Sanierungsanordnungen für Trinkwasserleitungen bei Bisphenol-A-Grenzwertüberschreitungen
Folge 3: Vergleich, Bewertung, Conclusio
Sanierungsanordnungen für Trinkwasserleitungen bei Bisphenol-A-Grenzwertüberschreitungen
Folge 3: Vergleich, Bewertung, Conclusio
Die neue Trinkwasserverordnung im Spannungsverhältnis zu Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG.
IV. Vergleich mit dem Regelungsinhalt der EU-Richtlinie
Die Ausgangsbasis der gesetzgeberischen Änderungen des § 38 IfSG und der Novellierung der TrinkwV ist die oben erwähnte EU-Trinkwasserrichtlinie (EU 2020/2184), wobei nach Art. 1 I, Abs. 2 der Richtlinie der Schutz der Qualität von Wasser für den menschlichen Gebrauch und damit der Schutz der menschlichen Gesundheit, die Gewährleistung der Genusstauglichkeit und der Zugang zu Wasser als Ratio der unionsseitigen Rechtssetzung anzusehen ist.
Beginnend mit den Ausführungen in den Erwägungsgründen der Richtlinie sollen somit auf Unionsebene Mindestanforderungen für den Umgang von Wasser für den menschlichen Gebrauch statuiert werden, sodass die Mitgliedsstaaten daraufhin erforderliche Maßnahmen im Rahmen ihres Verwaltungshandelns erlassen können.[1]
1. Risikobewertung von Hausinstallationen gemäß Art. 10
Bei einer Analyse der einzelnen Artikel der Richtlinie rückt zunächst der Art. 10 in das Blickfeld des Rechtsanwenders, da dort in Abs. 1 lit. a) eine allgemeine Risikoanalyse bezüglich der verwendeten Materialien und Werkstoffe der Hausinstallationen normiert ist, wobei die Mitgliedsstaaten wiederum geeignete Maßnahmen zu treffen haben, um eine Nichteinhaltung der Parameter zu beseitigen bzw. zu verringern.[2]
Insbesondere der Abs. 3 lit. f) sticht hervor, da dort expressis verbis der Austausch von Bleirohren als aufgeführte Maßnahme normiert ist, wobei dies unter der Einschränkung der wirtschaftlichen und technischen Machbarkeit vorbehalten ist. Ein Bezug zu Bisphenol A findet sich hingegen an dieser Stelle und im darauffolgenden Richtlinientext nicht. Dieser Aspekt wurde im § 17 TrinkwV im nationalen Recht umgesetzt, sodass sich diesbezüglich keine Diskrepanzen feststellen lassen.
2. Mindesthygieneanforderungen für Materialien und Werkstoffe gemäß Art. 11
In Art. 11 der Richtlinie ist insbesondere der Wortlaut bezüglich der Reparatur- bzw. Sanierungsmaßnahmen hinsichtlich der Materialien und Werkstoffe von bestehenden Anlagen, die zur Entnahme, Aufbereitung, Speicherung oder Verteilung von Wasser für den menschlichen Gebrauch vorgesehen sind, i. S. d. Abs. 1 lit. a) interessant.
Darunter lassen sich auch die Epoxidbeschichtungen der Trinkwasserleitungen subsumieren, die im konkreten Fall des Konsums von Warmwasser die menschliche Gesundheit i. S. d. Art. 11 Abs. 1 lit. a) direkt bzw. indirekt gefährden. Jedoch sind damit nach der Wortlautgrenze und dem Sinn und Zweck des Art. 11 der Richtlinie keine Eingriffsmaßnahmen auf Seiten der Mitgliedsstaaten vorgesehen, sondern allgemeine Anforderungen an die Materialien und Werkstoffe an sich. Dieser Aspekt findet sich auch in den §§ 14–16 der TrinkwV wieder, die diese Anforderungen im nationalen Recht verankern, ohne dass sich damit konkrete Eingriffsbefugnisse seitens der Verwaltung ergeben.
3. Abhilfemaßnahmen gemäß Art. 14 und Abweichungen gemäß Art. 15
Konkret ist bei der Analyse aller in Betracht kommenden Normen der Richtlinie im Ergebnis aber insbesondere auf den Art. 14 Abs. 2, Abs. 4 lit. a) Halbs. 4 abzustellen. Beim Vergleich des Wortlautes des Art. 14 Abs. 2 der Richtlinie mit dem § 65 Abs. 2 TrinkwV zeigen sich die Ähnlichkeiten bezüglich des Regelungsgehaltes, wobei in der Richtlinie das Wort „Abhilfemaßnahmen“ ähnlich wie der Terminus „Abhilfe zu schaffen haben“ in der Ermächtigungsgrundlage in § 38 Abs. 1 Nr. 4 e) IfSG verwendet wird. Die Möglichkeit von Abweichungen aufgrund von Verhältnismäßigkeitserwägungen ist hingegen in Art. 15 der Richtlinie vorgesehen und ist hinsichtlich der Kriterien „Grund“, „Dauer“, „Parameterabweichung“, „Einzugsgebiet“, „Überwachung“ etc. mit denen in § 66 TrinkwV vergleichbar.
Somit ergeben sich auch bei diesem Vergleich keine auffälligen Abweichungen hinsichtlich des Regelungsinhaltes bezüglich der Thematik von Bisphenol A.
4. Zwischenergebnis des Vergleichs der Richtlinie mit der TrinkwV
Bei der Exegese der europarechtlichen Vorschriften zum Trinkwasserrecht in der Richtlinie (EU 2020/2184) zeigen sich im Ergebnis keine relevanten inhaltlichen Unterschiede. Es ist zudem nicht ersichtlich, dass der nationale Gesetzgeber in der TrinkwV einen Gestaltungsspielraum bei Bisphenol A-Bestimmungen ausgeübt hat. Damit ist von einem voll determinierten, europarechtlichen Regelungsinhalt auszugehen, was Auswirkung auf den Bestimmtheitsgrad der nationalen Ermächtigungsgrundlage hat.[3]
Dass auch der Gesetzgeber auf der Unionsebene von einem dynamischen Regelungsbereich bei Bisphenol A ausgeht, zeigt sich insbesondere am Ende der Richtlinie in Art. 20 Abs. 2 Satz 2. Dort wird der EU-Kommission die Befugnis übertragen, durch delegierten Rechtsakt gemäß Art. 21 Änderungen des Parameters „Bisphenol A“ zu erlassen, soweit dies neuen wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen entspricht.[4] Besonders auffällig ist dabei, dass ansonsten keine weiteren chemischen Parameter im Wortlaut des Art. 20 der Richtlinie erwähnt werden, was ein Indiz für die bestehenden Unsicherheiten bezüglich der wissenschaftlichen Datenlage zu Bisphenol A ist.
V. Zusammenfassung, Bewertung und Änderungsvorschläge
Die vorliegende Thematik steht pars pro toto für die andauernde Diskussion in der Literatur, inwieweit der Verordnungsgeber gegenüber dem parlamentarischen Gesetzgeber gestärkt werden soll, um bei dynamischen und technisierten Regelungsbereichen sachgerechte, sachbezogene und flexible Gefahrenabwehrinstrumente für das Verwaltungshandeln zur Verfügung zu haben. Dies führt automatisch zu einem Spannungsverhältnis hinsichtlich der gesetzgeberischen Anforderung, die Entlastungs-, Konkretisierungs- und Flexibilisierungsfunktionen der Rechtsverordnung in Einklang mit den Anforderungen der Wesentlichkeitsrechtsprechung des BVerfG im Allgemeinen und den Bestimmtheitsanforderungen an die Ermächtigungsgrundlage des formellen Gesetzes gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG im Besonderen zu bringen.[5]
So argumentiert u. a. Möllers zutreffend, dass bei einem verstärkten Einsatz exekutivischer Normsetzung, speziell im europäisch geprägten Umweltrecht, eine „Politisierung des Verwaltungshandelns“ drohen könnte und sich in der Folge grundsätzliche Fragen zu den Legitimationsanforderungen an den Parlamentsgesetzgeber stellen.[6] In diesem Kontext kann argumentativ auch auf das Legitimationskettenmodell nach Böckenförde zurückgegriffen werden, das unter staatsrechtlichen Gesichtspunkten ein ausreichendes Legitimationsniveau bei der Ausübung von Staatsgewalt durch den jeweiligen Amtswalter und damit auch eine Verantwortlichkeit der Verwaltung bei nicht näher bestimmten Handlungsermächtigungen fordert.[7]
1. Bewertung der Rechtslage im vorliegenden Sachverhalt (de lege lata)
Zunächst ist am Beginn des Fazits der unter Gliederungspunkt II.2.b aufgeworfene Aspekt zu bejahen, dass es sinnvoll ist, das Trinkwasserrecht inhaltlich mit dem Infektionsschutzgesetz zu verknüpfen.[8] Eine Ermächtigungsgrundlage im Abschnitt 7 des Infektionsschutzgesetzes zu normieren, verbindet die direkten Umweltkompetenzen mit spezifischen Gefahrenabwehrsituationen, die Krankheits- und Infektionsrisiken beim Menschen umfassen. So ist oftmals bei epoxidbeschichteten Trinkwasserrohren neben den Bisphenol A-Grenzwertüberschreitungen auch eine Legionellen-Belastung nachzuweisen.[9] Der § 38 Abs. 1 IfSG als zentrale Ermächtigungsgrundlage entspricht damit dem vom Gesetzgeber angestrebten „One-Health“- Ansatz, bei dem die Gesundheit des Menschen in einem ganzheitlichen Ansatz, mit einem gesunden Ökosystem aus Mensch, Umwelt und Tieren zu sehen ist.[10]
Der § 38 IfSG umfasst deshalb im Ergebnis richtigerweise den Zweck möglicher Gefahrenabwehrmaßnahmen im Trinkwasserrecht und ist deshalb die inhaltlich korrekte Ermächtigungsgrundlage im vorliegenden Fall.
Inwiefern jedoch ein ausreichendes Legitimationsniveau (s. o.) beim § 38 Abs. 1 IfSG vorliegt, ist Ausgangspunkt der kritischen Auseinandersetzung, da die Kommentarliteratur die einhellige Ansicht vertritt, dass die neu gefasste Verordnungsermächtigung in § 38 IfSG aufgrund der enumerativen Regelungstechnik in Abs. 1 und 2 insgesamt als sehr detailliert zu bewerten sei und deshalb keine Bedenken bezüglich möglicher Verstöße gegen das Bestimmtheitsgebot gemäß Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG bestünden.[11]
Diese apodiktische Aussage bedarf einer eingehenden Betrachtung, inwiefern die oben herausgearbeiteten rechtlichen Maßstäbe auch eingehalten werden. So ist die hinreichende Bestimmtheit des § 38 Abs. 1 und speziell des Nr. 4 e) anhand der oben beschriebenen Maßstäbe bei Gliederungspunkt II.1.a zu messen, die zusammenfassend anhand der vom BVerfG entwickelten, griffigen Formeln, der Selbstentscheidungs-, Programm- und Vorhersehbarkeitsformel im Folgenden dargestellt werden sollen.[12]
Hinsichtlich der Selbstentscheidungsformel, nach der der parlamentarische Gesetzgeber selbst entscheiden muss, welches Ziel die konkrete Regelung verfolgt und welche Grenzen bei der jeweiligen Norm zu ziehen sind, gibt es vorliegend keine Probleme.[13] Wie die Literatur zutreffend feststellt, ist kraft Sachzusammenhang zum gesetzgeberischen Ziel, den Schutz der Gesundheit beim menschlichen Gebrauch und Genuss von Wasser i. S. d. § 38 Abs. 1 Nr. 1 IfSG zu gewährleisten, die Bestimmung der Anforderungen an die Betreiber von Wasserversorgungsanlagen in § 38 Abs. 1 Nr. 4 IfSG notwendig, um dieses Ziel in der Praxis effektiv umzusetzen.[14] Auch sind durch den umfangreichen Wortlaut des § 38 Abs. 1 IfSG die Grenzen des gesetzgeberischen Handlungsrahmens grundsätzlich für den Adressaten ersichtlich.
Entgegen der Literaturmeinung ist jedoch im vorliegenden Fall der Bestimmtheitsgrad des Programmumfangs bei der Ermächtigungsgrundlage zu problematisieren.[15]
So finden sich bei der historischen Auslegung der Norm hauptsächlich Hinweise, dass der Fokus des gesetzgeberischen Programmumfangs auf den Informationspflichten und beim allgemeinen risikobasierten Ansatz liegt.[16] Mögliche Eingriffsmaßnahmen, die auf den § 38 Abs. 1 Nr. 4 e) IfSG gestützt werden könnten, werden im Gesetzesentwurf hingegen nicht erwähnt. Dies ist auch nicht weiter verwunderlich, da der nationale Gesetzgeber hauptsächlich die Umsetzung des Richtlinienwortlautes im Sinn hatte. Bezüglich etwaiger Eingriffsmaßnahmen, die neben den oben erwähnten Maßnahmen zu Bleirohren separat im Verordnungstext geregelt werden könnten, hat der Verordnungsgeber keinen eigenständigen Gestaltungsspielraum ausgeübt.
Der Programmumfang muss deshalb zunächst im Rahmen der übrigen Auslegungsmethoden aus dem gesamten Gesetz herzuleiten sein. Dies ist im vorliegenden Fall erst unter Berücksichtigung der oben genannten Ansicht zur Umsetzung von volldeterminierten Unionsrecht als vertretbar anzusehen.[17] Auch ein systematischer Vergleich mit der Vorschrift des § 39 Abs. 2 IfSG als lex generalis Befugnisnorm im formellen Gesetz kann zusätzlich den Schluss nahelegen, dass Eingriffsmaßnahmen im Sinne einer „notwendigen Maßnahme“ auch bei den Abhilfemaßnahmen der Ermächtigungsgrundlage in § 38 Abs. 1 Nr. 4 e) in der TrinkwV vorgesehen sein könnten, sodass das gesetzgeberische Programm in einer kontextuellen Gesamtschau der Vorschriften für den Bürger ersichtlich ist.[18]
Inwiefern jedoch die konkrete Vorhersehbarkeit der zukünftigen Ingebrauchnahme der Ermächtigungsgrundlage des § 38 IfSG bei gefahrenabwehrrechtlichen Sachverhalten durch die zuständigen Behörden für den Betroffenen ersichtlich ist, kann auch auf den ersten Blick bezweifelt werden.
So ist es schwer nachvollziehbar, warum der Gesetzgeber in § 38 Abs. 1 Nr. 9 a) bis k) IfSG detailliert alle Informationspflichten normiert, aber für die schwerwiegendsten und grundrechtsrelevantesten Eingriffsmaßnahmen die allgemein formulierten Tatbestände des § 38 Abs. 1 Nr. 4 e), Nr. 5 IfSG ausreichen sollen. Dieser Aspekt steht mit der Forderung in Literatur und Rechtsprechung, eine hohe Steuerungsdichte durch das formelle Gesetz einzufordern, im Widerspruch, wenn erhebliche Eingriffe durch die Verwaltung drohen.[19]
Dennoch ist unter der Prämisse, dass bei neuen, dynamischen Sachverhalten, die vom Unionsgesetzgeber im Umweltrecht geregelt werden und wenig Gestaltungsspielraum für den nationalen Gesetzgeber lassen, de lege lata von einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage in § 38 Abs. 1 Nr. 4 e) IFSG auszugehen. Das Verwenden von unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln steht diesem Befund in solchen Fällen dann nicht entgegen, obwohl der konkrete Inhalt einer Sanierungsverfügung nach dem Wortlaut der Norm für die Bürger eigentlich schwer zu prognostizieren ist und die Tendenzwirkung für etwaige Anwendungsfälle in der Zukunft als eher unklar anzusehen ist.[20]
Aufgrund der obigen Ausführungen und des zusätzlichen Umstandes, dass die Bisphenol-A-Sachverhalte erst seit einigen Monaten von den Gesundheitsämtern erfasst wurden und bisher nur ein kleiner Adressatenkreis betroffen ist, kann deshalb im jetzigen Zeitpunkt von einer wirksamen Ermächtigungsgrundlage des § 38 Abs. 1 Nr. 4 e) IfSG ausgegangen werden, die im Einklang mit dem Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG steht. Auch bei der konkreten Befugnisnorm des § 65 Abs. 2 TrinkwV bestehen keine rechtlichen Bedenken (siehe Ausführungen bei Gliederungspunkt III.).
Mithin beruhen die behördlichen Sanierungsanordnungen der epoxidbeschichteten Trinkwasserrohre auf einer wirksamen und ausreichenden Rechtsgrundlage.
2. Kritik und Änderungsvorschläge (de lege ferenda)
Jedoch haben z. B. die erst kürzlich beendeten Diskussionen um die COVID-19-Verordnungen, die zunächst auf den § 32 i. V. m. § 28 des Infektionsschutzgesetztes a. F. basierten, gezeigt, dass bei einschneidenden, behördlichen Verfügungen in neuartigen Gefahrensituationen ein genauer Blick auf die Verordnungsermächtigung unabdingbar ist, um dem Prinzip des Vorbehalt des Gesetzes auch im konkreten Verwaltungshandeln zu entsprechen und gegebenenfalls auf parlamentarischer Ebene, durch Änderungen des formellen Gesetzes, die Regelungsdichte für Sachverhalte in der Zukunft nachzujustieren.[21]
Zwar sind die Maßnahmen im vorliegenden Fall nicht so einschneidend hinsichtlich ihrer Grundrechtsrelevanz wie die Corona-Maßnahmen, jedoch lässt sich auch bei den vorliegenden Sachverhalten argumentieren, dass potenziell ein großer Adressatenkreis (siehe die Schätzung der 100.000 Wohnungen mit epoxidbeschichteten Trinkwasserrohren) in einer gewichtigen Grundrechtsposition, wie dem Eigentum aus Art. 14 Abs. 1 GG, betroffen sein könnten, wenn es zu einem Rohrleitungstausch kommen sollte.
Diese Auswirkungen können dazu führen, dass die Gesundheitsämter in Zukunft deutlich mehr Fälle bearbeiten müssen, sodass im Sachgebiet des gesundheitsbezogenen Trinkwasserrechts eine stärkere Typisierung der zu regelnden Sachverhalte im Normtext vorzunehmen ist, anstatt die Fälle im Ergebnis wie „atypische“ Einzelfälle unter die gegenständlichen Generalklauseln zu subsumieren, wie es im Polizeirecht bei der Generalklausel bei unspezifischen Gefahren gehandhabt wird.[22]
Deshalb ist es nicht abwegig, dass der parlamentarische Gesetzgeber de lege ferenda den § 38 Abs. 1 Nr. 4 e) IfSG konkretisieren könnte, indem er beispielsweise den Wortlaut dahingehend erweitert, dass er im Sinne eines Regelbeispiels folgendes einfügt: „der Betreiber hat insbesondere Sanierungsmaßnahmen durchzuführen“.
Dies wäre eine Möglichkeit, in Zukunft eine höhere gesetzgeberische Steuerungsdichte zu operationalisieren, sodass die Kriterien der Grundrechtsrelevanz, Größe des Adressatenkreises und die finanzielle Auswirkung für die Betroffenen, mit der Erforderlichkeit von flexiblen und sachnahen Regelungen bei der Delegation von Rechtssetzungsbefugnissen im Kontext der Wesentlichkeitsdoktrin des BVerfG besser in Einklang gebracht werden.[23]
Eine andere Möglichkeit für eine Stärkung der Normenklarheit und damit auch der Rechtssicherheit wäre eine Änderung der TrinkwV in der derzeitigen Form. So könnte, wie oben beim Gliederungspunkt III. bereits erwähnt, eine eigene Befugnisnorm analog zu den Regelungen zu Bleileitungen in § 17 TrinkwV geschaffen werden. Dies hätte den Vorteil, dass gegebenenfalls Ermessenserwägungen direkt in einer Norm aufgeführt werden können. Zudem ist eine solche Änderung nicht nur durch ein verordnungsänderndes (formelles) Gesetz möglich, sondern unkompliziert und schnell durch eine Änderungsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates umzusetzen.[24]
In diesem Fall würde es beim jetzigen Wortlaut der Generalklausel in Art. 38 Abs. 1 Nr. 4 e) IfSG bleiben, aber der Regelungsinhalt und die Maßstäbe für das Verwaltungshandeln beim Verordnungsgeber treten in diesem Fall in der TrinkwV eindeutiger hervor, sodass eine „materielle Programmsteuerung“ hinsichtlich des Entfernens von epoxidbeschichteten Trinkwasserrohren sichtbarer wird.[25]
VI. Conclusio
Abschließend ist deshalb als Ergebnis dieses Aufsatzes festzuhalten, dass die vorliegende Fallfrage de lege lata zwar zu bejahen ist, es jedoch für die Zukunft rechtspolitisch ratsam wäre, wenn der Gesetzgeber im Sinne der Rechtssicherheit und ihrer Ausprägungen, dem Bestimmtheitsgebot und dem Gebot der Rechtsklarheit, eine eindeutigere und klarere Ermächtigungsgrundlage im formellen Gesetz und/oder eine explizite Befugnisnorm in der Rechtsverordnung schaffen würde.
[1] Vgl. stellvertretend Erwägungsgrund Nr. 2, S. 1 der Richtlinie (EU 2020/2184).
[2] Vgl. Wortlaut des Art. 10 Abs. 1 lit. a, Abs. 2 der Richtlinie EU 2020/2184.
[3] Siehe Ausführungen bei Fn. 27–29.
[4] Zum delegierten Rechtsakt als eine Erweiterung exekutiver Normsetzung aus dem romanischen Rechtskreis im Vergleich zur deutschen Dogmatik des Art. 80 Abs. 1 GG Martini, Normsetzung und andere Formen exekutivischer Selbstprogrammierung, in: Voßkuhle/Eifert/Möllers, GVwR II³, § 33, Rn. 174.
[5] Zu den einzelnen Funktionen der Rechtsverordnung siehe Wolff, in: Kahl/Ludwigs, HVwR V, 2023, § 153, Rn. 22–35.
[6] Möllers, Verwaltungsrecht als Rechtsgebiet und als Wissenschaftsdisziplin, in: Voßkuhle/Eifert/Möllers, GVwR I³, § 2, Rn. 14.
[7] Vgl. Böckenförde, Demokratie als Verfassungsprinzip, in: Isensee/Kirchhof, HStR, Bd. I, 1987, § 22, Rn. 16 und Rn. 22.; siehe auch stellvertretend BVerfG, Beschl. v. 24.05.1995 – 2 BvF 1/92 – juris, Rn. 138–139.
[8] Vgl. Fn. 41.
[9] https://www.swrfernsehen.de/marktcheck/bisphenol-a-und-legionellen-in-trinkwasserleitung-102.html (aufgerufen am 18.08.2024).
[10] Für einen Überblick zum One-Health-Ansatz siehe https://www.bmz.de/de/themen/one-health, (aufgerufen am 18.08.2024); vgl. zur Nachrangigkeit bzgl. des Rechtsregimes und des konkreten Reglungsortes Köck, in: Huster/Kingreen, Hdb. InfSchR, 2. Aufl. 2022, Kap 7, Rn. 33.
[11] Krämer-Hoppe, in: Kießling, IfSG Kommentar, § 38, Rn. 4; Eibenstein, in: Sangs/Eigenstein, IfSG Kommentar mit Trinkwasserverordnung, 2022, § 38 IfSG, Rn. 15.
[12] Vgl. Martini, Normsetzung und andere Formen exekutivischer Selbstprogrammierung, in: Voßkuhle/Eifert/Möllers, GVwR II³, § 33, Rn. 36; Voßkuhle/Wischmeyer, JuS 2015, 311, 313.
[13] Zu den Kriterien der Formel siehe stellvertretend BVerfG, Beschl. v. 13.06.1956 – 1 BvL 54/55 – juris, Rn. 19.
[14] Dingemann, in: Eckert/Winkelmüller. BeckOK InfSchR, 2020, § 38 IfSG, Rn. 9 und 10.
[15] Vgl. ebd., Rn. 7 und Rn. 11–13.
[16] Siehe Begründung: BT- Drs. 20/2296 vom 20.06.2022, S. 8.
[17] Siehe Fn. 28.
[18] Zum § 39 Abs. 2 IfSG als lex generalis Vorschrift zu den Maßnahmen in der TrinkwV siehe Eibenstein, in: Sangs/Eibenstein, Infektionsschutzgesetz Kommentar mit Trinkwasserverordnung, 2022, § 39, Rn. 16.
[19] Vgl. zur Steuerungsdichte die Ausführungen bei Fn. 26.
[20] Zur Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen siehe: Voßkuhle/Wischmeyer, JuS 2015, 311, 314; zur Prognostizierbarkeit und Tendenzwirkung siehe obige Ausführung bei Fn. 24–25.
[21] Zu den Kriterien Reichweite, Intensität, Dauer und den Faktor Zeit siehe Martini, Normsetzung und andere Formen exekutivischer Selbstprogrammierung, in: Voßkuhle/Eifert/Möllers, GVwR II³, § 33, Rn. 35; a. A. zu §§ 28, 32 IfSG a. F. und den Anforderungen zu Art. 80 Abs. 1 Satz 2 GG Reimer, Das Parlamentsgesetz als Steuerungsmittel und Kontrollmaßstab, in: Voßkuhle/Eifert/Möllers, GVwR I³, § 11, Rn. 72.
[22] Zur gesetzlichen Differenzierung und Typisierung im Rahmen des Bestimmtheitsniveaus siehe Reimer, Das Parlamentsgesetz als Steuerungsmittel und Kontrollmaßstab, in: Voßkuhle/Eifert/Möllers, GVwR I³, § 11, Rn. 64.
[23] Zu den aufgezählten und weiteren Kriterien der Wesentlichkeitstheorie siehe Reimer, Das Parlamentsgesetz als Steuerungsmittel und Kontrollmaßstab, in: Voßkuhle/Eifert/Möllers, GVwR I³, § 11, Rn. 48 und Rn. 49.
[24] Wolff, in: Kahl/Ludwigs, HVwR V, 2023, § 153, Rn. 76–78.
[25] Zur materiellen Programmsteuerung mit dem Verweis auf Entscheidungsprogramme siehe Franzius, Modalitäten und Wirkungsfaktoren der Steuerung durch Recht, in: Voßkuhle/Eifert/Möllers, GVwR I³, § 4, Rn. 34.