung wohl dahin gegangen sein, das Bundesverwaltungsgericht werde bei Zweifeln an der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH richten. b) Das Bundesverwaltungsgericht hat dies unter Berufung auf die „Acte-éclairé-Doktrin“ nicht getan. Diese Vorgehensweise erstaunt. Die Anforderungen, die sich aus Art. 3 Abs. 5 Satz 1 SUP-Richtlinie ergeben, sind in der Rechtsprechung des EuGH in der Tat wiederholt behandelt worden. Es bestehen aber Zweifel, ob eine eindeutige und endgültige Klärung angenommen werden kann. Im – soweit ersichtlich – jüngsten Urteil des EuGH zu dieser Thematik vom 21.12.2016, welches sich auf ein Bauvorhaben auf einer Insel in der Lagune von Venedig bezog, behandelt der EuGH primär die Frage, ob Art. 3 Abs. 3 der SUP-Richtlinie mit vorrangigem Primärrecht, dem Art. 191 AEUV, vereinbar sei. Zum anderen befasst sich diese Entscheidung mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein „kleines Gebiet auf lokaler Ebene“ angenommen werden kann. In früheren Entscheidungen des EuGH, auf die sich das Bundesverwaltungsgericht bezieht, hatte der EuGH formuliert, Art. 3 Abs. 5 i. V. m. Art. 3 Abs. 2 und 3 der SUP-Richtlinie dürften mitgliedsstaatlich nicht in der Form konkretisiert werden, dass Pläne, bei denen aufgrund ihrer Merkmale, ihrer Auswirkungen und der voraussichtlich betroffenen Gebiete mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen sei, keiner Umweltprüfung unterzogen würden. Bei § 13 b BauGB gibt es die Vorgabe hinsichtlich der Flächengröße sowie zusätzlich die begrenzenden Merkmale Anschluss an im Zusammenhang bebauten Ortsteilen und Beschränkung auf Wohnnutzung. Die „Vorkehrungen“ zur Vermeidung erheblicher Umwelteinwirkungen sind also weitreichender als in den Fällen des EuGH, auf die sich das Bundesverwaltungsgericht bezieht. c) Verstärkt werden die Zweifel an der Eindeutigkeit der Unionsrechtswidrigkeit des § 13 b BauGB auf Basis der bisherigen EuGH-Judikatur, wenn man die Entscheidung des EuGH in den Blick nimmt, in der sich dieser mit der Heilung von Verfahrensfehlern im Fall eines nach § 13 a BauGB aufgestellten Bebauungsplans befasst hat. Das Bundesverwaltungsgericht begründet die Unionsrechtswidrigkeit des § 13 b BauGB damit, dass nicht gewährleistet sei, dass Flächen mit hoher ökologischer Wertigkeit ohne Umweltprüfung überplant würden. Diese Aussage ist mit Blick auf den Anwendungsbereich des § 13 b BauGB zutreffend. Entsprechendes gilt aber auch für die Überplanung von Flächen im Fall des § 13 a BauGB. Dies veranschaulicht das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.04.2023, mit dem dies die Überplanung einer Außenbereichsinsel von immerhin 0,9 ha unter bestimmten Voraussetzungen gebilligt hat. Selbst wenn das Bundesverwaltungsgericht in dieser Entscheidung Anforderungen an die Überplanung von Außenbereichsinseln innerhalb einer Ortslage stellt, erscheint fraglich, ob hierdurch stets und regelmäßig ausgeschlossen ist, dass einzelne der vom Bundesverwaltungsgericht genannten – ökologisch hochwertigen – Flächen überplant werden (was im Fall des § 13 b BauGB möglich ist). Ob dies aber a limine mit der SUP-Richtlinie unzulässig ist, ist im Lichte der Entscheidung des EuGH zu § 13 a BauGB kaum offensichtlich. Auch wenn der EuGH die Heilungsvorschrift des § 214 a Abs. 2 a Nr. 1 BauGB a. F. als unionsrechtswidrig rügte, kann der Entscheidung (wohl) entnommen werden, dass dieser jedenfalls grundsätzlich keine Bedenken gegen § 13 a BauGB hegte.28 Auch wenn man – mit dem Bundesverwaltungsgericht – die Unterschiede zwischen den Anwendungsvoraussetzungen des § 13 a BauGB und des § 13 b BauGB anerkennt, spricht diese Entscheidung des EuGH – entgegen der Annahme des Bundesverwaltungsgerichts – wohl doch dafür, dass ein Klärungsbedarf hinsichtlich der Ausnahmevoraussetzungen der SUP-Richtlinie verbleibt. Dies hätte für eine Vorlage nach Art. 267 Abs. 3 AEUV gesprochen.
Entnommen aus Verwaltungsblätter Baden-Württemberg 3/2024, S. 89.