10.09.2013

Reverse-Charge-Verfahren im Inland

Neuregelung seit 1. September für bestimmte Energielieferungen

Reverse-Charge-Verfahren im Inland

Neuregelung seit 1. September für bestimmte Energielieferungen

Reverse-Charge-Verfahren für den inländischen Strom- und Gashandel: Fragen über Fragen. | © Stauke - Fotolia
Reverse-Charge-Verfahren für den inländischen Strom- und Gashandel: Fragen über Fragen. | © Stauke - Fotolia

Ab dem 01. September 2013 wird das Reverse-Charge-Verfahren (Verlagerung der Umsatz­steuer­schuld auf den Leistungsempfänger) auf bestimmte Strom- und Gaslieferungen auch im Inland erweitert. Nachfolgend soll kurz über den aktuellen Sachstand berichtet werden.

Zum Hintergrund

Ursprünglich hatte bereits das Jahressteuergesetz 2013 eine Ausweitung des Reverse-Charge-Verfahrens auf bestimmte innerdeutsche Strom- und Gaslieferungen enthalten sollen, welches dann allerdings im Gesetzgebungsverfahren Ende 2012 gescheitert ist. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften (AmtshilfeRLUmsG) kommt es jetzt in § 13b Abs. 2 Nr. 5 Buchst. b, Abs. 5 Sätze 3 und 4 UStG doch noch zu einer entsprechenden Neuregelung:

Umfang der Neuregelung seit dem 1. September 2013

Demzufolge tritt der Wechsel der Steuerschuldnerschaft bei der Umsatzsteuer für innerdeutsche Energielieferungen ein, wenn


  • bei Gaslieferungen über das Erdgasnetz der Empfänger der Lieferung ein Unternehmen ist, das seinerseits Gas an Dritte liefert,
  • bei Lieferungen von Elektrizität sowohl der Lieferant der Elektrizität als auch der Empfänger der Lieferung sog. „Wiederverkäufer“ von Elektrizität (i.S.v. § 3 g UStG) ist.

Da der nationale Gesetzgeber nach der MwStSystRL über die Neueinführung von Fällen des Reverse-Charge-Verfahrens aber nicht autonom entscheiden darf, war eine Absicherung durch den EU-Ministerrat Voraussetzung für das Inkrafttreten. Vorgesehen wurde daher, dass die Neufassung des § 13b UStG zu Beginn des zweiten Monats in Kraft tritt, der dem Tag der Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union entweder des Durchführungsbeschlusses des EU-Rates zur Ermächtigung der BRD oder der Änderung der entsprechenden Richtlinie 2006/112/EG folgt.

Am 21. Juni 2013 hatte der ECOFIN-Rat bereits eine „politischen Einigung“ über die Änderung der MWSt-RL erzielt, wonach u. a. Mitgliedstaaten berechtigt sein sollen, das Reverse-Charge-System auf innerstaatliche Energielieferungen auszuweiten. Am 22.07.2013 wurde diese Änderung dann auch formell vom ECOFIN-Rat beschlossen. Mit der Veröffentlichung der entsprechend geänderten Richtlinie im EU-Amtsblatt am 26.07.2013 ist das EU-Verfahren nunmehr abgeschlossen.

Das bedeutet, dass das Reverse-Charge-Verfahren für den inländischen Strom- und Gashandel somit in Deutschland zum 1. September 2013 in Kraft getreten ist.

Begriff des „Wiederverkäufers“

Hinsichtlich des speziell bei Elektrizitätslieferungen relevanten Begriffs des „Wiederverkäufers“ enthält § 3 g Abs. 1 Satz 1 UStG schon heute eine Definition, wonach erforderlich ist, dass

  • die Haupttätigkeit des Unternehmers in Bezug auf den Erwerb in deren Lieferung besteht und
  • sein eigener Verbrauch von untergeordneter Bedeutung ist.

Nach Auffassung der Finanzverwaltung besteht die Haupttätigkeit dann in der Lieferung, wenn der Unternehmer mehr als die Hälfte der erworbenen Mengen weiterveräußert; der eigene Verbrauch soll dann von untergeordneter Bedeutung sein, wenn nicht mehr als 5 % der erworbenen Mengen für eigene (unternehmerische oder nichtunternehmerische) Mengen verwendet wird (vgl. Abschn. 3 g.1. Abs. 2 Sätze 2 und 3 UStAE).

Zahlreiche Auslegungsfragen ungeklärt …

Zahlreiche für die Anwendung der Neuregelung wichtige Auslegungsfragen sind allerdings derzeit noch weitgehend ungeklärt, beispielhaft sind hier zu nennen:

  • Behandlung auch der in eigenen Anlagen erzeugten Strommengen als „erworben“ i.S.v. § 3 g UStG?
  • Behandlung der Stromnetzbetreiber als Wiederverkäufer?
  • Indizwirkung der Vorlage von Versorgererlaubnissen nach § 4 StromStG bzw. Lieferanten-Anmeldungen nach § 38 Abs. 2 EnergieStG?
  • Abgrenzung innerhalb von umsatzsteuerlichen Organkreisen?
  • Berücksichtigung von Vorauszahlungen, die bisher zutreffend der Ist-Besteuerung unterlegen haben, wenn die Endrechnung in das Reverse-Charge-Verfahren fällt?
  • Besonderheiten bei Stromlieferungen an Kommunen – insbesondere, wenn diese einen Versorgungs-Eigenbetrieb unterhalten?
  • Gutglaubens- und Übergangsregelungen?

Das BMF beabsichtigt nun, im Rahmen einer Abstimmung mit den Ländern die Auslegungsfragen im Umlaufverfahren zu erörtern. Ob es bereits im September 2013 ein entsprechendes BMF-Schreiben geben wird, dürfte davon abhängen, inwieweit und ggf. wie zeitnah sich die Länder mit den Vorschlägen des BMF einverstanden erklären. Einzelheiten zu entsprechenden Vorschlägen (wie etwa der Entwurf eines solchen BMF-Schreibens) sind derzeit leider noch nicht bekannt.

… gleichwohl schon jetzt Handlungsbedarf

Da aber andererseits die Neuregelung – wie dargestellt – für Lieferungen, die ab dem 01.09.2013 erbracht bzw. bezogen werden, grundsätzlich nun einmal gilt und in der Praxis auch bereits zahlreiche Fälle bekannt geworden sind, in denen von Lieferanten derzeit bereits der umsatzsteuerliche Status des jeweils Angeschriebenen mittels Fragebogen o. ä. abgefragt wird, dürfte den betroffenen Unternehmen nichts anderes übrig bleiben, als sich jetzt zeitnah der Thematik zu stellen. Erforderlich werden dabei

  • eine umfassende Prüfung des eigenen Status mit Blick auf die Wiederverkäufereigenschaft (Strom) bzw. Lieferanteneigenschaft (Gas),
  • die Vorbereitung einer entsprechenden Information eigener Lieferanten (andernfalls müssen später u. U. die unzutreffend erteilten Eingangsrechnungen moniert und aufwändig berichtigt werden),
  • – je nach Fallgestaltung – auch eine entsprechende Abfrage bei eigenen Leistungsempfängern sowie
  • in Zweifelsfällen eine Abrede mit Lieferanten und Abnehmern, dass das Reverse-Charge-Verfahren Anwendung finden soll (vgl. Abschn. 13 b.8 UstAE).
  • die Anpassung von EDV-Systemen (z. B. Steuerschlüssel, Rechnungserstellung) und Kontrollprozessen.

Dass als Prüfungsmaßstab und Auslegungshilfe dazu vorläufig nur der Gesetzeswortlaut sowie die bisher schon ergangenen Verwaltungsanweisungen (insb. zu § 3 g UStG) zur Verfügung stehen, ist sicher ärgerlich, weil somit u. U. später noch einmal „nachjustiert“ werden muss. Wer andererseits allein darauf vertraut, dass es noch zu Übergangs- bzw. Gutglaubensregelungen kommt, wird jedoch möglicherweise unangenehm überrascht werden …

 

Eike Christian Westermann

Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht und für Handels- und Gesellschaftsrecht bei der KPMG AG WPG
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