19.07.2024

Die Jagd mit halbautomatischen Langwaffen in Baden-Württemberg

Ist § 31 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. c) JWMG europa- und völkerrechtskonform? - Teil 2

Die Jagd mit halbautomatischen Langwaffen in Baden-Württemberg

Ist § 31 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. c) JWMG europa- und völkerrechtskonform? - Teil 2

Halbautomatische Langwaffen sind Langwaffen, die nach jeder Schussabgabe selbsttätig erneut schussbereit werden. © vxnaghiyev  – stock.adobe.com
Halbautomatische Langwaffen sind Langwaffen, die nach jeder Schussabgabe selbsttätig erneut schussbereit werden. © vxnaghiyev – stock.adobe.com

Fortsetzung des ersten Teils.

§ 31 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. c) des baden-württembergischen Jagd- und Wildtiermanagementgesetzes (JWMG) sieht seit dem 30.06.2020 vor, dass die Jagd auf Wildtiere unter Einsatz halbautomatischer Langwaffen nur zulässig ist, wenn diese mit höchstens fünf Schuss geladen sind.

  1. Berner Konvention

Die Berner Konvention verfolgt nach deren Art. 1 das Ziel, wild lebende Pflanzen und Tiere sowie ihre natürlichen Lebensräume, insbesondere die Arten und Lebensräume, deren Erhaltung die Zusammenarbeit mehrerer Staaten erfordert, zu erhalten und eine solche Zusammenarbeit zu fördern (Art. 1). Nach Art. 2 sind die Vertragsparteien verpflichtet, Maßnahmen zu ergreifen, um die Population der wild lebenden Pflanzen und Tiere auf einem Stand zu erhalten oder auf einen Stand zu bringen, der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht. Hierbei muss den wirtschaftlichen und erholungsbezogenen Erfordernissen sowie den Bedürfnissen örtlich bedrohter Unterarten, Varietäten oder Formen Rechnung getragen werden.1Vgl. Pießkalla, NuR 2022, 320 ff. Art. 8 der Berner Konvention enthält artenschutzrechtliche Vorgaben: Die Vertragsparteien sollen zum Schutz der in Anhang III der Konvention aufgezählten Tierarten die Verwendung aller zum wahllosen Fangen und Töten geeigneten Mittel sowie aller Mittel, die gebietsweise zum Verschwinden oder zu einer schweren Beunruhigung von Populationen dieser Arten führen können, verbieten. Zwar sind nicht alle Haarwildarten von Anhang III erfasst, das Verbot selektiver Tötungsmittel gilt aber durchaus weitreichend. Betroffen sind zum Beispiel das Rotwild, Rehwild, Damwild und Sikawild sowie das Gams- und Muffelwild. Nach Anhang IV der Berner Konvention, der die verbotenen Mittel und Methoden des Tötens, Fangens und anderer Formen der Nutzung aufzählt, ist bei der Jagd auf die in Anhang III der Konvention genannten Arten der Einsatz halbautomatischer und automatischer Waffen, deren Magazin mehr als zwei Patronen aufnehmen kann, verboten. Das bedeutet, dass die Konvention nach ihrem eindeutigen Wortlaut maximal drei Patronen billigt (zwei im Magazin und eine im Lauf) und die mit größeren Magazinen ausgestatteten automatischen Waffen zwangsläufig als nichtselektive Tötungsmittel bewertet.2Vgl. Pießkalla, NuR 2022, 320 ff. In Bezug auf halbautomatische Langwaffen bleibt § 31 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. c) JWMG daher hinter den Vorgaben der Konvention zurück. Denn während sich das JWMG auf das Gebot beschränkt, bei der Jagd auf Tierarten nach Anhang III nicht mehr als fünf Patronen in eine halbautomatische Jagdlangwaffe zu laden, darf nach den völkerrechtlichen Vorgaben bereits ein Magazin, das eine größere Kapazität als zwei Schuss aufweist, überhaupt nicht in den genannten Halbautomaten zum Einsatz kommen.


Damit steht fest, dass die Nutzung größerer als zweischüssiger Magazine in halbautomatischen Jagdlangwaffen mit den durch Deutschland übernommenen völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht in Einklang zu bringen ist. Denklogisch kann auch die Verwendung von Halbautomaten, die mit „bis zu fünf Schuss“ geladen sind, nicht völkerrechtskonform sein: Vielmehr ist eine Obergrenze von drei Patronen sicherzustellen. Zwar bleibt der Einsatz einer halbautomatischen Langwaffe auch dann zulässig, wenn für sie am Markt Magazine mit mehr als zwei Schuss Kapazität erhältlich sind. Der Wortlaut des Anhangs IV der Konvention stellt nämlich – wie auch die englische und französische Sprachfassung bestätigen3„Semi-automatic or automatic weapons with a magazine capable of holding more than two rounds of ammunition“ bzw. „armes semi-automatiques ou automatiques dont le chargeur peut contenir plus de deux cartouches“. – auf das konkret in der Waffe eingesetzte Magazin ab, wobei eine Differenzierung zwischen eingebauten Magazinen und Wechselmagazinen nicht vorgesehen ist. Hat das konkret verwendete Magazin also eine Kapazität von bis zu zwei Schuss, ist es nach der Konvention zulässig; liegt sie darüber, fällt es unter das Verbot. Eine weitere Patrone im Lauf (Patronenlager) ist erlaubt.4Vgl. Pießkalla, NuR 2022, 320 ff. Im Ergebnis bleibt somit festzuhalten, dass § 31 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. c) JWMG mit der Berner Konvention insoweit unvereinbar ist, als er den jagdlichen Einsatz von Waffen gestattet, die (im konkreten Fall) mit Magazinen ausgestattet sind bzw. benutzt werden, welche eine Kapazität von mehr als zwei Schuss aufweisen. Der Einsatz von Halbautomaten, in denen sich insgesamt mehr als drei Schuss befinden, scheidet aus.

  1. FFH-Richtlinie

Auch die FFH-Richtlinie verfolgt das Ziel, zur Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten, für das der EU-Vertrag Geltung hat, beizutragen. Die aufgrund dessen getroffenen Maßnahmen zielen darauf ab, einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume und wild lebenden Tier- und Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse zu bewahren oder wiederherzustellen (Art. 2). Die Übereinstimmung der Richtlinie mit dem Regelungsgehalt der Berner Konvention ist hierbei nicht zufällig, sondern beruht darauf, dass die Europäische Union seit 1982 Vertragspartei ist5Beschluss des Rates v. 03.12.1982, ABl. (EG) Nr. L 38 v. 10.02.1982, S. 1. und die FFH-Richtlinie einen wesentlichen Baustein bei deren Umsetzung bildet. Weitere Aspekte der Konvention finden in der EU-Vogelschutzrichtlinie6Richtlinie 2009/147/EG v. 30.11.2009, ABl. Nr. L 20 v. 26.01.2010, S. 7. Berücksichtigung.7Vgl. Pießkalla, NuR 2022, 320 ff. Art. 15 der FFH-Richtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten, insbesondere in Bezug auf den Fang oder das Töten der in Anhang V Buchst. a) der Richtlinie genannten wild lebenden Tierarten, den Gebrauch aller nichtselektiven Geräte verbieten, durch die das örtliche Verschwinden von Populationen dieser Tierarten hervorgerufen werden könnte oder sie schwer gestört werden könnten. Zu den nichtselektiven Mitteln in diesem Sinne gehört auch der Gebrauch der in Anhang VI Buchst. a) der Richtlinie aufgezählten Fang- und Tötungsgeräte, zu denen wiederum auch halbautomatische Waffen zählen, deren Magazin mehr als zwei Patronen aufnehmen kann. Anhang V Buchst. a) der FFH-Richtlinie führt z. B. das Gamswild als geschützte FFH-Art auf; bei der Jagd auf diese Wildart ist der Einsatz der genannten nichtselektiven Tötungsmittel daher untersagt. Eine entsprechende Regelung für die Cerviden (Hirschartigen), d. h. insbesondere das Rot- und Rehwild, fehlt hingegen. 8Vgl. Pießkalla, NuR 2022, 320 ff. Die Vorgabe des § 31 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. c) JWMG, der fünf Schuss zulässt, steht bei der Jagd auf Anhang-V-Arten mit der FFH-Richtlinie ebenso wenig in Einklang wie die Systematik der baden-württembergischen Vorschrift, die sich auf ein Verhaltensgebot beschränkt, aber Magazine mit mehr als zwei Schuss Ladekapazität im jagdlichen Einsatz zulässt.

  1. Vogelschutzrichtlinie

Als dritte relevante Norm sieht Art. 8 der Richtlinie über die Erhaltung der wild lebenden Vogelarten (Vogelschutzrichtlinie) vor, dass die Mitgliedstaaten sämtliche Mittel, Einrichtungen oder Methoden verbieten, mit denen Vögel in Mengen oder wahllos gefangen oder getötet werden oder die gebietsweise das Verschwinden einer Vogelart nach sich ziehen können, insbesondere die in Anhang IV Buchst. a) aufgeführten Mittel, Einrichtungen und Methoden. Dieses Verbot umfasst auch die Jagd auf sämtliche von der Vogelschutzrichtlinie erfassten Vogelarten. Anhang IV Buchst. a) entspricht wiederum der Regelung aus der Berner Konvention und der FFH-Richtlinie: Verboten sind u. a. halbautomatische Waffen, deren Magazin mehr als zwei Patronen aufnehmen kann.

IV. Anpassungsbedarf

Die in § 31 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. c) JWMG enthaltene Regelung zum Einsatz halbautomatischer Langwaffen bei der Jagd verstößt, soweit die von der Konvention, der FFH-Richtlinie oder der Vogelschutzrichtlinie erfassten Arten betroffen sind, in mehrfacher Hinsicht gegen internationales Recht. In den Gesetzgebungsmaterialien finden sich keine Hinweise auf diese Vorgaben9Vgl. LT-Drs. 16/8038, S. 20., weshalb letztlich von einer legislativen Nachlässigkeit ausgegangen werden muss. Während der Verstoß gegen die FFH-Richtlinie sich nur in begrenztem Umfang auf § 31 JWMG auswirkt und z. B. das Gamswild als besonders geschützte FFH-Art betrifft, ist die Unvereinbarkeit aufgrund der Vorgaben der Vogelschutzrichtlinie ganz erheblich. Denn sie zielt auf den Erhalt und Schutz sämtlicher im Gebiet der EU natürlicherweise vorkommenden Vogelarten einschließlich der Zugvogelarten ab. Als jagdlich relevante Beispiele können hier Fasane, Wachteln, Rabenkrähen und auch Stockenten genannt werden. Eine europarechtskonforme Auslegung des § 31 Abs. 1Nr. 7 Buchst. c) JWMG scheidet insoweit aus. Deren Grenze wird vorliegend durch den Wortlaut des nationalen Rechts gezogen10Vgl. BVerwG, Urt. v. 18.12.2014, NVwZ 2015, 656, 661 (Rn. 61).; eine teleologische Reduktion des § 31 Abs. 1Nr. 7 Buchst. c) JWMG führt angesichts der nicht miteinander vergleichbaren systematischen Ansatzpunkte nicht zum gewünschten Gleichlauf zwischen nationalem und EU-Recht.11Vgl. Pießkalla, NuR 2022, 320 ff. Hinzu kommt die höhere Schusszahlbegrenzung. Neben dem Verstoß gegen die FFH-Richtlinie stellt § 31 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. c) JWMG auch eine Missachtung der von Deutschland übernommenen Verpflichtungen aus der Berner Konvention dar. Hiernach ist die Bundesrepublik – dies erfasst auch die Bundesländer – verpflichtet, das (Jagd-)Recht so auszugestalten, dass es nichtselektive Tötungsmittel ausschließt. Dies betrifft – neben zahlreichen anderen jagdbaren Tierarten – die Jagd auf Gamswild, Reh- und Rotwild. Aufgrund der Regelung in Art. 216 Abs. 2 AEUV, wonach die von der EU geschlossenen Übereinkünfte neben den EU-Organen auch die Mitgliedstaaten unmittelbar binden, wirkt sich die Verpflichtung aus der Berner Konvention über das EU-Primärrecht als direkte Vertragspflicht auf Deutschland aus; sie ist integrierender Bestandteil der Unionsrechtsordnung.12Vgl. Schmahl/Neidinger: Die EU als Partnerin völkerrechtlicher Verträge, JuS 2021, 24 m. w. N. Die bestehende Unvereinbarkeit des JWMG mit völker- und EU – rechtlichen Vorgaben ist durch Anpassung des § 31 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. c) JWMG zu beheben.13Vgl. Pießkalla, NuR 2022, 320 ff.

V. Folgen für die private Jagdausübung?

Da Privatpersonen weder Völkerrechtssubjekte sind noch verpflichtet sind, sich an Vorgaben von EU-Richtlinien zu halten, scheidet deren unmittelbare Bindung an die oben genannten Rechtsvorgaben aus. Das bedeutet, dass die Jagdausübung gemäß § 31 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. c) JWMG für Privatpersonen bis zur Anpassung des JWMG zulässig ist und bleibt. Etwas anderes gilt für die Organe und Institutionen der unmittelbaren und mittelbaren Staatsverwaltung von Bund, Ländern und Kommunen. Üben sie im Land Baden-Württemberg die Jagd aus, sind sie an die Vorgaben der Berner Konvention, der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie gebunden. Sie haben deshalb dafür zu sorgen, dass bei der Jagd auf geschützte Tierarten keine halbautomatischen Jagdwaffen verwendet werden, deren im konkreten Fall eingesetzte Magazine mehr als zwei Patronen aufnehmen können. Magazingehäuse mit größerer Kapazität müssen durch Schusszahlbegrenzer auf maximal zwei Schuss limitiert werden. Die Jagdausübung mit halbautomatischen Langwaffen, die im konkreten Einsatz mit bis zu fünf Schuss geladen sind, scheidet aus.

VI. Zusammenfassung

Die Regelung des § 31 Abs. 1 Nr. 7 Buchst. c) JWMG stellt einen Verstoß gegen die Berner Konvention, gegen die FFH Richtlinie und gegen die Vogelschutzrichtlinie dar, soweit die Jagd auf Tierarten ausgeübt wird, für die das Verbot des Einsatzes nichtselektiver Tötungsmittel gilt. Eine Anpassung der landesrechtlichen Vorschrift ist insoweit unumgänglich. Denn sowohl der Verstoß gegen die FFH-Richtlinie als auch die Nichteinhaltung der Berner Konvention (i. V. m. Art. 216 Abs. 2 AEUV) begründen für die Bundesrepublik die Gefahr von Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV.

Dieser Beitrag stammt aus den VBlBW, Heft 11/2023.

 

Dr. Michael Pießkalla LL.M.Eur

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Verwaltungsrecht
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  • 1
    Vgl. Pießkalla, NuR 2022, 320 ff.
  • 2
    Vgl. Pießkalla, NuR 2022, 320 ff.
  • 3
    „Semi-automatic or automatic weapons with a magazine capable of holding more than two rounds of ammunition“ bzw. „armes semi-automatiques ou automatiques dont le chargeur peut contenir plus de deux cartouches“.
  • 4
    Vgl. Pießkalla, NuR 2022, 320 ff.
  • 5
    Beschluss des Rates v. 03.12.1982, ABl. (EG) Nr. L 38 v. 10.02.1982, S. 1.
  • 6
    Richtlinie 2009/147/EG v. 30.11.2009, ABl. Nr. L 20 v. 26.01.2010, S. 7.
  • 7
    Vgl. Pießkalla, NuR 2022, 320 ff.
  • 8
    Vgl. Pießkalla, NuR 2022, 320 ff.
  • 9
    Vgl. LT-Drs. 16/8038, S. 20.
  • 10
    Vgl. BVerwG, Urt. v. 18.12.2014, NVwZ 2015, 656, 661 (Rn. 61).
  • 11
    Vgl. Pießkalla, NuR 2022, 320 ff.
  • 12
    Vgl. Schmahl/Neidinger: Die EU als Partnerin völkerrechtlicher Verträge, JuS 2021, 24 m. w. N.
  • 13
    Vgl. Pießkalla, NuR 2022, 320 ff.
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