30.07.2024

Ordnungspartnerschaften

Unmittelbarer Zwang gegen Personen durch kommunale Ordnungsdienste bei Unterstützung polizeilicher Maßnahmen

Ordnungspartnerschaften

Unmittelbarer Zwang gegen Personen durch kommunale Ordnungsdienste bei Unterstützung polizeilicher Maßnahmen

Ein Beitrag aus »Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter« | © emmi - Fotolia / RBV
Ein Beitrag aus »Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter« | © emmi - Fotolia / RBV

Das Trennungsprinzip ist einer der Grundpfeiler des nordrhein-westfälischen Polizei- und Ordnungsrechts.1 Doch trotz der dadurch vorgegebenen Abgrenzung von Verwaltungs- und Vollzugspolizei kommt es in den Kommunen alltäglich zu gemeinsamen Absprachen, Streifengängen und Einsätzen von Kräften der Ordnungsbehörden mit solchen des Polizeivollzugsdienstes.2 Insbesondere bei der Anwendung unmittelbaren Zwangs gegen Personen ist ein Zusammenwirken im Rahmen einer solchen Ordnungspartnerschaft häufig hilfreich und geboten.3 Während die Polizei neben ihren vollstreckungsrechtlichen Befugnissen zur Gefahrenabwehr auch Maßnahmen zur Strafverfolgung ergreifen darf und selbst eine reine Unterstützung des ordnungsbehördlichen Vollzugs gesetzlich legitimiert ist, besteht im umgekehrten Hilfeleistungsfall für die Kräfte des Ordnungsdienstes ein geringerer rechtlicher Spielraum. Nachfolgend wird beleuchtet, wie die Ordnungsdienste damit in Fällen umgehen könnten, in denen der gemeinsam verfolgte Maßnahmenzweck nicht eindeutig ist.

A. Vollzugszuständigkeit des Ordnungsdienstes

Auch wenn es um die Unterstützung polizeilicher Maßnahmen geht, benötigt der kommunale Ordnungsdienst für sein Handeln stets eine eigene Ermächtigungsgrundlage. Auch für Zwangsmaßnahmen gilt gemäß § 56 Abs. 1 VwVG NRW, dass diese nur der Vollstreckung von solchen Verfugungen dienen dürfen, für deren Erlass die Ordnungsbehörden zuständig sind. Dies folgt aus dem Grundsatz der Selbsttitulierung bzw. -vollstreckung.4


Im Bereich der Gefahrenabwehr haben die Ordnungsbehörden gemäß § 1 Abs. 1 OBG NRW die primäre Zuständigkeit. Hier besteht gemäß § 1 Abs. 1 Satz 3 PolG NRW nur dann eine vorrangige Zuständigkeit der Polizei, wenn es um die Verhütung oder vorbeugende Bekämpfung von Straftaten geht. Ansonsten wird die Polizei zu präventiven Zwecken nur im Eilfall selbstständig tätig oder unterstutzend im Wege der Vollzugshilfe gemäß §§ 2 OBG NRW, 47 Abs. 1 PolG NRW.

Von der präventiven Gefahrenabwehr zu unterscheiden ist das repressive Vorgehen, das sich nicht vorrangig auf die Verhinderung von Rechtsverstosen, sondern auf deren Ahndung richtet. Im Bereich der kommunalen Ordnungsverwaltung geschieht die Ahndung im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenrechts mit dem Erlass von Busgeldbescheiden, zumeist durch die Ordnungsbehorden.5 Sobald es jedoch um Straftaten geht, endet die Zuständigkeit der Ordnungsbehörden gemäß § 40 OWiG.

Hier sind die kommunalen Ordnungsdienste nur dann zur Anwendung unmittelbaren Zwangs berechtigt, wenn er zur Gefahrenabwehr eingesetzt wird. Dabei muss die präventive Schutzrichtung die Maßnahme nicht ausschließlich bestimmen. Es reicht aus, wenn der Maßnahmenzweck schwerpunktmäßig in der Gefahrenabwehr liegt. Ist nicht eindeutig, wo der Schwerpunkt liegt, spricht eine Zweifelsregelung für die Gefahrenabwehr.6

Im Alltag der kooperativ auf der Straße agierenden Polizei- und Ordnungskräfte kommt es häufig zu Situationen, in denen der Schwerpunkt der Maßnahme während eines gemeinsamen Einsatzes von Gefahrenabwehr zu Strafverfolgung oder umgekehrt wechselt. Dann stehen die Ordnungskräfte vor der Frage nach der Rechtmäßigkeit ihres unterstutzenden Handelns, die desto bedeutsamer wird, je gravierender der Grundrechtseingriff ist, der von ihm ausgeht.

B. Unmittelbarer Zwang gegen Personen

Kaum ein Eingriff in die von Art. 2 Abs. 2 GG geschützten Rechte auf Freiheit und körperliche Unversehrtheit konnte gravierender sein als das Brechen des Widerstandes einer Person mittels hoheitlicher Gewalt. Immer dann, wenn Widerstand gebrochen wird, geht dies über die Handlungsbefugnisse der Standardermächtigungen hinaus. Sofern Widerstand also nicht nur sanft kanalisiert wird, der Maßnahmenadressat also bspw. nicht nur leicht am Arm zum Dienstwagen geführt wird, wo er kurzzeitig in Gewahrsam genommen werden soll, sondern mittels Zwangsgriff dorthin verbracht wird, ist das Vollstreckungsrecht stets vorrangig.

  1. Definition

Der unmittelbare Zwang stellt gemäß § 57 Abs. 1 VwVG NRW neben Ersatzvornahme und Zwangsgeld eins von drei Zwangsmitteln zur Durchsetzung von Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen dar (sogenannte HDU-Verfugungen). Er ist gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 VwVG NRW Ultima Ratio unter den Maßnahmen des Verwaltungszwangs.8 Daher ist bei vertretbaren Handlungen stets zu prüfen, ob auch eine Ersatzvornahme als milderes Mittel in Betracht kommt.9 Der unmittelbare Zwang ist in den §§ 66 ff. VwVG NRW eingehend geregelt und wird in § 67 Abs. 1 VwVG NRW definiert als Einwirkung auf Personen oder Sachen durch körperliche Gewalt, ihre Hilfsmittel und durch Waffen. Körperliche Gewalt ist in Abs. 2 wiederum definiert als jede unmittelbare körperliche Einwirkung. Hilfsmittel der körperlichen Gewalt sind gemäß Abs. 3 bspw. Fesseln, technische Sperren, Diensthunde, Dienstfahrzeuge, Reiz- und Betäubungsstoffe. Waffen sind gemäß Abs. 4 Schlagstock, Pistole und Revolver, wobei nur Ersterer gemäß § 74 Satz 1 VwVG NRW überhaupt für die kommunalen Ordnungskräfte zugelassen, aber durch § 68 Abs. 4 VwVG NRW im Regelfall bei der Anwendung des unmittelbaren Zwangs ausgeschlossen wird. Das bedeutet, dass kommunale Ordnungskräfte bei Ausübung unmittelbaren Zwangs nur ihren Körper oder Hilfsmittel der körperlichen Gewalt einsetzen dürfen.

2. Verfahrensarten

Die Vollstreckungsmaßnahme ist unabhängig von der vollstreckten Grundverfugung auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Auch die rechtmäßige Anwendung eines Zwangsmittels setzt voraus, dass eine Ermächtigungsgrundlage existiert, von der in formell und materiell zutreffender Weise Gebrauch gemacht worden ist. Die Ermächtigungsgrundlage findet sich für die nordrhein-westfälischen Ordnungsbehörden in § 55 VwVG NRW. Hier wird in Abs. 1 und Abs. 2 zwischen dem gestreckten und dem gekürzten Zwangsverfahren differenziert.

  1. Gestrecktes Verfahren

[…]

  1. Sofortvollzug

[…]

  1. Verhältnis der Verfahrensarten zueinander

[…]

D. Fazit

Die Rechtmäßigkeit des Einsatzes unmittelbaren Zwangs durch Ordnungsbehörden beurteilt sich ausschließlich nach §§ 55 ff. VwVG NRW.

Als Ermächtigungsgrundlagen für die Grundverfugung bieten sich im Anwendungsbereich der Standardermächtigungen entweder die Standardermächtigungen selbst an, sofern sie Regelungscharakter besitzen oder, falls sie nur eine Handlungsermächtigung enthalten, die Generalklausel gemäß § 14 Abs. 1 OBG NRW, rechtsfolgenseitig gerichtet auf die Duldung des jeweils durch die Standardermächtigung legitimierten Realakts. Außerhalb des Anwendungsbereichs von Standardermächtigungen kann jede HDU-Verfugung zur Abwehr einer konkreten Gefahr auf der Grundlage der Generalklausel ausgesprochen werden.

Dass die vollstreckte Grundverfugung rechtmäßig ist, ist nur Voraussetzung für die rechtmäßige Vollstreckung im Sofortvollzug.

Wann immer in Ordnungspartnerschaften strafprozessuale Maßnahmen in Widerstands- oder Angriffshandlungen gemäß §§ 113, 114 StGB ausarten, ist unmittelbarer Zwang zur Fremd- oder Eigensicherung zulässig. Die Anwendung kann wegen der dann regelmäßig unproblematisch gegebenen gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit gemäß § 14 Abs. 1 OBG NRW im Sofortvollzug erfolgen.

In allen Zweifelsfallen sollte im gestreckten Verfahren vorgegangen werden, wobei die Grundverfugung auszusprechen, die sofortige Vollziehung anzuordnen und der unmittelbare Zwang festzusetzen ist, bevor er angewendet wird.

Nur wenn offenkundig die Maßnahme ausschließlich Strafverfolgungszwecken dient, haben Zwangsmittel seitens des Ordnungsdienstes zu unterbleiben.

 

1 Schmidt, Polizei- und Ordnungsrecht, 22. Aufl. 2022 Rn. 13; Thiel, Polizei- und Ordnungsrecht, 5. Aufl. 2023, § 3 Rn. 14.

2 Frevel, Kooperative Sicherheitspolitik und -arbeit in der Stadt, GSZ 2020, 217, 218.

3 Kingreen/Poscher, Polizei- und Ordnungsrecht, 12. Aufl. 2022, § 3 Rn. 8.

4 Kingreen/Poscher (Fn. 3), § 24 Rn. 2.

5 Auser bei Verkehrsordnungswidrigkeiten, vgl. § 26 Abs. 1 S. 1 StVG.

6 BVerfG, Urt. v. 25.02.1975, BVerfGE 39, 1, 44; vgl. auch RiStBV Anl. A, Abschnitt B. III.

7 Kingreen/Poscher (Fn. 3) § 11 Rn. 16, § 16 Rn. 32; Thiel (Fn. 1) § 10 Rn. 122.

8 Schmidt (Fn. 1), Rn. 925.

9 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, 12. Aufl. 2023, Rn. 618.

[…]

 

 

Entnommen aus Nordrheinwestfälische Verwaltungsblätter 3/2024, S. 89.

 

Prof. Dr. Katrin Cosack

Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung NRW
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