Kommunaler Klima- und Umweltschutz durch Steuern
Betrachtung der Spielräume nach zwei aktuellen Entscheidungen des BVerwG
Kommunaler Klima- und Umweltschutz durch Steuern
Betrachtung der Spielräume nach zwei aktuellen Entscheidungen des BVerwG

Steuern und Gebühren sind haushalterisch betrachtet öffentliche Einnahmen. Darüber hinaus kann das Steuer- und Abgabenrecht Anreize enthalten und damit neben einem Fiskalzweck auch sog. Lenkungszwecken dienen. Zwei Satzungen, mit denen zwei Kommunen Einnahmen erzielen und zugleich Klima- und Umweltschutz betreiben wollten, waren im Jahr 2023 Gegenstand von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG): Eine Verpackungsteuer-Satzung und eine Satzung, auf deren Grundlage vergleichsweise hohe Bewohnerparkgebühren erhoben werden sollten. Sie geben Anlass zu einer Einordnung und zu einer Betrachtung der Spielräume, die Gemeinden, auch in Niedersachsen, für entsprechende Rechtsetzung haben.
A. Neue Dynamik in einer gar nicht neuen Diskussion
Der Ansatz, durch Steuern und nichtsteuerliche Abgaben klima- und umweltpolitische Ziele zu verfolgen, ist keineswegs neu. Unter dem Stichwort „Ökosteuern“ wurden insbesondere in den 1990er-Jahren Steuergesetze und entsprechende Gesetzgebungsvorhaben in der Politik und auch in der Rechtswissenschaft breit diskutiert. Und während auf Bundesebene bspw. das Gesetz zum Einstieg in eine ökologische Steuerreform vom 24.03.19991BGBl. I S. 378. und das Gesetz zur Fortführung der ökologischen Steuerreform vom 16.12.19992BGBl. I S. 2432. erlassen wurden, war auch die kommunale Ebene nicht inaktiv. Überregional bekannt wurde insofern vor allem die Verpackungsteuer-Satzung der hessischen Stadt Kassel von 1991 – dies allerdings vor allem dadurch, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sie im Jahr 1998 für verfassungswidrig erklärte.3BVerfGE 98, 106 ff.; zu dieser Entscheidung noch unten, B.
Trotz des Dämpfers für derartige kommunale Klima- und Umweltschutzbemühungen loten einzelne Kommunen weiterhin ihre rechtlichen Möglichkeiten aus. So hat die Universitätsstadt Tübingen, nachdem man dort aufgrund geänderten Bundesabfallrechts4Dazu unten, B. III. neue Spielräume eröffnet sah, im Jahr 2020 noch einmal eine Verpackungsteuer-Satzung5Satzung über die Erhebung einer Verpackungssteuer v. 30.01.2020 in der Fassung vom 27.07.2020, abrufbar unter www.tuebingen.de/verwaltung/uploads/satzung_verpackungssteuer.pdf , zuletzt abgerufen am 08.12.2023. erlassen und den absehbaren Rechtsstreit um deren Gültigkeit riskiert. Nachdem der VGH BW die Tübinger Satzung im Jahr 2022 für unwirksam erklärt hatte, befand das BVerwG sie für im Wesentlichen rechtmäßig (dazu unter B.). Inzwischen steht fest, dass sich auch das BVerfG mit ihr beschäftigen wird. Denn die klagende Franchise-Nehmerin einer Fast-Food-Kette mit Standort in Tübingen sieht sich durch die Satzung und nun auch durch das BVerwG-Urteil in ihren Grundrechten verletzt und hat Verfassungsbeschwerde6BVerfG – 1 BvR 1726/23. eingelegt. Die Stadt Freiburg im Breisgau hat, wie auch andere Kommunen, im Jahr 2022 ihre Bewohner- Parkgebühren massiv erhöht und damit ebenfalls die Gerichte einschließlich des BVerwG beschäftigt (dazu unter C.). In die Diskussion um die Möglichkeiten und Grenzen der Kommunen, Steuern und nichtsteuerlichen Abgaben mit klima- und umweltpolitischen Zielen zu verbinden, haben die beiden experimentierfreudigen Städte damit eine neue Dynamik gebracht.
B. Kommunaler Klima- und Umweltschutz durch Steuern, insb. durch kommunale Verpackungssteuern
Auf der Grundlage ihrer Verpackungssteuer-Satzung erhebt die Stadt Tübingen seit dem 01.01.2022 auf nicht wiederverwendbare Verpackungen (Einwegverpackungen), nicht wiederverwendbares Geschirr (Einweggeschirr) und nicht wiederverwendbares Besteck (Einwegbesteck) „eine Steuer, sofern Speisen und Getränke darin bzw. damit für den unmittelbaren Verzehr an Ort und Stelle oder als mitnehmbares take-away-Gericht oder -Getränk verkauft werden (z. B. warme Speisen und Getränke, Eis von der Eisdiele, Salat mit Soße und Besteck, Getränke ‚to go‘)“, § 1 Abs. 1 der Satzung. Einwegdosen, -flaschen, -becher und sonstige Einweggetränkeverpackungen sowie Einweggeschirrteile und sonstige Einweglebensmittelverpackungen werden dabei mit jeweils 50 Cent besteuert; je Einwegbesteck(set) fällt eine Steuer von 20 Cent an, § 4 Abs. 1 der Satzung. Hintergrund für den Erlass der Satzung waren große Mengen an Einwegmüll. Tonnenweise fällt dieser in Deutschland täglich an. Das darin liegende große Problem für die Umwelt ist zugleich ein finanzielles Problem für die Kommunen. Denn sie sind für die Stadtreinigung zuständig und müssen sich um die Sauberkeit der Grünanlagen und die Entsorgung des Mülls kümmern.7Nach Angaben des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) aus dem Jahr 2020 bezahlen die Städte und Gemeinden in Deutschland jährlich 700 Millionen Euro, um Parks und Straßen von Zigarettenkippen und Verpackungsmüll zu reinigen sowie öffentliche Abfallbehälter zu leeren. Allein für die Entsorgung von „To-go“-Bechern aus Plastik fielen demnach Kosten von rund 120 Mio. € an. VKU-Littering-Studie abrufbar unter www.vku.de/presse/pressemitteilungen/archiv-2020-pressemitteilungen/einwegplastik-und-zigarettenkippen-in-der-umwelt-kostenkommunen-jaehrlich-700-millionen-euro/, zuletzt abgerufen am 08.12.2023. Die Erhebung einer Verpackungssteuer könnte für Kommunen also grundsätzlich ein attraktives Instrument sein. Vor dem Abschluss des anhängigen Verfahrens vor dem BVerfG werden allerdings viele noch zögern. Dabei dürften die Chancen, bei aller Unsicherheit, gut stehen, dass die Tübinger Verpackungssteuer in Karlsruhe gehalten wird. Denn nachdem das Gericht vor gut 25 Jahren die Kasseler Verpackungssteuer für verfassungswidrig erklärt hat, hat sich Entscheidendes geändert.
I. Steuer- oder Sachgesetzgebungskompetenz?
Ein Einwand gegen die Zulässigkeit der Kasseler Verpackungssteuer war seinerzeit bereits, dass es für diese keine hinreichende Kompetenzgrundlage gebe. Es wurde bezweifelt, dass es überhaupt möglich ist, eine Verpackungssteuer auf eine Kompetenzgrundlage zu stützen, die „nur“ eine Befugnis zur Steuergesetzgebung enthält. Schließlich dient die Besteuerung von Einwegverpackungen, wie erwähnt, neben dem für steuerrechtliche Normen notwendigen Finanzierungszweck auch dem Zweck der Abfallvermeidung. Vor dem Hintergrund, dass man die Verpackungssteuer auch als „Lenkungsteuer mit außerfiskalischem Hauptzweck“8Waldhoff, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht III, 4. Aufl. 2020, § 67 Rn. 262. charakterisieren kann, stand in der Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit der Kasseler Steuersatzung deshalb seinerzeit das Argument im Raum, dass es sich bei dieser, zumindest auch und nicht in nur untergeordneter Hinsicht, um eine abfallrechtliche Regelung handele und dementsprechend eine Gesetzgebungskompetenz auch9Gern, NVwZ 1995, 771, 772; zuvor bereits Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, 1972, S. 138 ff., 160 ff.; Stern, Staatsrecht II, S. 1105. (teilweise auch nur10Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. 3, 1993, S. 1060 ff.) im Abfallrecht notwendig sei. Dies wäre mit Blick auf das Bestehen einer kommunalen Rechtsetzungskompetenz insofern problematisch, als für den Bereich der Abfallwirtschaft nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz zusteht, während die einschlägige Steuerkompetenz, wie noch zu zeigen ist, nach Art. 105 Abs. 2 a GG bei den Ländern liegt.
Die ganz herrschende Meinung allerdings geht schon lange11BVerfGE 13, 181, 196 f. davon aus, dass die Steuergesetzgebungskompetenz allein grundsätzlich auch genügt, wenn mit einer Steuer Lenkungszwecke verfolgt werden sollen.12Jachmann-Michel/Vogel, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, 7. Aufl. 2018, Art. 105 Rn. 26; Kube, in: BeckOK GG, Stand: 15.08.2023, Art. 105 Rn. 6; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 105 Rn. 5; Waldhoff, in: HStR V, 2007, § 116 Rn. 63; P. Kirchhof, Lenkungsteuern, in: Gedächtnisschrift für Ch. Trzaskalik, 2005, S. 395, 403; Birk/ Desens/Tappe, Steuerrecht, 26. Aufl. 2023, Rn. 196; Feurich, Plastik als Rechtsproblem, 2020, S. 161; Kloepfer/Bröcker, DÖV 2001, 1, 6 f.; i.E. auch Lang, Verwirklichung von Umweltschutzzwecken im Steuerrecht, in: DStJG 15 (1993), S. 115, 133; zur weiterhin bestehenden a. A. Siekmann, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, vor Art. 104 a Rn. 15 m. w. N.; siehe auch die Nachweise bei Jachmann-Michel/Vogel, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. III, 7. Aufl. 2018, Art. 105 Rn. 26 (dort Fn. 253). Das BVerfG hat dies in seiner Entscheidung zur Kasseler Verpackungssteuer auch nochmals bestätigt.13BVerfGE 98, 106, 117 m. w. N. Die Steuerkompetenz reicht demnach aus, solange die fragliche Regelung auch nur irgendeine nennenswerte „Ertragsrelevanz“ hat,14Waldhoff (Fn. 8), § 67 Rn. 265; Knies, Steuerzweck und Steuerbegriff, 1976, S. 60 ff.; Gosch, StuW 1990, 201, 207. sodass es im Ergebnis nicht einmal darauf ankommt, ob der sog. Fiskalzweck Haupt- oder Nebenzweck ist.15BVerfGE 98, 106, 118 mit Verweis auf E 55, 274, 299; zuvor bereits E 16, 147, 161; 38, 61, 80. Nur wenn eine Steuer so ausgestaltet ist, dass sie das besteuerte Verhalten vollständig erdrosselt, sie in ihrer Wirkung damit einem Ge- oder Verbot gleichkommt und damit gar nicht auf die Erzielung von Erträgen ausgerichtet ist, braucht es danach eine Gesetzgebungskompetenz für die Sachmaterie.16BVerwGE 16, 147, 161; Kube (Fn. 12), Art. 105 Rn. 4; Birk/Desens/Tappe (Fn. 12), Rn. 196. In diesen Fällen, aber eben auch nur in diesen, so der dahinterstehende Gedanke, ist das Gesetz eigentlich ein als Steuergesetz nur getarntes Verbotsgesetz und eine Steuergesetzgebungskompetenz damit überhaupt nicht einschlägig.17Vgl. BVerfGE 98, 106, 118.
Dafür, dass Gesetze kompetenzrechtlich im Ergebnis nur entweder Steuer- oder Sachgesetze sein können, sprechen vor allem systematische Überlegungen: Zum einen trennt auch das Grundgesetz „die Steuer- und die Sachgesetzgebungskompetenz als jeweils eigenständige Regelungsbereiche“18BVerfGE 98, 106, 118. – und zwar obwohl Steuern schon immer auch für Lenkungszwecke eingesetzt wurden19Vgl. BVerfGE 16, 147, 161: „Steuern, die dem Pflichtigen ein bestimmtes wirtschaftliches Verhalten nahelegen sollen, ohne ihn dazu rechtlich zu zwingen, hat es seit je gegeben.“. Zum anderen sieht Art. 105 Abs. 2 a GG eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder vor. Diese ausschließliche Zuordnung würde unterlaufen, wenn sie faktisch entfiele, nur weil ein Landesgesetzgeber mit einem Steuergesetz, wie es für Steuern eben „normal“ ist, als Neben- oder auch als Hauptzweck einen Lenkungszweck verfolgt.20In diese Richtung etwa Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG II, 7. Aufl. 2021, Art. 105 Rn. 37. Geht man deshalb zutreffend von einer Trennungsperspektive aus, ist es wiederum überzeugend, so lange das Vorliegen eines Steuergesetzes anzunehmen, wie dieses irgendeine nennenswerte Ertragsrelevanz hat. Denn der rechtsverbindliche Gehalt besteht schließlich auch bei lenkenden Steuernormen nur in der Regelung einer Steuerpflicht, während der Lenkungs- und Anreizgehalt der Normen rechtlich unverbindlich ist.21BVerfGE 98, 106, 117 f. Dazu allgemein Wolff, Anreize im Recht, 2020, S. 10 ff. Ein guter Grund aber dafür, eine Norm, deren rechtsverbindlicher Gehalt rein steuerrechtlich ist, nicht als Steuerrecht zu behandeln, ist nicht ersichtlich.
Im Ergebnis richten sich die Gesetzgebungskompetenzen für Verpackungssteuern grundsätzlich nach Art. 105 GG. Dass die Einnahmen aus diesen nicht überwältigend hoch sein werden, ist für kommunale Verbrauchssteuern, die auch als Bagatellsteuern bezeichnet werden, typisch.22Heintzen (Fn. 20), Art. 105 Rn. 64. Dafür, dass die Kommunen die Absicht, Einnahmen zu erzielen, aber schlicht vorschieben und damit einen „Etikettenschwindel und Formenmissbrauch“ begehen,23Anders noch Gern, NVwZ 1995, 771, der ein Indiz in dem „objektiv verschwindend geringe(n) prognostizierte(n) Steueraufkommen im Verhältnis zum Verwaltungsaufwand“ sieht. gibt es keine Anhaltspunkte. Und das Erdrosselungsproblem stellt sich, solange die Steuern nicht allzu hoch angesetzt werden, ebenfalls nicht.
II. Voraussetzungen des Art. 105 Abs. 2 a S. 1 GG
Konkret ist, wie bereits erwähnt, Art. 105 Abs. 2 a Satz 1 GG die einschlägige Kompetenzgrundlage.24BVerfGE 98, 106, 123; BVerwG, Urt. v. 24.05.2023 – 9 CN 1/22 – juris, Rn. 11; Lang (Fn. 12), S. 115, 133. Hiernach haben grundsätzlich die Länder „die Befugnis zur Gesetzgebung über die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern, solange und soweit sie nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind“. Die Länder wiederum haben diese Kompetenz (zulässigerweise25BVerfGE 98, 106, 123; 65, 325, 343; Heintzen (Fn. 20), Art. 105 Rn. 65.) durchgängig ihren Kommunen übertragen. Das Land Niedersachsen bspw. ist nach Artikel 58 der Landesverfassung verpflichtet, den Gemeinden die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Mittel unter anderem durch Erschließung eigener Steuerquellen zur Verfügung zu stellen. Dieser Verpflichtung kommt das Land nach, indem es den Gemeinden durch § 3 Abs. 1 Satz 1 Kommunalabgabengesetz (NKAG)26In der Fassung der Bekanntmachung v. 20.04.2017, Nds. GVBl. S. 121, zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes v. 22.09.2022, Nds. GVBl. S. 589. die Befugnis verleiht, Steuern zu erheben. Das Steuerfindungsrecht der Gemeinden ist zwar insoweit eingeschränkt, als nach § 3 Abs. 3 NKAG die Erhebung einer Getränkesteuer sowie einer Schankerlaubnissteuer ausgeschlossen sind. Die Erhebung einer Verpackungsteuer dagegen ist nach dem NKAG grundsätzlich möglich. § 2 Abs. 1 NKAG gibt als Handlungsform die Satzung vor.
- Kommunale Verpackungssteuern als Verbrauchssteuern
Im Wesentlichen unstreitig ist heute, dass es sich bei (kommunalen) Verpackungssteuern um Verbrauchssteuern handelt.27BVerfGE 98, 106, 123 f.; BVerwG, Urt. v. 24.05.2023 – 9 CN 1/22 – juris, Rn. 13 ff.; VGH BW, Urt. v. 29.03.2022 – 2 S 3814/20 – juris, Rn. 98 f.; Heintzen (Fn. 20), Art. 105 Rn. 61; Birk/Desens/Tappe (Fn. 12), Rn. 75; Quaas/Kukk, VBlBW 2020, 441, 443; i.E. auch Faßbender, ZUR 2023, 597, 599; a. A. Friauf, GewA 1996, 265, 266 f. m. w. N. Dieser Steuertyp zeichnet sich vor allem dadurch aus, dass der Verbrauch vertretbarer, regelmäßig zum baldigen Verzehr oder kurzfristigen Verbrauch bestimmter Güter des ständigen Bedarfs belastet wird.28Vgl. BVerfGE 98, 106, 123 f. unter Verweis auf BT-Drs. 480 v. 1904.1954, S. 107; BVerwG, Urt. v. 24.05.2023 – 9 CN 1/22 – juris, Rn. 14; Heintzen (Fn. 20), Art. 105 Rn. 61; Birk/Desens/Tappe (Fn. 12), Rn. 1632. Und so sind kommunale Verpackungssteuern angelegt: Wenn der Kaffee getrunken, das Mittagessen aufgegessen ist, verlieren der besteuerte Kaffeebecher und die Styroporschachtel ihren Wert und ihre Funktion, sie sind verbraucht.29Bzgl. der Tübinger Verpackungssteuer BVerwG, Urt. v. 24.05.2023 – 9 CN 1/22 – juris, Rn. 16; bzgl. der Kasseler Verpackungssteuer BVerfGE 98, 106, 124, mit Verweis auf Förster, Die Verbrauchsteuern, 1989, S. 115. Im Übrigen werden kommunale Verpackungssteuern, wie es für Verbrauchssteuern charakteristisch ist,30BVerfGE 14, 76, 96; 161, 1, 53; Kube (Fn. 12), Art. 105 Rn. 47. typischerweise nicht vom Steuerschuldner getragen, sondern aufgrund einer entsprechenden Überwälzung vom Endverbraucher.31Vgl. BVerfGE 98, 106, 124; VGH BW, Urt. v. 29.03.2022 – 2 S 3814/20 – juris, Rn. 98; Kalscheuer/Harding, NordÖR 2017, 113, 114.
- Örtlichkeit kommunaler Verpackungssteuern
Zu bejahen ist auch das Merkmal der Örtlichkeit im Sinne des Art. 105 Abs. 2 a Satz 1 GG.32Bzgl. der Kasseler Steuer BVerfGE 98, 106, 123; bzgl. der Tübinger Steuer BVerwG, Urt. v. 24.05.2023 – 9 CN 1/22 – juris, Rn. 18 ff.; zust. Homann, KlimR 2023, 278, 279 f.; s. auch Seiler, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 105 Rn. 170; Quaas/Kukk, VBlBW 2020, 441, 443; kritisch Stendel, NVwZ 2023, 1413, 1414. Denn besteuert werden Verpackungen, die typischerweise an Ort und Stelle oder sonst im örtlich belegenen Büro oder zu Hause verbraucht werden; und der Lenkungszweck der Steuer besteht unter anderem darin, die Vermüllung im Gemeindegebiet einzudämmen. Der notwendige kommunale Bezug33Seiler (Fn. 32), Art. 105 Rn. 171. der Steuer ist damit gegeben. Für die Kasseler Verpackungssteuer, die allerdings nicht ausdrücklich auch bei „Take-away“-Gerichten griff, hatte ihn das BVerfG seinerzeit ebenfalls bejaht.34BVerfGE 98, 106, 124.
Anders hatte es im Hinblick auf die Tübinger Steuer zwar noch der VGH BW, als Vorinstanz des BVerwG, gesehen. Dieser hatte letztlich darauf abgestellt, dass es ja um Verpackungen gerade für „Take-away“-Gerichte gehe und somit nicht ausreichend gesichert sei, dass der Konsum auch tatsächlich im Gemeindegebiet stattfinde.35VGH BW, Urt. v. 29.03.2022 – 2 S 3814/20 – juris, Rn. 108 ff.; zust. Kube (Fn. 12), Art. 105 Rn. 51.1.; zust., zugleich aber auch kritisch Burgi, KlimaRZ 2022, 79, 82. Seitens der Literatur wurde dagegen aber anschaulich und treffend eingewandt, dass schließlich auch kommunale Hundesteuern erhoben würden, auch wenn die Hundehalter selbstverständlich gelegentlich auch außerhalb des Gemeindegebiets Gassi gingen.36Droege, VerfBlog, 2022/5/02, https://verfassungsblog.de/die-stadt-dermull-und-der-vgh-mannheim/, DOI: 10.17176/20220502-182216-0. Entscheidend ist schließlich, dass Kaffee und Mittagessen „zum Mitnehmen“ typischerweise in der Gemeinde verzehrt werden, in der sie auch gekauft wur den, sodass auch die zugehörigen Verpackungen typischerweise hier verbraucht werden. Das BVerwG hielt dem VGH BW zudem entgegen, dass dieser den Tatbestand der Steuersatzung zu weit ausgelegt habe. Nach verfassungskonformer Auslegung würden „Produkte zum Mitnehmen nicht generell und undifferenziert von der Besteuerung erfasst“, sondern seien eben nur solches Einwegzubehör, das typischerweise ortsnah innerhalb des Gemeindegebiets verbraucht wird.37BVerwG, Urt. v. 24.05.2023 – 9 CN 1/22 – juris, Rn. 23; zust. Faßbender, ZUR 2023, 597, 599 f.; s. auch bereits BVerfG 98, 106, 124; Heintzen (Fn. 20), Art. 105 Rn. 63; kritisch ggü. dem BVerwG insofern Bachmann/Rung, NVwZ 2023, 1616, 1620 f.
- Ungleichartigkeit kommunaler Verpackungssteuern zu bundesgesetzlich geregelten Steuern
Art. 105 Abs. 2 a GG setzt schließlich außerdem voraus, dass die örtliche Verbrauchssteuer nicht einer bundesgesetzlich geregelten Steuer gleichartig ist. Da die Mehrwertsteuer, im Unterschied zu einer Verpackungssteuer, am Preis und nicht an der Stückzahl ansetzt,38BVerfGE 98, 106, 125; BVerwGE 96, 272, 282; Waldhoff (Fn. 8), § 67 Rn. 264; Quaas/Kukk, VBlBW 2020, 441, 444. und da die Mehrwertsteuer die Kaufkraft, die Verpackungssteuer dagegen die Umweltbelastung belastet,39BVerfGE 98, 106, 125; Homann, KlimR 2023, 278, 280. ist insofern keine Gleichartigkeit gegeben.40So i.E. auch Siekmann (Fn. 12), Art. 105 Rn. 44 a; a. A. Förster (Fn. 29), S. 116. Darüber hinaus gibt es aktuell auch keine andere einer kommunalen Verpackungssteuer gleichartige Bundessteuer.41Homann, KlimR 2023, 278, 280. Schließlich dürfte auch die zum 01.01.2024 neu eingeführte und vom BVerwG dementsprechend noch nicht behandelte Einwegkunststoffabgabe42Diese wird auf der Grundlage des Gesetzes über den Einwegkunststofffonds (Einwegkunststofffondsgesetz – EWKFondsG), vom 11.05.2023, BGBl. 2023 I Nr. 124, in einer Fassung, die zum Zeitpunkt der Drucklegung noch nicht in Kraft getreten ist, erhoben werden. der Erhebung einer kommunalen Verpackungssteuer im Ergebnis nicht entgegenstehen.43Vgl. Faßbender, ZUR 2023, 597, 602 f.; offen gelassen bei Homann, KlimR 2023, 278, 282. Jedenfalls hat diese Abgabe, die nur auf Einwegkunststoff erhoben wird, einen engeren Anwendungsbereich als eine allgemein auf zum sofortigen Verbrauch bestimmte Verpackungen erhobene Verpackungssteuer.44Homann, KlimR 2023, 278, 282; Faßbender, ZUR 2023, 597, 603.
[…]
D. Schluss
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass kommunaler Klima- und Umweltschutz durch Steuern und Abgaben möglich ist – allerdings nur in Grenzen. Wie in so vielen Bereichen sind die Kommunen darauf angewiesen, dass der Bund und die Länder ihnen entsprechende Spielräume eröffnen oder diese jedenfalls nicht versperren. Der Verlauf der Grenzen ist nicht nur vom Verfassungsrecht, sondern auch vom einfachen Recht abhängig. In der Praxis ist im Übrigen nicht zuletzt auch dessen Auslegung durch die Gerichte entscheidend. In den beiden hier behandelten Fällen, bei der Verpackungssteuer und bei den Bewohner- Parkgebühren, waren das BVerwG und die Vorinstanz, der VGH BW, zu jeweils unterschiedlichen Ergebnissen gekommen; im ersteren Fall wird nun noch das BVerfG entscheiden. Kommunen, die ihre Spielräume ausschöpfen wollen, müssen risikofreudig sein.
Den vollständigen Beitrag entnehmen Sie den Niedersächsischen Verwaltungsblättern 2/2024, S. 33.
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- 1BGBl. I S. 378.
- 2BGBl. I S. 2432.
- 3BVerfGE 98, 106 ff.; zu dieser Entscheidung noch unten, B.
- 4Dazu unten, B. III.
- 5Satzung über die Erhebung einer Verpackungssteuer v. 30.01.2020 in der Fassung vom 27.07.2020, abrufbar unter www.tuebingen.de/verwaltung/uploads/satzung_verpackungssteuer.pdf , zuletzt abgerufen am 08.12.2023.
- 6BVerfG – 1 BvR 1726/23.
- 7Nach Angaben des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) aus dem Jahr 2020 bezahlen die Städte und Gemeinden in Deutschland jährlich 700 Millionen Euro, um Parks und Straßen von Zigarettenkippen und Verpackungsmüll zu reinigen sowie öffentliche Abfallbehälter zu leeren. Allein für die Entsorgung von „To-go“-Bechern aus Plastik fielen demnach Kosten von rund 120 Mio. € an. VKU-Littering-Studie abrufbar unter www.vku.de/presse/pressemitteilungen/archiv-2020-pressemitteilungen/einwegplastik-und-zigarettenkippen-in-der-umwelt-kostenkommunen-jaehrlich-700-millionen-euro/, zuletzt abgerufen am 08.12.2023.
- 8Waldhoff, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Besonderes Verwaltungsrecht III, 4. Aufl. 2020, § 67 Rn. 262.
- 9Gern, NVwZ 1995, 771, 772; zuvor bereits Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, 1972, S. 138 ff., 160 ff.; Stern, Staatsrecht II, S. 1105.
- 10Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. 3, 1993, S. 1060 ff.
- 11BVerfGE 13, 181, 196 f.
- 12Jachmann-Michel/Vogel, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG III, 7. Aufl. 2018, Art. 105 Rn. 26; Kube, in: BeckOK GG, Stand: 15.08.2023, Art. 105 Rn. 6; Kment, in: Jarass/Pieroth, GG, 16. Aufl. 2020, Art. 105 Rn. 5; Waldhoff, in: HStR V, 2007, § 116 Rn. 63; P. Kirchhof, Lenkungsteuern, in: Gedächtnisschrift für Ch. Trzaskalik, 2005, S. 395, 403; Birk/ Desens/Tappe, Steuerrecht, 26. Aufl. 2023, Rn. 196; Feurich, Plastik als Rechtsproblem, 2020, S. 161; Kloepfer/Bröcker, DÖV 2001, 1, 6 f.; i.E. auch Lang, Verwirklichung von Umweltschutzzwecken im Steuerrecht, in: DStJG 15 (1993), S. 115, 133; zur weiterhin bestehenden a. A. Siekmann, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, vor Art. 104 a Rn. 15 m. w. N.; siehe auch die Nachweise bei Jachmann-Michel/Vogel, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. III, 7. Aufl. 2018, Art. 105 Rn. 26 (dort Fn. 253).
- 13BVerfGE 98, 106, 117 m. w. N.
- 14Waldhoff (Fn. 8), § 67 Rn. 265; Knies, Steuerzweck und Steuerbegriff, 1976, S. 60 ff.; Gosch, StuW 1990, 201, 207.
- 15BVerfGE 98, 106, 118 mit Verweis auf E 55, 274, 299; zuvor bereits E 16, 147, 161; 38, 61, 80.
- 16BVerwGE 16, 147, 161; Kube (Fn. 12), Art. 105 Rn. 4; Birk/Desens/Tappe (Fn. 12), Rn. 196.
- 17Vgl. BVerfGE 98, 106, 118.
- 18BVerfGE 98, 106, 118.
- 19Vgl. BVerfGE 16, 147, 161: „Steuern, die dem Pflichtigen ein bestimmtes wirtschaftliches Verhalten nahelegen sollen, ohne ihn dazu rechtlich zu zwingen, hat es seit je gegeben.“
- 20In diese Richtung etwa Heintzen, in: v. Münch/Kunig, GG II, 7. Aufl. 2021, Art. 105 Rn. 37.
- 21BVerfGE 98, 106, 117 f. Dazu allgemein Wolff, Anreize im Recht, 2020, S. 10 ff.
- 22Heintzen (Fn. 20), Art. 105 Rn. 64.
- 23Anders noch Gern, NVwZ 1995, 771, der ein Indiz in dem „objektiv verschwindend geringe(n) prognostizierte(n) Steueraufkommen im Verhältnis zum Verwaltungsaufwand“ sieht.
- 24BVerfGE 98, 106, 123; BVerwG, Urt. v. 24.05.2023 – 9 CN 1/22 – juris, Rn. 11; Lang (Fn. 12), S. 115, 133.
- 25BVerfGE 98, 106, 123; 65, 325, 343; Heintzen (Fn. 20), Art. 105 Rn. 65.
- 26In der Fassung der Bekanntmachung v. 20.04.2017, Nds. GVBl. S. 121, zuletzt geändert durch Art. 4 des Gesetzes v. 22.09.2022, Nds. GVBl. S. 589.
- 27BVerfGE 98, 106, 123 f.; BVerwG, Urt. v. 24.05.2023 – 9 CN 1/22 – juris, Rn. 13 ff.; VGH BW, Urt. v. 29.03.2022 – 2 S 3814/20 – juris, Rn. 98 f.; Heintzen (Fn. 20), Art. 105 Rn. 61; Birk/Desens/Tappe (Fn. 12), Rn. 75; Quaas/Kukk, VBlBW 2020, 441, 443; i.E. auch Faßbender, ZUR 2023, 597, 599; a. A. Friauf, GewA 1996, 265, 266 f. m. w. N.
- 28Vgl. BVerfGE 98, 106, 123 f. unter Verweis auf BT-Drs. 480 v. 1904.1954, S. 107; BVerwG, Urt. v. 24.05.2023 – 9 CN 1/22 – juris, Rn. 14; Heintzen (Fn. 20), Art. 105 Rn. 61; Birk/Desens/Tappe (Fn. 12), Rn. 1632.
- 29Bzgl. der Tübinger Verpackungssteuer BVerwG, Urt. v. 24.05.2023 – 9 CN 1/22 – juris, Rn. 16; bzgl. der Kasseler Verpackungssteuer BVerfGE 98, 106, 124, mit Verweis auf Förster, Die Verbrauchsteuern, 1989, S. 115.
- 30BVerfGE 14, 76, 96; 161, 1, 53; Kube (Fn. 12), Art. 105 Rn. 47.
- 31Vgl. BVerfGE 98, 106, 124; VGH BW, Urt. v. 29.03.2022 – 2 S 3814/20 – juris, Rn. 98; Kalscheuer/Harding, NordÖR 2017, 113, 114.
- 32Bzgl. der Kasseler Steuer BVerfGE 98, 106, 123; bzgl. der Tübinger Steuer BVerwG, Urt. v. 24.05.2023 – 9 CN 1/22 – juris, Rn. 18 ff.; zust. Homann, KlimR 2023, 278, 279 f.; s. auch Seiler, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 105 Rn. 170; Quaas/Kukk, VBlBW 2020, 441, 443; kritisch Stendel, NVwZ 2023, 1413, 1414.
- 33Seiler (Fn. 32), Art. 105 Rn. 171.
- 34BVerfGE 98, 106, 124.
- 35VGH BW, Urt. v. 29.03.2022 – 2 S 3814/20 – juris, Rn. 108 ff.; zust. Kube (Fn. 12), Art. 105 Rn. 51.1.; zust., zugleich aber auch kritisch Burgi, KlimaRZ 2022, 79, 82.
- 36Droege, VerfBlog, 2022/5/02, https://verfassungsblog.de/die-stadt-dermull-und-der-vgh-mannheim/, DOI: 10.17176/20220502-182216-0.
- 37BVerwG, Urt. v. 24.05.2023 – 9 CN 1/22 – juris, Rn. 23; zust. Faßbender, ZUR 2023, 597, 599 f.; s. auch bereits BVerfG 98, 106, 124; Heintzen (Fn. 20), Art. 105 Rn. 63; kritisch ggü. dem BVerwG insofern Bachmann/Rung, NVwZ 2023, 1616, 1620 f.
- 38BVerfGE 98, 106, 125; BVerwGE 96, 272, 282; Waldhoff (Fn. 8), § 67 Rn. 264; Quaas/Kukk, VBlBW 2020, 441, 444.
- 39BVerfGE 98, 106, 125; Homann, KlimR 2023, 278, 280.
- 40So i.E. auch Siekmann (Fn. 12), Art. 105 Rn. 44 a; a. A. Förster (Fn. 29), S. 116.
- 41Homann, KlimR 2023, 278, 280.
- 42Diese wird auf der Grundlage des Gesetzes über den Einwegkunststofffonds (Einwegkunststofffondsgesetz – EWKFondsG), vom 11.05.2023, BGBl. 2023 I Nr. 124, in einer Fassung, die zum Zeitpunkt der Drucklegung noch nicht in Kraft getreten ist, erhoben werden.
- 43Vgl. Faßbender, ZUR 2023, 597, 602 f.; offen gelassen bei Homann, KlimR 2023, 278, 282.
- 44Homann, KlimR 2023, 278, 282; Faßbender, ZUR 2023, 597, 603.