16.11.2017

Übernahme von Kosten für einen Schulbegleiter

Bundessozialgericht zeichnet Leitlinien für den Verwaltungsvollzug vor

Übernahme von Kosten für einen Schulbegleiter

Bundessozialgericht zeichnet Leitlinien für den Verwaltungsvollzug vor

Förderung einer geistig behinderten Schülerin in Regelschule: Wer zahlt den Schulbegleiter? | © bierwirm - stock.adobe.com
Förderung einer geistig behinderten Schülerin in Regelschule: Wer zahlt den Schulbegleiter? | © bierwirm - stock.adobe.com

Nicht jedes Handicap, das ein behindertes schulpflichtiges Kind »in die Schule« mitbringt, ist dem Bereich Schule zuzurechnen mit der Folge, dass der Staat oder die kommunalen Gebietskörperschaften als Schulaufwandsträger dafür finanziell aufzukommen hätten. Denn auch gegenüber dem Jugendamt hat das hilfsbedürftige Kind einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe. So ist anerkannt, dass beispielsweise die Gewährung eines Integrationshelfers eine Leistung im Rahmen der Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung nach dem SGB XII darstellen kann. Die Abgrenzungsfragen zwischen dem, was Schule leisten kann und muss, und dem, was das Sozialrecht zu erbringen hat, sind im Einzelfall oft nicht einfach zu beantworten. Ein für die Praxis sehr wichtiges Urteil des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 09.12.2016 – B 8 SO 8/15 R) wertet die höchstrichterliche Rechtsprechung aus und zeichnet wichtige Leitlinien für den Verwaltungsvollzug vor.

Förderung von Schülerin mit Down-Syndrom

Im Streit stand konkret die Übernahme von Kosten für einen Schulbegleiter für das Schuljahr 2012/2013 in Höhe von 18 236,30 Euro. Bei der im Jahr 2002 mit einem Down-Syndrom geborenen Klägerin waren ein Grad der Behinderung von 100 und die Merkzeichen »G« und »H« festgestellt; sie ist der Pflegestufe I nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung – (SGB XI) zugeordnet. Zunächst absolvierte die Klägerin zwei Grundschuljahre in einer Schule mit Förderschwerpunkt geistige Entwicklung.

Nachdem das Staatliche Schulamt festgestellt hatte, dass bei ihr zwar ein sonderpädagogischer Förderbedarf im Sinne der Schule für geistig Behinderte bestehe, die Förderung aber an der K-Schule R (Regelschule) mit Unterstützung durch die Förderschule übernommen werden könne, besuchte die Klägerin ab dem Schuljahr 2010/2011, nochmals beginnend mit der 1. Grundschulklasse, die Regelschule. Dort wurde sie gemeinsam mit nichtbehinderten Schülern, zieldifferent mit dem Bildungsangebot nach dem Bildungsgang der Schule für geistig Behinderte, unterrichtet. Durch eine Kooperationslehrerin der Förderschule erfolgte eine sonderpädagogische Betreuung. Den Antrag auf Übernahme der Kosten eines (zusätzlichen) Schulbegleiters lehnte der beklagte Landkreis mit der Begründung ab, der Kernbereich pädagogischer Arbeit sei nach Maßgabe des jeweiligen Landesschulrechts zu bestimmen. Die rechtliche Verpflichtung, behinderte Kinder zu fördern, bestehe nach dem Landesschulrecht auch in Regelschulen. Deren Förderung in Regelschulen stehe unter dem Vorbehalt, dass sie dem Unterricht folgen könnten. Sei dies nicht der Fall, habe ihre Beschulung in Förderschulen zu erfolgen.


Zum Begriff des Kernbereichs der pädagogischen Arbeit

Die Zurverfügungstellung einer Schulbegleitung/Integrationshilfe fällt unter den in § 12 Nr. 1 EinglHVO genannten Begriff der »sonstigen Maßnahmen« zugunsten behinderter Kinder. Bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Eingliederungshilfe als Hilfe für eine angemessene Schulbildung besteht ein Rechtsanspruch zumindest gegenüber dem zuständigen Träger der Sozialhilfe. § 12 EinglHVO spricht von »Hilfen« zu einer angemessenen Schulbildung und umfasst in seinen Regelbeispielen nur die Schulbildung begleitende Maßnahmen. Die Schulbildung selbst, mithin der Kernbereich der pädagogischen Arbeit, der sich nach der Gesetzessystematik nicht unter Auslegung der schulrechtlichen Bestimmungen, sondern der sozialhilferechtlichen Regelungen bestimmt, obliegt hingegen allein den Schulträgern.

Der Terminus »Kernbereich« ist nach der Rechtsprechung kein schulrechtlicher Begriff. Und der Kernbereich pädagogischer Tätigkeit ist nicht betroffen, wenn die Schulbegleitung die eigentliche pädagogische Arbeit der Lehrkraft nur absichert (»begleitet«). Den Kernbereich berühren deshalb alle integrierenden, beaufsichtigenden und fördernden Assistenzdienste nicht, die flankierend zum Unterricht erforderlich sind, damit der behinderte Mensch das pädagogische Angebot der Schule überhaupt wahrnehmen kann. Die Vorgabe und Vermittlung der Lerninhalte, somit der Unterricht selbst, seine Inhalte, das pädagogische Konzept der Wissensvermittlung wie auch die Bewertung der Schülerleistungen bleibt den Lehrkräften vorbehalten und ist damit dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit zuzuordnen.

Einordnung der Tätigkeit eines Schulbegleiters

Die bloß flankierende Tätigkeit eines Schulbegleiters als Hilfe für eine angemessene Schulbildung greift hiernach regelmäßig nicht in den Kernbereich pädagogischer Arbeit ein. Denn der Kernbereich der pädagogischen Arbeit wird bei einer Schulbegleitung dann nicht berührt, wenn diese die Rahmenbedingungen dafür schaffen muss, dem Antragsteller den Besuch der Schule an sich und ein – soweit möglich – erfolgreiches Lernen zu ermöglichen. Nicht zum Kernbereich der pädagogischen Arbeit gehörende Leistungen können jedoch durchaus »auch« pädagogischen Charakter in einem Sinne haben, dass eine Mitwirkung des betroffenen Kindes am Unterricht ermöglicht wird und damit eine kognitive Förderung erfolgt. Entscheidend ist hierbei allein, ob die Vorgabe der Lerninhalte in der Hand der Lehrkraft bleibt und sich die Betreuungsleistung der Schulbegleitung im Unterricht auf unterstützende Tätigkeiten bei der Umsetzung der Arbeitsaufträge der Lehrkraft beschränkt.

10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII regelt, dass Verpflichtungen anderer – insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen und der Schulen – durch dieses Buch nicht berührt werden. Sind sowohl Schule als auch Träger der Jugendhilfe zur Leistung verpflichtet, dann verankert diese Bestimmung eine allgemeine Subsidiarität jugendhilferechtlicher Leistungen gegenüber denen anderer Sozialleistungsträger und der Schulen. Allerdings genügt es für die Nachrangigkeit der Jugendhilfe nicht, dass eine anderweitige Verpflichtung überhaupt besteht. Vielmehr muss diese anderweitige Verpflichtung auch rechtzeitig realisierbar sein und nach den Umständen des Einzelfalls im öffentlichen Schulwesen eine bedarfsdeckende Hilfe gewährleisten. Dem Sozialhilfeträger steht die Möglichkeit der Überleitung derartiger Ansprüche und anschließender Regress offen. Der Sozialhilfeträger hat die Kosten eines Schulbegleiters für ein wesentlich behindertes Kind zu übernehmen, wenn und soweit der Schulträger keine Leistungen erbringt und Hilfen außerhalb des Kernbereichs pädagogischer Tätigkeit erbracht werden (nachrangige Leistungspflicht). Der Erlass eines Grundlagenbescheides ist zur Herstellung einer hinreichenden Planungssicherheit zulässig.

Hinweis der Redaktion: Eine ausführliche Abhandlung zu diesem Thema finden Sie in der Zeitschrift Ausbildung/Prüfung/Fachpraxis (apf), Doppelheft November–Dezember 2017.

 

Dr. Udo Dirnaichner

Ministerialrat, Bayerisches Staatsministerium für Bildung und Kultus, Wissenschaft und Kunst
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