Unabhängige Polizeibeauftragte
Ein Kontrollmechanismus im Spannungsfeld zwischen umstrittener Gesetzesnotwendigkeit und Forderungen nach Deregulierung der öffentlichen Verwaltung
Unabhängige Polizeibeauftragte
Ein Kontrollmechanismus im Spannungsfeld zwischen umstrittener Gesetzesnotwendigkeit und Forderungen nach Deregulierung der öffentlichen Verwaltung
Sollte die derzeitige Ampelkoalition noch in der laufenden Legislaturperiode ihre Absichten realisieren, ein Polizeibeauftragtengesetz des Bundes zu verabschieden, dann wäre die Bayerische Polizei die einzige große verbliebene Sicherheitsorganisation in Deutschland, bei der derzeit keine Notwendigkeit gesehen wird, jenseits der bestehenden Kontrollsysteme zusätzliche Beschwerde- und Untersuchungsmöglichkeiten zu schaffen.
Nachfolgend soll an den Beispielen des Bundes und des Freistaates Bayern pars pro toto aufgezeigt werden, inwieweit in Abhängigkeit von Koalitionsbildungen und politischen Zufälligkeiten in der Regel kleinere Koalitionäre versuchen, in Koalitionsverhandlungen bei umstrittenen Gesetzesvorhaben vollendete Tatsachen zu schaffen, für die bisher keine Notwendigkeit bestand. Gleichzeitig soll der Frage nachgegangen werden, warum in der deutschen Verwaltungspraxis ausgerechnet die weitgehend verrechtlichte Polizei als einziger Verwaltungszweig der zusätzlichen Kontrolle bedarf und ob die hierfür vorgesehenen Einrichtungen überhaupt in der Lage sind, den von ihnen erwarteten Mehrwert in Form der Aufdeckung bestehender struktureller Mängel und Fehlentwicklungen überhaupt zu erbringen.
- Externe Kontrolle der Polizei – eine Bestandsaufnahme
Ausgelöst durch Berichte über Polizeiexzesse in den Vereinigten Staaten1 und nach Bekanntwerden von rassistischen und rechtsextremistischen Inhalten aus polizeilichen Chatgruppen2 sowie unangemessener Gewaltanwendung durch die Polizei3 hat die politische und wissenschaftliche Diskussion über die Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen durch Hoheitsträger durch unabhängige Einrichtungen ohne organisatorische Anbindung an Sicherheitsbehörden oder praktische Abhängigkeit von der Justiz erneut Fahrt aufgenommen. Internationale Menschenrechtsgremien wie der VN-Menschenrechtsausschuss, der VN-Antifolterausschuss, die VN-Arbeitsgruppe zu willkürlicher Haft, die Europäische Kommission gegen Rassismus und Intoleranz (ECRI), der Menschenrechtskommissar des Europarates und auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte haben wiederholt darauf hingewiesen, dass Deutschland entsprechend den europa- und völkerrechtlichen Verpflichtungen für effiziente und unabhängige Untersuchungen bei möglichen Verletzungen von Menschenrechten sorgen muss, einschließlich in Fällen von behauptetem Fehlverhalten durch die Polizei4.
Die Erwartungen der Beteiligten an die diskutierten Kontrollmechanismen sind unterschiedlich und reichen von der Verbesserung der Beziehungen zwischen Polizei und Bevölkerung über den problemlosen, niederschwelligen und unbürokratischen Zugang zu Beschwerdestellen, das Aufbrechen der „Mauer des Schweigens“ in Polizeibehörden, die Garantie der umfassenden und objektiven Behandlung von Missständen und dem Schutz von aussagwilligen Polizeibeamten vor Stigmatisierung bis hin zur Erarbeitung fallübergreifenden Strukturanalysen. Überhöhend wird auch von der Einrichtung von Polizeibeauftragten ein Beitrag zur Organisationsentwicklung durch externe Qualitätskontrollen und die Funktion eines Frühwarnsystems bei strukturellen und anderen Fehlentwicklungen erwartet. Begründet wird dies mit dem Hinweis, dass die justizförmigen Verfahren lediglich auf Einzelfälle und die Ermittlung individuellen Fehlverhaltens zugeschnitten seien und daher die Ermittlung grundsätzlichem systemischen Fehlverhaltens nicht zulassen5.
Im Ausland hat die externe Kontrolle der Polizei bereits eine lange Tradition, wobei –wie gerade die aktuellen Vorfälle in den USA bewiesen haben – jedwede Bezugnahme auf ausländische Institutionen einen sorgfältigen Vergleich der jeweiligen Verwaltungs- und Polizeiphilosophien erfordert. Die Einrichtungen sind höchst unterschiedlich ausgestaltet. Besonders hervorgehoben werden der schwedische Riksdagen ombudsmän, die britische Equality and Human Rights Commission, das britische Independent Office for Police Conduct, die Police Complaints Commission in Kanada, die österreichische Gleichbehandlungskommission, das Independent Police Investigative Directorate in Südafrika und die nationale Ombudseinrichtung in den Niederlanden.
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- Polizeibeauftragtengesetz des Bundes – ein parlamentarischer Hürdenlauf
Der Bund will nunmehr nicht länger hinter den Ländern zurückstehen. Zeichnet man die Diskussion um die Erforderlichkeit eines Bundespolizeibauftragten und die Genese des Gesetzesvorhaben in der Bundespolitik nach, wird abermals deutlich, dass bei der Erörterung von Grundsatzfragen der Sicherheitspolitik in vielen Fällen nicht Sachfragen und Einsatznotwendigkeiten im Bereich der Inneren Sicherheit im Vordergrund stehen, sondern die Durchsetzung parteipolitische Interessen. Bereits in der 18. Legislaturperiode scheiterte die Fraktion der Grünen mit ihrem Versuch, die Notwendigkeit eines Bundespolizeibeauftragten zu begründen12. Drei der fünf Sachverständigen der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses am 29. Mai 2017 lehnten die Gesetzesentwürfe unter Hinweis auf die Tatsache, dass die deutsche Polizei in der Bevölkerung hohes Ansehen genieße, ab. Insbesondere mussten sich die Initiatoren den Vorwurf des impliziten Generalverdachts gegen die Polizei und der Installation einer politischen Paralleljustiz gefallen lassen13. Auch der Innenausschuss fasste einen ablehnenden Beschluss, sodass der Bundestag am 29. Juni 2017 die Anträge mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ablehnte14.
In der 19. Legislaturperiode wurde in einer erneuten Gesetzesinitiative ohne nachprüfbare Begründung abermals ein Regelungsbedarf für die unterschiedlichen Bundespolizeien und die Bundeszollverwaltung festgestellt, da angeblich die bisherigen Überprüfungsmechanismen im Straf- und Disziplinarrecht und die unterschiedlichen dienstinternen Überprüfungsinstanzen nicht ausreichten15. In einer weiteren Drucksache forderten die Grünen die Änderung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, mit der die Regularien der Wahl und der Aufgaben des unabhängigen Bundespolizeibeauftragten in vier zusätzlichen Paragrafen geregelt werden sollten16. Bei dieser Initiative orientierte man sich an den Vorschriften für den Wehrbeauftragten, wobei die verfassungsrechtliche Funktion dieses Organs völlig verkannt wurde, denn er wurde als Komplement zur Wehrpflicht eingerichtet, ist in Art. 45b Grundgesetz verfassungsrechtlich verankert und soll die Umsetzung der Grundsätze der Inneren Führung überwachen. Für externe Eingaben ist er überhaupt nicht zuständig17. In der parlamentarischen Debatte am 22. März 2019 zu diesem Thema signalisierten lediglich Grüne, die Linke und die FDP mit unterschiedlichen Begründungen Zustimmung. Die Vertreter der SPD verwiesen auf die bereits bestehenden Überprüfungsmechanismen und monierten die Uferlosigkeit der beabsichtigten Überprüfungspalette. CDU/CSU und AfD bezweifelten mit unterschiedlichen Begründungen die Notwendigkeit einer derartigen Einrichtung. Es gebe zurzeit in Deutschland keine akuten Probleme polizeiliches Fehlverhalten betreffend, wohl aber mit zunehmender Gewalt gegen Sicherheitsorgane18.
In der nunmehrigen Koalition haben sich die Kräfteverhältnisse geändert, zumal es sich um ein Dreierbündnis handelte, bei dem jeder danach trachtete, seine Lieblingsthemen im Koalitionsvertrag unterzubringen. So wurde trotz anderer drängender Probleme das Vorhaben eines Bundespolizeibeauftragten reanimiert. Beim Deutschen Bundestag soll ein unabhängiger Polizeibeauftragter beziehungsweise eine unabhängige Polizeibeauftragte mit Zuständigkeiten für die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und die Polizei beim Deutschen Bundestag angesiedelt werden. Für die Umsetzung des im Koalitionsvertrag vereinbarten Vorhabens stellte der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages Anfang Februar des Jahres 2023 die ersten Weichen. Im Rahmen der Beratungen zum Etat der Bundesregierung (Einzelplan 02) beschloss der Haushaltsausschuss auf Antrag der Koalitionsfraktionen entsprechende Personalmittel für das kommende Jahr einzuplanen und Stellen für einen Aufbaustab auszubringen. Die Mittel sollen vorerst gesperrt werden, der Aufhebung der Sperren muss laut Antrag der Haushaltsausschuss zustimmen. Da es sich um lukrative Stellen im B-Bereich und im höheren Dienst handelt, darf man gespannt sein, ob die Absichten im Rahmen der Einsparmaßnahmen für den Haushalt 2024 Bestand haben werden.
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III. Der bayerische Weg
Ähnlich wie im Fall der Diskussion um die Notwendigkeit der Einführung eines Bundespolizeibeauftragten lässt sich auch am bayerischen Beispiel gleichsam als Blaupause mit anderem Ausgang nachzeichnen, inwieweit politische Koalitionskonstellationen sicherheitspolitische Sachfragen überlagern.
Im Frühjahr 2010 forderten der Abgeordnete Hubert Aiwanger und die Fraktion der Freien Wähler die Staatsregierung des Freistaates auf, die gesetzlichen Grundlagen für eine beziehungsweise einen Polizeibeauftragten des Freistaates Bayern als unabhängige Beobachtungs- und Beschwerdestelle zu schaffen,26 und beriefen sich dabei darauf, dass seit vielen Jahren sowohl auf europäischer als auch auf Bundes- und Landesebene die Einrichtung eines völlig unabhängigen Beobachtungs- und Beschwerdegremiums gefordert würde. Darüber hinaus solle die Polizei in einer demokratischen Gesellschaft bereit sein, ihre Maßnahmen überwachen zu lassen. Die Einrichtung eines Polizeibeauftragten trüge zudem auch zu einer besseren Kommunikation, Motivation und mehr Zufriedenheit innerhalb der Polizei bei. Hierdurch würden Fehlentwicklungen und Missstände innerhalb der Polizei schneller erkannt und entsprechend vermieden werden. Der Antrag, der bereits in den mitberatenden Ausschüssen außer bei Bündnis 90/Die Grünen keine Mehrheit fand, wurde letztlich im Plenum abgelehnt27.
Im Herbst 2020 brachte in der 18. Wahlperiode nunmehr die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen Gesetzentwurf über die unabhängige Polizeibeauftragte oder den unabhängigen Polizeibeauftragten ein28. Unter Hinweis auf die Vorbildeinrichtungen in den Bundesländern Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg wurde die Notwendigkeit gesehen, unabhängige Stellen zu schaffen, die Bürgerinnen und Bürgern, aber auch den Beschäftigten der Landespolizeien bei Sachverhalten mit Polizeibezug als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Ein entsprechender Regelungsbedarf bestehe auch im Freistaat Bayern, zumal für die Untersuchung von Beschwerden oder Anregungen zur Bayerischen Polizei ein unabhängiger Mechanismus fehle.
Bereits die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Kommunale Fragen, Innere Sicherheit und Sport ergab, dass mit Ausnahme der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen von allen Beteiligten der Gesetzentwurf abgelehnt wurde. Ein ähnliches Bild ergab sich bei den anderen mitberatenden Ausschüssen und bei der Zweiten Lesung im Landtag29, in der sich die eingebende Fraktion der geschlossenen Ablehnung der anderen Parteien einschließlich der Freien Wähler gegenübersah, wobei deren Vertreter nicht nur die bereits vorhandenen Überprüfungsmechanismen für ausreichend hielten, sondern auch vor der Gefahr warnten, das positive Verhältnis Bevölkerung und Polizei durch zusätzliches Misstrauen signalisierende Überprüfungsmechanismen zu gefährden. Der Landtag lehnte den Gesetzentwurf ab30.
- Das unübersichtliche Ensemble der bisherigen Begründungen
Die Diskussion um die Einführung von Polizeibeauftragten ist zum Teil widerstreitend, zum Teil fehlt eine analytische Evaluierung. Der Reigen der Begründungen wird zum Teil von einfachen Zirkelschlüssen angeführt, indem kurzerhand strukturelle Gründe in Polizeiorganisationen behauptet werden, die nur durch unabhängige Beauftragte beseitigt werden können. Ob diese den ambitionierten Ansprüchen überhaupt gerecht werden können, ist bis jetzt noch an keiner Stelle durchgreifend evaluiert worden.
Ein weiteres beliebtes Stilmittel ist die Berufung auf ausländische Beispiele, wobei auch hier in der Regel jedoch versäumt wird, die jeweiligen Rechtssysteme einem kritischen Vergleich mit den deutschen Rechtsschutzmöglichkeiten zu unterziehen, denn gerade die internationalen Rechts- und Verwaltungssysteme in Polizeifragen sind kaum vergleichbar, zumal die vielfältigen Polizeiexzesse in anderen Staaten weniger eine Frage der Kontrolle als vielmehr die Folge unzureichender Personalauswahl und/oder Defizite in der Ausbildung sind31. Wie wenig sinnstiftend die Einrichtungen im Einzelfall sind, bewies der 363 Seiten lange Untersuchungsbericht der britischen Unterhausabgeordneten Louise Casey vom März 2023. Trotz einer langjährig vorhandenen Überwachungsinstanz wurde die Londoner Polizei als institutionell rassistisch, frauenfeindlich und homophob bezeichnet und Gewalt gegen Frauen und Mädchen nicht ernst genommen. In der Behörde gebe es ein weitverbreitetes Mobbing und weibliche Beschäftigte sehen sich routinemäßig mit Sexismus und Frauenfeindlichkeit konfrontiert32.
[…]
1 Vgl. Kopp, Black Lives Matter – eine Bestandsaufnahme, www.bpb.de/themen/nordamerika/usa/507013/black-lives-matter-eine-bestandsaufnahme/(28.12.2023).
2 Beispiele bei Keuchel/Zühlke, Tatort Polizei, 2021, S. 157 ff.
3 Am 19.12.2023 begann vor dem LG Dortmund ein Prozess gegen fünf Polizeibeamte, die an einem Einsatz beteiligt waren, bei dem ein 16-jähriger Migrant mit sechs Schuss aus einer Maschinenpistole getötet wurde www1.wdr.de/nachrichten/ruhrgebiet/erster-prozesstag-schuessemouhamed-drame-100.html (02.01.2024).
4 Vgl. BT-Drs. 20/9148 (neu).
5 Vgl. BT-Drs. 20/9148 (neu).
[…]
12 BT-Drs. 18/7617.
13 www.bundestag.de/webarchiv/Ausschuesse/ausschuesse18/a04/anhoerungen/118-sitzung-inhalt-506570 (16.12.2023).
14 Deutscher Bundestag Plenarprotokoll 18/243 TOP 17b.
15 BT-Drs. 19/7928.
16 BT-Drs. 19/7930.
17 § 7 Wehrbeauftragtengesetz.
18 Deutscher Bundestag Plenarprotokoll 19/90 TOP 24.
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26 LT-Drs. 16/4478.
27 LT-Drs. 16/5590.
28 LT- Drs. 18/10890.
29 Landtagprotokoll 18/80 v. 15.04.2021 S. 7704 ff.
30 LT-Drs. 18/15199.
31 www.rnd.de/politik/polizeiausbildung-in-den-usa-hohe-anforderungenwenig-training-62GMZBKBY (23.12.2023).
32 www.zeit.de/gesellschaft/2023-03/polizei-london-sexismus-rassismus-gewalt-bericht (23.12.2023).
Entnommen aus Bayerische Verwaltungsblätter 12/2024, S. 397.